OGH 3Ob11/97g

OGH3Ob11/97g18.12.1996

11Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Simon C*****, vertreten durch Dr.Walter Bacher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Johann Erwin G*****, vertreten durch Dr.Manfred Melzer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen S 264.480,-- sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 257.480,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Mai 1995, GZ 39 R 259/95-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 14.Oktober 1994, GZ 9 C 75/94d-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Beklagte ist Eigentümer des Hauses Wien 18, Dempschergasse 10. Der Kläger hatte die in diesem Haus gelegene Wohnung top Nr 4 vom 1.1.1991 bis 31.10.1991 gemietet. Davor waren Verwandte des Klägers Mieter dieser Wohnung. Gegen die Ehegattin des Klägers, Fizon C*****, die einen Mietvertrag für den Zeitraum 1.12.1991 bis 30.11.1992 geschlossen hatte, erging am 8.1.1993 ein Versäumungsurteil, aufgrund dessen die zwangsweise Räumung bewilligt wurde, die am 25. und 26.8.1993 vollzogen wurde. Dabei wurden zahlreiche Fahrnisse entfernt und bei der Spedition K***** eingelagert. Die restlichen Gegenstände wurden vom Sachverständigen H***** für wertlos erklärt und von der Firma H***** entrümpelt.

Der Kläger brachte zur Begründung seiner auf Zahlung von S 264.480,-- sA gerichteten Klage vor, die zwangsweise Räumung sei entgegen der Vereinbarung mit dem Vertreter des Beklagten vollzogen worden, der anläßlich des Abschlusses eines weiteren Mietvertrags mit der Schwester des Klägers, Edibe C*****, und Zahlung des rückständigen Mietzinses am 22.12.1992 erklärt habe, damit sei der Räumungsprozeß erledigt. Bei der dennoch durchgeführten Räumung seien in Möbeln aufbewahrte und versteckte Geldbeträge verschwunden, Fahrnisse zerstört bzw aus der Wohnung entfernt worden, ohne daß der Kläger deren Verbleib wisse; weiters sei der abtransportierte Kühlschrank beim Herausstechen des Eises bzw beim Transport so beschädigt worden, daß er unbrauchbar wurde; der Gesamtschaden mache S 257.480,-- aus. Alle Gegenstände hätten sich im Eigentum des Klägers befunden. Der Beklagte hafte für das Verschulden der von ihm bei der Verwaltung seines Hauses verwendeten Personen wie für sein eigenes. Weiters habe der Kläger für den Rücktransport der bei der Spedition deponierten Einrichtungsgegenstände S 7.000,-- bezahlen müssen; die darauf gegründete Klagsforderung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Der Beklagte bestritt die aktive Klagslegitimation des Klägers, der nicht Mieter der Wohnung gewesen sei. Die Räumungsexekution sei aufgrund eines rechtswirksamen Exekutionstitels durchgeführt worden.

