OGH 1Ob33/82

OGH1Ob33/823.11.1982

SZ 55/161

Normen

ABGB §2
ABGB §1295
AHG §1
ABGB §2
ABGB §1295
AHG §1

 

Spruch:

Wenn über den Devolutionsantrag nach einer anderen Rechtslage zu erkennen war, können aus der Verletzung einer gesetzlichen Entscheidungspflicht bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden. Ein Rechtsfolgeirrtum der Organe des belangten Rechtsträgers ist unbeachtlich

OGH 3. November 1982, 1 Ob 33/82 (OLG Wien 14 R 73/82; LGZ Wien 40 d Cg 203/81)

Text

Die klagende Partei war Eigentümerin der Liegenschaften EZ 361 und 363 KG L, E-Straße 37 und 39. Architekt Dipl.-Ing. Norbert K beantragte im Einverständnis mit der klagenden Partei, mit Ablauf einer Bausperre am 26. 7. 1977 gemäß § 9 Abs. 1 der Wiener Bauordnung die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen dieser Liegenschaften durch die beklagte Partei, die Stadt Wien. Am 26. 6. 1977 teilte die Magistratsabteilung 36 Dipl.-Ing. Norbert K mit, daß ein Lageplan in zweifacher Ausfertigung nachzureichen sei. Dem kam Dipl.-Ing. Norbert K am 9. 8. 1977 fristgerecht nach. Nach den zum Zeitpunkt des Antrages laut Gemeinderatsbeschluß vom 22. 3. 1953, PrZl. 527/63, PD 4002, gültigen Bebauungsbestimmungen lagen die beiden Liegenschaften im gemischten Baugebiet Bauklasse IV. Zum Zeitpunkt des Ansuchens um Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen hatten Organe der beklagten Partei jedoch die Absicht, den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für dieses Gebiet zu ändern. Die Magistratsabteilung 21, die von der Magistratsabteilung 36 am 26. 7. 1977 um Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen ersucht worden war, teilte der Magistratsabteilung 36 am 2. 8. 1977 mit, daß ein Antrag gemäß §§ 1 und 8 Abs. 2 Wr. BauO in Ausarbeitung sei und demnächst der beschlußfassenden Körperschaft zur Genehmigung vorgelegt werde (Plan Nr. 5464). Die Magistratsabteilung 36 gab darauf Dipl.-Ing. Norbert K mit Schreiben vom 9. 8. 1977 bekannt, daß die beantragte Bekanntgabe derzeit nicht erfolgen könne, weil der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für dieses Gebiet abgeändert werde. Es verlängere sich somit die gesetzliche Frist zur Bekanntgabe um weitere zwei Monate. Im Plan Nr. 5464 war vorgesehen, daß die Liegenschaften der klagenden Partei nunmehr als Betriebsbaugebiet gewidmet sein sollten. Da bekannt war, daß die klagende Partei eine Wohnhausanlage errichten wollte, hätte die fristgerechte Erledigung des Antrages das neue Konzept durchbrochen; dies wußte auch der Leiter der Magistratsabteilung 21 Senatsrat Friedrich P. Als auch weiterhin die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen durch die Magistratsabteilung 36 nicht erfolgte, stellte Architekt Dipl.-Ing. Norbert K am 25. 10. 1977 einen Devolutionsantrag. Über diesen entschied das Rechtsmittelbüro der Magistratsdirektion der beklagten Partei mit Bescheid vom 13. 3. 1978, Zl. MDR-n III-28/77; zu diesem Zeitpunkt war bereits mit Beschluß des Gemeinderates vom 30. 1. 1978, PrZl. 288/78, PD 5464, die Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes auf Betriebsbaugebiet erfolgt. Diese neuen Bebauungsbestimmungen wurden Dipl.-Ing. Norbert K bekanntgegeben. Eine Beschwerde der klagenden Partei an den VwGH wurde mit Erkenntnis vom 13. 5. 1980, Zl. 1038/78-5, als unbegrundet abgewiesen. Bei Bescheiden über die Bekanntgabe von Bebauungsbestimmungen handle es sich um rechtsgestaltende Verwaltungsakte, für deren Rechtmäßigkeit die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung gegebene Rechtslage maßgebend sei.

