OGH 1Ob43/95

OGH1Ob43/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing.Johann V*****, 2. Maria V*****, vertreten durch Dr.Georg Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 994.035 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22.Mai 1995, GZ 14 R 38/95-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 7.Dezember 1994, GZ 31 Cg 37/93-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 24.979,76 S (darin 4.163,29 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Handelsgericht Wien eröffnete mit Beschluß vom 21.Juni 1988 den Anschlußkonkurs über das Vermögen einer Wiener Juwelen- und Goldschmuck-Handelsgesellschaft mbH. Der Anschlag des Konkursediktes an der Gerichtstafel erfolgte noch am 21.Juni 1988. Mit Beschluß vom 20.Februar 1990 erteilte das Konkursgericht dem Vollstrecker den Auftrag, „in Gegenwart des Masseverwalters....die im Geschäftslokal.....befindliche und der Gemeinschuldnerin gehörige Handelsware abzunehmen und sodann zwecks Sicherstellung bei der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien zu hinterlegen“. Der Vollstrecker nahm die aus Schmuckstücken bestehende Handelsware in den Geschäftsräumlichkeiten der Gemeinschuldnerin in Gegenwart des Masseverwalters in einem Vertreterkoffer entgegen und versiegelte diesen mit einer Drahtplombe. Bei dieser Amtshandlung waren auch die Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin und deren Ehemann, der das Unternehmen „teilweise managte“, anwesend. Eine Inventarisierung der sichergestellten Schmuckstücke fand damals nicht statt. „Ausgangspunkt“ für deren Anzahl und Wert war das in einem Exekutionsverfahren erstattete Schätzgutachten vom 12.Februar 1988; dieses wies einen Wert von 882.530 S aus. Der Ehemann der Geschäftsführerin erklärte, daß nicht alle im Koffer befindlichen Schmuckstücke zur Konkursmasse gehörten, aber auch nicht alle in die Konkursmasse fallenden Schmuckstücke in den Geschäftsräumlichkeiten lagernd seien, weil sich „ein Großteil noch bei Großhändlern zur Ansicht bzw in Kommission“ befände. „Man einigte sich daher darauf“, dem Ehemann der Geschäftsführerin „bei Gericht den Zugriff auf diesen Koffer zu gewähren, damit dieser eine Inventarliste anlegen und die nicht zur Konkursmasse gehörigen Gegenstände aussortieren könne“; er sollte im übrigen die nicht in den Geschäftsräumlichkeiten befindlichen Schmuckstücke „nachträglich zu Gericht bringen und dort gleichfalls versiegeln lassen“. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich im Vermögen der Gemeinschuldnerin Schmuckstücke im Schätzwert von etwa 2,6 Mio S.

Der Ehemann der Geschäftsführerin erschien in der Folge „mehrfach vor Gericht beim Vollstrecker“. Der beim Rechnungsführer des Handelsgerichtes Wien hinterlegte Schmuckkoffer wurde bei diesen Gelegenheiten jeweils vom Vollstrecker behoben und in dessen Arbeitsraum gebracht. Dort „wurde der Koffer auf dem Parteientisch entsiegelt“ und dem Ehemann der Geschäftsführerin „zur Durchsicht zur Verfügung gestellt“. Dieser sah die einzelnen Laden des Koffers durch, entnahm die darin lose auf Samt liegenden Schmuckstücke, füllte sie in mitgebrachte weiße Säckchen oder Kuverts, verschloß diese dann mit einer Heftmaschine und „verklebte sie zusätzlich mit einem Klebesteifen, auf dem das Gerichtssiegel in Abständen aufgedruckt war“. Der Vollstrecker hatte ihm diesen Klebestreifen „zur Verwendung überlassen“, wirkte aber bei dessen Tätigkeit „in keiner Weise“ mit, sondern widmete sich an dem etwa 3 m entfernten Schreibtisch seiner Arbeit, „ohne auch nur ab und zu“ den Ehemann der Geschäftsführerin „kontrollierend zu beobachten“. Während dieser die gerichtlich verwahrten Schmuckstücke unbeaufsichtigt durchsah und inventarisierte, nützte er auch die gebotene Gelegenheit, „die wertvollen Schmuckstücke gegen wertlose Gegenstände auszustauschen“. Er verpackte sie in den mitgebrachten Kuverts und versiegelte sie mit dem ihm vom Vollstrecker „zur Verfügung gestellten Klebestreifen mit aufgedrucktem Gerichtssiegel“. Nach Beendigung seiner Tätigkeit wurde der Schmuckkoffer jedesmal ohne weitere Überprüfung vom Vollstrecker plombiert und wieder dem Rechnungsführer zur Aufbewahrung übergeben. Da der Ehemann der Geschäftsführerin die dargestellte Tätigkeit „völlig unbeobachtet erledigen konnte, war es ihm auch möglich, die Gerichtssiegel (offenbar gemeint: die Klebestreifen mit aufgedruckten Siegelabbildungen) zu entwenden, sodaß er auch die Schmuckstücke, die im Laufe der Zeit von den Großhändlern, bei denen sie zur Ansicht waren, zurückgekommen sind, bei sich zu Hause gegen wertlose Gegenstände austauschen konnte, diese in weiße Kuverts packte und mit dem Klebestreifen mit aufgedruckten Gerichtssiegeln verklebte“.

