OGH 1Ob73/98m

OGH1Ob73/98m19.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erika Maria V*****, vertreten durch ihren Sachwalter Dr.Franz Bixner jun., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Radovan V*****, vertreten durch Dr.Maximilian Schludermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10.November 1997, GZ 44 R 742/97m-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 18.Juni 1997, GZ 2 C 93/96x-34, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt die Scheidung der zwischen den Streitteilen am 31.12.1980 geschlossenen Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, der sie und die drei ehelichen Kinder im Jahre 1991 verlassen habe und mit einer Freundin nach Belgien übersiedelt sei. Zuvor habe der Beklagte die Klägerin und die Kinder geschlagen, wodurch die Ehe bereits zerrüttet gewesen sei. Der Beklagte habe schließlich in Belgien einen Mord begangen, weshalb eine 20-jährige Freiheitsstrafe über ihn verhängt worden sei. Er befinde sich dessentwegen in Strafhaft. Hilfsweise stützte die Klägerin ihr Scheidungsbegehren auf § 55 EheG, weil die eheliche Gemeinschaft bereits seit mehr als sechs Jahren aufgehoben sei.

Der Beklagte wendete ein, keine Scheidungsgründe gesetzt zu haben. Allfällige Eheverfehlungen habe ihm die Klägerin verziehen. Sie habe ihn nach der Inhaftierung oft besucht und ihm "verzeihende Liebesbriefe" geschrieben. Für den Fall einer Ehescheidung nach § 55 EheG beantragte der Beklagte den Ausspruch des alleinigen Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe, weil sie den telefonischen Kontakt des Beklagten zu ihr und den gemeinsamen Kindern unterbunden und einen hohen Geldbetrag für private Vergnügungen und Männerbekanntschaften verwendet habe.

Unstrittig ist, daß beide Parteien österreichische Staatsbürger sind und ihren letzten gemeinsamen Aufenthaltsort in Wien hatten, sodaß die Zuständigkeit des Erstgerichts gemäß § 76 Abs 1 JN gegeben ist.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Dieser sei im Sommer 1991 nach Belgien gereist, um dort als Bettler "zu arbeiten". Kurz nach seiner Einreise habe er gemeinsam mit vier Mittätern einen "Konkurrenzbettler" ermordet, weshalb im Juli 1991 die Untersuchungshaft über ihn verhängt worden sei. Am 15.11.1993 sei er von einem belgischen Schwurgericht wegen dieser als Mord qualifizierten strafbaren Handlung zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Seither befinde er sich in Strafhaft. Die Klägerin habe den Beklagten zuerst mehrfach in der belgischen Strafanstalt besucht, weil er seine Unschuld beteuert habe; späterhin habe er die Besuche durch Drohungen erzwungen. Die Drohungen seien dermaßen intensiv gewesen, daß die Klägerin beträchtliche Geldbeträge aufgewendet habe, um für den Beklagten ein Gnadengesuch an den belgischen König zu richten, das aber erfolglos geblieben sei. Die Klägerin habe dem Beklagten die schwere Straftat nie verziehen und lebe in großer Angst vor ihm, zumal er sie auch noch aus der Haftanstalt bedrohe. Der vom Beklagten begangene Mord stelle einen absoluten Scheidungsgrund und eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG dar. Dadurch sei die Ehe unheilbar zerrüttet und die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten.