Die klagende Partei begehrt aus dem Titel der Amtshaftung den Zuspruch des Betrages von 5 504 280 S samt Anhang. Organe der beklagten Partei hätten rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, weil sie die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen trotz der auferlegten Selbstbindung, dies innerhalb von weiteren zwei Monaten tun zu müssen, absichtlich unterlassen hätten. Da innerhalb dieser Frist noch der alte Bebauungsplan in Geltung gestanden sei, wäre es der klagenden Partei bei rechtzeitiger Bekanntgabe möglich gewesen, eine Wohnungseigentumsanlage zu errichten. Die klagende Partei hätte bei Gesamtaufwendungen von 25 450 720 S einen Gesamterlös von 34 155 000 S erzielen können. Tatsächlich habe der Verkaufserlös nur 3 200 000 S betragen, so daß der klagenden Partei ein Schaden in der Höhe des Klagsbetrages entstanden sei.

Die beklagte Partei wendete ein, die Nichteinhaltung der Frist des § 9 Abs. 6 Wr. BauO berechtige zwar zur Stellung eines Devolutionsantrages, sei aber sonst sanktionslos. Ein Amtshaftungsanspruch könne auf die Verletzung dieser Vorschrift nicht gegrundet werden. Die Magistratsabteilung 36 habe berechtigterweise die Erledigung des Antrages auf Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes abgewartet, weil der Beschluß des Gemeinderates, durch den die Änderung verfügt wurde, kurz bevorgestanden sei. Zumindest sei die Rechtsansicht vertretbar gewesen, daß ein solches Abwarten zulässig sei. Es mangle auch an der Rechtswidrigkeit eines Organverhaltens der beklagten Partei. Wenn ein Beamter die Hinausgabe eines Bescheides nach § 9 Abs. 6 Wr. BauO verzögere, weil er wisse, daß im allgemeinen und öffentlichen Interesse eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes unmittelbar bevorstehe, gehe das öffentliche Interesse über das Einzelinteresse; sein Verhalten könne daher nicht als rechtswidrig bezeichnet werden. Hätte die Magistratsabteilung 36 den begehrten Bescheid fristgerecht erlassen, so wären hiedurch, da dieser Bescheid ein Jahr für den Bauwerber bindend sei, sicher öffentliche Interessen hintangesetzt worden. Um zu prüfen, ob das Verhalten der Behörde durch Nichteinhaltung der Frist rechtsnormwidrig sei, könne nur der Schutzzweck der Bauordnung hervorgehoben werden, die eine Ordnungsfunktion im Interesse der gesamten Bevölkerung darstelle. Werde der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan dieser Ordnungsfunktion nicht mehr gerecht, sei er von der Behörde durch das zuständige Organ abzuändern. Wisse ein Beamter von der unmittelbar bevorstehenden Abänderung, so sei die Zurückhaltung des iS des § 9 Abs. 6 Wr. BauO beantragten Bescheides niemals rechtswidrig. Es sei nicht Norminhalt des § 9 Abs. 6 Wr. BauO, einen einzelnen Bürger davor zu schützen, daß im Interesse der Öffentlichkeit notwendige Abänderungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes erfolgen. Der von der klagenden Partei behauptete Schaden sei nicht durch die Mißachtung der Fristbestimmung des § 9 Abs. 6 Wr. BauO, sondern durch die Änderung der Gesetzeslage entstanden. Die klagende Partei könne nur dann einen Schaden ersetzt begehren, wenn bei objektiver Betrachtungsweise auf dem Grundstücksmarkt der Wert der klägerischen Grundstücke im Betriebsbaugebiet niederer wäre als im gemischten Baugebiet. Jede andere Schadensermittlung sei verfehlt. Bestritten wurde auch, daß überhaupt jener Bau ausgeführt worden wäre, auf dessen Planung die Schadensberechnung der klagenden Partei fuße. Der von der klagenden Partei berechnete Schaden stelle entgangenen Gewinn dar, der nur bei grober Fahrlässigkeit verlangt werden könne.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß das Klagebegehren dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, die klagende Partei habe Dipl.-Ing. Norbert K mit der Verfassung der Einreichpläne für die beabsichtigte Wohnhausanlage beauftragt gehabt. Die Einreichpläne seien zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen vorgelegen. Auf Grund dieser Einreichpläne hätte die klagende Partei eine Baubewilligung erhalten. Dipl.-Ing. Norbert K wäre in der Lage gewesen, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen einen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zu stellen. Die Finanzierung des Bauvorhabens sei durch Verträge mit Bausparkassen gesichert gewesen. Die Marktlage sei derart gewesen, daß die Wohnungen ohne Schwierigkeiten gut verkauft hätten werden können.