Der Masseverwalter verkaufte dann „mit Rechnung vom 10.8.1990....die verbliebenen Juwelen und Schmuckstücke unter Eigentumsvorbehalt“ an den Ehemann der Geschäftsführerin. Dieses Geschäft finanzierte der Käufer mit einem ihm von den Klägern in Höhe von 962.000 S zu einem Zinssatz von 8 % gewährten Kredit, indem sie eine Bank zu einer entsprechenden Garantieerklärung an den Masseverwalter veranlaßten. Der Darlehensbetrag gelangte schließlich im Wege der Inanspruchnahme dieser Bankgarantie an die Konkursmasse zur Auszahlung. Nach den Vereinbarungen der Parteien des Darlehensvertrags sollten die Kläger „zur Sicherung des Darlehensbetrags.....die bei Gericht hinterlegten Schmuckstücke erhalten“. Die Kläger verpflichteten sich jedoch, „das Gerichtssiegel, etwa zu Stichproben, nicht zu erbrechen“. Die Rückzahlung des Darlehens sollte ab dem 30.September 1990 in gleichen Monatsraten zum jeweiligen letzten eines Monats erfolgen. Am 29.August 1990 holte der Käufer den bei Gericht verwahrten und plombierten Koffer in Anwesenheit des Masseverwalters, des Vollstreckers und der Kläger ab. Die Kläger führten bei dieser Gelegenheit - vereinbarungsgemäß - keine Überprüfung des Kofferinhalts durch; die vertrauten „auf die Seriosität und Richtigkeit der Gerichtsplombe“. Den „ausgehändigten und mit Gerichtssiegel verschlossenen Umschlägen“ war die vom Ehemann der Geschäftsführerin „aktualisierte und überprüfte Inventarliste beigelegt“. Mit Schreiben vom 29.August 1990 bestätigten die Kläger sodann die Schmuckübernahme und nahmen zur Kenntnis, „daß keine Überprüfung hinsichtlich der Vollständigkeit der ausgehändigten Waren seitens des Masseverwalters vorgenommen worden ist“.

Der Ehemann der Geschäftsführerin hatte zum Übergabetermin auch den zweiten Koffer mitgebracht, in dem sich „angeblich die bisher von Großhändlern in Kommission gehaltenen Schmuckstücke befanden“. Wie in dem bei Gericht verwahrten Koffer waren die „verpackten Schmuckstücke mit Gerichtssiegel versehen“. Auch in Ansehung dieses Koffers „gingen die Kläger aufgrund der Gerichtssiegel davon aus, daß in den versiegelten Umschlägen echter Schmuck laut Inventarliste war“.

In beiden Koffern sollte sich Schmuck im Gesamtwert von etwa 2,6 Mio S befinden. Die Kläger und der Ehemann der Geschäftsführerin deponierten den Inhalt beider Koffer in einem Safe. Dieser erhielt bei Bezahlung der ersten Darlehensrate am 30.September 1990 vereinbarungsgemäß Schmuck im Gegenwert von 350.000 S; er suchte sich diesen selbst „aus den nach wie vor versiegelten Kuverts“ aus. Nachdem der Schmuckkäufer in Zahlungsverzug geraten und Terminsverlust eingetreten war, wurden die im Safe deponierten und versiegelten Säckchen im Beisein eines gerichtlichen Sachverständigen behoben und geschätzt; dabei stellte sich heraus, daß sich in den versiegelten Umschlägen nur wertlose Gegenstände befanden. Der Schaden der Kläger errechnet sich wie folgt:

Vereinbarter Darlehensrückzahlungsbetrag (Kapital, Zinsen, Gewinnbeteiligung) 1,242.590 S

50 % Safekosten 8.100 S

Sachverständigenkosten 6.295 S

Zwischensumme 1,256.985 S

abzüglich Rückzahlung' 262.915 S

Differenz 994.070 S

Die Kläger begehrten den Zuspruch von 994.035 S und brachten im wesentlichen vor, daß sie einen Vermögensschaden in dieser Höhe deshalb erlitten hätten, weil der Vollstrecker den Ehemann der Geschäftsführerin mit den Schmuckstücken unbeaufsichtigt habe hantieren lassen und diesem die Heftmaschine und die Streifenrolle mit den darauf befindlichen Gerichtssiegeln überlassen habe. Deshalb sei es jenem möglich gewesen, Schmuckstücke durch praktisch wertlose Gegenstände zu ersetzen. Durch die mit Gerichtssiegeln versehenen Kuverts sei der Eindruck entstanden, deren Inhalt sei unter Aufsicht einer Gerichtsperson versiegelt worden und entspreche der beigelegten Inventarliste.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, nicht das Gerichtsorgan, sondern der Masseverwalter hätte den Ehemann der Geschäftsführerin bei dessen Tätigkeit im Gerichtsgebäude zu überwachen gehabt. Der Masseverwalter habe im übrigen dem Vollstrecker den Auftrag erteilt, der Geschäftsführerin und deren Ehemann „die Inventarisierung zu ermöglichen“. Als den Klägern die beiden Koffer übergeben worden seien, hätten sie es unterlassen, deren Inhalt zu kontrollieren, obgleich sie dazu ausdrücklich aufgefordert worden seien. Die Kläger treffe daher ein Mitverschulden. Für ein allfälliges Verschulden des Masseverwalters, der kein Organ im Sinne des § 1 Abs 2 AHG sei, habe die beklagte Partei nicht einzustehen. Zwischen der Konkursmasse und den Klägern habe keine Rechtsbeziehung bestanden; der Ehemann der Geschäftsführerin habe den von jenen finanzierten Kauf durchgeführt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der nur in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebrachten Abweisung des 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens - statt und vertrat rechtlich im wesentlichen die Ansicht:

Der Rechtsträger habe für das Verschulden von Organen nach jenem Sorgfaltsmaßstab einzustehen, der für Rechtsanwälte, Notare und sonstige Fachleute gelte. Das Verhalten des Vollstreckers habe diesen Anforderungen nicht entsprochen. Die beklagte Partei habe den Klägern daher jenen Vermögensschaden zu ersetzen, der im Vertrauen auf die „Plomben“ und die „Gerichtssiegel“ eingetreten sei. Ein Mitverschulden sei den Klägern nicht anzulasten, weil „ein Erbrechen der Gerichtssiegel“ der mit ihrem Vertragspartner geschlossenen Vereinbarung widersprochen hätte.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erwog im wesentlichen:

Durch den Austausch der Schmuckstücke im Beisein des Vollstreckers seien zunächst die Konkursmasse und deren Gläubiger geschädigt worden. Infolge der Übergabe der Koffer an die Kläger zur Sicherung deren für den Schmuckankauf ausgestellten - und bei Eintritt des Terminsverlustes auch eingelösten - Bankgarantie sei dieser Schaden dann auf die Kläger als Pfandgläubiger verlagert worden. Der Schädiger hafte grundsätzlich nur dem unmittelbar Geschädigten. Ausnahmsweise habe er einen eingetretenen Schaden aber auch demjenigen zu ersetzen, der den sonst „beim unmittelbar Geschützten eingetretenen Schaden aufgrund eines Rechtsverhältnisses zu tragen“ habe. Ein solcher Fall liege hier vor. Eine Sorgfaltswidrigkeit des Geschädigten müsse kausal für den Eintritt oder die Vergrößerung des Schadens gewesen sein, um gemäß § 1304 ABGB ein Mitverschulden begründen zu können. Die von den Klägern unterlassene Überprüfung des Inhalts der Koffer sei aber nicht für den Eintritt des Schadens, sondern nur für dessen Verlagerung in das Vermögen der Kläger ursächlich gewesen. Ein zur Schadensteilung führendes Mitverschulden der Kläger scheide demnach aus.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach Lehre und Rechtsprechung steht grundsätzlich nur dem unmittelbar Geschädigten ein Schadenersatzanspruch zu, nicht aber einem Dritten, es sei denn, daß ein Fall bloßer Schadensverlagerung vorliegt; von einer solchen ist dann auszugehen, wenn das wirtschaftliche Risiko des Schadens nicht beim unmittelbar Verletzten liegt, sondern durch gesetzliche oder vertragliche Regelungen auf einen Dritten überwälzt wurde. Das Vorliegen einer bloßen Schadensverlagerung wurde daher im Zusammenhang mit mittelbarer Stellvertretung, Obhutspflichten, mit dem Übergang der Preisgefahr und mit gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen zur Schadenstragung bejaht (RdW 1995, 11 [hier: Verneinung einer Schadensverlagerung beim Verkauf eines nicht fachgemäß hergestellten Werks]; SZ 67/52 [Lohnfortzahlung durch den Dienstgeber]; JBl 1993, 43 [Mietwagenkosten des Leasingnehmers]; SZ 64/87 [Personalaufwand des Bundes für die nach Ausfall einer Verkehrslichtsignalanlage notwendige Verkehrsregelung]; SZ 60/157 [Obhutsfall]; SZ 51/164 [Preisgefahr]; JBl 1973, 418 [Mittelbare Stellvertretung]; Koziol/Welser 10 I 467; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 27 zu § 1295 je mwN). Der im Vermögen der Kläger eingetretene Nachteil beruht nun aber nicht auf einem Schaden der Konkursmasse, der vermöge eines Vertrages mit dieser oder kraft Gesetzes auf die Kläger überwälzt worden wäre. Nicht die Kläger traten als Käufer von Massevermögen auf, sondern der Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin. Durch den Verkauf praktisch wertloser Gegenstände als Schmuck um den vom Schädiger schließlich auch bezahlten Preis von 962.000 S kam es zur Wiedergutmachung des zuvor durch dessen betrügerisches Handeln im Massevermögen verursachten Schadens. Die Kläger traten - abgesehen von dem für diese Erörterung nicht relevanten Anweisungsverhältnis (Bankgarantie) - bloß in eine Rechtsbeziehung zum Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin (Darlehens- und Pfandvertrag). Es bestand daher zu keiner Zeit ein im Vermögen der Konkursmasse eingetretener Schaden, der durch einen Vertrag zwischen dieser und den Klägern oder kraft Gesetzes auf letztere verlagert worden wäre. Der Oberste Gerichtshof vermag somit der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht zu folgen, die Kläger seien als an sich nur mittelbar Geschädigte aktiv legitimiert, weil ein Fall der Schadensverlagerung anzunehmen sei.

Voraussetzung für den von den Klägern geltend gemachten Amtshaftungsanspruch ist daher deren Stellung als unmittelbar Geschädigte aus dem von ihnen behaupteten rechtswidrigen und schuldhaften Organverhaltens. Maßgebend dafür ist, ob der Schutzzweck der übertretenen Verhaltensnorm gerade auch den eingetretenen Schaden verhindern sollte und daher zwischen diesem und der Normverletzung ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht (1 Ob 15/95; JBl 1993, 532; SZ 62/73; SZ 60/177; SZ 53/12; SZ 52/186 uva; Schragel, AHG2 Rz 121 ff; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 163 f). Gleiches gilt für die schädigenden Folgen von Unterlassungen (1 Ob 15/95; JBl 1993, 532; JBl 1991, 526; JBl 1984, 373; SZ 52/186 uva), entspricht es doch ständiger Rechtsprechung, daß ein schuldhaft rechtswidriges Organverhalten gemäß § 1 Abs 1 AHG auch in einer Unterlassung bestehen kann, wenn eine Rechtspflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (1 Ob 15/95; JBl 1993, 788; JBl 1993, 532; EvBl 1993/57; SZ 64/126; SZ 62/98; SZ 62/73; SZ 55/161 uva).

