OGH 9ObS9/92(9ObS10/92)

OGH9ObS9/92(9ObS10/92)16.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Pipin Henzl und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien 1. E***** F*****, Angestellter, ***** und 2. E***** K*****, Angestellter, ***** beide vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, Wien 4, Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen

1. S 75.967 sA, und 2. S 65.401 sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Februar 1992, GZ 31 Rs 198/91-16, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 31.Jänner 1991, GZ 15 Cgs 503, 504/90-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei die mit S 3.623,04 (darin S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Im übrigen haben die Parteien die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstkläger war bei der ***** R***** K***** Gesellschaft mbH in Wien vom 4.August 1958 bis 4.Februar 1962 als Lehrling, vom 5.Februar 1962 bis 31.Jänner 1983 als Arbeiter und vom 1.Februar 1983 bis 30. Juni 1990 als technischer Angestellter beschäftigt. Der Zweitkläger war bei derselben Arbeitgeberin in der Zeit vom 31.März 1952 bis 30.September 1955 als Lehrling, vom 1.Oktober 1955 bis 30. Juni 1987 als Arbeiter und vom 1.Juli 1987 bis 30.Juni 1990 als technischer Angestellter beschäftigt. Die Arbeitgeberin rechnete dem Erstkläger mit Dienstzettel vom 4.Februar 1983 und dem Zweitkläger mit Schreiben vom 1.Juli 1987 ihre Vordienstzeiten als Arbeiter für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche an.

Am 1.Dezember 1989 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Ausgleichsverfahren eröffnet. Innerhalb offener Frist beantragte die Ausgleichsschuldnerin unter Bezugnahme auf die §§ 20 b und 20 c AO, ihr die Ermächtigung zu erteilen, die Kläger ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder eine längere Kündigungsfrist unter Einhaltung der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder zulässigerweise vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist zu kündigen. Mit Beschluß vom 29.Jänner 1990 erteilte das Ausgleichsgericht die begehrte Ermächtigung. Die an die Kläger gerichteten Kündigungsschreiben lauten unter anderem wie folgt:

"Wir erlauben uns, Ihnen mitzuteilen, daß wir das mit Ihnen bestehende Dienstverhältnis zum 30.6.1990 hiemit aufkündigen; diese Kündigung stützt sich auf den Ermächtigungsbeschluß des Handelsgerichtes Wien vom 29.Jänner 1990."

Mit Bescheid vom 10.Oktober 1990 erkannte die beklagte Partei dem Erstkläger Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 650.290, beinhaltend unter anderem seine Gehaltsansprüche bis 31.März 1990, Abfertigung in Höhe von 12 Monatsentgelten und Urlaubsentschädigung, zu. Mit weiterem Bescheid selben Datums wurden die Ansprüche des Zweitklägers in Höhe von S 531.966, beinhaltend unter anderem seine Gehaltsansprüche bis 31.März 1990, Abfertigung in Höhe von 12 Monatsentgelten und Urlaubsentschädigung, zuerkannt. Mit den Bescheiden vom 11.Oktober 1990 wies die beklagte Partei die darüber hinausgehenden Ansprüche auf Gehalt vom 1.April bis 30.Juni 1990 samt anteiliger Sonderzahlungen ab.

Mit den vorliegenden Klagen begehren die Kläger den Zuspruch der abgewiesenen Beträge. Da ihr Dienstverhältnis auf Grund des Ermächtigungsbeschlusses gemäß den §§ 20 b und 20 c AO gelöst worden sei, handle es sich bei den ihnen zustehenden Forderungen um sogenannte "Quotenforderungen". Bei der Ausgleichstagsatzung seien die Forderungen, da die Kündigungsfrist zufolge der Dienstzeitanrechnung mit fünf Monaten dem Gesetz entsprechend richtig gewählt worden sei, sowohl vom Ausgleichsschuldner als auch vom Ausgleichsverwalter anerkannt worden. Eine lediglich durch Vertrag verlängerte Kündigungsfrist liege entgegen der Ansicht der beklagten Partei nicht vor. Hätte sie die Ausgleichsschuldnerin tatsächlich zum 31.März 1990 gekündigt, stünde ihnen ein Schadenersatzanspruch in Höhe des Klagebetrages zu.

