OGH 2Ob587/94

OGH2Ob587/9410.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.R*****, wider die beklagte Partei Eva-Maria T*****, vertreten durch Dr.Theo Feitzinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 91.959,20 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25.Juli 1994, GZ 14 R 25/94-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25.November 1993, GZ 21 Cg 275/92-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung, die im Umfang der Teilbestätigung des Ersturteils als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleibt, wird im übrigen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin vertrat die Beklagte in der Zeit vom 31.3. bis 20.8.1992 als Rechtsanwältin rechtsfreundlich.

Mit ihrer Klage begehrt sie die Zahlung ihres restlichen Honoraranspruches, der abzüglich eines Akontos in Höhe von S 15.000,-- mit S 91.959,20 offenstehe. Der Umfang der für die Beklagte entfalteten Tätigkeiten habe bei weitem das für ein Scheidungsverfahren zu Erwartende überschritten, so seien insbesondere lange Besprechungen mit dem Steuerberater der Beklagten und Korrespondenz wegen der Forderung eines Dritten geführt sowie eine Räumungsklage eingebracht worden. Die Beklagte habe im August 1992 die Vollmacht aufgekündigt.

Die Beklagte wendete ein, daß sie schon bei Übertragung des Mandats an die Klägerin den voraussichtlichen Kostenaufwand in den Rechtsstreitigkeiten mit ihrem Ehemann abgefragt habe. Die Kosten einer Ehescheidung seien mit S 20.000,-- bei einfacher, vermutlich einvernehmlicher Scheidung, S 50.000,--, bei strittiger Scheidung, allenfalls aber mit S 100.000,-- in Aussicht gestellt worden, und zwar "für die gesamte Erledigung". Eine Verrechnung nach Einzelleistungen hätte nicht erfolgen dürfen. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen seien mit S 15.341,76 zu honorieren, wovon S 15.000,-- bereits akontiert seien. In der Folge bestritt die Beklagte nicht mehr, daß die Klägerin die von ihr angeführten Leistungen erbracht habe, doch widerspreche eine Einzelleistungsverrechnung der zwischen den Streitteilen getroffenen Pauschalvereinbarung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt und wies (unbekämpft) ein Zinsenmehrbegehren ab. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Die Klägerin erbrachte als Rechtsanwältin im Auftrag der Beklagten die ihrer Honorarnote zugrunde liegenden Leistungen. Die Beklagte erklärte der Klägerin ausdrücklich, daß sie die nachstehend aufgezählten Leistungen wünsche und die Klägerin erklärte der Beklagten ausdrücklich, daß sie diese Leistungen erbringen würde:

1. Scheidungsklage und Antrag auf einstweilige Verfügung (Unterhalt);

2. Zins- oder Räumungsklage gegen den Ehegatten der Beklagten bezüglich Räumlichkeiten im Haus, dessen Miteigentümerin die Beklagte ist;

3. Vorbereitungsarbeiten im Zusammenhang mit einer arbeitsrechtlichen Forderung, die aber dann nicht gerichtlich geltend gemacht wurde;

4. Korrespondenz mit dem Rechtsanwalt des Ehemannes der Beklagten über eine allfällige Einigung;

5. Korrespondenz mit dem Masseverwalter eines Tischlereiunternehmens wegen einer Stiege in dem im Miteigentum der Beklagten stehenden Haus;

6. Besprechung mit dem Steuerberater zur Abklärung der Vermögen der Beklagten und ihres Ehemannes;

7. Brief an die Polizei wegen der polizeilichen Abmeldung des Ehemannes der Beklagten aus dem im Miteigentum der Beklagten stehenden Haus;

8. Korrespondenz mit dem Rechtsanwalt der Mutter der Beklagten, die Miteigentümerin des Hauses ist, wegen der Zins- und Räumungsklage.

