OGH 15Os59/96(15Os60/96, 15Os81/96)

OGH15Os59/96(15Os60/96, 15Os81/96)14.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Spieß als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alfons G***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung 1. über die Beschwerden des Angeklagten gegen die Beschlüsse des Vorsitzenden des Landesgerichtes Innsbruck a) vom 8.März 1996, GZ 36 Vr 3580/95-51, b) vom 11.April 1996, GZ 36 Vr 3580/95-59, sowie 2. über die (ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen des Angeklagten und der Hilde B***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 4.März 1996, GZ 36 Vr 3580/95-50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Beschwerde gegen den Protokollsberichtigungsbeschluß wird zurückgewiesen.

2. Der Beschwerde gemäß § 285 b Abs 2 StPO wird nicht Folge gegeben.

3. Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen werden zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Alfons G***** wurde des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1.) sowie des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (2.) schuldig erkannt und hiefür zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach Verkündung des Urteils und Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden erklärte der (aus der Untersuchungshaft vorgeführte) Angeklagte "Rechts- mittelverzicht". Dessen ungeachtet meldete auch der für den gewählten Verteidiger Dr.K***** (ON 21) einschreitende Rechtsanwaltsanwärter Dr.J***** jun. sogleich Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Dem Einwand des Vorsitzenden, daß der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten unmißverständlich gewesen sei und der Verteidiger die Möglichkeit gehabt habe, sich (vorher) mit seinem Mandanten zu besprechen, erwiderte der Verteidiger, der Angeklagte sei in einer Ausnahmesituation gewesen und sei sich der Bedeutung seiner Erklärung nicht bewußt gewesen. Im Anschluß daran wurde G***** enthaftet (332 f/I).

In einem am 6.März 1996 beim Erstgericht eingegangenen Schriftsatz meldete der Verteidiger namens der (nunmehr auch von ihm vertretenen) Tochter des Angeklagten, Hilde B*****, fristgerecht eine "Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung" an (ON 49).

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 8.März 1996 (ON 51) wies der Vorsitzende gemäß § 285 a Z 1 StPO "die vom Verteidiger in der mündlichen Hauptverhandlung vom 4.3.1996 angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde als unzulässig zurück", weil die Rechtsmittelerklärung des Angeklagten zweifelsfrei, deutlich und bestimmt erfolgt sei und ein rechtswirksamer Rechtsmittelverzicht (auch im Fall einer notwendigen Verteidigung) unwiderruflich sei.

In einer am 26.März 1996 beim Erstgericht eingelangten Eingabe (ON 55) stellte der Angeklagte einerseits einen Protokollberichtigungsantrag (Punkt 1.a bis c) und erhob andererseits (Punkt 2.) gegen den Zurückweisungsbeschluß (ON 51) Beschwerde.

Nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Schriftführers Mag.O***** (ON 56) und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft (ON 57) gab der Vorsitzende dem Protokollberichtigungsantrag mit Beschluß vom 11.April 1996 (ON 59) einerseits teilweise (nämlich weitgehend hinsichtlich behaupteter Formulierungsfehler zu den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen) mit der Begründung statt, insoweit habe der Schriftführer eingeräumt, daß er diese in einem Fall kürzer, im anderen falsch protokolliert habe, wies aber andererseits das Berichtigungsbegehren betreffend die Rechtsmittelerklärung des Angeklagten ab, weil das Urteil deutlich verkündet und hinreichend begründet und dem Angeklagten auch entsprechende Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei, worauf dieser "nicht sofort, sondern nach kurzem Überlegen" erklärt habe, "daß er das Urteil annimmt"; dabei habe der Vorsitzende den Eindruck gewonnen, daß dem Angeklagten, der sich ganz offensichtlich ein strengeres Urteil vorgestellt habe, das Urteil recht sei und er eher erleichtert gewirkt habe; die im Protokollberichtigungsantrag nunmehr angeführten Äußerungen des Angeklagten ("Ja, da kann ich eh nichts machen, das werde ich wohl annehmen müssen. Das tut mir leid, das habe ich zu wenig bedacht, natürlich möchte ich gegen das Urteil etwas machen und ich schließe mich meinem Verteidiger an") seien niemals gefallen.

Auch gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Beschlusses erhob der Angeklagte eine (dem Obersten Gerichtshof am 2.April 1996 im Nachhang übermittelte) Beschwerde.

Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verteidiger (ON 52) brachte dieser namens der Rechts- mittelwerber 1. Alfons G***** und

2. Hilde B***** in der in § 285 Abs 1 StPO bezeichneten Frist eine "Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung" ein (ON 58).

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Beschwerde gegen den Protokollsberichtigungsbeschluß:

Da es gegen eine abgelehnte oder gegen eine beschlossene Protokollsberichtigung kein Rechtsmittel gibt (13 Os 123/84, 13 Os 133/82, 12 Os 213/72 = RZ 1973/97; SSt 41/39; ZBl 1937/22, EvBl 1948/243; Mayerhofer/Rieder StPO3 E 41, 43 und Foregger/Kodek6 Erl VIII jeweils zu § 271; Platzgummer Grundzüge des österreichischen Strafverfahrens6 S 85; Bertel Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts4 Rz 728; dagegen vereinzelt - und keineswegs iS einer einhelligen Lehrmeinung - Helga Kümmel RZ 1988, 150 ff, die jedoch letztlich auch einer erst durch den Gesetzgeber zu schaffenden Beschwerdemöglichkeit das Wort redet), war die dagegen erhobene Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen (vgl 13 Os 123/84).

2. Zur Beschwerde gemäß § 285 b Abs 2 StPO:

Die gegen den Beschluß, mit dem die in der Hauptverhandlung vom Verteidiger namens des Angeklagten angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen wurde, gerichtete Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß §§ 285 a Z 1, 285 b Abs 1 StPO hat der Vorsitzende eine Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem dann zurückzuweisen, wenn sie von einer Person eingebracht wurde, der sie nicht zukommt oder die auf sie verzichtet hat.

Durch die Erklärung des Angeklagten "Rechtsmittelverzicht" (332/I) oder daß "er auf Rechtsmittel verzichte" (37/II) bzw daß "er das Urteil annimmt" (57/II), hatte er bereits unmißverständlich auf jegliches Rechtsmittel gegen das verkündete Urteil verzichtet. Nach den Umständen des besonderen Falles besteht kein Zweifel daran, daß dieser Verzicht auch dem Willen des Angeklagten tatsächlich entsprochen hat. Was immer nachträglich dagegen vor- gebracht wurde (etwa: der Angeklagte sei bei der Urteilsverkündung irritiert gewesen; eine klare, bestimmte, ernstliche und irrtumsfreie Verzichtserklärung liege nicht vor; der Angeklagte habe nach Erkennen seines Irrtums sofort der Rechtsmittelanmeldung seines Verteidigers ausdrücklich zugestimmt) ist - wie dargelegt - spekulativ und aktenfremd, somit schon aus diesem Grund nicht zielführend.

Im übrigen könnte sich - selbst bei Zutreffen dieser Argumentation - an der Rechtswirksamkeit der tatsächlich unmißverständlichen Verzichtserklärung nichts ändern; denn die nach außen hin nicht zum Ausdruck kommende Motivation prozessualer Erklärungen ist für deren Verbindlichkeit ohne Bedeutung (vgl 13 Os 21/96, SSt 59/11, 9 Os 171/79, 13 Os 25/78; Mayerhofer/Rieder StPO3 § 285 a E 8). Ein Motivirrtum wäre nur dann für die Wirksamkeit darauf zurückzuführender prozessualer Erklärungen beachtlich, wenn er auf einem Fehlverhalten des Gerichtes beruhte, wie zB auf einer der Manuduktionspflicht nach § 3 StPO zuwiderlaufenden unrichtigen Information über den Inhalt, die Voraussetzungen oder die (möglichen) Folgen einer Rechtsmittelerklärung (vgl 13 Os 84, 85/90, 10 Os 7, 13/87).

Mit Rücksicht auf die unanfechtbare Abweisung des Protokollsberichtigungsantrages des Angeklagten durch den Vorsitzenden macht das Hauptverhandlungsprotokoll vollen Beweis für die darin bekundeten Vorgänge, demnach auch über den (nach ordnungsgemäßer Belehrung gemäß §§ 3, 268 StPO und im Beisein eines Verteidigers) vom Angeklagten abgegebenen Rechtsmittelverzicht, der als prozessuale Erklärung wirksam und dementsprechend unwiderruflich war (vgl 11 Os 34/85, 9 Os 170/84; EvBl 1948/475, 1955/195, 1961/396, 1965/83; Mayerhofer/Rieder aaO E 29 ff; Lohsing-Serini Öst.Strafprozeßrecht4 S 541). Die Zurückweisung der nachher vom Verteidiger angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde durch den Vorsitzenden erfolgte mithin zu Recht (Mayerhofer/Rieder aaO E 34 f), weshalb der dagegen erhobenen Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben mußte.

2. Zu den ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen des Angeklagten und der Hilde B*****:

Nach dem Vorgesagten hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen rechtswirksamen und unwider- ruflichen Rechtsmittelverzicht abgegeben, sodaß seine trotzdem schriftlich ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig war (§ 285 a Z 1, dritter Fall StPO).

Gleiches gilt auch für die von der Tochter des Angeklagten, Hilde B*****, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde. Denn nach § 282 Abs 1 StPO kann gegen den Willen des Angeklagten nur im Fall seiner Minderjährigkeit von den Eltern und vom Vormund Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen werden. Für die im ersten Halbsatz der zitierten Norm genannten, vom großjährigen Angeklagten verschiedenen Personen (hier: die Tochter) ist die Einbringung einer Nichtigkeitsbeschwerde - der Rechtsansicht des Schöffengerichtsvorsitzenden zuwider (23/II) - jedoch an die Zustimmung des Angeklagten gebunden, welche er aber nicht mehr erteilen kann, wenn er zuvor schon einen Rechtsmittelverzicht abgegeben hat (abermals 13 Os 84, 85/90; SSt 8/6; Mayerhofer/Rieder aaO § 282 E 47 mwN; Lohsing-Serini aaO S 540).

Sohin wären die - nach dem in Rede stehenden Verzicht angemeldeten und ausgeführten - Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Hilde B***** gemäß §§ 285 a Z 1, 285 b Abs 1 StPO schon vom Vorsitzenden als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Da dies nicht geschehen ist, hatte sie der Oberste Gerichtshof bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 StPO), zumal dem bekämpften Urteil kein - allenfalls auch von Amts wegen wahrzunehmender - materieller Nichtigkeitsgrund anhaftet.

Zugleich waren aber auch die (angemeldeten und ausgeführten) Berufungen des Angeklagten und der Hilde B***** gemäß §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO vom Obersten Gerichtshof zurückzuweisen. Dem steht § 285 i StPO nicht entgegen; denn durch diese (mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl 1987/605, geschaffene, seit 1. März 1988 geltende) Bestimmung sollte nur die schon bisher in den Fällen des § 285 d Abs 1 Z 1 StPO geübte Praxis, die meritorische Erledigung einer Berufung dem (hiefür an sich zuständigen) Gerichtshof zweiter Instanz zu überlassen, auch auf die Fälle des § 285 d Abs 1 Z 2 StPO ausgedehnt werden (JAB zum Strafrechtsänderungsgesetz 359 BlgNR XVII. GP S 45 zweite Spalte oben). Die bis dahin vom Obersten Gerichtshof - auch in den Fällen der Z 1 - in Anspruch genommene Kompetenz zur formellen Berufungsentscheidung durch Zurückweisung gemäß §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO wurde hingegen durch die Neuregelung nicht tangiert (vgl 15 Os 68/88, 15 Os 60,61/88, 12 Os 36/88; vgl auch Mayerhofer/Rieder aaO § 296 E 10).

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