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß nach § 11 Wr. BauO die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen für die Dauer eines Jahres gelte und für alle innerhalb dieses Zeitraumes eingebrachten Ansuchen um Bewilligung eines Bauvorhabens maßgebend sei. Eine schuldhafte Unterlassung einer Entscheidung könne Grundlage eines Amtshaftungsanspruches bilden. § 9 Abs. 6 Wr. BauO spreche eine Entscheidungspflicht der Behörde aus. Mit Rücksicht darauf, daß aus dem Bescheid, mit dem die Bebauungsbestimmungen bekanntgegeben werden, dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht erwachse, könne auch kein Zweifel daran bestehen, daß es Zweck dieser Vorschrift sei, dem Antragsteller eine möglichst rasche Erledigung seines Antrages zu garantieren, sodaß auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer Verletzung der im § 9 Abs. 6 Wr. BauO normierten Entscheidungspflicht und dem dadurch entstandenen Schaden vorliege. Die beklagte Partei könne sich aber auch nicht auf eine vertretbare Rechtsauffassung berufen, da das Gesetz nicht die geringste Grundlage dafür biete, daß die Behörde über die Frist von drei Monaten hinaus aus welchen Gründen immer die Entscheidung hinauszögern dürfe. Wenn sich die Organe der beklagten Partei darauf konzentrierten, eine Beeinträchtigung des im Entstehen befindlichen Bebauungsplanes zu verhindern, ohne sich darum zu kümmern, ob durch ihr Verhalten allenfalls Rechte eines einzelnen verletzt werden könnten, sei ihr Verhalten jedenfalls als leicht fahrlässig zu qualifizieren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes. Bei den Organen der beklagten Partei, die im Zusammenwirken die Verzögerung in der Behandlung des Antrages der klagenden Partei bewirkten, handle es sich um Bedienstete der Magistratsabteilungen 36 und 21; insbesondere der Organwalter der Magistratsabteilung 21 Senatsrat Friedrich P habe eine rechtzeitige Erledigung des Ansuchens der klagenden Partei bei der Magistratsabteilung 36 dadurch durchkreuzt, daß er der Magistratsabteilung 38 auf ihre Anfrage, ob Bedenken gegen die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen bestunden, antwortete, daß eine Bekanntgabe dieser Bestimmungen derzeit nicht erfolgen könne, weil der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan abgeändert werde. Senatsrat Friedrich P sei bekannt gewesen, daß das Vorhaben der klagenden Partei, eine Wohnhausanlage zu errichten, im Widerspruch zur geplanten Neufassung der Bebauungsbestimmungen stehe und die klagende Partei im Falle rechtzeitiger Bekanntgabe der Bebauungsvorschriften in die Lage versetzt worden wäre, den Bau ihrer Wohnhausanlage durchzuführen, was das neue Konzept verhindert hätte. Aus all dem ergebe sich, daß Senatsrat Friedrich P, um die Neufassung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes nicht zu gefährden, vorsätzlich die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen durch die Magistratsabteilung 36 an die klagende Partei verhindert habe. Senatsrat Friedrich P habe anstelle des Vollzuges gültiger genereller Vorschriften Rechtspolitik machen wollen und sich damit über die damals bestehende Rechtslage zum Nachteil der klagenden Partei hinweggesetzt. Wenn bewußt rechtswidrig gehandelt, der schädliche Erfolg für den Bauwerber vorhergesehen und der Eintritt dieses Schadenserfolges gebilligt werde, liege Vorsatz vor. Daß in Zukunft die Bebauungsvorschriften geändert werden, gebe der Vollziehung jedenfalls nicht das Recht, das geltende Recht nicht mehr anzuwenden. Auch etwaige Interessen der Allgemeinheit, die durch die beabsichtigte, aber noch nicht durchgeführte Änderung der Bebauungspläne geschützt werden könnten, habe das vollziehende Organ mangels Rechtsbestandes solcher Vorschriften nicht zu berücksichtigen. Ob ein öffentliches Interesse bestehe, habe das rechtsanwendende Organ ausschließlich der bestehenden Rechtslage und nicht einer allfälligen künftigen Änderung dieser Rechtslage zu entnehmen. Die Verletzung einer Entscheidungspflicht sei rechtswidrig. Dabei spiele es keine Rolle, daß der klagenden Partei nach § 73 AVG 1950 das Recht zugestanden sei, den Übergang der Entscheidungsbefugnis an die Oberbehörde zu verlangen, denn dadurch könne ein bereits entstandener tatsächlicher Schaden nicht mehr rückgängig gemacht werden. Daß die Frist des § 9 Abs. 6 Wr. BauO verhältnismäßig kurz sei, habe offenbar den Sinn, jede Verzögerung eines beabsichtigten Baues zu vermeiden. Dies sei gerechtfertigt, wenn man bedenke, daß gerade im Baugewerbe oft nur verhältnismäßig kurze Verzögerungen große Kostenerhöhungen zur Folge haben könnten. Das bewußte Nichtentscheiden in der Absicht, den Bau zu verhindern, sei für den Schadenseintritt ursächlich gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, daß ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, auch in einer Unterlassung bestehen kann, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (SZ 52/182; EvBl. 1969/93; Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum AHG 53). Eine Rechtspflicht zum Handeln der Behörde besteht vor allem in Fällen, in denen eine Entscheidungspflicht normiert ist (Bericht und Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform bei Loebenstein - Kaniak aaO 163; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts[2] 200).

