European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00082.9400000.0712.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen - auch andere Angeklagte betreffenden und Freisprüche enthaltenden - Urteil wurde Ralph N* des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG (I) sowie des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (II/1) schuldig erkannt und zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Darnach hat er
(zu I) zwischen 1992 und September 1993 in Wattenberg den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, nämlich ca 500 Gramm Heroin, durch Übergabe an den abgesondert verfolgten Josef N* in Verkehr gesetzt, wobei er die Tat mit
Beziehung auf ein Suchtgift begangen hat, dessen Menge
zumindest das Fünfundzwanzigfache der in § 12 Abs 1 SGG angeführten Menge ausmachte;
(zu II/1) zwischen Juli und September 1993 in Innsbruck und
Wattenberg durch Ankauf von insgesamt ca 10 bis
15 Gramm Kokain über Adolf G* für den Eigenbedarf außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG
den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben und besessen.
Nur den Schuldspruch wegen des Suchtgiftverbrechens (I) bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grunde des § 281 Abs 1 Z 3 (§ 252 Abs 1) StPO; den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Den Verfahrensmangel erblickt der Beschwerdeführer darin, daß die Protokolle über die Vernehmung des Zeugen Josef N* als Angeklagter in dem gegen diesen gesondert geführten Strafverfahren (AZ 35 Vr 2.081/93 des Landesgerichtes Innsbruck), auf die das Erstgericht den angefochtenen Schuldspruch allein stützt, nicht hätten gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO verlesen werden dürfen, weil Josef N* wegen der Gefahr einer Selbstbelastung von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO befreit gewesen sei und daher in der Hauptverhandlung die Aussage berechtigt verweigert habe.
Aus den Akten ergibt sich dazu folgendes:
Richtig ist, daß das Schöffengericht den bekämpften Schuldspruch ausschließlich mit den durch Verlesung in das Verfahren eingeführten früheren Angaben des Zeugen Josef N* als Angeklagter im eigenen Strafverfahren begründet hat (US 10). N* lag das gewerbsmäßige Inverkehrsetzen von ca 1 Kilogramm Heroin zur Last. Er hatte sich durchwegs (Polizei: S 31 ff = 177 ff; UR: S 38 ff; HV: S 215 ff im Akt AZ 35 Vr 2.081/93 des Landesgerichtes Innsbruck) zumindest hinsichtlich einer Teilmenge von 500 Gramm für schuldig bekannt, von der er angab, sie seinerseits von Ralph N* bezogen zu haben. Josef N* wurde unter Mitberücksichtigung dieses Teilgeständnisses mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Dezember 1993, GZ 35 Vr 2.081/93‑38, im Sinne des Anklagevorwurfes wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall und Abs 3 Z 3 SGG (gewerbsmäßiges Inverkehrsetzen von 1 Kilogramm Heroin) schuldig erkannt. Er ließ diesen Schuldspruch unbekämpft und berief nur gegen den Strafausspruch. Mit der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 10. März 1994 erwuchs dieses Urteil in Rechtskraft.
Als Zeuge im vorliegenden Strafverfahren (HV am 31. März 1994) wurde Josef N* vom Vorsitzenden über seine Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage gemäß § 165 StPO und über die Voraussetzungen einer Zeugnisbefreiung gemäß § 152 StPO belehrt, ihm jedoch eröffnet, daß ihm hinsichtlich der Drittangeklagten Ursula O* und des gesondert verfolgten Christian W* sowie hinsichtlich des Erstangeklagten Ralph N* "im Umfang seines Geständnisses in der letzten Hauptverhandlung" kein Entschlagungsrecht eingeräumt wird (S 16/IV). Daraufhin gab der Zeuge unter Hinweis auf seine frühere schwere Heroinabhängigkeit der Meinung Ausdruck, daß er sich durch seine Aussage belasten könne und sich deshalb der Aussage entschlagen wolle. Er sei "von heute auf morgen bei der Polizei vom Heroin entzogen worden", nunmehr gehe es vor Gericht um eine schwerwiegende Sache und deshalb berufe er sich auf sein Entschlagungsrecht. Er könne nicht mehr genau sagen, wieviel Heroin er von Ralph N* bezogen habe, es seien etwa 200 bis 500 Gramm gewesen. Er sei der Meinung, daß er sich unter Umständen selbst schwer belasten könne, und daß er das Recht habe, sich der Aussage zu entschlagen, weshalb er auch nicht mehr aussagen wolle (S 17 f/IV).