Das Gericht zweiter Instanz hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die Unterlassung der Vernehmung des Beklagten bewirke zwar nicht die Nichtigkeit des Verfahrens, stelle aber einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Das Erstgericht habe auch nicht begründet, warum es die Vernehmung des Beklagten für entbehrlich erachtet habe. Wenngleich von der Vernehmung des Beklagten zum Beweis seiner von ihm behaupteten Unschuld Abstand zu nehmen sei, da er sich nicht darauf berufen könne, unschuldig verurteilt worden zu sein und den ihm angelasteten Mord tatsächlich nicht begangen zu haben, weil der rechtskräftigen Verurteilung durch ein belgisches Gericht Bindungswirkung auch in Österreich zukomme, sei seine Vernehmung nicht entbehrlich, weil zu prüfen sei, ob die Klägerin dem Beklagten dessen schwere Straftat verziehen habe. Auch schwere Straftaten wie beispielsweise Mord seien einer Verzeihung zugänglich; ein derartiger Willensentschluß des Verzeihenden sei nicht von vornherein rechtsungültig oder sittenwidrig. Allein aufgrund der Aussage der Klägerin könne nicht festgestellt werden, daß diese dem Beklagten die Straftat nicht verziehen habe. Eine einmal erklärte Verzeihung könne nämlich durch eine nachträgliche Änderung des Willensentschlusses nicht mehr wirkungslos gemacht werden. Zum Beweis der von ihm behaupteten Verzeihung sei der Beklagte sohin jedenfalls zu vernehmen. Was das Eventualbegehren auf Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG betrifft, sei noch nicht feststellbar, wie lange die häusliche Gemeinschaft bereits tatsächlich aufgehoben sei, weil eine durch äußere Umstände verursachte faktische Trennung der Ehegatten noch nicht den Tatbestand nach § 55 Abs 1 EheG verwirkliche, vielmehr zumindest bei einem der Ehegatten das für den anderen erkennbare subjektive Willenselement hinzutreten müsse, nach Beendigung der Strafhaft die Ehegemeinschaft nicht wieder aufnehmen zu wollen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die Klägerin irrt, wenn sie meint, ein Ehegatte könne einen vom Ehepartner begangenen Mord, dessentwegen eine langjährige Freiheitsstrafe verhängt worden sei, nicht rechtsgültig verzeihen und eine dennoch erfolgte Verzeihung sei sittenwidrig. Verzeihung ist vor allem ein subjektiver innerer Vorgang, der allerdings nach außen in Erscheinung treten muß. Die Äußerung des verletzten Ehepartners muß dahin gehen, die Ehe fortsetzen zu wollen, wobei konkludente Handlungen genügen. Verzeihung ist dann anzunehmen, wenn der gekränkte Ehegatte durch sein Gesamtverhalten zum Ausdruck bringt, daß er ein Fehlverhalten des Partners nicht mehr als solches empfindet und vorbehaltlos bereit ist, die Ehe fortzusetzen (EFSlg 57.184 f; Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 2 zu § 56 EheG). Ein Verzicht ist bei allen Scheidungstatbeständen möglich und findet nur dort seine Grenze, wo er nach seinem Inhalt und den Begleitumständen dem Wesen der Ehe oder den guten Sitten widerspricht. Die materiellrechtliche Wirkung eines gültigen Verzichts besteht darin, daß der Scheidungsanspruch in diesem Rahmen verloren geht und dieser Verzicht auch vom Gegner im Prozeß eingewendet werden kann (EFSlg 33.976; SZ 25/258). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Begehung eines Mordes einen sogenannten "absoluten Scheidungsgrund" darstellte, weil auch ein "absoluter Scheidungsgrund" - so wie jeder Scheidungstatbestand - verzichtbar ist. Das Kriterium des "absoluten Scheidungsgrunds" besteht allein darin, daß dieser unabhängig davon, ob es sich um eine einmalige Entgleisung in einer sonst guten Ehe oder schon um eine gänzlich zerrüttete Ehe handelt, geltend gemacht werden kann (vgl Pichler aaO Rz 1 zu § 47 EheG). Aus der Entscheidung EFSlg 27.321 geht nur hervor, daß dort die Beteiligung an einem Mord als "absoluter Scheidungsgrund" angesehen wurde, nicht aber auch, daß die Verzeihung dieser Verfehlung ausgeschlossen sei. Dem Beklagten steht sohin die Möglichkeit offen, den ihm obliegenden Beweis der Verzeihung durch die Klägerin (s EFSlg 57.197) anzutreten. Schon allein deshalb erweist sich die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung als berechtigt und erforderlich.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts treffen auch insoweit zu, als es an Feststellungen mangelt, seit wann die häusliche Gemeinschaft der Streitteile unter Berücksichtigung des erforderlichen subjektiven Willenselements aufgehoben ist. Erst dann wird sich beurteilen lassen, ob der Verfristungseinwand des Beklagten berechtigt ist. Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft im Sinne des § 57 Abs 1 dritter Satz EheG bedeutet nämlich das gleiche wie im § 55 Abs 1 EheG (EFSlg 51.640). Die Frist des § 55 Abs 1 EheG beginnt aber nicht schon mit einer vom Willensentschluß der Ehegatten unabhängigen, durch rein äußere Umstände erzwungenen faktischen Trennung (zB Strafhaft) zu laufen, sondern erst dann, wenn wenigstens ein Partner zeigt, daß er diese Trennung so empfindet, als hätte er selbst sie herbeigeführt oder gebilligt. Andernfalls würde schon die erzwungene Trennung, die von beiden Ehepartnern mißbilligt wird, von ihnen aber nicht abgewehrt werden kann, trotz einer vorerst auf die Erhaltung der Ehe gerichteten Gesinnung der Ehegatten jenem Teil, der später selbst aus der Ehe strebt, die Scheidung unter Berufung auf den Ablauf der Frist des § 55 Abs 1 EheG ermöglichen, was ihm sonst aber verwehrt wäre (EFSlg 51.621; SZ 54/170).