Die Klägerin sagte der Beklagten drei der Größenordnung nach bezifferte Preiskategorien für Scheidungen, nämlich für einfache, komplizierte und sehr komplizierte Scheidungen, und wies darauf hin, daß in ihrem Wartezimmer ein Rechtsanwaltstarif aufliege. Der höchste von der Klägerin genannte Kategoriepreis war S 100.000,--. Die Klägerin wollte ihre Leistungen gegenüber der Beklagten einzeln nach dem Rechtsanwaltstarif verrechnen und die Beklagte war damit einverstanden und wollte das auch. Die Parteien wollten keine Obergrenze der Rechtsanwaltskosten der Klägerin vereinbaren und besprachen derlei auch nicht. Die Parteien wollten nicht und besprachen nicht einmal sinngemäß, daß die von der Klägerin genannten Kategoriepreise für eine einfache, komplizierte und eine sehr komplizierte Scheidung das endgültige Entgelt und daß sie in ihrer Höhe auch bei erheblicher Über- oder Unterschreitung des Arbeitsund/oder Auslagenaufwands unabänderlich sein sollten. Es wurde nicht darüber gesprochen, wer feststellen solle, in welche der drei genannten Preiskategorien die Scheidungssache falle. Es wurde ferner nicht darüber gesprochen, daß die Klägerin gegenüber der Beklagten eine detaillierte Aufstellung der Rechtsanwaltskosten zu machen habe. Es wurde schließlich auch nicht besprochen, wer letztlich den zu bezahlenden Preis bestimmen solle, und die Beklagte machte sich darüber auch keine Gedanken.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus dem festgestellten Sachverhalt, daß die Streitteile die Verrechnung nach Einzelleistungen entsprechend dem Rechtsanwaltstarif nicht ausgeschlossen hätten, eine derartige Verrechnung daher zulässig sei. Die von der Klägerin erwähnten Kategoriepreise stellten nur Schätzungsüberschläge dar, die der Orientierung darüber dienen hätten sollen, was ein Mandant an Kosten zu erwarten habe. Da der in Rechnung gestellte Betrag von S 106.959,20 keine beträchtliche Überschreitung des Betrages der höchsten Kategorie von S 100.000,-- darstelle, sei daraus eine Minderung der Ansprüche der Klägerin nicht abzuleiten. Auch sei nicht hervorgekommen, daß der Entschluß der Beklagten, die Klägerin zu beauftragen, davon abhängig gewesen sei, daß keine S 100.000,-- übersteigenden Kosten anfielen.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge, verurteilte die Beklagte zur Bezahlung von S 30.000,-- sA und wies das Mehrbegehren von S 61.959,20 sA ab. Es sprach ferner aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Angaben der Klägerin über die Kosten des Scheidungsverfahrens seien als Kostenschätzung im Sinn des § 1170a Abs 2 ABGB zu verstehen. Die Klägerin hätte erkennen müssen, daß wegen der Lösung der mit der Scheidung verbundenen Fragen bei Abrechnung nach Einzelleistungen mit der Kostenschätzung von höchstens S 100.000,-- für sehr komplizierte Fälle nicht das Auslangen gefunden werden kann. Sie habe es aber nicht für zweckmäßig erachtet, die Beklagte darauf hinzuweisen, sondern sich mit der Verweisung auf den im Wartezimmer aufliegenden Rechtsanwaltstarif begnügt. Sie hätte jedoch nicht annehmen können, daß die Beklagte in der Lage sein werde, diesen Tarif anzuwenden und die aufgelaufenen Kosten danach zu beurteilen. Die Beklagte hätte davon ausgehen dürfen, daß auch bei einer Verrechnung nach Einzelleistungen die Abwicklung des gesamten Scheidungsverfahrens samt den damit verbundenen wirtschaftlichen Problemen einen Aufwand von S 100.000,-- erfordern werde. Sie sei nicht darauf aufmerksam gemacht worden, daß verschiedene Fragen, wie Mietrechte, Arbeitslohn, Mietzins und Werklohn für eine Treppe, mit der Scheidung nichts mehr zu tun hätten und daher von einer Kostenschätzung nicht umfaßt seien. Stelle man die von der Klägerin erbrachten Leistungen einem "fiktiven Gesamtaufwand" gegenüber, ergebe sich, daß die Leistungen der Klägerin, die nicht einmal die Hälfte der von ihr zu erwartenden Leistungen erbracht habe, ein Entgelt von höchstens S 45.000,-- angemessen sei (§ 273 ZPO). Hierauf seien S 15.000,-- bezahlt worden, weshalb noch S 30.000,-- unberichtigt offenstünden. Die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig, weil zur Frage der Warnpflicht von Rechtsanwälten, wenn Kostenschätzungen nicht eingehalten werden können, keine höchstgerichtliche Judikatur vorhanden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil "aufzuheben" und das erstgerichtliche Urteil zu "bestätigen".

Die Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der von der Revisionswerberin behauptete Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, nämlich, daß das Urteil mit sich selbst im Widerspruch sei, betrifft grundsätzlich nur den Spruch, ein Widerspruch in den Gründen reicht hiefür nicht aus (siehe die Nachweise bei Kodek in Rechberger, ZPO Rz 12 zu § 477). Eine solche Nichtigkeit läßt sich nicht erkennen.

Soweit die Klägerin erstmalig in ihrer Revision ein Anerkenntnis ihrer Honorarforderung durch die Beklagte behauptet, liegt darin eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO).

