OGH 9ObA76/89

OGH9ObA76/8910.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Walter H***, Schwarzdecker, Kapfenberg, Wiener Straße 56, vertreten durch Dr.Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Karl G***, Flachdach-Spezialunternehmer, Kapfenberg, Buchalkerstraße 15, vertreten durch Dr.Gerhard Strobich, Rechtsanwalt in Trofaiach, wegen Feststellung (Streitwert nach dem GGG 6.000 S, nach dem RAT 31.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 1988, GZ 8 Ra 102/88-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 8.August 1988, GZ 21 Cga 102/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.087 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 514,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit Frühjahr 1981 beim Beklagten als Schwarzdecker beschäftigt. Seit 1982 ist der Kläger Mitglied bzw. Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrates. Die erste Betriebsratswahl fand im November 1982 statt. Für 8.Mai 1987, 16.00 Uhr, wurde vom Kläger eine Betriebsversammlung einberufen, anschließend fand die Betriebsratswahl statt. Der Zeitpunkt der Betriebsversammlung war der Belegschaft ca. eine Woche vorher vom Kläger mitgeteilt worden. Der Sekretär der Gewerkschaft Bau- und Holzarbeiter, Josef DEX, war bei der Betriebsversammlung zugegen und erstellte die Wählerliste auf Grund einer Liste der Arbeitnehmer des Beklagten, die eine im Betrieb beschäftigte Sekretärin vorlegte. Auf der Wählerliste schienen 11 Personen auf. Im Unternehmen des Beklagten ist es üblich, daß bei schlechter Auftragslage einzelne Arbeitnehmer für einige Tage oder Wochen bei der Sozialversicherung abgemeldet werden. In diesen Fällen erklärt der Beklagte den davon Betroffenen, daß derzeit weniger Arbeit sei und sie daher "stempeln gehen" müßten. Von den 11 auf der Wahlliste aufscheinenden Personen waren auf diese Weise im Zeitpunkt der Wahl fünf kurzfristig bei der Sozialversicherung abgemeldet, wobei die Abmeldungen zwischen 22. April und 4.Mai 1987 und die Anmeldungen in allen Fällen am 18. Mai 1987 erfolgten. Einzige wahlwerbende Gruppe war die Fraktion sozialistischer Gewerkschafter, deren Listenführer der Kläger war. Die Betriebsversammlung fand im Aufenthaltsraum statt, im Waschraum daneben befand sich die Wahlurne. Dort wurden die leeren Stimmzettel von den Wahlberechtigten mit dem Namen des Gewählten ausgefüllt und in die Urne geworfen. Der Kläger wurde zum Vorsitzenden, Josef W*** zum Stellvertreter und Günter M*** zum Ersatzmitglied gewählt. Der Kläger war vom 17.November bis 20.Dezember 1987 im Krankenstand. Danach teilte er der Sekretärin des Beklagten mit, daß er nunmehr Urlaub nehmen wolle. Diese erklärte ihm daraufhin, daß er bis zum Frühjahr "stempeln gehen" müsse. Am Montag, dem 21. Dezember 1987, wurde dem Kläger die Arbeitsbescheinigung übermittelt, in der als Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Kündigung durch den Arbeitgeber aufscheint. Vor der Kündigung des Klägers holte der Beklagte nicht die Zustimmung des Gerichtes ein. Seit seinem Beginn wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers alljährlich während der Wintermonate unterbrochen; während dieser Zeit bezog der Kläger die Arbeitslosenunterstützung. Mit Schreiben vom 21.März 1988 erklärte sich der Kläger gegenüber dem Beklagten arbeitsbereit, wies auf die Rechtsunwirksamkeit seiner Kündigung hin und verlangte den laufenden Lohn, Überstundenentgelt und Sonderzahlung. Der Beklagte verweigerte dem Kläger jedoch im Frühjahr 1988 die Weiterbeschäftigung.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er als Vorsitzender des Betriebsrates weiterhin ein Arbeitsverhältnis zum Beklagten habe und daß die Kündigung vom 20.Dezember 1978 rechtsunwirksam sei. Die Betriebsratswahl sei bisher nicht angefochten worden. Die Kündigung des Beklagten sei mangels Zustimmung des Gerichtes rechtsunwirksam. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er wandte ein, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers am 20. Dezember 1987 einvernehmlich gelöst worden sei; der Kläger habe sich erstmals mit Schreiben vom 21.März 1988 arbeitsbereit erklärt. Im Betrieb des Beklagten fielen derzeit Schwarzdeckerarbeiten nicht mehr an, und für die übrigen anfallenden Tätigkeiten sei der Kläger körperlich nicht geeignet. Im übrigen sei die Betriebsratswahl vom 8. Mai 1987 nichtig, weil von den 11 Wählern damals 6 nicht mehr im Betrieb des Beklagten beschäftigt gewesen seien.