Das Erstgericht wies das Begehren auf Zahlung von S 257.480,-- sA mit Teilurteil ab; den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, der Kläger sei aktiv klagslegitimiert, weil der mit seiner Frau geschlossene Mietvertrag Schutzwirkungen zugunsten des Klägers erzeugt habe. Auch nach Auflösung dieses Bestandverhältnisses am 30.11.1992 bestünden Schutz- und Sorgfaltspflichten des Klägers als Vermieters gegenüber den in den Mietgegenstand eingebrachten Fahrnissen; dies gelte auch für den am 22.12.1992 mit der Schwester des Klägers geschlossenen Mietvertrag. Der Beklagte hafte jedoch nicht für etwaige Schäden, die aufgrund der Durchführung der zwangsweisen Räumung aufgetreten seien; er habe die daran beteiligten Personen nicht zur Erfüllung des Mietvertrages im Sinn des § 1313 a ABGB verwendet; diese Personen dienten nur aufgrund der gerichtlichen Bewilligung der zwangsweisen Räumung zur Rechtsdurchsetzung. Die zwangsweise Räumung habe nichts mehr mit Erfüllungspflichten zu tun, also auch nichts mit nachvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten oder mit Pflichten aus dem neuen Mietvertrag mit der Schwester des Klägers. Der Spediteur, der Sachverständige und die Entrümplungsfirma seien dem Beklagten nur als Gehilfen nach § 1315 ABGB zuzurechnen. Da es aber keinen Hinweis dafür gebe, daß es sich hiebei um gefährliche oder untüchtige Personen handelte, komme eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und führte in rechtlicher Hinsicht aus, abgesehen davon, daß es der im Verfahren 9 C 595/92 des Bezirksgerichtes Döbling beklagten Ehefrau des Klägers möglich gewesen wäre, durch Erhebung eines Rechtsmittels gegen das Versäumungsurteil die Eröffnung des Beweisverfahrens und die Erörterung der formellen Weiterbenützung der Wohnung durch ein anderes Familienmitglied herbeizuführen, sei die Zurechenbarkeit des dem Beklagten angeblich durch die Räumungsexekution entstandenen Schadens nicht gegeben. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens sei nur für jene verursachten Schäden zu haften, welche die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte. Jene Normen, die den Schutz bestimmter Güter bezwecken, dienten aber regelmäßig nicht nur der Verhinderung der Beschädigung, sondern auch der Vermeidung von Folgeschäden des Rechtsinhabers. Wieweit der Normzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reiche, sei jedoch Auslegungsfrage im Einzelfall. Jede gesetzliche Pflicht oder Verpflichtung aus einem Vertrag diene bestimmten Interessen. Es solle daher nur der Schaden, der diesen geschützten Interessen zugefügt werde, dem zu ersetzenden Schaden zugerechnet werden. Dies bedeute, daß der Schuldner im Vertragsrecht nur für jene Folgen eines Vertragsbruchs einzustehen habe, welche die vertraglich geschützten Interessen betreffen. Unterstellte man dem Beklagten, er hätte seine vertragliche Verpflichtung, von der Räumungsexekution abzusehen, nicht eingehalten bzw gegen das gesetzliche Verbot des Abschlusses von Kettenmietverträgen verstoßen, so könnte ihm der vom Kläger behauptete Schaden, nämlich die Zerstörung und Entfernung von Gegenständen durch Vollzugsorgane anläßlich der Räumungsexekution nicht zugerechnet werden. Sowohl die Bestimmungen über die zulässigen Befristungen von Mietverträgen als auch ein allfälliger vereinbarter Räumungsverzicht sollten den Verlust der Wohnung durch zwangsweise Räumung verhindern. Der Beklagte könne aber nicht für alle Folgen der Verletzung der Verbotsnorm bzw des allfälligen Vertragsbruches herangezogen werden, sondern nur so weit, als jene Interessen verletzt würden, deren Schutz die übernommene Verbotsnorm bzw die Vertragsverpflichtung bezweckte. Der Beklagte könne daher für das Verhalten dritter Personen, die den vom Kläger behaupteten Schaden herbeigeführt hätten, nicht herangezogen werden.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision "im Hinblick auf Rechtsprechung und Lehre zur Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhanges" mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Aus einem rechtswidrigen Verhalten der Vollzugsorgane bei der zwangsweisen Räumung kann kein Ersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten abgeleitet werden. Die vom Kläger ins Treffen geführte Entscheidung 4 Ob 578/87 (veröffentlicht in EvBl 1988/46 = JBl 1988, 248 = MietSlg 39/52 = WoBl 1988/12) ist auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anzuwenden, weil dort die Schadenersatzpflicht des Liegenschaftseigentümers wegen unerlaubter Selbsthilfe durch eigenmächtige Räumung eines Bestandobjekts von den Fahrnissen Dritter, insbesondere für (zufälligen) Verlust bzw (zufällige) Beschädigungen aus Anlaß des Abtransportes und der Einlagerung der Fahrnisse beim Spediteur, beurteilt wurde. Hier liegt jedoch keine eigenmächtige Räumung, sondern eine vom Gericht vollzogene zwangsweise Räumung vor. Bei den vom Kläger behaupteten Schäden durch Zerstörung und Entfernung von Gegenständen durch Vollzugsorgane beim Vollzug der zwangsweisen Räumung handelt es sich um Schäden, die Organe des Bundes in Vollziehung der Gesetze schuldhaft zugefügt haben; in einem derartigen Fall bestünde ein gegen den Bund zu richtender Amtshaftungsanspruch (§ 1 AHG). Eine Haftung nach § 1313 a ABGB für Vollstreckungsbeamte oder sonst mit hoheitlicher Gewalt Auftretende (zB Polizisten) kommt nicht in Frage (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 10 zu § 1313 a). Wenn auch die von Reischauer (aaO) als Beleg zitierten Autoren Wilburg (in ZBl 1930, 658) und Zunft (in AcP 153, 373) nur die Haftung des Mieters für Dritten zugefügte Schäden bei Zwangsmaßnahmen von Beamten gegen den Mieter selbst verneinen, so muß dieser Grundsatz auch für die hier zu beurteilende Haftung des Vermieters gelten. Mangels eines bürgerlich-rechtlichen Vertragsverhältnisses zwischen der betreibenden Partei und dem Vollstreckungsorgan kann dieses nicht als Erfüllungsgehilfe des betreibenden Gläubigers angesehen werden (vgl BGHZ 62, 21; RGZ 104, 283; Löwisch in Staudinger, BGB13, Rz 69 zu § 278; Lüderitz in NJW 1975, 1). Eine aus § 1313 a ABGB abgeleitete Haftung des Beklagten für anläßlich der zwangsweisen Räumung zugefügte Schäden ist somit zu verneinen. Schäden an nach der zwangsweisen Räumung eingelagerten Sachen sind hier nicht zu beurteilen, so daß die Stellung des Lagerhalters (vgl hiezu SZ 57/83) nicht rechtlich zu qualifizieren ist.