Der Schöffensenat sah daraufhin zwar von der - vom Staatsanwalt beantragten - Verhängung einer Beugestrafe (§§ 160, 248 Abs 1 StPO) ab, beschloß jedoch, die Aussage des Zeugen Josef N* (die vom Beschwerdeführer monierte Anführung seines eigenen Namens - "N*" - in der Protokollierung dieses Beschlusses beruht auf einem offenkundigen Versehen) aus dessen Strafverfahren gemäß § 252 Abs 1 Z 3 StPO zu verlesen, was in der Folge auch geschah (S 18/IV). Im Urteil wird dazu ergänzend ausgeführt, daß die Verurteilung des Josef N* zumindest bis zu einer Menge von 500 Gramm Heroin auf seinem Geständnis beruhte, weshalb er sich durch seine nunmehrige Zeugenaussage - bezogen auf eine Menge von 500 Gramm Heroin - nicht mehr hätte belasten können (US 10).
Die dagegen gerichtete Verfahrensrüge ist unbegründet.
Gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO (in der durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl Nr 526, geänderten, seit 1. Jänner 1994 geltenden Fassung) sind von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses Personen befreit, die sich durch ihre Aussage der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würden (1. Alternative) oder die im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren Gefahr liefen, sich selbst zu belasten, auch wenn sie bereits verurteilt worden sind (2. Alternative).
Zunächst war die Frage zu prüfen, ob nicht trotz der behaupteten Berechtigung des Zeugen Josef N* zur Aussageverweigerung die gerügte Vorgangsweise des Erstgerichtes dennoch zulässig war. Auch wenn ein Zeuge berechtigt die Aussage verweigert, dürfen nämlich gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über eine frühere Vernehmung dieses Zeugen, gleichviel ob er damals als "Mitbeschuldigter" (Verdächtiger, Beschuldigter, Angeklagter) oder als Zeuge ausgesagt hat, dann verlesen werden, wenn
1. die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer gerichtlichen
Vernehmung des Entschlagungsberechtigten zu beteiligen
(§ 252 Abs 1 Z 2 a StPO); oder
2. über die Verlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden
sind (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).
Zu diesem zweiten - übrigens von der Frage der Berechtigung zur Aussageverweigerung unabhängigen - Fall einer Verlesungszulässigkeit infolge Parteienerklärung ist anzumerken, daß die bisherige Rechtsprechung über die Möglichkeit auch einer stillschweigenden Zustimmung zur Verlesung (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 50 ff zu § 252) uneingeschränkt aufrecht erhalten werden kann, nachdem die Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 4 StPO durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 nicht geändert worden ist. Die nunmehr angedrohten Nichtigkeitssanktionen verschärfen zwar die prozessualen Folgen einer Verletzung oder Umgehung der Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO, legen aber keineswegs eine andere Interpretation dieser Bestimmungen selbst nahe.
Keiner der beiden erwähnten Fälle der Verlesungszulässigkeit liegt hier vor. An dem von Anfang an allein gegen Josef * geführten Strafverfahren hatte der Beschwerdeführer in keiner Phase irgendeinen prozeßrechtlichen Anteil. Schon nach der Prozeßordnung konnte daher weder ihm noch seinem Verteidiger die Möglichkeit geboten werden, sich an einer gerichtlichen Vernehmung des damaligen Beschuldigten (Angeklagten) Josef N* zu beteiligen (§§ 162 a, 247 StPO). Das Einverständnis des Verteidigers zur Verlesung wurde aber ausdrücklich verweigert (S 17/IV). Wäre daher - wie der Beschwerdeführer behauptet - die Zeugnisentschlagung berechtigt erfolgt, so läge in der Tat Urteilsnichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 3 (§ 252 Abs 1) StPO vor.
Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung, die - wie aus ihrer auf eine Beschlußfassung nach § 285 e StPO abzielenden Stellungnahme erhellt - auch von der Generalprokuratur geteilt wird, war indes der Zeuge Josef N* nicht berechtigt, die Aussage zu verweigern, weshalb die Protokolle über seine früheren Vernehmungen verlesen werden durften (§ 252 Abs 1 Z 3 StPO).
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1. Die Befreiung von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses tritt - wie in allen anderen Fällen des § 152 Abs 1 und Abs 2 StPO auch - nicht schon mit der bloßen Behauptung eines Zeugen ein, daß auf ihn irgendein Befreiungsgrund zutreffe. Daß nach der einfachen Strukturierung der bisherigen Entschlagungsgründe (§ 152 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO aF) insoweit kaum jemals Kontroversen auftraten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Gericht über die "Berechtigung" zu entscheiden hat, ob die Voraussetzungen einer Zeugnisbefreiung tatsächlich vorliegen.
So durfte sich das Gericht schon bisher nicht mit der bloßen Behauptung einer Entschlagungsberechtigung etwa wegen eines Angehörigenverhältnisses zum Beschuldigten auf Grund einer aufrechten Lebensgemeinschaft zufrieden geben, weil die Vorstellung des Zeugen über das Wesen einer solchen Gemeinschaft vom gesetzlichen Inhalt dieses Begriffes (§ 72 Abs 2 StGB) abweichen oder dieser Befreiungsgrund nur vorgeschützt sein konnte. Umso weniger darf sich das Gericht in Ansehung des Befreiungsgrundes drohender Selbstbelastung auf die Erklärung des Zeugen verlassen, weil hier die Gefahr - insbesondere von außen gesteuerter - unberechtigter Inanspruchnahme einer Zeugnisbefreiung noch viel näher liegt, und die ungeprüfte Anerkennung solcher Erklärungen einem - sanktionslosen - Mißbrauch der Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO in einer Weise Tür und Tor öffnen würde, die letztlich in unerträglichem Ausmaß (vgl E. Steininger AnwBl 1994, 82) auf den Verlust des Zeugenbeweises für die Wahrheitsermittlung gerade in jenen Fällen hinausliefe, in denen eine Einflußnahme auf den Zeugen am ehesten zu befürchten ist (vgl § 166 a StPO).
Zum Zwecke der Überprüfung, ob die Behauptung einer Selbstbelastungsgefahr gerechtfertigt ist, kann das Gericht daher erforderlichenfalls - wenn die Aktenlage dazu nicht ausreicht - dem Zeugen auch ergänzende Erklärungen abverlangen, um konkrete Anhaltspukte dafür zu gewinnen (vgl auch § 290 Abs 1 Z 3 StGB). Dem sind freilich von zwei Seiten her Grenzen gesetzt:
Einerseits kann ein Zeuge zu derartigen Erklärungen nicht direkt gezwungen werden, weil sie nicht das "Zeugnis" sind (§ 160 StPO; vgl auch § 288 Abs 1 StGB: Vernehmung "zur Sache") und daher die Weigerung des Zeugen, sich näher zu erklären, als solche nicht unter der Sanktion des § 160 StPO steht. Dies verbietet dem Gericht freilich nicht - im Gegensatz zum bestehenden Verbot, die berechtigte Entschlagung eines Zeugen als Beweistatsache zu würdigen (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 110 f zu § 258) -, aus einer solchen Weigerung allenfalls Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob die Entschlagungserklärung des Zeugen berechtigt ist oder nicht und gegebenenfalls die Zeugnisbefreiung zu verweigern.
Andererseits darf durch das Abfordern solcher Erklärungen nicht der Befreiungsgrund vereitelt und der Zeuge schon dadurch zur Selbstbelastung veranlaßt werden. Es genügt daher jedenfalls die Glaubhaftmachung des Befreiungsgrundes, wobei Zweifel für die Gewährung des Entschlagungsrechtes streiten. Spekulative Überlegungen ohne realen Hintergrund haben aber außer Betracht zu bleiben.
