OGH 15Os86/94

OGH15Os86/9423.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Juni 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Czedik-Eysenberg als Schriftführer, in der beim Landesgericht Krems an der Donau zum AZ 18 Vr 612/93 anhängigen Strafsache gegen Franz R***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Christian L***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 11.Mai 1994, AZ 22 Bs 192/94 (= GZ 18 Vr 612/92-160) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Christian L***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Am 11.Februar 1994 leitete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Krems an der Donau ua gegen Christian L***** die Voruntersuchung wegen der Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 StGB ein (S 1 a/I), dehnte sie am 25.Februar 1994 "auf die einbezogenen Fakten" aus (S 1 e/I) und verhängte am selben Tag über den Beschuldigten aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 2 StPO) die Untersuchungshaft (S 1 e iVm S 177 verso und ON 28/I), deren Fortsetzung in den Haftbeschlüssen vom 10.März 1994 (ON 74 iVm ON 79) und vom 8.April 1994 (ON 105 iVm 107) angeordnet wurde.

Danach ist Christian L***** dringend verdächtig, von etwa 1991 an in Krems als Geschäftsführer der Kapitalanlagefirma K***** (kurz: K*****) zumindest einen Betrag von 2,000.000 S dem Vermögen der K***** zu deren Schaden entzogen und zum eigenen Vorteil verwendet sowie einen Betrag von ca 10,000.000 S aus dem Vermögen der KIS zweckwidrig als Darlehen an die Firma V***** GesmbH, deren faktischer Geschäftsführer er war, weitergegeben zu haben.

Bereits in der Haftverhandlung vom 8.April 1994 wies der Staatsanwalt auf die am selben Tag beim Erstgericht eingelangten weiteren Erhebungsergebnisse (ON 103 iVm S 2/IV) hin, denenzufolge der Beschuldigte für zumindest neun bei der ***** Versicherungsanstalt eingereichte, auf nicht existente Personen lautende Lebensversicherungsverträge zu Unrecht 60.000 S Provision erhalten und angekündigt habe, er werde weitere 85.000 derartige Versicherungen bringen. Dazu erklärte der Beschuldigte, nichts von "der Geschichte" zu wissen (S 3/IV).

Unmittelbar vor der für den 22.April 1994 anberaumten (weiteren) Haftverhandlung überreichten die erhebenden Sicherheitsbehörden dem Untersuchungsrichter eine "2.Zwischenanzeige über weiteren Sachverhalt (fingierte Lebensversicherungsverträge)" (ON 147/IV), wonach Christian L***** im Verdacht stehe, seit August 1993 über die Versicherungsagentur L***** (zumindest) 118 fingierte Lebensversicherungsverträge nicht existenter Personen bei der ***** Versicherung eingereicht und dafür 1,800.000 S an Provision betrügerisch kassiert zu haben. Ohne vorher diese Nachtragsanzeige beschlußmäßig gemäß § 56 StPO einbezogen und die Voruntersuchung auf die neuen Anschuldigungspunkte ausgedehnt zu haben, wurde deren Inhalt in der Haftverhandlung erörtert, wobei der Beschuldigte ein strafbares Verhalten in Abrede stellte und der Verteidiger zu den vorliegenden Beweisergebnissen ausführlich Stellung nahm (ON 148/IV). Im Anschluß daran verkündete der Untersuchungsrichter den Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (nunmehr) aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis längstens 22.Juni 1994 (S 381 iVm ON 149/IV).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht mit dem Beschluß vom 11.Mai 1994, AZ 22 Bs 192/94 (= ON 160 des Vr-Aktes) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem genannten Haftgrund bis längstens 11.Juli 1994 an. Es führte unter anderem aus, daß im Zeitpunkt der Beschlußfassung erster Instanz gegen Christian L***** bereits eine Voruntersuchung eingeleitet gewesen und ihm in der Haftverhandlung die Möglichkeit geboten worden sei, sich zu der neu hervorgekommenen Verdachtslage zu äußern; ungeachtet der Tatsache, daß die Voruntersuchung bezüglich der Nachtragsfakten über Antrag des Staatsanwaltes erst mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 3.Mai 1994 in Richtung der §§ 146, 147 Abs 3, 148 StGB ausgedehnt worden sei (vgl ON 155/VI), habe es als Beschwerdegericht gemäß § 114 Abs 2 StPO bei seiner Entscheidung auch auf Umstände Rücksicht zu nehmen, die nach dem angefochtenen Beschluß eingetreten oder bekannt geworden seien. Der Gerichtshof zweiter Instanz erachtete demnach sowohl den dringenden Tatverdacht bezüglich der Nachtragsfakten als auch den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr für gegeben, verneinte dessen Substituierbarkeit durch gelindere Mittel sowie die Unverhältnismäßigkeit der Haft zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe.

