OGH 11Os39/96

OGH11Os39/964.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juni 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Waldner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl L***** wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Schöffengericht vom 5. Dezember 1995, GZ 15 Vr 643/95-15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl L***** des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt, weil er am 28. Juni 1995 in O***** Michelle W*****, indem er sie mit den Händen an den Schultern erfaßte, auf ein Sofa drängte und am Geschlechtsteil betastete, mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versuchte.

Seine auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 5 a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde gegen diesen Schuldspruch ist nicht berechtigt.

Zu Unrecht kritisiert die Verfahrensrüge (Z 3) die Verlesung der Aussagen der Zeugin Michelle W***** in der - wegen geänderter Zusammensetzung des Gerichts der Sache nach wiederholten (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 276 a ENr 4) - Hauptverhandlung vom 5. Dezember 1995 mit dem Hinweis, daß der Angeklagte und sein Verteidiger mit der Verlesung nicht einverstanden gewesen seien.

Nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO ist die Verlesung von gerichtlichen und sonstigen amtlichen Protokollen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, anderer amtlicher Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind, von Gutachten von Sachverständigen sowie technischen Aufzeichnungen über die Vernehmung von Zeugen zulässig, wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind. Nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes (so 15 Os 129/95, 14 Os 82/94, 11 Os 78/94; 15 Os 89/94 = ÖJZ-LSK 1995/31 = JBl 1995, 537 [mit abl. Kritik von Bertel]; 14 Os 158/94; 12 Os 135/94) gilt die Unterlassung einer Äußerung zu der in der Hauptverhandlung angekündigten oder begonnenen Verlesung als Zustimmung.

Der Angeklagte und der Verteidiger gaben in der Hauptverhandlung keine Erklärung vor oder während der Verlesung ab. Die Verlesung war somit wegen der stillschweigenden Zustimmung hiezu zulässig. Von einer Verletzung des Umgehungsverbotes kann daher keine Rede sein. Bemerkt sei hiezu noch, daß damit keine formelle Widerspruchspflicht im Sinn des § 281 Abs 1 Z 4 StPO statuiert, sondern lediglich eine eindeutige, die Annahme stillschweigender Zustimmung hindernde Prozeßerklärung für erforderlich gehalten wird.

Im übrigen war die Vernehmung der Zeugin W***** in der Hauptverhandlung vom 24. Oktober 1995 kontradiktorisch (59 ff). Die Verteidigung hatte somit - wie auch tatsächlich geschehen (59 f) - Gelegenheit, an die Zeugin auch Fragen zu ihren im Vorverfahren abgelegten Aussagen zu stellen.

Mit dem Einwand, daß der Akteninhalt in der Hauptverhandlung nicht tatsächlich verlesen worden sei, ist der Beschwerdeführer abermals auf den ungerügt gebliebenen und damit vollen Beweis machenden Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles zu verweisen, wonach die in Rede stehenden Aktenteile sehr wohl zur Verlesung gelangten. Ein mit Nichtigkeit bedrohter Verstoß gegen die Verlesungsbeschränkungen des § 252 StPO liegt daher - der Beschwerde zuwider - nicht vor.

Die Mängelrüge (Z 5) vermißt tragfähige Beweisgrundlagen für die Urteilsannahme eines auf die Duldung des Beischlafs - und nicht bloß anderer Unzuchtshandlungen - gerichteten Vorsatzes. Sie bekämpft damit allerdings in Wahrheit nur in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes, ohne damit einen formalen Begründungsmangel in der Bedeutung des angeführten Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen. Tatsächlich haftet dem Urteil aber auch kein Begründungsmangel an, weil das vom Schöffengericht festgestellte äußere Tatgeschehen in seiner Gesamtheit, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß der Angeklagte sich der eigenen Hose entledigt hatte und Michelle W***** aufforderte, sich "schnackseln" zu lassen, in Verbindung damit, daß es erst der bereits auf der Couch liegenden Zeugin W***** gelang, sich durch einen Stoß vom Angeklagten zu befreien, erkennbar auf das Vorhaben des Angeklagten hinwies, einen Geschlechtsverkehr zu erreichen. Im übrigen berief sich der Angeklagte in seiner Verantwortung auch selbst nicht darauf, daß er mit W***** (bloß) andere Unzuchtshandlungen habe durchführen wollen.

Soweit die Mängelrüge unter dem Gesichtspunkt einer Aktenwidrigkeit einwendet, das Erstgericht habe für die Zeit des Vorfalles wiederholte Äußerungen des Angeklagten dahin festgestellt, W***** solle sich nicht zieren und sich von ihm "schnackseln" lassen (siehe US 3), obwohl derartiges nicht einmal die Zeugin W***** selbst behauptet habe, verkennt sie das Wesen eines derartigen Begründungsmangels, der nur dann vorliegt, wenn das Gericht den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 ENr 185 f). Entgegen dem insoweit selbst nicht anklagekonformen Beschwerdevorbringen findet die bezügliche Konstatierung in der Aussage der Zeugin W***** volle Deckung (vgl insb 16, 37).

Schließlich geht auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) fehl, weil es ihr nicht gelingt, gegen die entscheidenden Urteilsannahmen des Schöffengerichtes sich aus den Akten ergebende Bedenken, geschweige denn solche erheblicher Art zu erzeugen. Das gilt für den Versuch, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin W***** dadurch einzuschränken, daß sie sich nicht sofort zu einer Anzeige entschlossen habe, ebenso wie für den Hinweis auf die Aussage des Zeugen Franz D***** in der Hauptverhandlung (79), W***** sei nach dem angeblichen Vergewaltigungsversuch "locker" aus dem Haus herausgekommen, man habe ihr keine Angst angemerkt und sie habe - ihren Angaben vor dem Untersuchungsrichter (37) zuwider - ihm (dem Nachbarn) gegenüber nichts Näheres über den Vorfall gesagt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war folglich bereits bei der nichtöffentlichen Sitzung gemäß § 285 d Abs 1 StPO zurückzuweisen.

Die Kompetenz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten fällt demzufolge dem Oberlandesgericht Wien zu (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung basiert auf § 390 a StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte