OGH 14Os158/94

OGH14Os158/9420.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Erdei als Schriftführer, in der Strafsache gegen Paul Martin B* und Florian Franz G* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 23. Juni 1994, GZ 23 Vr 662/94‑74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Bierlein, der Angeklagten, ihrer gesetzlichen Vertreter Elfriede B* und Hilde G* sowie der Verteidiger Dr. Lux und Dr. Hoffmann zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00158.9400000.1220.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Jugendlichen Paul Martin B*, geboren am 14. Juli 1979, und Florian Franz G*, geboren am 22. Mai 1978, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben sie in der Nacht zum 26. Februar 1994 in Innsbruck im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter den Wolfgang T* durch Versetzen von Schlägen und Stößen mit einem 1,11 m langen und 2,4 kg schweren Kantholz getötet.

Dieses Urteil bekämpfen beide Angeklagten mit (getrennt ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden, die Paul Martin B* auf die Gründe der Z 3, 4, 5, 5 a und 10, Florian Franz G* auf jene der Z 4, 5 a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO stützt; keiner der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe liegt jedoch vor.

Zu Unrecht behauptet der Angeklagte B* eine Verletzung der Vorschrift des § 252 StPO (Z 3) durch die in der Hauptverhandlung vom 23. Juni 1994 vorgenommenen Verlesungen (S 245/II) der mit ihm und dem Mitangeklagten G* vor der Sicherheitsbehörde und dem Untersuchungsrichter aufgenommenen Vernehmungsprotokolle.

Die beiden Angeklagten haben in den einzelnen Verfahrensstadien jeweils zum Teil erheblich divergierende Darstellungen zum Tatablauf gegeben (US 12 f), sodaß die gerügten Verlesungen schon in der Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 2 StPO volle Deckung finden. Es ist aber auch unzutreffend, daß das nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO erforderliche Einverständnis nur ausdrücklich erklärt werden könne. Die Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 4 StPO hat durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 keine Änderung erfahren, sodaß ‑ wie vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen wurde (ua 14 Os 82/94, 11 Os 78/94, 15 Os 89/94) ‑ die bisherige Rechtsprechung über die Möglichkeit einer stillschweigenden Zustimmung zur Verlesung uneingeschränkt aufrecht ist (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 252 E 50 f). Da weder der Ankläger noch einer der beiden (jeweils von einem Verteidiger vertretenen) Angeklagten den Verlesungen in der Hauptverhandlung widersprochen hat, waren diese auch zufolge des damit konkludent gegebenen Einverständnisses der Prozeßparteien zulässig.

Auch die ‑ teils auf gleichlautende Argumente gestützten ‑ Verfahrensrügen (Z 4) beider Angeklagten sind unbegründet.

Der Einwand des Angeklagten B*, durch die öffentlich durchgeführte Hauptverhandlung bei seiner Einvernahme "massiv beeinträchtigt" und dadurch in seinen Verteidigungsrechten verletzt worden zu sein, geht schon deshalb fehl, weil er sich in der Hauptverhandlung (S 179 f/II) nach wie vor (ON 3) im wesentlichen leugnend verantwortete, sodaß weder erkennbar, noch in der Beschwerde dargetan ist, an welchem für ihn günstigeren Aussageverhalten er durch den gerügten Vorgang gehindert worden sein sollte (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 229 E 9). Damit ist jedenfalls ein nachteiliger Einfluß auf die Entscheidung im Sinne des § 281 Abs 3 StPO auszuschließen, weshalb die Frage, ob der Ausschluß der Öffentlichkeit sonst (etwa für sein späteres Fortkommen) im Interesse des Jugendlichen geboten gewesen wäre (§ 42 Abs 1 JGG), auf sich beruhen kann.

Ebensowenig wurden Verteidigungsrechte durch die von beiden Angeklagten kritisierte Ablehnung ihres Antrages auf Beiziehung eines jugendpsychologischen Experten zur Beurteilung der Kritik‑ und Einsichtsfähigkeit sowie der Reife der beiden Jugendlichen (ON 69 iVm S 175/II) verletzt.

Beim Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Heinz P* als Universitätslehrer (vgl § 126 Abs 2 StPO) und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sind ausreichende Fachkenntnisse auch auf dem Gebiet der Jugendpsychologie vorauszusetzen. Mängel in dessen Befund und Gutachten wurden weder im Beweisantrag noch in den Beschwerden dargetan. Für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens fehlte es damit an den gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 118 Abs 2, 125, 126 StPO).

Der nur vom Angeklagten B* erhobenen Mängelrüge (Z 5) zuwider hat der Schöffensenat die Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen über die Einschränkung der Dispositionsfähigkeit dieses Angeklagten zufolge Milieuschädigung (S 219 f/II) ausreichend erörtert (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; US 4 iVm US 11 f). Auch haben die Tatrichter mit dem Hinweis auf das festgestellte äußere Tatgeschehen (Versetzen wuchtiger Hiebe mit dem nach Art eines Beiles bzw "Stampfers" verwendeten Tatwerkzeug gegen den Kopf des schlafenden Opfers) die Annahme sämtlicher Elemente des bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) logisch und empirisch einwandfrei begründet (US 7 f, 19 f).

Es versagt aber auch der von beiden Angeklagten unter Wiederholung ihrer ‑ überwiegend leugnenden, vom Jugendschöffengericht jedoch als unglaubwürdig beurteilten ‑ Verantwortung erhobene Einwand erheblicher Bedenken (Z 5 a) gegen den Schuldspruch. Weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht werden von den Beschwerdeführern aktenkundige Beweisergebnisse aufgezeigt, die Anlaß zu ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsache des gemeinsamen Tötungsvorsatzes bieten könnten.

Zudem übersehen beide Angeklagten, daß für die Annahme eines bewußten und gewollten Zusammenwirkens ein spontan entstandener gemeinsamer Vorsatz (vgl US 8) ausreicht und ein solches Einverständnis auch konkludent zum Ausdruck kommen kann (Leukauf‑Steininger Komm3 § 12 RN 23).

Den unter dem Prätext von Feststellungsmängeln (Z 10) erhobenen Einwänden beider Angeklagten zuwider sind die im Urteil getroffenen Konstatierungen zur subjektiven Tatseite durchaus tragfähig. Die für die angenommene Vorsatzform des dolus eventualis erforderliche, vom Schöffensenat mehrfach ausdrücklich festgestellte Wissenskomponente ist in der Formulierung enthalten, daß die Angeklagten die Tatbestandsverwirklichung "ernstlich für möglich hielten", während die Willenskomponente im Urteil hinlänglich mit dem voluntativen Mindesterfordernis des "Sich‑Abfindens" (US 7 f, 20 und 23) beschrieben wird (Kienapfel, Grundriß, AT5 Z 27 RN 22; Leukauf‑Steininger aaO § 5 RN 16 a und 17). Diese in tatsächlicher Beziehung (intellektuelle Fähigkeit der Angeklagten, Beschaffenheit des Tatwerkzeuges, wiederholte Verwendung desselben mit massivem Krafteinsatz als Axt bzw "Stampfer" vor allem gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers; siehe insb US 19 f) ausreichend untermauerte positive Willensbildung kommt im angefochtenen Urteil somit klar zum Ausdruck.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) des Angeklagten G*, die Ergebnisse des Beweisverfahrens ließen lediglich eine Tatbeurteilung nach § 80 bzw § 83 StGB zu, entbehrt einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung, weil sich der Beschwerdeführer auf behauptete Beweisergebnisse bezieht und solcherart nicht den erforderlichen Vergleich des festgestellten Urteilssachverhaltes mit dem darauf angewendeten Strafgesetz vornimmt.

Verfehlt ist ferner der vom Angeklagten B* erhobene Vorwurf (Z 10), das Jugendschöffengericht habe die für die Bejahung "kumulativer Kausalität" im konkreten Fall erforderlichen Konstatierungen darüber unterlassen, ob und inwiefern von ihm nach bereits eingetretenem Erfolg (gemeint wohl: nach dem Eintritt einer tödlichen Verletzung) Tathandlungen gesetzt worden sind, die keine weitere Wirkung mehr hatten und sohin auch keinen "Tatbeitrag" (ersichtlich gemeint: keine Bedingung für den Taterfolg) darstellen.

Abgesehen davon, daß nach den Verfahrensergebnissen nichts darauf hindeutet, daß eine bestimmte Tathandlung für sich allein schon tödlich gewesen wäre, weshalb das Erstgericht mit Recht davon ausgegangen ist, daß erst die Gesamtheit der gegen das Opfer gerichteten Angriffe dessen Tod herbeigeführt haben, verkennt der Beschwerdeführer vor allem, daß sich das aufgeworfene Kausalitätsproblem nur bei unabhängig voneinander wirksamen Bedingungen stellt, die Angeklagten aber mit gemeinsamem Tötungsvorsatz als unmittelbare Mittäter gehandelt haben. In diesem Fall ist jedem von ihnen der tödliche Gesamterfolg zuzurechnen, mag auch sein Anteil an der Tatausführung für sich allein genommen den Tod nachweislich nicht verursacht haben (Leukauf‑Steininger aaO § 12 RN 21).

