OGH 2Ob2287/96d

OGH2Ob2287/96d5.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leopold B*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Günther Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch DDr. Elisabeth Steiner und Dr. Daniela Witt-Dörring, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 66.133 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. November 1995, GZ 35 R 649/95-36, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 7.Juli 1995, GZ 21 C 1127/94g-27, bestätigt wurde zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6.10.1993 ereignete sich auf der A 2 in Fahrtrichtung Wien bei Kilometer 34,613 ein Verkehrsunfall, an dem der vom Kläger gelenkte und gehaltene PKW Mazda 626 und der von Margit Z***** gelenkte, bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte PKW Subaru Justy beteiligt waren.

Der Kläger begehrt unter Einräumung eines 50 %igen Mitverschuldens die Hälfte des von ihm erlittenen Schadens in der Höhe von S 132.266 mit der Begründung, die Lenkerin des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges habe ihr Fahrzeug ohne verkehrsbedingte Notwendigkeit, aus reiner Schaulust wegen eines Verkehrsunfalles auf der Gegenfahrbahn durch eine Notbremsung unerwartet und unvorhersehbar zum Stillstand gebracht.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, die bei ihr haftpflichtversicherte Lenkerin habe ihr Fahrzeug verkehrsbedingt anhalten müssen; der Kläger sei aus seinem Alleinverschulden auf das Fahrzeug aufgefahren. Sie wendete den ihr von ihrer Versicherungsnehmerin abgetretenen Betrag von S 106.192,80 bis zur Höhe der Klagsforderung aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es ging von nachstehenden - zusammengefaßten - Feststellungen aus. Margit Z***** lenkte ihren PKW auf der drei Fahrstreifen aufweisenden Südautobahn Richtung Wien. Sie benützte den mittleren Fahrstreifen und hielt zunächst eine Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h ein. Kurz vor der späteren Unfallstelle hatte sich am Unfallstag ein Verkehrsunfall ereignet, bei dem ein PKW nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und über die Böschung gestürzt war. Margit Z***** bremste nach dieser Unfallstelle ihr Fahrzeug sehr stark, jedoch spurhaltend bis zum Stillstand ab. Nicht festgestellt werden konnte, ob die Bremsung auf Grund eines Verkehrsstaues vor ihr erforderlich war oder nicht. Vor dem Stillstand leuchteten jedenfalls die Bremslichter an ihrem PKW 3,6 Sekunden auf. Nachdem Margit Z***** ihr Fahrzeug zum Stillstand gebracht hatte fuhr sie nach einer Stillstandsphase von mindestens einer Sekunde wieder mit normaler Beschleunigung an. Der Kläger hatte sich ebenfalls im mittleren Fahrstreifen fahrend der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h genähert. Wegen des von der Fahrbahn abgekommenen Fahrzeuges war er in seiner Konzentration abgelenkt und richtete seinen Blick kurz nach rechts. Als er wieder nach vorne blickte, sah er das von Margit Z***** gelenkte Fahrzeug im Fahrstreifen vor sich stehen. Es konnte nicht festgestellt werden, daß ihm eine Beobachtung dieses Fahrzeuges durch andere zwischen ihnen befindliche Verkehrsteilnehmer nicht möglich gewesen wäre. Trotz einer Notbremsung stieß er mit etwa 68 km/h auf das mittlerweile wieder in Fahrt befindliche Fahrzeug der Margit Z*****.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß dem Kläger das Alleinverschulden an dem Unfall anzulasten sei, weil ihm der Beweis für das abrupte und grundlose Abbremsen des von Margit Z***** gelenkten Fahrzeuges nicht gelungen sei.

Das Berufungsgericht gab der allein wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger Beweiswürdigung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis dafür, daß Margit Z***** ihr Fahrzeug abrupt und völlig ohne verkehrsbedingten Grund abgebremst und zum Stillstand gebracht habe, mißlungen.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren in vollem Umfange Folge gegeben werde.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage der Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung auch gegen den Haftpflichtversicherer des Verurteilten ausreichende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht besteht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision macht geltend, daß Margit Z***** mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 10.1.1994, GZ 5 U 738/93-5, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB verurteilt wurde, weil sie ohne vekehrsbedingte Notwendigkeit ihr Fahrzeug abrupt abgebremst habe. Diese strafgerichtliche Verurteilung sei im Hinblick auf die Entscheidung 1 Ob 612/95, nach welcher eine allfällige Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung von Amts wegen wahrzunehmen wäre, von Bedeutung.

In der zitierten Entscheidung 1 Ob 612/95 (= AnwBl 1995, 900 [Strigl]

= RdW 1996, 15 [Berger] = ZVR 1996/2 = EvBl 1996/34 = JBl 1996, 117,

vgl auch Oberhammer, Verstärkter Senat-Bindung an Strafurteile, ecolex 1995, 790; Graff Zur Bindungswirkung des Strafurteils im Zivilprozeß nach der Aufhebung des § 268 ZPO, AnwBl 1996, 77) wurde der Rechtssatz formuliert: "Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muß, und wirkt dieses für den Rechtkreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, daß ihr eine Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist".

Zur Frage, ob eine derartige Bindungswirkung auch im Prozeß gegen den Haftpflichtversicherer des strafgerichtlich Verurteilten bestehe, hat der verstärkte Senat ausdrücklich nicht Stellung genommen (vgl dazu Oberhammer aaO FN 10).

Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung 2 Ob 2070/96t ausgesprochen, daß sich die Bindungswirkung des Strafurteils auf den Haftpflichtversicherer, der im Strafprozeß kein rechtliches Gehör hatte, nicht erstreckt, weil im gegenteiligen Fall das verfahrensrechtliche Grundgesetz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK verletzt würde. Dieses Grundrecht könne nicht dort, wo es zu komplizierten verfahrensrechtlichen Fragestellungen führt, einfach ignoriert werden.

Der erkennende Senat hält ausdrücklich an dieser Rechtsansicht fest.

Da im vorliegenden Fall lediglich eine Klage gegen den Haftpflichtversicherer einer strafgerichtlich Verurteilten vorliegt, und auch aus der Möglichkeit zur Direktklage des Geschädigten gegen Versicherer gemäß § 26 KHVG eine Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung nicht ableitbar ist, konnte die beklagte Partei die Verschuldensfrage im Zivilprozeß neu aufrollen.

Nach den vom Erstgericht getroffenen, vom Berufungsgericht gebilligten Feststellungen ist dem beweispflichtigen Kläger der Nachweis, die Versicherungsnehmerin der beklagten Partei habe ihr Fahrzeug nicht verkehrsbedingt zum Stillstand gebracht, mißlungen.

Demnach haftet den Entscheidungen der Vorinstanzen kein Rechtsirrtum an.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 40, 50 ZPO.

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