Dagegen richtet sich die vom Verteidiger fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten, in der er eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit darin erblickt, daß das Oberlandesgericht "die Haftvoraussetzungen des Tatverdachtes und der Haftgründe unrichtig beurteilt hat". Da zum Zeitpunkt der Haftverhandlung am 22.April 1994 die Ausdehnung der Voruntersuchung auf die Fakten der zweiten und dritten Zwischenanzeige ON 147 und 151 [letztere langte jedoch erst am 26.April 1994 beim Untersuchungsrichter ein] weder vom Staatsanwalt beantragt noch vom Untersuchungsrichter beschlossen worden sei, hätten diese (nach Ansicht des Beschwerdeführers) gar "nicht haftbegründend wirken" können, weshalb das Erstgericht nicht befugt gewesen sei, wegen des Ablaufs der zweimonatigen Frist für die bis dahin angenommene Verdunkelungsgefahr den neuen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO heranzuziehen; im übrigen habe weder er noch sein Verteidiger die Möglichkeit gehabt, sich auf die neuen Verdachtsgründe ausreichend vorzubereiten, noch sei er am 22.April 1994 zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft wegen der ihm neu zur Last gelegten Betrugsfakten vernommen worden.

Die Beschwerde ist nicht im Recht.

Wie bereits dargelegt, ist gegen Christian L***** seit 11.Februar 1994 eine Voruntersuchung wegen des (weiterhin bestehenden - in der Grundrechtsbeschwerde gar nicht bestrittenen -) dringenden Verdachtes der Untreue und des schweren gewerbsmäßigen Betruges anhängig. Inhaltlich des Haftverhandlungsprotokolls vom 22.April 1994 machte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die in Rede stehenden (neu hervorgekommenen) Betrugsfakten zum Gegenstand seines Vorbringens, sah (auch) diesbezüglich - sohin wegen einer bestimmten Tat - den dringenden Tatverdacht für gegeben und beantragte die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Grund des § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO (S 375 f/IV). Daran anschließend wurden die bezughabenden sicherheitsbehördlichen Erhebungsergebnisse der Nachtragsanzeige im Zusammenhalt mit den Depositionen des Mitbeschuldigten H***** (S 367 ff/II und ON 70/I) sowie des gerichtlich vernommenen Zeugen Wolfgang A***** (ON 146/IV) ausführlich erörtert (S 376 ff/IV) und dem Verteidiger Gelegenheit zu einer umfangreichen Stellungnahme geboten (S 378 ff/IV).

Solcherart lag - der Beschwerde zuwider - nicht nur ein Antrag des Staatsanwaltes auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Grunde der Tatbegehungsgefahr vor, sondern es wurden durch die Erörterung der der Nachtragsanzeige zugrundeliegenden (neu hervorgekommenen) betrügerischen Malversationen in der abgeführten Haftverhandlung auch diese (keineswegs allein haftbegründenden) bestimmten Taten - unbeschadet ihrer zu diesem Zeitpunkt unterbliebenen formellen Einbeziehung gemäß § 56 StPO und der fehlenden beschlußmäßigen Ausdehnung der Voruntersuchung - durch faktische Einbeziehung tatsächlich zum Gegenstand der laufenden Voruntersuchung, wobei der Beschuldigte - abermals entgegen der Beschwerdebehauptung - sowohl zur Sache als auch zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft (-Verlängerung) hinreichend vernommen wurde (§ 180 Abs 1 StPO).

