OGH 15Os74/95

OGH15Os74/951.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.Juni 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Stöckelle als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 31 Vr 709/95 anhängigen Strafsache gegen Christian G***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Christian G***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 9.Mai 1995, AZ 6 Bs 210/95, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Christian G***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Am 10.März 1995 verkündete die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Innsbruck dem (am 7.März 1995 festgenommenen) Christian G***** den (über Antrag der Staatsanwaltschaft gefaßten) Beschluß "auf Einleitung der VU wegen des Verdachtes des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129, 15 StGB samt wesentlichen Gründen und erteilt[e] RMB". Dazu erklärte der Beschuldigte: "Ich sehe ein, daß das Gericht diesen Verdacht untersucht und wil[l] dazu auch etwas sagen". Im weiteren Protokoll ist die Verantwortung des Beschuldigten zu den von Gendarmen des Postenkommandos Lienz angezeigten - teils durch Einbruch verübten - fünf (vollendeten und versuchten) Diebstählen sowie zu den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und c StPO festgehalten.

Den Beschluß vom selben Tag auf Verhängung der Untersuchungshaft (ON 4), zu welchem ebenfalls Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde, ließ der Beschuldigte unbekämpft und erklärte, daß von der Untersuchungshaft niemand verständigt werden müsse; er begehrte lediglich die Beigebung eines Pflichtverteidigers (§ 42 Abs 2 StPO) und eines Verfahrenshilfeverteidigers (§ 41 Abs 2 StPO). Auch den im Rahmen der Haftverhandlung am 20.März 1995 ergangenen Verlängerungsbeschluß (ON 8) ließ er unangefochten. Gegen den weiteren Haftverlängerungsbeschluß vom 19.April 1995 (ON 11) erhob er Beschwerde, in der er unter anderem ausführte, er sei unverzüglich zu enthaften, weil der Bewährungshelfer zu den beiden Haftverhandlungen - entgegen der Vorschrift des § 182 Abs 1 StPO - nicht geladen worden sei; überdies seien im gegenständlichen Verfahren die Rechte des Beschuldigten nicht gewährt worden, weil er weder von der Gendarmerie (§ 178 StPO) noch von der Untersuchungsrichterin gemäß § 179 StPO belehrt worden sei.

Das Oberlandesgericht Innsbruck gab dieser Beschwerde mit Beschluß vom 9.Mai 1995, AZ 6 Bs 210/95, keine Folge und sprach aus, daß die Untersuchungshaft aus den von der Untersuchungsrichterin herangezogenen Haftgründen bis längstens 10.Juli 1995 fortzusetzen sei (ON 22).

Gegen diesen Beschluß des Gerichtshofes zweiter Instanz richtet sich die (rechtzeitige) Grundrechtsbeschwerde des Anton G***** (ON 24), in der er sich in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (nur mehr) dadurch verletzt erachtet, daß "das Oberlandesgericht Innsbruck die Gesetzesverletzung durch die Untersuchungsrichterin bezüglich der formellen Voraussetzungen der §§ 182 Absatz 1 und 179 Absatz 1 StPO gutgeheißen und dadurch selbst eine unrichtige Anwendung der diesbezüglichen Bestimmungen vorgenommen hat". Demgemäß beantragte er, "die angefochtene Entscheidung unverzüglich aufzuheben".

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht im Recht.

1. Nicht näher einzugehen ist auf jenes Vorbringen in der Grundrechtsbeschwerde, wonach der Beschuldigte anläßlich der Einleitung der Voruntersuchung nicht ordnungsgemäß belehrt worden und die Verständigung der Bewährungshelferin von der Haftverhandlung am 20. März 1995 unterblieben sei. Denn die Beschlüsse der Untersuchungsrichterin vom 10.März 1995 und vom 20.März 1995, die jeweils von einem der genannten Verfahrensmängel betroffen gewesen sein sollen, blieben unangefochten, sodaß insoweit der Instanzenzug nicht erschöpft ist, was der Geltendmachung dieser Umstände in der nunmehrigen Grundrechtsbeschwerde gemäß § 1 Abs 1 GRBG entgegensteht (EvBl 1993/189 uam).

Daran ändert nichts, daß das Oberlandesgericht Linz im angefochtenen Beschluß in einem obiter dictum - zutreffend - auf die Richtigkeit der erteilten Belehrung hinwies.

2. Als meritorisch zu behandelnder Beschwerdegegenstand verbleibt somit lediglich die unterbliebene Verständigung der Bewährungshelferin von der am 19.April 1995 durchgeführten Haftverhandlung.