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die einseitige Lösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch den Beklagten mangels Zustimmung des Gerichtes rechtsunwirksam gewesen sei. Die Betriebsratswahl sei nicht nichtig gewesen. Die fünf Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Wahl wegen schlechter Auftragslage vom Beklagten vorübergehend bei der Sozialversicherung abgemeldet worden seien, um Arbeitslosenunterstützung beziehen zu können, seien wahlberechtigt gewesen, weil es sich um typische Aussetzungsvereinbarungen gehandelt habe, bei denen das Arbeitsverhältnis aufrecht bleibe, die wechselseitigen Verpflichtungen (Arbeits- und Entlohnungspflicht) hingegen ruhten. Aber auch ohne diese fünf Arbeitnehmer blieben sechs Wahlberechtigte, sodaß jedenfalls ein Betriebsrat zu wählen gewesen sei. Der Kläger sei Listenführer gewesen, sodaß er in jedem Fall zum Betriebsrat gewählt worden wäre. Ob durch die Teilnahme der beim Sozialversicherungsträger abgemeldeten Arbeitnehmer des Beklagten wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechtes verletzt worden seien, wäre in einem Anfechtungsverfahren nach § 59 Abs 1 ArbVG zu prüfen gewesen. Da in der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Mitteilung des Wahlergebnisses eine solche Anfechtungsklage nicht eingebracht worden sei, sei die Wahl unanfechtbar und ihre Gültigkeit nicht mehr überprüfbar.

Das Berufungsgericht wies den Antrag des Beklagten, das Berufungsverfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des beim Kreisgericht Leoben anhängigen Verfahrens über die auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerichtete Klage des Beklagten gegen den Betriebsrat ab und bestätigte das Ersturteil der Maßgabe, daß die Feststellung, der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung zu entfallen habe. Ferner sprach das Berufungsgericht aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 30.000 S übersteige. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß es die Frage der Nichtigkeit der Betriebsratswahl selbst als Vorfrage zu prüfen habe, sodaß die Unterbrechung nicht zweckmäßig sei. Die Betriebsratswahl sei nicht absolut nichtig im Sinne des § 60 ArbVG gewesen, weil zumindest sechs Wahlberechtigte vorhanden gewesen seien; es könnten daher nur Anfechtungsgründe vorliegen; eine fristgerechte Anfechtung der Wahl sei aber nicht erfolgt. Zwischen den Streitteilen sei das für eine einvernehmliche Vertragsauflösung erforderliche Einvernehmen nicht erzielt worden. Dem Kläger sei lediglich gesagt worden, daß er bis zum Frühjahr "stempeln gehen" müsse, und aus der ihm übermittelten Arbeitsbestätigung sei als Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses "Kündigung durch den Dienstgeber" aufgeschienen. Auf eine derartige einseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses werde eine Äußerung des Erklärungsempfängers weder erwartet noch sei sie erforderlich. Die Unterlassung eines Widerspruches durch den Kläger sei daher nicht als Einvernehmen zu deuten. Mangels Zustimmung des Gerichtes sei die Kündigung des Klägers gemäß § 120 Abs 1 ArbVG rechtsunwirksam.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor

(§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung nur einmal - und zwar in der nächst höheren Instanz - überprüft werden kann, ob ein Verfahrensmangel vorliegt. Da die im § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG vorgesehene Neudurchführung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht in das ASGG nicht übernommen wurde, sodaß nunmehr Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht auch solche des Berufungsverfahrens sind, ist der im allgemeinen zivilgerichtlichen Verfahren geltende Grundsatz, daß Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht mehr mit Revision geltend gemacht werden können, auch im Verfahren in Arbeitsrechtssachen anzuwenden (vgl. SZ 22/106; SZ 27/4; ÖBl 1984, 109; 9 Ob A 104/88; 9 Ob A 258/88; 9 Ob A 31/89 und 9 Ob A 65/89).

Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre wiederholt ausgesprochen hat, können die Partner des Arbeitsvertrages mit Aussetzungsvertrag das vorübergehende Ruhen der beiderseitigen Hauptpflichten vereinbaren. Das Arbeitsverhältnis wird dabei nicht aufgelöst, sondern lediglich ruhend gestellt (vgl. Klein, Zur "Aussetzung" des Arbeitsvertrages, DRdA 1983, 247 ff; Marhold, arbeits- und sozialrechtliche Probleme der Aussetzungsverträge, RdW 1984, 246 ff; Steinbauer, Zur einvernehmlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses, ZAS 1984, 3 ff und 43 ff; Runggaldier, Grenzen und Möglichkeiten der Aussetzung des Arbeitsvertrages, DRdA 1986, 274 ff; Praxmarer, Der Aussetzungsvertrag aus arbeitsrechtlicher Sicht, DRdA 1986, 21 ff; Mosler, Aussetzungsverträge und Anrechnung der Aussetzungszeiten, RdW 1986, 309 ff; Arb. 9.999 = ZAS 1984, 18; RdW 1985, 316 = JBl 1986, 402 = DRdA 1986, 214 [Mosler]; ZAS 1986, 133 [Runggaldier] = JBl 1986, 404; WBl. 1988, 436; WBl. 1988, 438; zuletzt 9 Ob A 268/88). Geht man von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen aus, wonach der Beklagte bei Arbeitsmangel jeweils einseitig durch die Erklärung, die Arbeitnehmer müßten "stempeln gehen", die Aussetzung der Arbeitsverhältnisse anordnete, diese einseitige Erklärung von den Arbeitnehmern hingenommen und nach Ablauf des Aussetzungszeitraums die Arbeitstätigkeit jeweils wieder aufgenommen wurde, dann waren bei gleicher Vorgangsweise im Dezember 1987 die Arbeitsverträge mit den fünf im Zeitpunkt der Betriebsratswahl bei der Sozialversicherung abgemeldeten Arbeitnehmern nicht beendet. Geht man davon aus, daß die Arbeitnehmer einverstanden waren, handelte es sich um eine wirksame Aussetzungsvereinbarung, die das Beschäftigungsverhältnis nicht beendete, sodaß die karenzierten Arbeitnehmer zu Recht an der Betriebsratswahl teilnahmen (vgl. EBzRV 840 BlgNR 13.GP; Strasser in Floretta-Strasser KommArbVG, 219, wonach das "Beschäftigungsverhältnis" im Sinne des § 36 Abs 1 ArbVG nicht von der tatsächlichen Tätigkeit im Betrieb abhängig ist, sondern auch dann vorliegt, wenn diese Tätigkeit vorübergehend infolge Abwesenheit wegen Karenzurlaubes, Ableistung des Präsenzdienstes usw. unterbrochen ist; ferner Runggaldier, Grenzen und Möglichkeiten der Aufsetzung des Arbeitsvertrages, DRdA 1986, 277). Nimmt man hingegen eine schlüssige Zustimmung der Arbeitnehmer nicht an, wäre das Arbeitsverhältnis mangels einer auf Lösung dieses Dauerschuldverhältnisses gerichteten rechtsgestaltenden Erklärung weiterhin - mit allen Rechten und Pflichten aufrecht geblieben. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß im Hinblick auf die bisherige Übung, die Arbeitnehmer bei schlechter Auftragslage für einige Tage oder Wochen abzumelden, für die Arbeitnehmer kein Zweifel bestehen konnte, daß der Arbeitgeber - ungeachtet der gegenüber dem Arbeitsamt in den Arbeitsbescheinigungen fälschlich angegebenen Auflösungsgründe - das Arbeitsverhältnis nicht lösen, sondern nur wie bisher aussetzen wollte (vgl. Klein aaO 248, wonach in solchen Fällen die ausdrücklich erklärte Beendigung des Arbeitsverhältnisses meist nicht wörtlich zu nehmen und entgegen dem ausdrücklich Erklärten keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewollt ist; Runggaldier aaO 276; WBl. 1988, 436). Ebenso ist - im Hinblick auf die bisherige Übung, das Arbeitsverhältnis während der Wintermonate alljährlich auszusetzen - die dem Kläger gegenüber abgegebene Erklärung zu werten, er müsse bis zum Frühjahr "stempeln gehen". Das Schweigen des Klägers auf diese einseitige Erklärung könnte daher keinesfalls als Zustimmung zur Lösung, sondern allenfalls als Annahme des Anbotes des Beklagten, das Arbeitsverhältnis auszusetzen, gedeutet werden. Das auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtete Klagebegehren ist daher berechtigt. Der Revision der beklagten Partei war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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