OGH 9ObA355/93

OGH9ObA355/9316.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Christian Kleemann und Thomas Mais als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Liselotte S*****, Arbeiterin, ***** vertreten durch Dr.Hans Werner Mitterauer, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Auerspergstraße 11, 5020 Salzburg, dieser vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei N***** R***** Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Nikolaus Topic-Matutin, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 58.545,70 brutto sA, infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.September 1993, GZ 12 Ra 40/93-14, womit infolge Berufung der Beklagten das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.April 1993, GZ 20 Cga 184/92x-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird wie folgt, als Teilurteil bestätigt:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 409,50 brutto samt 4 % Zinsen ab 8.5.1992 binnen 14 Tagen zu bezahlen";

Im übrigen werden die Urteile der Vorinstanzen im Umfang des Zuspruches von S 58.136,20 brutto sA und der Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 22.12.1986 bis 7.5.1992 als Arbeiterin im Betrieb der Beklagten, die ein Gebäudereinigungsunternehmen betreibt, beschäftigt. Sie war zuletzt Objektleiterin im Bereich der naturwissenschaftlichen Fakultätsgebäude der Universität Salzburg. In dieser Funktion war sie für die Reinigungskräfte der Beklagten, die in diesem Bereich tätig waren, verantwortlich. Die Klägerin ist etwa 25mal wegen Diebstahls und Eigentumsdelikten gerichtlich verurteilt worden. Sie hat dies bei ihrer Einstellung nicht bekannt gegeben, wurde aber auch nicht nach allfälligen Vorstrafen gefragt. Am 7.5.1992 erlangte die Beklagte Kenntnis, daß eine Lohnexekution gegen die Klägerin zur Hereinbringung einer Geldstrafe aus einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines während des Dienstverhältnisses begangenen Ladendiebstahles geführt wurde. Noch am selben Tag wurde die Klägerin entlassen. Während des Dienstverhältnisses hat die Klägerin zum Nachteil der Beklagten oder von Kunden der Beklagten keine Diebstähle begangen.

Die Klägerin leidet an schweren depressiven Verstimmungen, an hirnorganischen Beeinträchtigungen und an Störungen im sozialen Bereich. Sie beging seit 1965 laufend Diebstähle, die zu den erwähnten Vorstrafen geführt haben. Die Klägerin leidet an Kleptomanie, einer Zwangserkrankung, die die Klägerin veranlaßt, immer wieder Diebstähle zu begehen. Sie weiß dabei, welche Handlungen sie setzt, kann aber diese Handlungweisen infolge ihrer Erkrankung willentlich nicht beherrschen. Die Erkrankung an Kleptomanie im Zusammenhang mit den depressiven Zuständen unterliegt im wesentlichen keinen größeren Schwankungen. Die Erkrankung besteht im wesentlichen immer, hat sich jedoch etwa seit 1965 allmählich entwickelt.

Die Klägerin begehrt restliche Lohn- und Sonderzahlungsansprüche bis zum Entlassungstag, sowie Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung in Höhe von insgesamt S 58.545,70 brutto sA.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei in einer Position tätig gewesen, die eine ehrenhafte und vertrauenswürdige Einstellung zum Beruf sowie Zuverlässigkeit gegenüber der Kundschaft voraussetze. Es liege der Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Vorstrafe wegen Diebstahls indiziere zwar die Vertrauensunwürdigkeit und begründe grundsätzlich den Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859, doch fehle infolge der krankhaften Kleptomanie die Schuldeinsicht im strafrechtlichen Sinn. Mangels Strafbarkeit des Diebstahls sei der Entlassungsgrund daher nicht verwirklicht.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Handlung eines Arbeiters, die nicht strafbar sei, bilde auch dann keinen Entlassungsgrund, wenn sie Vertrauensunwürdigkeit hervorrufe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Die Aufzählung der Entlassungsgründe im § 82 GewO 1859 ist eine taxative, jene im § 27 AngG eine demonstrative (Pokorny, Das gewerbliche und häusliche Arbeitsrecht in Österreich I, 11; Kuderna, Entlassungsrecht 31 ff; Schwarz-Löschnigg; ArbR4 440; Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser ArbR3 I 304; Krejci in Rummel ABGB2 Rz 1 zu § 1162; Gruber in ecolex 1991, 868; Arb 6.239, 9.517, 10.631; DRdA 1988/1 [zust.W. Holzer]; ZAS 1989/5; RdW 1993, 252 ua).

Den Entlassunggrund des § 82 lit d GewO 1859 verwirklicht der Hilfsarbeiter, der sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen läßt. Die strafbaren Handlungen müssen nicht zum Nachteil des Dienstgebers vorgenommen worden sein (Kuderna, Entlassungsrecht 62). Bei Begehung eines Diebstahles oder einer Veruntreuung wird die dadurch hervorgerufene Vertrauensunwürdigkeit vom Gesetz vorausgesetzt, so daß ihr Eintritt nicht geprüft werden muß (Kuderna aaO, 60; RdW 1991, 184; 9 Ob A 10/93). Der Entlassungsgrund besteht aber erst dann, wenn das Delikt strafbar ist (Kuderna aaO 60 ff). Eine Vertrauensunwürdigkeit allein rechtfertigt die Entlassung nicht (Kuderna aaO, 61; Ind 1989 H 3, 8 = RdW 1988, 206; ZAS 1989/5 [Schäffl], s dazu RdW 1987, 334 [Andexlinger]).

Weil das tatbestandsmäßige Verhalten bei diesen Delikten nicht nur in einem objektiven, vom Willen des Dienstnehmers unabhängigen Zustand besteht, ist weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes die Schuldhaftigkeit, also die Zurechnungsfähigkeit und die Vorwerfbarkeit (Kuderna aaO 45; Arb 10.728).

