OGH 9ObA10/93

OGH9ObA10/9310.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Mayer und Dr.Stein in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** M*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei ***** W***** & S*****, Fleisch- und Wurstwaren*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 289.646,60 S brutto (Streitwert im Revisionsverfahren 209.713 S brutto), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Oktober 1992, GZ 33 Ra 90/92-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27.April 1992, GZ 10 Cga 57/90-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 13.3.1975 bis 21.3.1990 als Fleischwarenarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Er war in der Selcherei der Beklagten vor allem in der Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte es, den Selchvorgang in mehreren Selchkammern zu überwachen und die entsprechenden Rauch- und Temperaturwerte einzustellen. Daneben hatte er Fleisch und Leberkäse zu braten und die Ware für den darauffolgenden Tag an Hand von Bestellisten für die Chauffeure herzurichten und auch Reinigungsarbeiten auszuführen. In den vergangenen Jahren unterliefen dem Kläger bei seiner Tätigkeit wiederholt Fehler. Wiederholt kam es vor, daß die Ware zu wenig geselcht und innen roh war; weniger häufig kam es vor, daß der Kläger zu heiß, aber mit zu wenig Rauch selchte. Auch anderen Arbeitern, die bei solchen Arbeiten eingesetzt waren, - sogar seinem Vorarbeiter - unterliefen solche Fehler. Die bei der Tätigkeit des Klägers fallweise aufgetretenen Fehler wurden zwar gerügt vom Arbeitgeber, aber "als gegeben" hingenommen; eine Entlassung für den Wiederholungsfall wurde nicht angedroht. In der Nacht vom 20. zum 21.März 1990 hatte der Kläger unter anderem rund 600 kg "Kaiserkrakauer"-Würste zu selchen. Rund ein Drittel der Würste platzte durch Überhitzung. Der Kläger beseitigte daraufhin einen Teil der aufgeplatzten Würste, indem er sie in einen Abfallcontainer im Hof warf, wo er sie mit anderen Abfällen bedeckte. Er meldete den Vorfall seinen Vorgesetzten nicht. Einen Teil der aufgeplatzten Würste ließ er mit den nicht beschädigten Würsten auf dem Selchwagen hängen und stellte den Wagen in den Trockenraum. Am 21.3.1990 wurde der Kläger entlassen. Der Wert der unbrauchbaren Würste betrug 30.000 S. Aufgeplatzte Würste, die ordentlich geselcht sind, bekommen die Arbeiter unentgeltlich als Jausenpaket mit nach Hause. Solche Wurst zweiter Qualität wird damit noch dem Verbrauch zugeführt, aus optischen Gründen aber nicht mehr verkauft.

Der Kläger begehrt von der Beklagten 289.646,60 S brutto an Kündigungsentschädigung, Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration, Urlaubsentschädigung für 24 Werktage und Abfertigung. Die Entlassung sei nicht zu Recht erfolgt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens weil der Kläger gerechtfertigt entlassen worden sei. Ihm werde zwar nicht vorgeworfen, daß er die Selchkammer mangelhaft überwacht habe, wodurch zufolge Überhitzung eine größere Menge von Würsten aufgeplatzt sei, wohl aber, daß er daraufhin versucht habe, seine Fehlleistung dadurch zu verheimlichen, daß er die beschädigten Würste, die an sich als Ware zweiter Wahl verwendbar und auch noch verkäuflich gewesen seien, vernichtet habe; dies erfülle den Tatbestand einer strafbaren Handlung. Dadurch habe er sich des Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erwiesen. Durch die Handlung des Klägers sei der Beklagten ein Schaden von 44.338,30 S netto entstanden, der bis zur Höhe der Klageforderung einredeweise geltend gemacht werde.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Zahlung der Abfertigung im Betrag von 209.713 S brutto mit Teilurteil ab. Daß dem Kläger bei der Durchführung der Selcharbeiten ein Fehler unterlaufen sei, begründe kein die Entlassung rechtfertigendes Fehlverhalten, wenn er auch davor wegen solcher Vorkommnisse verwarnt worden sei. Daß er es aber in der Folge unternommen habe, die für den menschlichen Genuß noch verwertbaren Würste zu vernichten, erfülle im Zusammenhang mit den vorangegangenen Ermahnungen den Entlassungstatbestand des § 82 lit d GewO 1859.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung des Klägers dieses Teilurteil dahin ab, daß es dem Begehren des Klägers auf Zahlung der (der Höhe nach nicht bestrittenen) Abfertigung von 209.713 S brutto sA stattgab. Der Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 liege dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig mache, die ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen lasse. Weder der Tatbestand des Diebstahls noch jener der Veruntreuung im Sinne der StGB sei gegeben. Der Kläger habe aber auch das Delikt der Sachbeschädigung oder dauernden Sachentziehung nicht zu verantworten, weil es an der subjektiven Tatseite fehle, zumal er nicht gewußt habe, daß die Ware zweiter Wahl noch verkäuflich gewesen wäre. Der Kläger habe nicht vorsätzlich und in Schädigungsabsicht gehandelt. Der Entlassungsgrund des § 82 lit d GewO 1859 liege daher nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren des Klägers abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte hat im Verfahren erster Instanz vorgebracht, daß sie die Entlassung nicht deshalb ausgesprochen habe, weil der Kläger das Selchgut überhitzt habe, sondern, weil er die geplatzten Würste, die noch verwendbar und verkäuflich gewesen seien, beseitigt habe. Der Kläger habe sich damit einer strafbaren Handlung schuldig gemacht, die ihn des Vertrauens der Beklagten unwürdig mache, so daß der Entlassungstatbestand des § 82 lit d GewO 1859 erfüllt sei. Die Beklagte hat damit den Ausspruch der Entlassung ausschließlich auf diesen Entlassungsgrund gestützt, so daß das Berufungsgericht die Prüfung der Frage, ob allenfalls das mangelhafte Überwachen der Selchkammer und das dadurch verursachte Beseitigen des Selchgutes die Entlassung rechtfertigen könnte, zu Recht abgelehnt hat.