In strittigen Fällen ist ein begründetes Zwischenerkenntnis zu fällen (§ 238 StPO).
Im vorliegenden Fall hat der Vorsitzende des Schöffensenates sich zu Recht nicht mit der Entschlagungserklärung des Zeugen Josef N* begnügt, diese ohne Überschreitung der aufgezeigten Grenzen hinterfragt und somit auf korrekte Weise die Grundlagen für die Entscheidung des Senates geschaffen.
2. Im Gegensatz zu § 152 Abs 2 StPO aF, der eine partielle Befreiung eines Zeugen von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses nur dann zuließ, wenn ein zur Entschlagung berechtigendes Verhältnis auf einen von mehreren Beschuldigten beschränkt und eine Sonderung der Aussagen, die die anderen betraf, möglich war, sieht § 152 Abs 4 StPO - wohl gerade mit Rücksicht auf die gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO erweiterten Entschlagungsmöglichkeiten - nunmehr ausdrücklich vor, daß eine bloß teilweise Zeugnisbefreiung auch dann möglich ist, wenn das Strafverfahren zwar gegen einen Einzelbeschuldigten geführt wird, sich der Grund für die Zeugnisentschlagung aber nur auf einen von mehreren Sachverhalten bezieht und eine Sonderungsmöglichkeit der Aussagenkomplexe besteht (vgl EBRV 924 BlgNR 18. GP , 28). Durch gezielte Einschränkung des Entschlagungsrechtes auf getrennt beurteilbare Tatsachenbereiche kann somit der unerwünschte Effekt einer Abschöpfung von zuviel an Sachsubstrat für die Wahrheitsermittlung (E. Steininger AnwBl 1994, 83) ohne Beeinträchtigung des gesetzgeberischen Anliegens einer Vermeidung prozessualen Zwangs zur Selbstbelastung begrenzt werden.
Aus der Zulässigkeit der sachverhaltsbezogenen Teilbarkeit des Entschlagungsrechtes ergibt sich übrigens für den Fall eines Bekanntwerdens des Grundes für die Zeugnisbefreiung erst im Laufe einer Vernehmung (§ 152 Abs 5 StPO), daß die Verwertbarkeit der bisherigen Aussage dann erhalten bleibt, wenn jeder Bezug derselben zu entschlagungsrelevanten Sachverhalten ausgeschlossen ist.
Die vom Erstgericht nach personellen und faktischen Kriterien vorgenommene Beschränkung der Befreiung des Zeugen Josef N* von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses entsprach somit dem Gesetz.
3. Wird dem Gericht bekannt, daß gegen einen Zeugen ein Strafverfahren wegen einer strafbaren Handlung geführt wird, die in einem rechtlichen oder sachlichen Konnex zu jener Tat steht, die dem Beschuldigten in dem Strafverfahren, in dem der Zeuge seine Aussage ablegen soll, angelastet wird (EBRV 924 BlgNR 18. GP , 25), so ist dies zunächst nicht mehr als ein Hinweis darauf, daß überhaupt der Fall einer Zeugnisbefreiung gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO (2. Alternative) gegeben sein könnte, der den Richter zur Belehrung des Zeugen über diese Möglichkeit verpflichtet. Weder die Tatsache eines anhängigen Verfahrens, noch die sich darauf berufende Entschlagungserklärung des Zeugen als solche bewirken schon für sich allein eine Zeugnisbefreiung. Ob der Zeuge tatsächlich durch seine Aussage im Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren Gefahr liefe, sich selbst zu belasten, und ihm daher das Entschlagungsrecht zuzubilligen ist, hat das Gericht vielmehr auch in diesem Fall zu prüfen und zu entscheiden.
Dabei hat es unter Berücksichtigung der erforderlichenfalls zu hinterfragenden Entschlagungserklärung des Zeugen das diesem gestellte Beweisthema mit dem gegen ihn erhobenen strafgerichtlichen Vorwurf zu vergleichen und insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, auf welche Weise sich der Zeuge im eigenen Strafverfahren zu diesem Vorwurf stellt. Von einem Zeugen, der einen gegen ihn erhobenen Vorwurf als zu Recht bestehend anerkennt, kann im allgemeinen nicht angenommen werden, daß er sich im Umfang seines Geständnisses durch eine wahrheitsgemäße Aussage noch belasten, d.h. ein zusätzliches Beweismittel (i.w.S.) gegen sich schaffen könnte. Ohne die nähere (plausible) Erklärung eines solchen Zeugen, warum ungeachtet seines Geständnisses dennoch eine Belastungsmöglichkeit bestünde, wird der Befreiungsgrund in der Regel nicht angenommen werden können.
Dies gilt umso mehr dann, wenn der Zeuge in Übereinstimmung mit seinem Geständnis bereits verurteilt worden ist. In einem solchen Fall ist eine Selbstbelastung überhaupt nur bei hier nicht näher zu erörternden Sonderkonstellationen denkbar, die aber der Entschlagungswerber glaubhaft darlegen müßte. Ihrem klar erkennbaren Sinn nach hat die Bestimmung des letzten Halbsatzes des § 152 Abs 1 Z 1 StPO in erster Linie den Fall des Zeugen im Auge, der trotz seiner bestreitenden Verantwortung verurteilt worden ist. Er soll nicht gezwungen sein, seinen Schuldspruch nachträglich als Zeuge in dem Bewußtsein bestätigen zu müssen, daß die Aufrechterhaltung seiner bisherigen Darstellung, die im Hinblick auf seine Verurteilung mit dem offenkundigen Makel der Tatsachenwidrigkeit behaftet ist, seine Verfolgung wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB zur zwingenden Konsequenz hätte (vgl OGH 6. Juni 1991, 15 Os 43‑45/91 = JBl 1992, 401 = RZ 1991/89).
Im hier vorliegenden Fall hat sich Josef N* in seinem eigenen Strafverfahren durchgehend - und seiner Andeutung zuwider keineswegs nur bei der Polizei unter den nach seiner Festnahme aufgetretenen Entzugserscheinungen - damit verantwortet, vom Angeklagten Ralph N* zumindest ca 500 Gramm Heroin bezogen zu haben. Durch die zeugenschaftliche Bestätigung dieser Menge hätte er sich in dem gegen ihn geführten, mit einem von ihm akzeptierten Schuldspruch rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren wegen des Suchtgiftverbrechens sonach nicht mehr belasten können.
Mit Recht hat daher das Schöffengericht die Entschlagungsvoraussetzungen gemäß der zweiten Alternative des § 152 Abs 1 Z 1 StPO verneint.
4. Dies hat ersichtlich auch der Verteidiger erkannt, denn er stützt seine Beschwerdeausführungen nicht so sehr auf eine Selbstbelastungsmöglichkeit des Zeugen Josef N* wegen des im abgeschlossenen Verfahren gegen ihn erhobenen Vorwurfes des Inverkehrsetzens von Suchtgift, sondern auf die Hypothese, daß der Zeuge in seiner früheren Position als Angeklagter in dem Bestreben, in den Genuß eines Geständnisses zu kommen, oder aus Angst falsche Angaben über die Person seines Suchtgiftlieferanten gemacht und demnach den Beschwerdeführer falsch verdächtigt haben könnte. Durch die wahrheitsgemäße Aussage als Zeuge hätte sich Josef N* somit der strafgerichtlichen Verfolgung wegen eines an Ralph N* begangenen Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB ausgesetzt, weshalb er gemäß der ersten Alternative des § 152 Abs 1 Z 1 StPO von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit gewesen sei.
Auch dieser Einwand versagt.