Gemäß § 9 Abs. 1 der Wr. BauO, LGBl. 11/1930, in der geltenden Fassung, hat der Eigentümer oder mit seiner Zustimmung ein Dritter bei der Baubehörde ua. für jeden Neubau die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen zu beantragen. Die Erledigung erfolgt in der Form eines rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes ("Fluchtlinienbekanntgabebescheid"). Gemäß § 9 Abs. 6 Wr. BauO sind die Bestimmungen binnen vier Wochen nach Einbringung des Antrages bekanntzugeben; ist dies nicht möglich, sind dem Antragsteller innerhalb dieser Frist die Gründe der Verzögerung und eine Nachfrist, die zwei Monate nicht überschreiten darf, mitzuteilen. Die Bedeutung eines Bescheides über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen liegt für den Bauwerber darin, daß die ihm bekanntgegebene Rechtslage auf die Dauer eines Jahres gilt und für alle innerhalb dieses Zeitraumes eingebrachten Ansuchen um Bewilligung eines der im § 9 Abs. 1 lit. a bis c Wr. BauO genannten Vorhaben maßgebend (§ 11 Wr. BauO), also bindend ist. Der Bauwerber kann daher während der Planungsarbeit von einer Änderung eines Bebauungsplanes nicht überrascht werden. Ihm steht vielmehr innerhalb der im Gesetz vorgesehenen Frist nach Ausstellung des Fluchtlinienbekanntgabebescheides ein subjektives öffentliches Recht zu, nach Maßgabe der solchermaßen bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen den beantragten Bau auszuführen (VwGHSlg. 7223 A; Krzizek, System des österreichischen Baurechts I 292; Mell - Schwimann, Grundriß des Baurechts 246). Mißachtet die Baubehörde erster Instanz ihre Entscheidungspflicht, ist die Stellung eines Devolutionsantrages möglich; die, wenn auch unter Mißachtung der Vorschrift des § 9 Abs. 6 Wr. BauO verspätete, Bescheiderlassung hat dann aber immer auf Grund der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bestehenden Rechtslage zu erfolgen. Nach gestelltem Ansuchen erfolgte Bausperren und Änderungen der Bebauungsbestimmungen sind daher zu berücksichtigen (so die im vorliegenden Fall ergangene Entscheidung des VwGH vom 13. Mai 1980, Zl. 1038/78). In diesem Sinn bleibt die Nichtbeachtung der Fristen verwaltungsrechtlich sanktionslos (so Krzizek aaO 285). Das schließt jedoch einen Schadenersatzanspruch nach dem Amtshaftungsgesetz, wenn aus der Verletzung der Entscheidungspflicht und der damit verbundenen Verschiebung des für die Erlassung des Fluchtlinienbekanntgabebescheides maßgebenden Zeitpunktes ein Vermögensnachteil entstanden ist, nicht aus.

Unbestritten ist, daß Organe der beklagten Partei ihrer sich aus § 9 Abs. 6 Wr. BauO ergebenden Verpflichtung zur Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Höchstfrist von vier Wochen und zwei Monaten nicht nachkamen. Dieses Verhalten war entgegen der Auffassung der Revision rechtswidrig. Rechtswidrig ist ein Verhalten dann, wenn es gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstößt (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] I 90) und damit im Widerspruch zur Rechtsordnung steht (Deutsch, Haftungsrecht I 190). Unzutreffend ist die Auffassung der Revision, daß wegen einer vorzunehmenden Abwägung zwischen privatem und öffentlichem Interesse die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ihrer Organe zu verneinen sei. Die beklagte Partei übersieht, daß ihre Organe eine Interessenabwägung nur dann vorzunehmen hatten, wenn nicht bereits das Gesetz das gebotene oder verbotene Verhalten genau festlegte (vgl. Koziol aaO 93; Wolff in Klang[2] VI 18). Das Gesetz ordnet aber unmißverständlich an, daß der Fluchtlinienbekanntgabebescheid innerhalb der im § 9 Abs. 6 Wr. BauO angeführten Fristen zu erlassen ist. Diese Bestimmung kann nur dahin verstanden werden, daß das Gesetz den in Betracht kommenden Organen der beklagten Partei zumutete, innerhalb dieser Frist entweder den Bebauungsplan abzuändern oder aber die Fluchtlinien nach den bestehenden Bestimmungen bekanntzugeben und damit dem Antragsteller das Recht zu verschaffen, innerhalb Jahresfrist seine darauf fußenden Baupläne zu erstellen und sodann sein Vorhaben durchzuführen. Das Gesetz gebietet damit ein bestimmtes Verhalten und überläßt den Organen der beklagten Partei keine Möglichkeit mehr, außerhalb des gesetzten Rahmens öffentliche und private Interessen abzuwägen. Das subjektive öffentliche Recht des Antragstellers kann dann aber nicht nur darin bestehen, nach Erlassung des Fluchtlinienbekanntgabebescheides den geltenden Bebauungsbestimmungen gemäß bauen zu dürfen, sondern auch darin, die bestehende Rechtslage spätestens bei Ablauf der Fristen des § 9 Abs. 6 Wr. BauO mit der Folgewirkung, daß Änderungen der Rechtslage bei rechtzeitiger Einreichung der Baubewilligungsgesuche unberücksichtigt zu bleiben haben, bestätigt zu erhalten.

Der OGH will dabei nicht übersehen, daß nach einer Lehrmeinung (Krzizek aaO 285) die Fristsetzung sich daraus erklärt, daß die Gemeinden schon vor Erlassung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Jahres 1925 Baubehörden erster Instanz waren und der Gesetzgeber es für notwendig erachtete, Bestimmungen gegen die Säumigkeit der Gemeinden zu erlassen, diesen Bestimmungen heute aber kein normativer Inhalt mehr zukomme. Diese Auffassung ist für das Wiener Baurecht geradezu unverständlich, stammt doch die Wiener Bauordnung aus dem Jahr 1930 (Landesgesetz vom 29. 11. 1929, LGBl. 11/1930), und wurde in der Folge nicht weniger als 25 mal geändert. Der jetzige § 9 Abs. 6 BauO stimmt mit dem seinerzeitigen § 10 Abs. 5 überein und wurde erst mit der Novelle vom 30. 4. 1976, LGBl. 18/1976, eingefügt und ist damit neuester Rechtsbestand. Es kann nicht bezweifelt werden, daß der Gesetzgeber hiebei berücksichtigte, die Einhaltung welcher Fristen den Organen der beklagten Partei zur Prüfung der öffentlichen Interessen und allfälliger Änderungen der Bebauungsvorschriften zumutbar ist. Er bedachte auch gewiß, daß ohnehin über Stadtgebiete, für die der Bebauungsplan abgeändert werden soll, eine Bausperre für höchstens vier Jahre verhängt werden kann (§ 8 Abs. 2 und 4 Wr. BauO). Wenn aber ein subjektives öffentliches Recht der antragstellenden Partei auf Einhaltung der Entscheidungsfrist besteht, ist auch der notwendige Rechtswidrigkeitszusammenhang zu einem aus der Nichteinhaltung der Frist entstehenden Schaden hergestellt. Die von der Revision zitierte Entscheidung SZ 53/61 betraf einen anders gelagerten Fall, in dem es dem Bauwerber freigestanden war, von einem unzweckmäßigen Baubewilligungsbescheid nicht Gebrauch zu machen.

Organe der beklagten Partei führten aber auch zumindest grob fahrlässig den Schaden herbei. Die beklagte Partei kann sich nicht, wie sie es nunmehr in der Revision versucht, von ihrer Haftung dadurch befreien, daß sie behauptet, ihre Organe hätten sich in entschuldbarer Weise über das Vorliegen der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens geirrt. Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens kann zwar schuldhaftes Handeln ausschließen (Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum AHG 63; vgl. Koziol aaO 127; Kramer, Der Rechtsirrtum im ABGB im Licht der allgemeinen Rechtstheorie, ÖJZ 1969, 505 ff. insbesondere 511); ein entschuldbarer Irrtum kann aber bei vorsätzlicher Mißachtung einer im Gesetz deutlich formulierten Pflicht nicht bestehen. Die Revision gibt auch selbst zu, daß es sich bei § 9 Abs. 6 Wr. BauO um einen Gesetzesbefehl handelt. Die beklagte Partei meint auch nur, ihre Organe hätten bei absichtlicher Verletzung der Entscheidungspflicht darüber geirrt, daß daraus ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden könnte; sie behauptet damit aber nur einen Rechtsfolgeirrtum. Von einem solchen spricht man, wenn eine falsche Vorstellung darüber besteht, welche Rechtsfolgen unabhängig vom Willen einer bestimmten Person von der Rechtsordnung an sein Verhalten geknüpft werden (vgl. Koziol - Welser[5] I 107). Der Irrtum über Rechtsfolgen wird schon im rechtsgeschäftlichen Bereich, selbst wenn er für die Willensentschließung des Irrenden ursächlich war, als unbeachtlicher Motivirrtum angesehen (Wolff aaO 21; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 140; Flume, Das Rechtsgeschäft[2] 465; Larenz, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts[4] 330; Soergel - Knapp[11], Rdz. 102 zu § 157 BGB; Dilcher in Staudinger[12], Rdz. 34 zu § 109 BGB). Die Unerheblichkeit des Rechtsfolgenirrtums wird allerdings als überprüfungsbedürftig erachtet (Koziol - Welser aaO; Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte 119), wohl aber nur für Bereiche wie etwa das Wissen über das Bestehen einer Verkehrssitte (Rummel aaO) und immer nur dann, wenn es um die Wahrung der Grundsätze des redlichen Verkehrs, von Treu und Glauben im Vertragsrecht, geht (ausführlich Flume aaO 466 ff.). Außerhalb des Vertragsrechtes kann hingegen ein Irrtum darüber, ob Schadenersatzpflichten eintreten können, nie entschuldigen. Irrtum über den Eintritt der Amtshaftung aus einem bestimmten Verhalten ist daher stets unbeachtlich.

Es liegt aber auch eine sich auf den Eintritt des Erfolges beziehende auffallende Sorglosigkeit von Organen der beklagten Partei vor. Bei Kenntnis der Absicht der klagenden Partei, eine Wohnhausanlage zu errichten, und der bevorstehenden Änderung der Bebauungsbestimmungen auf Betriebsbaugelände war der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich und leicht vorhersehbar. Dies reicht zur Annahme grober Fahrlässigkeit aus (SZ 48/39; EvBl. 1979/103; JBl. 1979, 657 uva.). Ob ein Organ der beklagten Partei wußte, welches Bauvorhaben konkret die klagende Partei durchführen wollte, ist unwesentlich.

Die klagende Partei verstieß auch nicht gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 2 AHG. Die mit Bescheid des Rechtsmittelbüros der beklagten Partei vom 13. 3. 1978 erfolgte Fluchtlinienbekanntgabe wurde, wenn auch erfolglos, beim VwGH bekämpft. Der Ausschluß des Ersatzanspruches wird aber nicht dadurch herbeigeführt, daß es die klagende Partei verabsäumte, den VfGH anzurufen (1 Ob 24/81; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechts[4] 340; Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht 830; Preslmayr - Zitta, Zur Auslegung des § 2 Abs. 2 AHG; JBl. 1963, 308; Vrba - Zechner, Begriff des Rechtsmittels nach AHG und die Rettungspflicht, ÖJZ 1981, 589 ff., insbesondere 593). Es wird auch nicht dargetan, inwieweit eine solche den Schaden noch hätte abwenden können. Die beklagte Partei bestritt nicht, daß bei konkreter Schadensberechnung der klagenden Partei ein Schaden entstanden sei.

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