Insofern ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die einen Ersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten schon aus rechtlichen Gründen verneint haben, zu billigen.

Der Kläger hat seinen Ersatzanspruch jedoch auch darauf gestützt, daß der Beklagte die zwangsweise Räumung vereinbarungswidrig beantragt habe. Ein derartiger Schadenersatzanspruch aus Vertragsverletzung wird durch einen bestehenden Amtshaftungsanspruch schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil er nicht aus einem Amtshaftung begründenden hoheitlichen Verhalten eines Organs abgeleitet wird. Bei der hier bestehenden Anspruchskonkurrenz von Amtshaftung des Rechtsträgers und Haftung des betreibenden Gläubigers, weil er entgegen einer Vereinbarung mit dem Verpflichteten die zwangsweise Räumung beantragt habe, können die einzelnen Ansprüche nebeneinander geltend gemacht werden (vgl zur Anspruchskonkurrenz von Amtshaftung des Rechtsträgers und Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters SZ 68/220; SZ 65/112; ZVR 1989/94; SZ 56/133; SZ 38/183; SZ 37/158 ua).

Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen liegt somit noch nicht Spruchreife vor, weil den Klagsbehauptungen folgend die Haftung des Beklagten aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus Vertragsverletzung nicht verneint werden kann. Insbesondere wären weder die Stellung des Hausverwalters als Erfüllungsgehilfe (§ 1313a ABGB) des Hauseigentümers noch ein adäquater Kausalzusammenhang (vgl Koziol/Welser10 I 448 f mwN) zwischen einem vereinbarungswidrig gestellten Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Räumung und Schäden bei dieser Räumung zu verneinen. Auch der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang wäre zu bejahen. Dieser ergibt sich bei Vertragsverletzungen aus den Interessen, die durch den Vertrag geschützt werden sollen (SZ 57/196 mwN; Reischauer in Rummel2 Rz 8 zu § 1295 ABGB; Harrer in Schwimann Rz 31 zu § 1311). Die vertraglich geschützten Interessen sind durch Auslegung zu ermitteln (SZ 57/196 mwN; Koziol JBl 1986, 105; Harrer aaO). Eine Vereinbarung, für einen gewissen Zeitraum oder überhaupt auf die Einleitung einer Räumungsexekution zu verzichten, dient zwar in erster Linie dazu, das Wohnbedürfnis des Klägers und seiner Mitbewohner zu sichern. Gerade dann aber, wenn eine solche Vereinbarung vom betreibenden Gläubiger bewußt verletzt würde, sind die Interessen des Klägers, die ihm gehörenden Sachen nicht nur ungestört weiter benützen zu können, sondern auch die an der Vermeidung ihres Verlustes oder ihrer Beschädigung - Umstände, die gerade bei zwangsweisen Räumungen keinesfalls atypisch sind (vgl SZ 57/83) - in den Schutzbereich des Vertrages (allenfalls auf Grund ergänzender Vertragsauslegung [Koziol aaO 106 mwN; Harrer aaO]) einbezogen. Das Erstgericht wird daher nach Durchführung eines Beweisverfahrens Feststellungen zu treffen haben, die eine abschließende rechtliche Beurteilung der Haftung des Beklagten aus diesem Rechtsgrund ermöglichen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Der Revisionsgegner hat die ihm mit der ihm am 4.12.1995 zugestellten Mitteilung freigestellte Beantwortung der außerordentlichen Revision entgegen § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht beim Revisionsgericht, sondern beim Erstgericht eingebracht. In einem solchen Fall ist die Beantwortung nur dann rechtzeitig, wenn sie vor Ablauf der Frist beim Obersten Gerichtshof einlangt. Die erst am 22.1.1996 beim Obersten Gerichtshof eingelangte Revisionsbeantwortung war daher als verspätet zurückzuweisen.

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