Letztlich wird zu prüfen sein, ob das belgische Recht den Strafurteilen belgischer Gerichte Bindungswirkung dahin zuerkennt, daß sich ein rechtskräftig Verurteilter in einem nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen kann, daß er die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe. Ein ausländisches (österreichisches) Gericht kann nämlich nicht in weiterem Umfang an die materielle Rechtskraft eines belgischen Strafurteils gebunden sein als ein belgisches Gericht. Ist das belgische Strafurteil einem österreichischen strafgerichtlichen Urteil - was noch auszuführen sein wird - gleichzuhalten, dann kann es in Österreich nur jene Wirkung entfalten, die ihm im Bereich Belgiens zukommt. Nur für den Fall des Bestehens einer Bindungswirkung im oben aufgezeigten Sinn nach belgischem Recht ist auch die Rechtsansicht des Gerichts zweiter Instanz zu billigen, daß sich der von einem belgischen Schwurgericht wegen Mordes rechtskräftig verurteilte Beklagte im vorliegenden Ehescheidungsverfahren nicht darauf berufen könne, er sei unschuldig verurteilt worden und habe den ihm angelasteten Mord tatsächlich nicht begangen. Hiezu ist auszuführen:

Der Entscheidung des erkennenden (verstärkten) Senats SZ 68/195 lag das Urteil eines österreichischen Strafgerichts zugrunde; dort wurde im Zuge eines gegen den strafgerichtlich Verurteilten angestrengten Rechtsstreits ausgesprochen, daß die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart wirke, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen müsse; er könne sich nicht darauf berufen, die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen zu haben. Zu prüfen ist, ob ein im Ausland (hier: Belgien) Verurteilter auch im oben angeführten Sinn gebunden ist:

Bis zur Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof herrschte in der Rechtsprechung und auch in der Lehre die Ansicht, die Bindungswirkung behördlicher Entscheidungen sei eine Folgewirkung der staatlichen Entscheidungs- bzw Gerichtshoheit, die auf das österreichische Staatsgebiet beschränkt sei, weshalb keine Bindung des Zivilrichters an verurteilende Erkenntnisse ausländischer Strafgerichte bestehe (SZ 49/158; Fasching III 254; Kralik in ZfRV 1969, 212 [215]). Die Bindungswirkung wurde vor allem deshalb verneint, weil dem österreichischen Recht Normen über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Strafsachen fehlten (Kralik aaO).

Urteile und Beschlüsse ausländischer Gerichte können im Inland nur dann materielle Rechtskraft äußern, wenn sie kraft staatsvertraglicher Regelung im Inland entweder anerkannt oder vollstreckt werden können. Es bedarf also eines "Anerkennungs- und(oder) Vollstreckungsvertrags" (Fasching LB2 Rz 1511; derselbe Komm III 699; vgl EvBl 1987/18; SZ 55/74; ZfRV 1975, 129; SZ 32/59; SZ 22/198; SZ 12/18; GlUNF 5156 und 4112). Nun wäre das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28.5.1970, BGBl 1980/248, ein solches "Vollstreckungsübereinkommen", weil nach dessen Art 4 "Sanktionen" im Sinne des Art 1 lit d von einem anderen Vertragsstaat unter bestimmten Voraussetzungen vollstreckt werden könnten, doch ist Belgien diesem Übereinkommen nicht beigetreten.

Beigetreten ist Belgien allerdings dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, BGBl 1986/524 bzw BGBl 1990/623. Dieses Übereinkommen sieht aber nicht die Anerkennung ausländischer Strafurteile, sondern nur die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen eine in einem anderen Staat verhängte Strafe nach Überstellung in den Heimatstaat dort zu verbüßen.

Auf die Bestimmungen des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes (ARHG), BGBl 1979/529, über die Zulässigkeit der Vollstreckung ausländischer strafgerichtlicher Entscheidungen muß nicht weiter eingegangen werden, weil durch den Beitritt Österreichs zum sogenannten Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl III 1997/90, eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist, die auch noch vom Rechtsmittelgericht berücksichtigt werden muß (Fasching, LB2 Rz 1927; vgl SZ 69/238). Das SDÜ wurde auch von Belgien unterzeichnet. In diesem Übereinkommen haben sich die Vertragsparteien und die dem Übereinkommen beigetretenen Staaten zu einer umfassenden Zusammenarbeit auf den Gebieten der Rechtshilfe und der Auslieferung sowie der Übertragung der Strafvollstreckung entschlossen. Art 54 SDÜ sieht ein Verbot der Doppelbestrafung vor: Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Dies bedeutet aber, daß sich die Vertragsstaaten an die Entscheidungen ihrer Partnerländer binden lassen und sie akzeptieren (vgl Schomburg, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, in JBl 1997, 553 [559]). Es wird also im Ergebnis von den Vertragsstaaten des SDÜ die strafgerichtliche Verurteilung, die in einem Migliedsstaat erfolgt ist, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt. Das SDÜ stellt demnach ein "Anerkennungsübereinkommen" im oben dargestellten Sinn dar, sodaß also das Strafurteil eines Vertragsstaats einem derartigen inländischen Urteil gleichzuhalten ist.

Dem Rekurs der Klägerin ist im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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