Als Vorfrage ist zunächst zu klären, ob überhaupt eine verbindliche Erklärung über die Höchstsumme der Kosten vorliegt, auf die § 1170a ABGB sinngemäß anzuwenden ist (vgl SZ 55/83). Schon die Nennung dreier verschiedener Preiskategorien, ohne darauf hinzuweisen, daß die von der Beklagten angestrebte Scheidung in eine dieser Kategorien falle, läßt berechtigte Zweifel daran aufkommen, daß die Beklagte konkrete Bezüge auf die von ihr beabsichtigte Scheidung herstellen durfte. Unstrittig steht fest, daß die Beklagte von Anfang an nicht nur eine Scheidungsklage und die Durchsetzung eines einstweiligen Unterhalts in Auftrag gab, sondern sich durch die Klägerin auch in einer Reihe weiterer Agenden vertreten lassen wollte, die auch bei weitester Auslegung mit dem Begriff "Scheidung" nicht in Verbindung gebracht werden können, wie der Einbringung einer Mietzins- und Räumungsklage, der Vorbereitung einer arbeitsgerichtlichen Klage, der Abwehr einer Werklohnforderung oder der polizeilichen Abmeldung des Ehegatten der Beklagten. Nach der Rechtsprechung (SZ 55/83) ist für eine sinngemäße Anwendung des § 1170a ABGB auf eine überschlagsmäßige Kostenschätzung wesentlich, daß dem Vertragsteil, der eine Kostenschätzung erstellt, erkennbar war, daß der Entschluß des anderen Vertragsteils zur Auftragserteilung von der Höhe der ihm bekanntgegebenen Kosten abhängig war. Dies hat die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz nicht einmal behauptet und ist auf Grund der vorliegenden erstgerichtlichen Feststellungen auch auszuschließen. Kommt daher schon mangels eines Vertrauens der Beklagten auf Preisangaben der Klägerin eine Analogie zu § 1170a Abs 2 ABGB nicht in Betracht (4 Ob 2150/96x RIS-Justiz RS0022003), kann die weitergehende Frage auf sich beruhen, ob eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Leistungen eines Rechtsanwalts geboten ist.

Ausgehend von seiner Rechtsansicht, daß schon der unstrittige Sachverhalt zur Begründung der teilweisen Stattgebung der Berufung der Beklagten ausreichend war, hat es das Berufungsgericht unterlassen, auf die Beweisrüge der Beklagten in ihrer Berufung einzugehen, mit der sie die Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft, mit einer Einzelleistungsverrechnung nach dem Rechtsanwaltstarif einverstanden gewesen zu sein und vorbringt, daß aufgrund ihrer Aussage festzustellen gewesen wäre, daß der Betrag von S 100.000 als absolute Obergrenze für ein abgeschlossenes Scheidungsverfahren anzusehen war, die einzelnen Wertgrenzen als Pauschalsummen genannt wurden und die Beklagte gegen eine Einzelverrechnung nur insofern keinen Einwand gehabt hatte, als hiemit die Preislimits nicht überschritten worden wären (Seiten 119, 121). Ob und inwieweit die diesbezüglichen Feststellungen vom Erstgericht auch bei Eingehen in die Beweisrüge aufrechterhalten werden, ist jedoch wesentlich für die Beurteilung, ob eine Pauschalvereinbarung getroffen wurde. Bei einem jederzeit möglichen Widerruf der Vollmacht durch die Beklagte vor Erbringung der ganzen bedungenen Arbeit könnte die Klägerin im Falle einer Pauschalhonorarvereinbarung nur einen angemessenen Teil des vereinbarten Honorars verlangen oder des empfangenen Honorars behalten (SZ 18/59). Sollte jedoch, wie vom Erstgericht festgestellt, seitens der Beklagten die Zustimmung zu einer Verrechnung nach Einzelleistungen erteilt worden sein, käme, wie schon erwähnt, der Nennung von Preiskategorien eine relevante Bedeutung nicht zu.

Selbst für den Fall, daß eine ausdrückliche Honorarvereinbarung auf der Grundlage des RATG nicht getroffen worden sein sollte, würde dies dem Honoraranspruch der Klägerin nach dem RATG nicht entgegenstehen, da auf den durch Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zustande gekommenen Vertrag in erster Linie die Vorschriften der RAO, hilfsweise die Bestimmungen des ABGB über den Bevollmächtigungsvertrag Anwendung finden, wobei - wenn Unentgeltlichkeit nicht vereinbart ist - , das vereinbarte Entgelt (§ 17 Abs 1 RAO) als bedungen gilt. Die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für das Anwaltshonorar lautet: 1. Parteienvereinbarung, 2. RATG und

3. angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, wobei jede Rechtsgrundlage die nachfolgende ausschließt (10 Ob 509/95; EvBl 1972/124; NZ 1973,156 ua; s RIS-Justiz RS0038942). Ohne gültige Pauschalvereinbarung hätte die Klägerin daher selbst beim Fehlen einer ausdrücklichen Honorarvereinbarung Anspruch auf Abgeltung ihrer Leistungen nach dem RATG.

Zur Beurteilung bedarf es jedoch noch gesicherter Feststellungen, die erst nach Behandlung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht vorliegen können.

Der Revision war daher Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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