Gemäß § 82 lit d GewO kann ein Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen läßt. Diese Bestimmung enthält zwei voneinander verschiedene Tatbestände. Bei Diebstahl (§§ 127 bis 131 StGB) und Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB) bedarf es keiner Prüfung, ob eine Vertrauensunwürdigkeit für den Arbeitgeber eingetreten ist; diese wird vom Gesetz als gegeben angesehen. Macht sich jedoch der Arbeitnehmer einer anderen strafbaren Handlung schuldig, so muß diese, um eine Entlassung zu rechtfertigen, objektiv geeignet sein, den Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers herbeizuführen (Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 451 f). Ein Arbeitnehmer verliert dann das Vertrauen des Arbeitgebers, wenn sich dieser mit Rücksicht auf die strafbare Handlung nicht mehr darauf verlassen kann, daß der Dienstnehmer seine Pflichten getreulich erfüllen werde. Es kommt hiebei nicht auf die subjektive Einstellung des Arbeitgebers an, sondern darauf, ob das Verhalten des Dienstnehmers nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise objektiv Vertrauensunwürdigkeit bewirkt; bei der Prüfung der Vertrauensunwürdigkeit des Arbeitnehmers ist auch auf sein bisheriges Verhalten Rücksicht zu nehmen. Ein Arbeitnehmer, der sich während eines langjährigen Arbeitsverhältnisses wohlverhalten hat, wird dabei einen größeren Vertrauensvorschuß erwarten dürfen, als einer, der das Vertrauen des Arbeitgebers bereits auf die Probe gestellt hat (Kuderna, Entlassungsrecht 63).

Die Revisionswerberin bekämpft fast ausschließlich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß das Verhalten des Klägers keinen nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Tatbestand erfüllt habe. Diese Frage kann jedoch dahin gestellt bleiben. Selbst wenn man mit der Revision zum Ergebnis gelangte, daß der Kläger den Tatbestand der dauernden Sachentziehung (§ 135 StGB) oder der Sachbeschädigung (§ 125 StGB) zu verantworten hat, wären die Voraussetzungen für den Ausspruch der Entlassung nach § 82 lit d GewO 1859 nicht gegeben.

Dem Kläger ist es infolge Unachtsamkeit unterlaufen, daß die von ihm zu selchenden Würste zum Teil aufplatzten. Dies wurde, wie dargestellt, nicht als Entlassungsgrund geltend gemacht; ob diese Pflichtverletzung einen Entlassungsgrund erfüllt, ist daher nicht zu prüfen. Daß er das beschädigte Selchgut in der Folge zum Teil zum Abfall warf, hatte seinen Grund darin, daß er auf diese Weise sein Versehen, insbesondere den Umfang des dadurch eingetretenen Schadens verbergen wollte, weil er offenbar Konsequenzen seines Arbeitgebers befürchtete. In dieser Vorgangsweise kommt kein gravierendes Fehlverhalten zum Ausdruck, das die Annahme der Vertrauensunwürdigkeit rechtfertigt. Unzumutbar ist die Weiterbeschäftigung nur dann, wenn der Arbeitgeber auf Grund des bisherigen Verhaltens des Arbeitnehmers objektiv begründet befürchten muß, in Hinkunft durch ähnliche Handlungen des Arbeitnehmers Nachteile zu erleiden. Diese Annahme ist aber dann, wenn der Arbeitnehmer, - wie hier - nur eine Deckungshandlung unternimmt, um einen ihm aus Versehen unterlaufenen Fehler zu verbergen, insbesondere dann nicht gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber dadurch (nämlich durch die Deckungshandlung) kein nennenswerter Schaden entstanden ist. Wohl steht der Wert der beschädigten Würste mit 30.000 S fest, doch ist damit der Wert der unbeschädigten Ware gemeint. Der wesentliche Wertverlust trat durch die Fehlbedienung der Selchkammer auf, die von der Beklagten nicht zum Anlaß der Entlassung genommen wurde. Die aufgeplatzten Würste repräsentierten hingegen keinen besonderen Wert; wenn sie auch noch als zweite Qualität dem Verbrauch zugeführt werden konnten, wurde doch solche Ware von der Beklagten nicht in den Verkauf gebracht, sondern an Arbeitnehmer verschenkt. Der Kläger hat zwar die Würste dadurch, daß er sie zum Abfall warf, der Verfügung der Beklagten entzogen, der wirtschaftliche Schaden, der durch diese Handlung entstand, war jedoch gering. Der Kläger war bei der Beklagten rund 15 Jahre beschäftigt. Wohl sind ihm bei der Arbeit wiederholt Fehler unterlaufen, die zu Beanstandungen Anlaß gaben. Es handelte sich dabei aber um Versehen, wie sie bei dieser Arbeit öfter vorkommen, was sich schon daraus ergibt, daß solche Fehler auch anderen Arbeitern und selbst dem Vorarbeiter unterliefen. Auch wenn man das frühere Verhalten des Klägers berücksichtigt, ist sein Verhalten während der Nachtschicht vom 20.3.1990 zum 21.3.1990, selbst wenn es einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllte, nicht so schwerwiegend, daß die Annahme der Vertrauensunwürdigkeit gerechtfertigt wäre. Das Berufungsgericht hat daher das Vorliegen eines Entlassungstatbestandes im Ergebnis zu Recht verneint.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 392 Abs 2 und § 52 Abs 2 ZPO.

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