Im übrigen stützt sich der angefochtene Beschluß - was der Beschwerdeführer zu übersehen scheint - ebensowenig wie der ihm zugrundeliegende Haftverlängerungsbeschluß des Untersuchungsrichters allein auf die nachträglich zur Anzeige gelangten Betrugsfakten; vielmehr beziehen sich beide Entscheidungen auch auf den sich aus den vorangegangenen Anzeigen ergebenden dringenden Tatverdacht, zu dem bereits umfangreiche Erhebungen geführt wurden und der in der Grundrechtsbeschwerde nicht bestritten wird.

Das bloß formale Unterbleiben der beschlußmäßigen Einbeziehung und Ausdehnung der Voruntersuchung, somit die Berücksichtigung auch der weiteren betrügerischen Handlungen im angefochtenen Beschluß, vermag daher nach Lage der Dinge weder die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Untersuchungshaft zu beeinträchtigen noch für sich allein eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit des Beschwerdeführers zu bewirken. Von einer "Rückwirkung von Voraussetzungen der Verhängung oder Verlängerung der Untersuchungshaft", wie die Beschwerde rechtsirrig vermeint, kann daher ebenso keine Rede sein.

Der weitere Beschwerdeeinwand, weder der Beschuldigte noch der Verteidiger hätten die Möglichkeit gehabt, sich auf die neuen Verdachtsgründe in der Haftverhandlung ausreichend vorzubereiten, muß auf sich beruhen, weil dieses Argument weder in der Haftverhandlung eingewendet, noch in der Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz vorgebracht wurde.

Inwieweit das Erstgericht "darüber hinaus die Bestimmung des § 193 Abs 1 StPO, ..., nicht ausreichend beachtet hat", ist - unter dem Blickwinkel der bisherigen Darlegungen - der Beschwerdeschrift nicht nachvollziehbar zu entnehmen.

Zum dringenden Tatverdacht bezüglich der Betrugsfakten zum Nachteil der ***** Versicherungs AG und zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr an sich wird in der Grundrechtsbeschwerde lediglich darauf hingewiesen, daß "die Erhebungen der Sicherheitsbehörde in Richtung der ausgedehnten Voruntersuchung noch nicht abgeschlossen sind" und daß "dieses vorläufige Zwischenergebnis von dem Erstgericht zur Begründung des neuen Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nicht herangezogen werden konnte". Ansonsten trachtet der Beschwerdeführer im Kern - bloß nach Art einer (vorweggenommenen) Schuldberufung - darzutun, warum ihm - und nicht den belastenden Angaben der Mitbeschuldigten H***** und des Zeugen A***** - Glauben zu schenken sei und aus welchen Gründen die Gefahr bestehe, daß sich die zwei genannten (auf freiem Fuß befindlichen) "Zeugen" verabredet hätten und H***** versuchen könnte, zu seiner (des Beschuldigten) Lasten Verdunkelungshandlungen zu setzen. Da es die Beschwerde somit unterläßt, den vom Oberlandesgericht aus den bisherigen sicherheitsbehördlichen Erhebungen und den (mutmaßlich zusätzlich) gewerbsmäßig verübten Betrugshandlungen mit einer (weiteren) Schadenssumme von zumindest 1,800.000 S zutreffenden Schlußfolgerungen sowohl in bezug auf den dringenden Tatverdacht als auch hinsichtlich des herangezogenen Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr substantielle, einer sachbezogenen Erörterung zugängliche Einwendungen entgegenzusetzen, kann es mit dem Gesagten und dem Beifügen sein Bewenden haben, daß es - im Falle einer Anklageerhebung - dem Erkenntnisgericht vorbehalten bleiben muß, die vorhandenen Verfahrensergebnisse zu würdigen und die Schuldfrage zu lösen.

Da sohin Christian L***** durch den angefochtenen Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde (§ 2 Abs 1 iVm § 7 GRBG), war die Beschwerde in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalprokuratur als unbegründet abzuweisen.

Demzufolge hatte ein Ausspruch über die Beschwerdekosten zu entfallen (§ 8 GRBG).

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