OGH 1Ob8/96

OGH1Ob8/9630.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse W*****, vertreten durch Dr.Peter Mussi, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Franz W*****, vertreten durch Dr.Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Unterlassung und Widerrufs (Gesamtstreitwert S 250.000,- -) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 3.Oktober 1995, GZ 3 R 97/95-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 2.März 1995, GZ 24 Cg 207/94-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben.

Die Klage wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 51.484,20 (darin enthalten S 8.580,70 USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen zu bezahlen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Lehrerin an einer Volksschule. Sie bewarb sich um die Leiterstelle an dieser Schule, die aber einem anderen Bewerber verliehen wurde. Der Beklagte war vor seiner Pensionierung Leiter der Abteilung für das Minderheitenschulwesen beim zuständigen Landesschulrat.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, konkret bezeichnete Behauptungen sowie solche inhaltsgleicher Art ab sofort zu unterlassen und diese Behauptungen gegenüber dem (zuständigen) Amt der Landesregierung, Abteilung ...-Schulwesen, als unwahr zu widerrufen. Der Beklagte habe am 28.4.1993 ein Gedächtnisprotokoll verfaßt, in dem unrichtige die Ehre und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin beeinträchtigende Behauptungen enthalten seien. Dieses Protokoll habe er dem Amt der Landesregierung übermittelt; die Klägerin sei aufgrund der im Protokoll aufscheinenden Behauptungen nicht zur Leiterin der Volksschule bestellt worden. Die Verfassung des Schriftstücks und dessen Übersendung hätten nicht zu den beruflichen Obliegenheiten des Beklagten gezählt.

Der Beklagte wendete ein, als Organ in Vollziehung hoheitlicher Aufgaben gehandelt zu haben; lediglich in dieser Eigenschaft habe er die Qualifikation der Klägerin für die Leitung der Schule beurteilt. Das im Protokoll Festgehaltene entspreche überdies den Tatsachen.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab. Ein privatrechtlicher Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf sei dann zu verneinen, wenn ein Organ im Zusammenhang mit seiner hoheitlichen Tätigkeit gegenüber Dritten (allenfalls) falsche Tatsachen behaupte. Selbst eine allfällige Kompetenzüberschreitung könne die Qualifikation als Organhandlung nicht auschließen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000,-- übersteige, die ordentliche Revision jedoch nicht zulässig sei. Der Beklagte habe - selbst nach dem Klagsvorbringen - das beanstandete Gedächtnisprotokoll im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung für das Minderheitenschulwesen beim Landesschulrat für Kärnten im Zuge des Bewerbungsverfahrens um die schulfeste Leiterstelle an der Volksschule verfaßt und dem Amt der Landesregierung übermittelt. Damit habe der Beklagte eine hoheitliche Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze ausgeübt. Selbst wenn das inkriminierte Verhalten nicht zu den beruflichen Obliegenheiten des Beklagten gehört haben sollte, er also außerhalb seiner Kompetenzen tätig geworden wäre, schlösse dies die Qualifikation als Organhandlung nicht aus. Die Klägerin könne privatrechtliche Ansprüche auf Unterlassung oder Widerruf nicht gegen den Beklagten geltend machen, weil dieser als Organ des Landesschulrats tätig geworden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Landesregierung hat die schulfeste Leiterstelle mit Bescheid vom 23.9.1993, auf den sich beide Parteien als Beweismittel berufen haben, an einen Mitbewerber der Klägerin verliehen. An einem hoheitlichen Handeln der Landesregierung kann somit nicht gezweifelt werden.

Die Frage, ob der Beklagte als Organ eines Rechtsträgers gehandelt hat, ist danach zu beantworten, ob dieses Handeln einen hinreichend engen Zusammenhang mit seiner hoheitlichen Aufgabe aufweist, selbst wenn damit die Ausübung hoheitlicher Gewalt bloß vorbereitet wird (1 Ob 2/94; SZ 64/85; JBl 1992, 532; 1 Ob 2/92). Das gilt selbst dann, wenn ein an sich ordnungsgemäß bestelltes Organ Handlungen setzt, zu deren Vollziehung es nicht berufen ist, also seine Kompetenzen überschreitet oder allenfalls sogar sein Amt mißbraucht (1 Ob 27/92; Schragel, AHG2 Rz 25 und 118). Die Parteien haben einvernehmlich vorgebracht, der Beklagte sei Leiter der Abteilung für das Minderheitenschulwesen des Landesschulrates gewesen. Hat er in dieser Eigenschaft - daß er rein privat gehandelt hätte, wurde von der Klägerin gar nicht behauptet - zur Bewerbung der Klägerin um die Leiterstelle an der (als „zweisprachig“ ausgeschriebenen) Schule Stellung genommen, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die im Gedächtnisprotokoll festgehaltene Äußerung in einem engen inneren und äußeren Zusammenhang mit seinem hoheitlichen Aufgabenkreis stand. Es erübrigt sich demnach ein Eingehen auf die Frage, ob die von der Klägerin beanstandete Äußerung im vorliegenden Fall zu den beruflichen Obliegenheiten des Beklagten gehörte bzw ob der Landesschulrat aufgrund landesgesetzlicher Bestimmungen zu einer solchen Äußerung überhaupt berechtigt bzw. verpflichtet war. Im übrigen ist der Landesschulrat gemäß § 3 Abs.3 des Kärntner Landeslehrer-Diensthoheitsgesetzes, LGBl 1965/16, idF LGBl Krnt 1981/31, zu einem Ernennungsvorschlag des Bezirksschulrates jedenfalls zu hören.

Auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts gestützte Ansprüche eines Geschädigten gegen eine im Sinne des § 1 AHG als Organ handelnde Person sind ausgeschlossen (SZ 63/25; 9 ObA 228/93; SZ 47/120; Schragel aaO Rz 262). Schäden gemäß § 1 Abs.1 AHG können zulässigerweise nur im Rahmen der Amtshaftung gegen den Rechtsträger geltend gemacht werden; auch die - subsidiäre - Geltendmachung eines Anspruchs nach den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts kommt wegen der durch das Amtshaftungsgesetz gegebenen Beschränkungen (§ 1 Abs.1 bzw. § 9 Abs.5 AHG) gegen ein Organ nicht in Betracht (1 Ob 2/94; 9 ObA 228/93; SZ 47/120). Handelte der Beklagte hoheitlich, ist nicht nur dessen Schadenersatzhaftung gemäß § 1 Abs.1 AHG zu verneinen, sondern ist gemäß § 9 Abs.5 AHG gegen ihn als Organ auch der Rechtsweg unzulässig (1 Ob 49, 54/95 mwN). Die Konsequenz dieser Rechtswegunzulässigkeit läßt sich auch nicht dadurch vermeiden, daß die Klägerin einen auf dem allgemeinen bürgerlichen Recht beruhenden Anspruchsgrund vorzuschieben versucht; die rechtliche Beurteilung des Streitgegenstandes obliegt nämlich allein dem Gericht. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs ist als Mangel einer absoluten Prozeßvoraussetzung gemäß § 240 Abs.3 ZPO in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft einer Sachentscheidung auch von Amts wegen wahrzunehmen. Daher kann es für die prozessualen Konsequenzen der Bejahung eines solchen absoluten Prozeßhindernisses nicht darauf ankommen, ob sich das bereits aus der Klageerzählung ergibt oder erst im Laufe des Verfahrens offenkundig wird. Der hier vorliegende Nichtigkeitsgrund der Unzulässigkeit des Rechtsweges ist von den Rechtsmittelinstanzen aus Anlaß eines zulässigen Rechtsmittels auch von Amts wegen aufzugreifen (1 Ob 49, 54/95 mwN).

Gemäß Art.6 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das unter anderem über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden hat. Um eine Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen herbeiführen zu können, muß daher jedermann die Möglichkeit offenstehen, ein Verfahren vor Gericht einzuleiten, das sowohl den Garantien des Art.6 EMRK Rechnung trägt, als auch eine Erledigung der Sache zum Ziele hat (RdW 1991, 145; SZ 58/142). Gegen den Beklagten, der als Organ im Sinne des § 1 Abs.1 AHG tätig geworden ist, besteht aber - wie schon ausgeführt - kein zivilrechtlicher Anspruch. Die Klägerin hat allerdings die Möglichkeit, die verfehltermaßen gegen das Organ eingeklagten zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Rechtsträger geltend zu machen, womit der Bestimmung des Art.6 EMRK Rechnung getragen wird. In dem gegen das Organ angestrebten Verfahren ist - da ihm gegenüber der Rechtsweg unzulässig ist - nicht zu prüfen, ob einem von der Klägerin wegen des Organhandelns des Beklagten gegen dessen Rechtsträger erhobenen Unterlassungs- und Widerrufsbegehren ein Erfolg beschieden sein könnte. An diesem Ergebnis kann auch die Äußerung Kleteckas (ecolex 1993, 441) nichts ändern, der dem Umstand, daß im Gesetz vorgesehene Stellungnahmen anderer Behörden in einem hoheitlich gestalteten Verfahren nicht anders beurteilt werden dürfen als die dieses Verfahren erledigenden Verwaltungsakte, nicht genügend Rechnung trägt. Durch an ein solches Verwaltungsorgan gerichtete Verbote oder Gebote des deshalb angerufenen ordentlichen Gerichts kann in ähnlicher Weise auf das Ergebnis eines hoheitlichen Verwaltungsverfahrens - und damit entgegen Art.94 B-VG - Einfluß genommen werden, wie wenn der Verwaltungsbehörde die Erlassung eines Bescheides bestimmten Inhalts geboten bzw. verboten werden würde. Die Pflicht zur strikten Beachtung des in der erwähnten Verfassungsbestimmung verankerten Gewaltentrennungsgebots steht der von diesem Autor geforderten Schließung einer „Rechtsschutzlücke“ (vgl. dazu auch die E. des VwGH vom 25.1.1995, Zl. 94/12/0294, der dort dem Bewerber um eine schulfeste Leiterstelle an einer Volksschule selbst die Parteistellung absprach, obwohl er das Vorliegen einer „gesetzlichen Lücke“ bejahte) entgegen, der nur der Verfassungsgesetzgeber abhelfen kann.

Aus Anlaß der Revision sind daher die Urteile der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben und ist die Klage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs.1 ZPO. Es ist der Klägerin als Verschulden anzulasten, daß sie das Verfahren trotz eines bestehenden absoluten Prozeßhindernisses einleitete und fortsetzte, obwohl der geltend gemachte Anspruch bereits nach der Klageerzählung auf einen fehlerhaften Hoheitsakt gestützt war. Sie setzte das Verfahren, nachdem der Beklagte eingewendet hatte, daß das Urteilsbegehren aus einem schadensursächlichen Hoheitsakt abgeleitet werde, unbeirrt fort. In der Sache wies also der Beklagte darauf hin, daß den Klagebehauptungen ein Sachverhalt zugrundeliege, auf den § 9 Abs.5 AHG Anwendung finden müsse. Ihm sind somit die durch das nichtige Verfahren entstandenen Kosten zuzusprechen.

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