Die beklagte Partei beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Die Ausgleichsschuldnerin habe in ihren Kündigungsschreiben zwar die eingeholte Ermächtigung des Ausgleichsgerichtes angeführt, von dieser Ermächtigung aber inhaltlich keinen Gebrauch gemacht. Sie habe nämlich die Dienstverhältnisse der Kläger gar nicht begünstigt gelöst, da sie ohnehin im Sinne des AngG gekündigt habe. Demnach seien die Voraussetzungen der Bestimmung des § 3 Abs 3 IESG nicht erfüllt. Es seien vielmehr die Regelungen des § 3 Abs 1 und 2 IESG anzuwenden, wonach Insolvenz-Ausfallgeld für gesicherte Ansprüche nur bis zum Ende des dritten Monates gebühre, der auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folge. Dieser Zeitraum habe am 31.März 1990 geendet. Der Anrechnung von Arbeitervordienstzeiten und die daraus resultierende längere Kündigungsfrist sei vertraglich erfolgt und daher nicht zu berücksichtigen. Die eingeklagten Forderungen hätten mangels Kündigung gemäß den §§ 20 b und 20 c AO im Ausgleich als bevorrechtete Forderungen berücksichtigt werden müssen. Für eine Beurteilung des Ausmaßes des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes im Sinne des § 3 IESG sei ein allfälliges Anerkenntnis der Entgeltansprüche durch Ausgleichsschuldner und Ausgleichsverwalter unerheblich.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren des Erstklägers im Umfang eines Teilbetrages von S 25.322 netto sA statt und wies das Mehrbegehren des Erstklägers sowie das Klagebegehren des Zweitklägers zur Gänze ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die aus der Anrechnungsvereinbarung resultierende längere Kündigungsfrist keine gesetzliche, sondern wie eine unmittelbar vertraglich verlängerte Kündigungsfrist zu behandeln sei. Ohne Bedachtnahme auf die vertragliche Vordienstzeitanrechnung ergebe sich für den Erstkläger eine gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten und für den Zweitkläger eine solche von zwei Monaten. Demnach hätten unter Berücksichtigung der Kündigungstermine nach § 20 Abs 2 AngG der Erstkläger am 31.Jänner 1990 zum 30.Juni 1990 und der Zweitkläger zum 31. März 1990 gekündigt werden können. Nach ständiger Rechtsprechung sei der Ausgleichsschuldner im Sinne des § 20 c Abs 2 AO jedoch nicht an die gesetzlichen Kündigungstermine gebunden. Die begünstigte Kündigung des Erstklägers hätte daher zum 30.April 1990 und die des Zweitklägers zum ohnehin gesetzlichen Kündigungstermin, den 31.März 1990 erfolgen können.

Da die Ausgleichsschuldnerin die Kläger unter Berufung auf die Bestimmung des § 20 c AO gekündigt habe, gebühre ihnen Insolvenz-Ausfallgeld bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Dienstverhältnisse bei richtiger Bedachtnahme auf die §§ 25 KO, 20 c AO geendet hätten; dies sei beim Erstkläger am 30.April 1990 und beim Zweitkläger am 31.März 1990 der Fall. Ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld bis zum tatsächlichen Ende der Dienstverhältnisse lasse sich weder aus § 3 Abs 2 noch aus § 3 Abs 3 IESG ableiten. Ein Schadenersatzanspruch der Kläger im Sinne des § 20 d AO könne aus der Kündigung zum ohnehin vertraglich vorgesehenen Endtermin nicht entstehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß eine vertragsmäßige Kündigung keines Hinweises auf die erteilte Ermächtigung bedurft hätte; demgemäß habe die Ausgleichsschuldnerin privilegiert gekündigt. Da in der Bestimmung des § 20 AngG eine ähnliche Einrechnungsvorschrift wie bei § 23 Abs 1 AngG, die auch Arbeitervordienstzeiten berücksichtige, fehle, seien für die Berechnung der Kündigungsfrist der Kläger nur Angestelltendienstzeiten zu berücksichtigen. Auch wenn die Bestimmung des § 20 d AO einen Schadenersatzanspruch wegen einer außerordentlichen Kündigung nach § 20 c AO nicht ausschließe, so könne ein solcher im Hinblick auf die spezielle Bestimmung des § 3 Abs 3 IESG nicht zum Tragen kommen, da alle gesicherten Ansprüche, wie auch Schadenersatzansprüche, von der Regelung des § 3 Abs 3 IESG umfaßt seien.

Gegen dieses Urteil richten sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionen beider Parteien mit dem Antrag der Kläger auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne ihrer Klagebegehren und dem Antrag der beklagten Partei, das Klagebegehren auch hinsichtlich des Erstklägers zur Gänze abzuweisen.

Beide Parteien beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Die Revisionen sind nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision der beklagten Partei:

Auch wenn die Kündigung des Erstklägers vom 31.Jänner 1990 ausgehend von einer irrigerweise angenommenen gesetzlichen Kündigungsfrist von fünf Monaten (zufällig) auf den 30.Juni 1990 gerichtet ist, nahm die Ausgleichsschuldnerin nach dem Verständnis der Beteiligten damit nicht einen gesetzlichen Kündigungstermin wahr, sondern lediglich das Ende der Kündigungsfrist. Dies ergibt sich deutlich daraus, daß sich die Ausgleichsschuldnerin im Kündigungsschreiben für die Kündigung ausdrücklich auf den Ermächtigungsbeschluß des Ausgleichsgerichtes bezieht. Da sohin schon der objektive Erklärungswert der Kündigungen dafür spricht, daß die Ausgleichsschuldnerin eine Kündigung im Sinne der §§ 20 b und 20 c AO ausgesprochen hat, kann es in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob etwa im Hinblick auf den erforderlichen Zugang der Kündigung überhaupt der gesetzliche Kündigungstermin gewahrt geblieben wäre (vgl. Reischauer in Rummel ABGB2 § 902 Rz 3; Martinek-M. Schwarz-W. Schwarz, AngG7 § 20 Erl 16; Arb. 9.866; SZ 48/48 u.a.), zumal eine allfällige Fristwidrigkeit auch nicht eingewendet wurde. Auffassungsdifferenzen bestehen diesbezüglich lediglich über die Länge der gesetzlichen Kündigungsfrist. Liegt aber eine Kündigung nach den §§ 20 b und 20 c AO vor, steht, wie die beklagte Partei selbst einräumt, dem Erstkläger Insolvenz-Ausfallgeld bis 30.April 1990 zu.