Gemäß § 182 Abs 1 StPO sind zwar vom Termin der Haftverhandlung der Beschuldigte, sein Verteidiger, der Staatsanwalt und der Bewährungshelfer zu verständigen; allein aus dem formalen Verstoß der (versehentlich - vgl Strafregisterauskunft S 9 und Verständigungsblatt S 45 -) von der Untersuchungsrichterin unterlassenen Verständigung der Bewährungshelferin von der Haftverhandlung am 19.April 1995 kann der Beschwerdeführer unter den aktuellen Umständen und bei (unbestritten gebliebenen) tatsächlich gegebenen materiellen Haftvoraussetzungen keine Grundrechtsverletzung im Sinne der §§ 1 Abs 1 und 2 Abs 1 GRBG ableiten, derzufolge - nach Auffassung der Beschwerde - "der Beschuldigte mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht in Haft ist" (238 f).

Abgesehen davon, daß eine solcherart unterlaufene (nach Meinung des

Beschwerdeführers "Nichtigkeit" der Haftverhandlungen bewirkende)

"Rechtswidrigkeit" nicht eo ipso auch schon eine

Grundrechtsverletzung nach sich zieht (vgl u.a. 13 Os 16/93 = EvBl

1993/86 = RZ 1993/41; 13 Os 47/93 = EvBl 1993/115; 13 Os 26/93 = NRsp

1993/89; 12 Os 65/93 = JBl 1995, 183 [mit krit. Anm von Bertel]; 12

Os 157/93 ; 14 Os 175/93 = EvBl 1994/49; 15 Os 86/94; 14 Os 27,28/94

= NRsp 1994/101; 12 Os 140/94, 14 Os 60/95 [hier insb zur

unterbliebenen Verständigung des Bewährungshelfers]; a.M.: Venier,

Zum Grundrecht auf ein gesetzmäßiges Verfahren in Haftsachen, ÖJZ

1994, 798) und es der Beschuldigte und/oder sein Verteidiger in der

Hand gehabt hätte, vor oder (spätestens) bei Durchführung der

Haftverhandlungen auf den relevierten Verfahrensmangel hinzuweisen

und auf dessen Beseitigung hinzuwirken, hat der Gerichtshof zweiter

Instanz als Beschwerdegericht von der ihm durch § 114 Abs 2 letzter

Halbsatz StPO eröffneten Befugnis, "rasch durchführbare ergänzende

Erhebungen anzuordnen", durchaus gesetzeskonform Gebrauch gemacht,

indem er zulässigerweise eine telefonische Auskunft der

Bewährungshelferin Sonja S***** einholte (224 zweiter Absatz; s. auch

219) und dieses Erhebungsergebnis, das im übrigen keine für den Beschuldigten positive Aspekte enthält, in der Beschwerdeentscheidung verwertete.

Für den in diesem Zusammenhang erhobenen Beschwerdeeinwand, derartige ergänzende Erhebungen dürften sich bloß auf Umstände beziehen, die "erst nach dem angefochtenen Beschluß eingetreten oder bekannt geworden sind", bietet die zitierte Norm auch nach ihrem "Wortlaut" - der Beschwerde zuwider - keine Stütze. Im Verfahren über (zulässige) Beschwerden gegen Beschlüsse herrscht - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - kein Neuerungsverbot (Bertel Grundriß4 Rz 1054); es ist demnach nicht verwehrt, unterlassene Erhebungen oder unterbliebene Abforderungen von Stellungnahmen nachzuholen.

Im übrigen wird in der Grundrechtsbeschwerde nicht dargelegt, inwieweit die Abwesenheit der Bewährungshelferin bei der Haftverhandlung vom 19.April 1995 nach Lage des Falles geeignet gewesen sein sollte, eine der Haftvoraussetzungen in Frage zu stellen (erneut 14 Os 60/95), zumal jene Bescheinigung über eine Unterkunftsmöglichkeit im Fall der Enthaftung des Beschuldigten, die von der Bewährungshelferin veranlaßt worden war (219), in dieser Haftverhandlung ohnedies vorgelegt wurde (83) und die Untersuchungsrichterin in ihrem Beschluß vom 19.April 1995 hiezu Stellung nahm (89).

Nach all dem bedarf es keines Eingehens auf die Frage der Tragweite der überdies vom Beschwerdeführer abgegebenen Erklärung, daß von seiner Untersuchunghaft niemand verständigt werden müsse.

Da sohin Christian G***** durch den angefochtenen Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde (§ 2 Abs 1 iVm § 7 GRBG), war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Ein Zuspruch von Beschwerdekosten wurde nicht beantragt.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch am Rande bemerkt, daß die von der Staatsanwaltschaft Innsbruck erhobene Anklageschrift vom 15.Mai 1995 (ON 23), die infolge Einspruchverzichts seit 18.Mai 1995 rechtswirksam ist (ON 25), dem Beschuldigten anlastet, er habe in der Zeit vom Februar 1995 bis 7.März 1995 in Lienz und Kitzbühel drei vollendete und zwei versuchte Einbruchsdiebstähle sowie einen nicht qualifizierten Diebstahl mit einem Gesamtwert der Beute von mehr als 31.800 S sowie in Graz die Vergehen des Betruges nach § 146 StGB und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB verübt. Die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ist (nach einer telefonisch eingeholten Auskunft des Obersten Gerichtshofes) für den 12.Juni 1995 anberaumt.

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