OGH 13Os40/87

OGH13Os40/8715.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer (Berichterstatter) und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter B*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Linz vom 11.Dezember 1986, GZ 22 Vr 1825/85-310, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Stöger, der Privatbeteiligten Milka P*** und Miljana P*** sowie des Verteidigers

Dr. Trenkwalder, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 1.Feber 1940 geborene, zuletzt längere Zeit beschäftigungslose Walter B*** wurde des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. (1) sowie des Verbrechens des schweren Raubes (in zwei Fällen) nach §§ 142 Abs 1, 143 (erster und zweiter Fall) StGB, in dem zweiten Raubfaktum mit zweifacher Todesfolge nach § 143, letzter Fall, StGB. (2 und 3) schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last,

1. am 8.Oktober 1980 in Linz oder Traun im Zusammenwirken mit dem wegen dieser Tat in einem abgesondert geführten Verfahren bereits rechtskräftig wegen Mordes verurteilten Egon Maurus H*** als Mittäter den Walter S*** getötet zu haben;

2. bei der unter Punkt 1 angeführten Tat in Gesellschaft des auch deshalb bereits in einem abgesondert geführten Verfahren rechtskräftig abgeurteilten Egon Maurus H*** als Beteiligten dem Walter S*** mit Gewalt und unter Verwendung von Waffen einen Bargeldbetrag von etwa 1,100.000 S mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch die Zueignung des Geldes unrechtmäßig zu bereichern;

3. am 26.Jänner 1982 in Linz oder Traun gleichfalls in Gesellschaft des auch deshalb bereits in einem abgesondert geführten Verfahren rechtskräftig abgeurteilten Egon Maurus H*** als Beteiligten den jugoslawischen Staatsangehörigen Milisav und Milojko P*** mit Gewalt und unter Verwendung von Waffen einen Bargeldbetrag von etwa 310.000 S mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch die Zueignung des Geldes unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Gewaltanwendung den Tod von Milisav und Milojko P*** zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte macht Urteilsnichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z. 5, 6, 9 und 12 StPO. geltend.

Er rügt zunächst, daß der Antrag seines Verteidigers auf Abbrechung der Einvernahme des offensichtlich von der Polizei als Lockspitzel eingesetzten Zeugen Dieter C*** abgewiesen und über den damit zusammenhängenden Antrag auf Einvernahme des Polizeibeamten Leopold B*** (IX/S. 228 f.) nicht sogleich vom Schwurgerichtshof entschieden, sondern zunächst die Einvernahme des Zeugen C*** fortgesetzt worden ist.

Abgesehen davon, daß der Schwurgerichtshof über den Antrag auf sofortige Einvernahme des Zeugen B*** nach Stellung einiger ergänzender Fragen an den Zeugen C*** noch vor dessen weiterer Vernehmung entschieden hat (IX/S. 230 und 231), begründet eine widerspruchslos hingenommene Verspätung der Entscheidung über einen Antrag keine Nichtigkeit (SSt. XXXII/2, EvBl 1975 Nr. 180, 11 Os 17/75). Welche Kontakte der Zeuge C*** aber zur Polizei hatte und wie er während der gemeinsamen Haft mit dem Angeklagten bestrebt war, von diesem belastendes Material zu erfahren und an die Polizei weiterzuleiten, hat der Zeuge C*** selbst angegeben (IX/S. 227 ff. und 274). Im übrigen steht ein Verstoß gegen das Verbot des § 25 StPO. nicht unter Nichtigkeitssanktion. Auch kann in der Aufnahme eines in der Anklage beantragten (ON. 252, Pkt. 34 der Zeugenliste), an sich zulässigen Beweises gegen den Widerspruch des Angeklagten keine Verletzung eines die Rechte der Verteidigung sichernden Grundsatzes erblickt werden (KH. 278).

Aus der vom Schwurgerichtshof mit Zwischenerkenntnis ausgesprochenen Abweisung des Antrags auf Beischaffung einer vom Zeugen Robert L*** für einen anderen verfaßten Anzeige gegen Dieter C*** (X/S. 280) kann eine Verletzung von Verteidigungsrechten nicht abgeleitet werden. Der durch dieses Beweismittel nachzuweisende Umstand, daß Dieter C*** ein Mordkomplott gegen Monika K*** angezettelt habe, ergibt sich schon aus der Aussage des als Zeugen vernommenen Anzeigers L*** (X/S. 273, 278 f.). Dazu kommt, daß der Beweisantrag mit der vorliegenden Strafsache nicht zusammenhängt und ein Konnex auch gar nicht behauptet wurde.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung im Zusammenhang mit einer bei ihm vorgelegenen Verletzung die Verlesung der Aussage des Polizeibeamten W*** beantragt und zu diesem Zweck die Beischaffung der bezüglichen Strafakten vorgeschlagen (X/S. 425). Diesem Vorgang fehlen mehrfach die formellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rüge im Nichtigkeitsverfahren: 1. Ein Beweisthema wurde nicht genannt. Der Angeklagte erklärte vielmehr, damit "nichts beweisen" zu wollen (X/S. 427). 2. Die Verteidigung hat anläßlich der Abstandnahme von dieser Beweiserhebung durch den Vorsitzenden keinen Beschluß des Schwurgerichtshofs beantragt, der allein unter dem angezogenen Nichtigkeitsgrund gerügt werden könnte (KH. 1044, 2677, 9 Os 136/81). 3. Der beizuschaffende Akt ist unauffindbar und damit der beantragte Beweis nicht durchführbar (X/S. 425). Eine Nichtigkeit gemäß Z. 5 liegt aber auch nicht vor, soweit der Beschwerdeführer in den gegen seinen Widerspruch verlesenen Angaben seiner geschiedenen Ehegattin und seines Sohnes, die beide in der Hauptverhandlung von dem ihnen gemäß § 152 Abs 1 Z. 1 StPO. zustehenden Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht hatten, einen vor allem nach Art. 6 § 1 und § 3 lit d MRK. verpönten Vorgang erblickt. Die Verlesung der von Sicherheitsorganen beurkundeten Angaben von Zeugen (Auskunftspersonen) ist im § 252 Abs 2 StPO. vorgeschrieben ("Schriftstücke, die für die Sache von Bedeutung sind, müssen vorgelesen werden") und zwar ungeachtet dessen, ob den betreffenden Personen von den sie befragenden Organen das ihnen zustehende Entschlagungsrecht (Art. V EGVG., §§ 49, 50 AVG., §§ 24, 38 VStG.) bekanntgegeben wurde, was im vorliegenden Fall bei der geschiedenen Ehegattin des Angeklagten ohnedies geschah. Der Auffassung des Beschwerdeführers zuwider ist aber auch die Verlesung der von Sicherheitsorganen aufgenommenen Niederschriften (Protokolle) mit Personen, die sich sodann in der Hauptverhandlung zulässigerweise der Aussage entschlagen haben, mit Art. 6 § 1 und § 3 lit d MRK. nicht schlechthin unvereinbar (EuGRZ. 1987 S. 147 ff.; zum Inhalt des dort abgedruckten Urteils einläßlich Schmoller in RiZ. 1987 S. 192 ff.). Anträge aber zur Widerlegung oder Abschwächung der Beweiskraft der verlesenen Depositionen seiner geschiedenen Gattin und seines Sohnes hat der Angeklagte nicht gestellt (vgl. 14 Os 81/87). Außerdem kommt den verlesenen Bekundungen angesichts der Resultate des umfassenden Beweisverfahrens überhaupt nur eine untergeordnete Rolle zu. Das gleiche gilt, soweit der Beschwerdeführer seine Verteidigungsrechte dadurch für verletzt hält, daß entgegen seinem Widerspruch (X/S. 364, 422) in der Hauptverhandlung auch die ihn belastenden Angaben des gesondert verurteilten Egon Maurus H*** gemäß § 252 (Abs 1 Z. 3) StPO. verlesen wurden. Der Angeklagte erachtet diese Verlesung deshalb für unzulässig, weil H***, in der Hauptverhandlung gegen ihn wiederholt

vernommen, die Beantwortung von Fragen des Verteidigers abgelehnt hatte (X/S. 360). Der Beschwerdeführer vermeint das ihm gemäß Art. 6 § 3 lit d MRK. zustehende Recht, an Belastungszeugen Fragen zu stellen oder stellen zu lassen, verletzt.

H*** ist in der gegen den Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung zweimal vorgeführt worden, hat aber jedes Mal eine Aussage zur Sache verweigert (IX/S. 215 ff.; X/S. 343 ff.). Schließlich begehrte der Verteidiger selbst (!) die Abbrechung der Einvernahme des Zeugen H*** (X/S. 362), welchem Antrag das Gericht nachgekommen ist. Unter diesen Umständen lagen die Voraussetzungen für die Verlesung der von H*** gemachten Angaben gemäß § 252 Abs 1 Z. 3 StPO. vor. Von einer Beeinträchtigung des Rechts, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, kann sonach keine Rede sein. Die Beschwerdeausführungen zu den Z. 6 und 9 erschöpfen sich zunächst im Vorwurf, daß der Inhalt der im abgesonderten Verfahren gegen H*** gefällten Schuldsprüche in den Fakten S*** und P*** mit den angefochtenen Schuldsprüchen nicht in Einklang zu bringen sei; werde doch H*** jeweils ein Zusammenwirken mit einem anderen Mittäter, und zwar im Faktum S*** mit Adolf H*** und im Faktum P*** mit einem bis dahin unbekannt gebliebenen Beteiligten (s. 26 Vr 753/84 des Landesgerichts Linz) angelastet. Außerdem enthalten, so das Beschwerdevorbringen, die beiden Urteile auch Abweichungen, was den jeweiligen Tatort anlangt. Ferner wird unter Hinweis darauf, daß dem Wahrspruch zu den Hauptfragen 1, 3 und 4 sowie zur Zusatzfrage 6 und den darauf gegründeten Schuldsprüchen sowohl im Fall S*** als auch im Fall P*** weder der Tatort noch die jeweilige Tötungsart, aber auch nicht die jeweils an der Tat Beteiligten zu entnehmen seien, der Sache nach eine unzureichende Individualisierung der Straftaten geltend gemacht (da das Geschwornenurteil keine Begründung der Schuldsprüche enthält, kommt keine unzureichende Konkretisierung, sondern nur eine unzureichende Individualisierung - der Schuldfragen und des Urteilssatzes -in Frage).

Indes vermag der Beschwerdeführer keinen der angezogenen Nichtigkeitsgründe (Z. 6 und 9) darzutun. Er übersiehd zunächst, daß eine Bindung an die geschwornengerichtliche Verurteilung des Mittäters H*** nicht besteht und demnach die Laienrichter die im vorliegenden Verfahren ihnen unterbreiteten Schuldfragen auf Grund der hier gegebenen Beweislage zu beurteilen hatten (13 Os 170/82).

Es trifft aber auch nicht zu, daß die dem Rechtsmittelwerber nach dem Inhalt des jeweiligen Wahrspruchs zur Last liegenden Straftaten einer ausreichenden Individualisierung entbehren. Gemäß § 312 Abs 1, zweiter Satz, StPO. sind in eine Hauptfrage alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw. soweit beizufügen, als es zur deutlichen Bezeichnung der Tat (oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche) notwendig ist. Zur hinreichenden Individualisierung einer Tat genügt eine solche Beschreibung, daß - entsprechend dem Grundsatz "ne bis in idem" (materielle Rechtskraft) - eine Verwechslung mit einer anderen Tat ausgeschlossen ist. Diesem Erfordernis entsprechen die den Angeklagten betreffenden Schuldfragen. Jene Tatsachen, welche die gesetzlichen Merkmale im Einzelfall verwirklichen, sind in den Fragen angeführt. Einer darüber hinausgehenden Spezialisierung des Tathergangs im Sinn einer erschöpfenden Tatbeschreibung bedarf es nicht (10 Os 187/84 u.a.; Foregger-Serini3 Anm. II zu § 312 StPO.). Durch eine Tatbeschreibung, in welcher das Verhalten des Nichtigkeitswerbers als Töten eines Menschen bzw. als eine unter Anwendung von Gewalt und unter Verwendung von Waffen herbeigeführte Wegnahme von Geld bezeichnet wird, sowie durch die Anführung der Tatzeit und der Namen der jeweiligen Tatopfer, aber auch durch den Hinweis auf die Orte Linz oder Traun sind die Taten - im Sinn des einzigen Erfordernisses der Individualcsierung (siehe oben) - verwechslungsfrei bezeichnet.

Unrichtig ist weiters die Beschwerdebehauptung, daß die Schuldfragen auch die jeweils an der Tat beteiligten Personen offen ließen. Geht doch aus den von den Geschwornen bejahten Hauptfragen 1, 3 und 4 unmißverständlich hervor, daß der Angeklagte jeweils mit Egon Maurus H*** als Mittäter bzw. in dessen Gesellschaft als "Beteiligter" (Raubgenosse) gehandelt hat. Damit ist die Rüge nach der Z. 6 endgültig gescheitert.

Schließlich versagt auch der bereits unter den Z. 6 und 9 vorgebrachte und in der Rechtsrüge (Z. 12) wiederholte Einwand, daß der Wahrspruch zur Hauptfrage 1 (die Hauptfrage 2 nach Mord an Milisav und Milojko P*** wurde verneint) eine Aussage zur subjektiven Tatseite vermissen lasse. Da diesem Wahrspruch ein vorsätzliches (auf Tötung des Walter S*** gerichtetes) Handeln nicht zu entnehmen sei, hätte nur ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB.) ergehen dürfen. Dem ist entgegenzuhalten, daß § 7 Abs 1 StGB. - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - vorsätzliches Handeln des Täters voraussetzt. Im Hinblick auf diese Vorschrift bewirkt allein der Umstand, daß die Schuldform des Vorsatzes in einer Fragestellung nach Mord (§ 75 StGB.) nicht enthalten ist, keine wie immer geartete Nichtigkeit (SSt. 46/49, 13 Os 168/86, 12 Os 122/86 u.v.a.). Im übrigen ist in der den Laienrichtern gemäß § 321 StPO. erteilten Rechtsbelehrung auf das Vorsatzerfordernis beim Mord ausdrücklich hingewiesen worden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Dieses negative Schicksal teilt auch die Berufung des Angeklagten. Mit ihr bekämpft er das Adhäsionserkenntnis, wonach er

zur ungeteilten Hand mit Egon Maurus H*** den Privatbeteiligten Milka P*** und Miljana P*** je

einen Ersatzbetrag von 155.000 S zu bezahlen hat.

Die den getöteten Ehegatten der Privatbeteiligten vom Angeklagten und Egon Maurus H*** geraubte Barschaft betrug laut dem Verdikt und dem ihm folgenden Schuldspruch (3) ca. 310.000 S. Die Ungenauigkeit der Bezifferung, worauf die Berufung verweist, läßt angesichts der Angaben der Privatbeteiligten, denen der Angeklagte nichts Bestimmtes entgegenzusetzen hatte (X/S. 187, 207), eine Reduzierung nicht zu. Es war sonach von den Angaben der beiden Privatbeteiligten auszugehen. Nach den weiteren Aussagen eben dieser Zeuginnen hatte auch jeder ihrer Gatten die Hälfte des Geldbetrags, den später der Angeklagte und H*** raubten, aufgebracht (X/S. 177 ff., 202 ff.).

Da somit die Ergebnisse des Strafverfahrens ausreichten, um auf Grund dessen über die Ersatzansprüche verläßlich urteilen zu können, erging die mit der Berufung angefochtene Entscheidung zu Recht (§ 366 Abs 2 StPO.).

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