Der Zweck einer Norm ergibt sich aus deren wertenden Beurteilung. Dabei genügt für die Annahme eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen der Verletzung einer bestimmten Norm und dem dadurch im Vermögen eines Dritten eingetretenen Schaden, daß jene dessen Verhinderung bloß mitbezweckte, also nach deren Schutzzweck auch die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert war (1 Ob 40/93; JBl 1993, 532; SZ 61/189; Schragel aaO Rz 121); nur wenn eine dem öffentlichen Interesse dienende Amtshandlung bloß mittelbar auch die Interessen eines Dritten berührt, diesem zugute kommt und ihm damit als Reflexwirkung pflichtgemäßen Handelns einen Vorteil verschafft, läßt sich noch nicht auf das Vorliegen einer Amtspflicht auch gerade gegenüber dem Dritten schließen (1 Ob 40/93; SZ 61/189 mwN zum Schrifttum).

Gemäß § 68 Abs 3 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II.Instanz (Geo) sind bei der Bestellung und Verwahrung von Gerichtssiegeln und Stampiglien die gebotenen Vorsichten zu beachten, „um Mißbräuche, insbesondere die Verwendung durch unberufene Personen, auszuschließen“. Der in wertender Beurteilung zu ermittelnde Normzweck ist also ganz allgemein die Verhinderung von Mißbräuchen. Die Verwendung des Gerichtssiegels schafft nämlich bei jedermann den Eindruck, daß das Besiegelte amtlich begutachtet oder geprüft wurde (ÖBl 1989, 46 = MR 1987, 223). Seine mißbräuchliche Verwendung ist auch in typischer Weise geeignet, Schäden im Vermögen Dritter zu verursachen, die sich in ihrem rechtsgeschäftlichen Verhalten davon leiten lassen, daß die Richtigkeit des amtlich Besiegelten gerichtlich geprüft worden sei. Der erkennende Senat kommt daher zum Ergebnis, daß § 68 Abs 3 Geo auch die Verhinderung von Schäden mitbezweckt, die als schließliche Folge einer mißbräuchlichen Verwendung von Gerichtssiegeln im Vermögen Dritter entstehen können. Was für die in § 68 Geo geregelten Hartsiegel gilt, muß in gleicher Weise auch für die bei Gericht verwendeten Klebestreifen mit aufgedruckten Siegelabbildern gelten.

Die Vorinstanzen erkannten richtig, daß das festgestellte Verhalten des Vollstreckers jenen Vorsichtsmaßnahmen nicht entsprach, die erforderlich gewesen wären, um Mißbräuche in der Verwendung der gedruckte Abbilder des Gerichtssiegels enthaltenden Klebestreifen auszuschließen. Erst die gebotene, jedoch unterlassene Überwachung des Ehemanns der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin bei dessen im Gerichtsgebäude verrichteten Tätigkeit und beim Gebrauch des ihm überlassenen Klebestreifens, machte dessen mißbräuchliche Verwendung in der festgestellten Art möglich. Entgegen der Ansicht der Revision gilt das nicht nur für den bei Gericht verwahrten, sondern auch für den vom Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschulderin an die Kläger als Pfandgläubiger übergebenen zweiten Koffer, weil es diesem durch das schuldhafte Verhalten des Vollstreckers ermöglicht wurde, sich Klebestreifen mit den aufgedruckten Abbildern des Gerichtssiegels anzueignen; dadurch wurde dieser aber erst in die Lage versetzt, die festgestellte Verpackung und Versiegelung der im zweiten Koffer befindlichen Gegenstände zu Hause vorzunehmen.