Nach den für die Beurteilung des Vorliegens der in § 82 lit d GewO 1859 genannten Delikte heranzuziehenden Normen des Strafrechtes (§ 11 StGB; Kuderna aaO 62) handelt nicht schuldhaft, wer unfähig ist, daß Unrecht seiner Tat einzusehen (Diskretionsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (Dispositionsfähigkeit). Fehlt dem Täter infolge eines der im § 11 StGB bezeichneten biologischen Zustände (Geisteskrankheit; Schwachsinn; tiefgreifende Bewußtseinsstörung; eine andere schwere, einem dieser Zustände gleichwertige seelische Störung) eine dieser Fähigkeiten, ist die Zurechnungsfähigkeit und damit die Verantwortlichkeit im konkreten Fall nicht gegeben (Leukauf-Steininger, KommzStGB3 143; 16 Os 17/91 ua).

Ob eine die Schuldfähigkeit ausschließende seelische Störung vorliegt, ist nach einem strengen Maßstab zu beurteilen, wobei das Schwergewicht auf dem Erfordernis der Gleichwertigkeit liegen muß (EvBl 1976/72). Die schwere seelische Störung muß ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach einen der übrigen in § 11 StGB angeführten biologischen Zustände vollkommen (und nicht bloß annähernd) gleichwertig sein; der Ausnahmezustand muß so intensiv und ausgeprägt sein, daß das Persönlichkeitsbild des Betroffenen völlig zerstört ist. Eine bloß asoziale Veranlagung, Charakterschwäche, Haltlosigkeit, Charakteranomalie im weiteren Sinn, ein hemmungsloser Affekt oder eine verminderte Hemmfähigkeit, sowie die sogenannten Monomanien, wie die hier in Frage kommende Kleptomanie schließen die Schuldfähigkeit in der Regel nicht aus (Leukauf-Steininger aaO 146 mwN; 11 Os 117/88).

Nach Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12.10.1990, G 73/89-11, BGBl 1990/706, kommt den in Rechtskraft erwachsenen Strafurteilen und damit der Verurteilung der Klägerin wegen Diebstahls für das Zivilverfahren keine bindende Wirkung zu. Die im Strafurteil festgestellten Tatsachen, wozu auch die Verschuldensfrage gehört, sind daher im Zivilverfahren beweisbedürftig (RZ 1992/39).

Ob die Kleptomanie der Klägerin, der nach dem Privatgutachten des Psychologen und seiner Zeugenaussage als Zwangserkrankung Krankheitswert zukommt, auch vom ärztlichen Standpunkt einem der im § 11 StGB angeführten Zustände vollkommen gleichwertig ist und über die bloße Zwangserkrankung hinausgeht, ist nicht festgestellt. Daß die Klägerin an schweren depressiven Verstimmungen, an hirnorganischen Beeinträchtigungen und an Störungen im sozialen Bereich leidet, beantwortet diese Frage nicht, zumal ein Vergleich der Zwangskrankheit mit den maßgeblichen im § 11 StGB genannten biologischen Zuständen nicht angestellt wurde.

Die Annahme der Vorinstanzen, daß der Klägerin die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit fehle, beruht daher nicht auf einer gesicherten Sachverhaltsgrundlage.

Während bei Schuldfähigkeit der Klägerin die Entlassung aus dem Grunde des § 82 lit d GewO 1859 berechtigt wäre, wäre bei mangelnder Schuldfähigkeit der Entlassungsgrund des § 82 lit b GewO 1859, der ein Verschulden nicht voraussetzt (Kuderna aaO 59) verwirklicht. Dauernde Arbeitsunfähigkeit liegt nämlich vor, wenn der Dienstnehmer dauernd unfähig ist, die vereinbarte Arbeit zu verrichten, wenn er zur Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheit schlechthin unverwendbar ist (Kuderna aaO 59; RdW 1991, 23 = ecolex 1990, 704; RdW 1991, 213). Die dauernde Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt unabhängig von ihrer Ursache die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses (9 Ob A 186/93).

Eine Arbeiterin, die mehrfach wegen Diebstahls vorbestraft ist und an Kleptomanie leidet, kann wegen der Gelegenheit zu unbefugtem Zugriff auf Sachen Dritter in einem Gebäudereinigungsunternehmen nicht mehr als Reinigungskraft oder als Verantwortliche für Reinigungskräfte eingesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn sie bisher ihrem Dienstgeber oder seinen Kunden gegenüber keine Diebstähle beging.

Gemäß § 23 Abs 7 AngG, der nach § 2 ArbAbfG sinngemäß anzuwenden ist, stünde aber der Klägerin in diesem Falle zumindest der Abfertigungsanspruch zu, weil sie kein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung träfe (Martinek-M. und W. Schwarz AngG7 494; Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte 156; Arb 10.728 mwN).

Die Unterlassung der Information des Dienstgebers über ihre Vorstrafen hat keine Bedeutung, weil eine allenfalls hiedurch verursachte Vertrauensverwirkung bei Arbeitern keinen Entlassungsgrund bildet.

Während der Anspruch auf aliquote Sonderzahlungen bis zum Entlassungstag nach den Bestimmungen des unbestrittenermaßen zur Anwendung gelangenden Arbeiterkollektivvertrages für Denkmal-Fassaden- und Gebäudereiniger (§§ 9, 10) wie die Kündigungsentschädigung samt aliquoten Sonderzahlungen, die Urlaubsentschädigung und Abfertigung entlassungsabhängig sind, besteht der noch ausstehende Lohnanspruch bis zum Entlassungstag im unbestrittenen Ausmaß bereits jetzt zu Recht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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