Entschlagungsberechtigt soll nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO einerseits der Zeuge sein, der schon wegen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung verfolgt wird, die in einem rechtlichen (im Sinne einer Beteiligung gemäß § 12 StGB, §§ 55 f StPO) oder sachlichen (im Sinne von Anschlußtaten etwa nach §§ 164, 299 StGB) Konnex zu jener Tat steht, die dem Beschuldigten angelastet wird. Anderseits soll auch jenem Zeugen ein Entschlagungsrecht eingeräumt werden, gegen den noch gar kein gerichtliches Verfahren anhängig ist, der sich aber gleichwohl durch die wahrheitsgemäße Beantwortung der an ihn gestellten Fragen selbst belasten müßte. Diese Gleichstellung erscheint schon deswegen geboten, weil der auf den zwar verdächtigen, aber noch nicht verfolgten Zeugen ausgeübte Selbstbelastungsdruck nicht anders zu beurteilen ist, als bei einem Zeugen, gegen den bereits ein Strafverfahren geführt wird (vgl EBRV 924 BlgNR 18. GP , 25).
Die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StGB zielt mithin darauf ab, jene Personen, die schon wegen einer solchen, mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung verfolgt werden, die in einem rechtlichen oder sachlichen Konnex zu jener Tat steht, die dem Beschuldigten angelastet wird oder die zwar insoweit bloß verdächtig sind, aber noch nicht gerichtlich verfolgt werden, von dem Zwang zur Selbstbelastung durch eine wahrheitsgetreue Aussage im umschriebenen Rahmen zu bewahren. Sie bezieht sich nach den zitierten Materialien folglich nicht auf Konsequenzen einer vor der betreffenden Vernehmung in derselben Sache abgelegten Aussage. Demgemäß steht bei wiederholten Befragungen einem Zeugen auch dann kein Entschlagungsrecht zu, wenn gegen ihn wegen einer vorangegangenen Einvernahme in derselben Sache ein Strafverfahren - etwa infolge Anzeige des durch ihn belasteten Beschuldigten wegen Verleumdung oder falscher Beweisaussage - eingeleitet wurde; muß doch mit Rücksicht auf den erforderlichen Konnex zwischen jener Tat, die Gegenstand des Strafverfahrens ist, in dem der Zeuge vernommen wird, und jener, die zum bereits anhängigen Strafverfahren gegen ihn geführt hat oder deren er verdächtig ist (siehe oben), der Entschlagungsgrund schon bei der ersten Vernehmung zur betreffenden Sache gegeben sein und darf nicht erst durch die Aussage selbst geschaffen werden.
Abgesehen von diesen grundsätzlichen Erwägungen sei noch am Rande vermerkt, daß der Zeuge Josef N* in seiner ihm vom Erstgericht - wie dargelegt zu Recht - abverlangten näheren Erklärung, warum er sich zur Inanspruchnahme des Entschlagungsgrundes nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO für berechtigt erachte, bloß zum Ausdruck gebracht hat, daß seine Angaben über die von Ralph N* bezogene Heroinmenge (ca 500 Gramm) überhöht gewesen sein könnten, und daß es nach seiner nunmehrigen Erinnerung nur 200 bis 500 Gramm gewesen sein dürften (S 17/IV). Damit hat er aber bestätigt, daß die von ihm ausgesprochene Verdächtigung des Ralph N* wegen eines qualifizierten Suchtgiftverbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG an sich richtig war und die damals behauptete - für die rechtliche Beurteilung unmaßgebliche - Mengenaggravation jedenfalls nicht wider besseres Wissen erfolgt ist. Von einer für den Zeugen Josef N* bestehenden Gefahr, deshalb wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB verfolgt zu werden, konnte daher keine Rede sein, weil nach seinen Erklärungen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen dieses Tatbestandes nicht gegeben waren.
Demnach ist auch unter diesem Gesichtspunkt dem Erstgericht bei der Verneinung einer Entschlagungsberechtigung des Zeugen kein Fehler unterlaufen. Die Verlesung des Protokolls über seine früheren Angaben war daher durch § 252 Abs 1 Z 3 StPO gedeckt.
Die offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ralph N* war somit schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285 i StPO).
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)