Was die Schadenshöhe betrifft, übersieht die Revisionswerberin, daß sich nach dem zu beurteilenden Sachverhalt Schmuckstücke im Schätzwert von etwa 2,6 Mio S im Vermögen der Gemeinschuldnerin befanden, die nach einer vom Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin ebenso unbeaufsichtigt hergestellten Inventarliste offenbar den Kaufgegenstand bildeten. Die durch ein Gerichtsorgan ermöglichte mißbräuchliche Verwendung der mit Abbildern des Gerichtssiegels versehenen Klebestreifen mußte aber in Verbindung mit der vom Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin ebenso unbeaufsichtigt hergestellten und den Klägern mitübergebenen Inventarliste den Eindruck erwecken, daß der Kofferinhalt der Summe der einzelnen in der Inventarliste verzeichneten Positionen entspreche. Ob der im Vermögen der Kläger eingetretene Schaden allenfalls auch durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Masseverwalters mitverursacht wurde, ist für die Klärung des Bestehens eines Amtshaftungsanspruches nicht von Bedeutung.

Dem Rechtsträger stehen im Amtshaftungsprozeß alle Einwendungen zu, die den geltend gemachten Anspruch nach bürgerlichem Recht entgegengehalten werden können. Es kann also auch ein Mitverschulden des Geschädigten jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn - wie hier - Unterlassungen für den eingetretenen Schaden ursächlich waren (SZ 64/126 mwN). Auch wenn die Vorinstanzen die von der beklagten Partei im Berufungsverfahren angestrebten Feststellungen („Der Masseverwalter teilte den Klägern mit, daß er den Inhalt der Säckchen nicht habe inventarisieren können. Er forderte die Kläger auf zu kontrollieren, ob im Koffer auch der Inhalt war, der eben zugesichert war. Die klagenden Parteien haben dies abgelehnt.“) getroffen hätten, könnte das keinen die Kläger belastenden Mitverschuldensvorwurf gemäß § 1304 ABGB rechtfertigen. Es genügt für einen solchen Vorwurf zwar bereits eine für den Schadenseintritt kausale Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (SZ 64/126; SZ 54/85; SZ 51/188 uva), ein Vorwurf dieser Art könnte den Klägern aber deshalb nicht gemacht werden, weil sie, auch wenn ein Sachverhalt entsprechend den angestrebten Feststellungen feststünde, nicht hätten in Betracht ziehen müssen, daß die ihnen als Pfandgläubigern übergebenen Gegenstände nicht einmal jenen Wert erreichen würden, der zur Deckung ihrer vertraglichen Ansprüche gegen den Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin erforderlich gewesen wäre. Dabei ist zu beachten, daß allein der Koffer, der sich in gerichtlicher Verwahrung befand, Schmuckstücke im Wert von 882.530 S enthalten sollte; durch die Versiegelung der einzelnen Säckchen im zweiten Koffer mußte aber jedenfalls der Eindruck entstehen, daß sich darin nicht etwa wertlose Gegenstände, sondern Schmuckstücke befinden und die in den beiden Koffern verpackte Ware einen Gesamtwert von 2,6 Mio S repräsentierte, also einen Betrag, der mehr als das Doppelte des Sicherungsinteresses der Kläger ausmachte. Diese hätten daher selbst im Falle einer teils unrichtigen Inventarisierung nicht damit rechnen müssen, der Inhalt der beiden Koffer werde nicht einmal jenen Wert erreichen, der zur Sicherung ihres Vermögensinteresses erforderlich war. Somit könnte den Klägern selbst bei Annahme des für die beklagte Partei günstigsten Falls nicht vorgeworfen werden, daß sie durch die Übernahme einer vertraglichen Verpflichtung, „das Gerichtssiegel, etwa zu Stichproben, nicht zu erbrechen“, in eigenen Angelegenheiten sorglos waren.

Anders als die Revision meint, hätten die Kläger auch nicht deshalb besonders sorgfältig sein müssen, weil sie mit dem Ehemann der Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin ein für sie besonders günstiges Geschäft gemacht haben mögen; das Ausmaß des ohne Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten in eine gerichtliche Versiegelung zu investierenden Vertrauens hängt nämlich nicht davon ab, ob aus einem bestimmten Rechtsgeschäft mehr oder weniger Gewinn erwartet wird.

Im übrigen erhebt die Revision zur Höhe des von den Klägern geltend gemachten Schadens - also auch in Ansehung der vereinbarten Gewinnbeteiligung - keine Einwendungen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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