Besondere Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten B* über den Ursachenzusammenhang waren nicht indiziert, finden sich doch in den Akten keine Anhaltspunkte dafür, daß ihm der hier aktuell gewordene Kausalverlauf nicht einsichtig gewesen wäre.

Soweit der Angeklagte B* daran anknüpfend einwendet, es sei widersprüchlich (Z 5) und rechtsirrig (Z 10), ihm zugleich sowohl Verletzungs- als auch Tötungsvorsatz zu unterstellen, verkennt er, daß das Erstgericht die Vorsatzentwicklung im Laufe des Tatgeschehens dargestellt hat. Es ist nicht nur kein Widerspruch, vielmehr für ähnlich motivierte Tötungsdelikte gerade typisch, daß der Tötungsvorsatz die festgestellte Steigerung durchläuft (US 8).

Die Strafbemessungsrüge (Z 11) des Angeklagten G* schließlich releviert mit dem Aufzeigen zusätzlicher mildernder Umstände der Sache nach ausschließlich Berufungsgründe, ohne einen Nichtigkeit bewirkenden materiellrechtlichen Verstoß im Sanktionsbereich aufzuzeigen. Da das Erstgericht überdies die Anwendung der im Rahmen dieses Beschwerdepunktes ins Treffen geführten Vorschrift des § 5 Z 9 JGG nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern lediglich fallspezifisch nicht zur Anwendung gebracht hat (US 25), liegt auch insoweit bloß eine der Anfechtung aus diesem Nichtigkeitsgrund entzogene Ermessensentscheidung vor.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Das Jugendschöffengericht verhängte nach § 75 StGB unter Anwendung des § 5 Z 2 lit b JGG über Paul Martin B* achteinhalb Jahre, über Florian Franz G* neun Jahre Freiheitsstrafe.

Als erschwerend wertete es bei beiden Angeklagten die Begehung der Tat in Gesellschaft eines Mittäters, die besonders verwerfliche Tatausführung durch Ausnützung der Wehrlosigkeit des schlafenden Opfers, die äußerst brutale, grausame, heimtückische, feige und für das Opfer besonders quälende Tötungsart, bei G* überdies den Umstand, daß er das bereits schwer verletzte Opfer ein zweites Mal angegriffen hat. Als mildernd nahm es hingegen die Unbescholtenheit der Angeklagten, ihre durch Milieuschädigung bewirkte eingeschränkte Dispositionsfähigkeit, die alkoholbedingte Enthemmung, einen geringen Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie ihren bloß bedingten Tötungsvorsatz an.

Den Berufungen der Angeklagten, mit denen sie eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren teilbedingte Nachsicht anstreben, kommt keine Berechtigung zu.

Die vom Erstgericht angenommenen Milderungsgründe bedürfen zunächst insoweit einer Korrektur, als die Deliktsverwirklichung mit dolus eventualis ebensowenig einen Milderungsgrund darstellt (Mayerhofer‑Rieder StGB4 § 32 E 18), wie ein bloß geringer Beitrag zur Wahrheitsfindung (§ 34 Z 17 StGB).

Dem Berufungsvorbringen zuwider lassen sich den Akten weder Anhaltspunkte für eine stark verminderte Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten B* entnehmen noch kann von einem wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung durch irgendeine seiner mehrmals wechselnden Verantwortungen die Rede sein.

Alle übrigen in den Berufungen hervorgehobenen Umstände ‑ soweit sie nicht dem Schuldspruch zuwiderlaufen, was beispielsweise bei dem vom Angeklagten G* ins Treffen geführten Argument der Fall ist, "er habe nie die Absicht gehabt, das Opfer schwer zu verletzen, geschweige denn zu töten" ‑ hat das Erstgericht ohnehin entsprechend ihrem tatsächlichen Gewicht berücksichtigt. Unbegründet ist schließlich der Einwand des Zweitangeklagten, der als erschwerend berücksichtigte Umstand, daß er das Opfer ein zweites Mal angegriffen habe, finde im Beweisverfahren keine Deckung.

Die vom Jugendschöffengericht gefundene Sanktion entspricht der unrechtsbezogenen Schuld der Angeklagten (§ 32 StGB) und ist auch unter Bedachtnahme auf § 5 Z 1 JGG nicht überhöht, weshalb sich der Oberste Gerichtshof zu der begehrten Korrektur des Strafausspruches nicht veranlaßt gesehen hat.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

 

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