Zur Revision der Kläger:

Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, ist der Ausgleichsschuldner bei der Ausübung des begünstigten Kündigungsrechts nicht an die gesetzlichen Kündigungstermine gebunden. Daran hat sich auch durch die Einfügung des § 3 Abs 3 IESG durch die IESG-Novelle 1986, BGBl. 395, die eine Bedachtnahme auf die Kündigungstermine vorsieht, nichts geändert, da dieser Hinweis auf den Kündigungstermin nur für den Fall der Arbeitgeberkündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bedeutung erlangen kann (vgl. Holler, Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz, ZAS 1987, 147 ff, 151 mwH). Da § 3 Abs 3 IESG das Ausmaß der gesicherten Ansprüche längstens für die Zeit bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen beschränkt, können auch mittelbar oder unmittelbar vertraglich vereinbarte Verlängerungen der Kündigungsfrist an sich keine anspruchserhöhende Berücksichtigung finden (vgl. Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 494; 9 Ob S 3/90; 9 Ob S 10/89 u.a.). Darauf kommen die Revisionswerber auch nicht mehr zurück; sie vertreten vielmehr die Ansicht, daß ihnen die geltend gemachte Entgeltforderung als Schadenersatzanspruch zustehe.

Abgesehen davon, daß gegenüber der beklagten Partei weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren erster Instanz Schadenersatzansprüche geltend gemacht worden sind - das diesbezügliche Vorbringen betrifft eine nicht erfolgte Kündigung zum 31. März 1990 - , gehen die Kläger selbst davon aus, daß die Ausgleichsschuldnerin die Kündigungsfrist mit fünf Monaten richtig gewählt habe. Schadenersatzansprüche (Kündigungsentschädigung) könnten diesfalls aber nur entstehen, wenn die Ausgleichsschuldnerin das begünstigte Lösungsrecht unter Verkürzung einer vertraglichen Kündigungsfrist oder vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer ausgeübt hätte (vgl. Schwarz-Holler-Holzer aaO, 499 f; ZfV 1989/908).

Aber auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Revisionswerber im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 20 b Abs 2 und 3, 20 c Abs 2 AO sowie der §§ 3 Abs 3 IESG und 20 AngG können im Anlaßfall nicht geteilt werden. Aus der Zuerkennung von Entgelten als Insolvenz-Ausfallgeld auch für den (jedenfalls gesicherten) Zeitraum bis 31.März 1990 geht hervor, daß sich die Ausgleichsschuldnerin schon von vornherein - wenn auch durch das Insolvenzverfahren bedingt - in Zahlungsverzug befand. Da den Arbeitnehmern auch nach der Ausgleichseröffnung die allgemeinen Lösungsrechte weiter zustehen (Schwarz-Holler-Holzer aaO, 500; 9 Ob 901/92; SZ 54/32; DRdA 1988/7 (Holzer) u.a.), kann keine Rede davon sein, daß die Kläger unter Verletzung ihrer Eigentumsrechte zu minder entlohnter Pflichtarbeit gezwungen gewesen seien. Fragen der möglichen Verkürzung der Abfertigung sind im vorliegenden Fall ohne Belang, da den Klägern ohnehin die nach § 23 Abs 1 AngG höchstmögliche Abfertigung zuerkannt wurde. Kündigungen sind andererseits einseitige Auflösungserklärungen, die keiner Annahme bedürfen; sie sind in ihrer Wirksamkeit vom Willen des Gekündigten unabhängig (Martinek-M. Schwarz-W. Schwarz, AngG7 § 20 Erl 3 mwH). Es kann somit nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kommen, soweit die Ermächtigung zur Kündigung ohne vorherige Einvernahme der zu Kündigenden durch das Ausgleichsgericht erteilt wird. Letztlich ist auch keine "gleichheitswidrige" Differenzierung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten von entscheidender Bedeutung - den Klägern wurden die Vordienstzeiten als Arbeiter ohnehin angerechnet - , sondern die Bestimmung des § 3 Abs 3 IESG, der vertragliche Sonderregelungen nicht berücksichtigt. Diese Bestimmung, welche die Rechtslage der Arbeitnehmer generell gebessert hat, ist aber nicht unsachlich, da es unter anderem dem Wesen der Insolvenzentgeltsicherung als Risikobegrenzung entspricht, durch Anspruchsbegrenzungen und -ausschlüsse eine übermäßige Inanspruchnahme des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hintanzuhalten.

Die Kostenentscheidung ist hinsichtlich des Teilerfolges des Erstklägers in § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG und ansonsten in § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG begründet. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch der Kläger nach Billigkeit haben sie nicht dargelegt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte