OGH 12Os122/86

OGH12Os122/8627.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.November 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kiss als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hubert Michael M*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten und die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 17. März 1986, GZ 20 i Vr 7447/85-87, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Gehart und des Verteidigers Dr. Erhart, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen. Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird dahin Folge gegeben, daß der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.November 1963 geborene Hubert Michael M*** des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt.

Der Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonform auf das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gerichtete Hauptfrage (Zl. 1) stimmeneinhellig verneint, hingegen die auf Totschlag lautende Eventualfrage (Zl. 2), ob sich Hubert (Michael) M*** am 25. oder 26.Juni 1985 in Wien in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, nämlich weil Hans Joachim S*** von ihm homosexuelle Handlungen begehrte und ihn verhöhnte, dazu habe hinreißen lassen, den Genannten durch fünf Stiche in den Hals mit einem Messer mit etwa 20 mm Klingenbreite und 12 cm Klingenlänge zu töten, mehrheitlich bejaht und die Zusatzfrage (Zl. 5) nach allfälliger Zurechnungsunfähigkeit stimmeneinhellig verneint hatten; weitere Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (mit Todesfolge: Zl. 3), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (Zl. 4) oder Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (Zl. 6) waren folglich nicht aktuell geworden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten Hubert Michael M***, der die Z 6, 8 und 12 des § 345 Abs 1 StPO geltend macht, und der Staatsanwaltschaft, welche ebenfalls die Z 6 und 12 der zitierten Gesetzesstelle releviert. Der Angeklagte bemängelt in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zunächst (Z 6) die Nichtanführung des Tatbestandsmerkmals der Vorsätzlichkeit in der (von den Geschwornen bejahten) Eventualfrage nach Totschlag, aber auch in der (unbeantwortet gebliebenen) Eventualfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang; dies indes zu Unrecht. Denn die Aufnahme von Merkmalen des in Betracht kommenden Tatbestands, die vom Gesetz (§ 7 Abs 1 StGB) subintelligiert werden, in die darauf gerichtete (Schuld-)Frage ist grundsätzlich nicht geboten (SSt. 46/49; 9 Os 147/83). Im vorliegenden Fall war das Unterbleiben der Erwähnung des Vorsatz-Merkmals in den Eventualfragen Zl. 2 und Zl. 4 - den Beschwerdeausführungen zuwider - auch in concreto nicht geeignet, bei den Geschwornen zu Unklarheiten über die jeweiligen (subjektiven) Tatbestandserfordernisse zu führen. In der Rechtsbelehrung (Beilage B zu ON 86) wird nämlich in auch für Laien verständlicher Form nach dem allgemeinen Hinweis auf das (zuvor in seiner Bedeutung klargestellte) Strafbarkeitserfordernis vorsätzlichen Handelns (unter anderem) bei Mord, Totschlag und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (S 1) zur Eventualfrage Zl. 2 noch besonders darauf hingewiesen, daß der Totschlag einen privilegierten Fall vorsätzlicher Tötung darstellt (S 4 oben), und zur Eventualfrage Zl. 4 wird unmißverständlich gesagt, daß bei Körperverletzung mit tödlichem Ausgang Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz erforderlich ist, wogegen bei Tötungsvorsatz Mord oder Totschlag anzunehmen wäre (S 8). Den Vorschriften über die Fragestellung war Genüge getan, wenn sich der Schwurgerichtshof bei der Formulierung der Eventualfragen Zl. 2 und Zl. 4 - obwohl im Hinblick auf den Wortlaut der Hauptfrage Zl. 1 inkonsequent - an den Gesetzeswortlaut (§§ 76; 83, 86 StGB) anschloß.

Dem auf § 345 Abs 1 Z 8 StPO gestützten Beschwerdevorbringen des Angeklagten zuwider kann darin, daß im allgemeinen Teil der Rechtsbelehrung (S 2) eine Abgrenzung der - in der Eventualfrage Zl. 3 (§ 87 StGB) vorkommenden - Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) von (bloß) bedingtem Vorsatz (§ 5 Abs 1 zweiter Halbsatz StGB) ohne Bezugnahme auf die Vorsatzdefinition des § 5 Abs 1 erster Halbsatz StGB gegeben wurde, keine einer Unrichtigkeit gleichkommende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung erblickt werden. Denn der in der Rechtsbelehrung ohnehin (S 1) wiedergegebene erste Halbsatz des § 5 Abs 1 StGB umschreibt lediglich den Gesamtbereich des Vorsatzes, innerhalb dessen die Vorsatzstufen der Absicht, der Wissentlichkeit und eben des bedingten Vorsatzes zu unterscheiden sind (vgl. Nowakowski im WK § 5 Rz. 1 und 5). Unrichtige Vorstellungen der Geschwornen über die in concreto wesentliche Rechtslage konnten durch die bemängelte Passage der Rechtsbelehrung keinesfalls hervorgerufen werden.

Die vom Beschwerdeführer gerügte Unstimmigkeit im als "Zusammenfassung" bezeichneten Anhang der Rechtsbelehrung über die jeweils dann eintretenden Folgen, wenn im Falle der Bejahung der Hauptfrage Zl. 1 oder einer der Eventualfragen Zl. 2 bis 4 "... die Zusatzfrage aber unbeantwortet bleibt oder verneint wird", war nicht geeignet, die Geschwornen über die für ihren Wahrspruch wesentlichen Umstände zu beirren. Denn die Zusatzfrage ist im Fragenschema ausdrücklich als solche (§ 317 Abs 3 StPO) "für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 oder einer der Eventualfragen 2 - 4" bezeichnet und ist von den Geschwornen ohnedies beantwortet worden. Dies hätte im übrigen niemals zu einer Unrichtigkeit, sondern höchstens zu einer Unvollständigkeit des Wahrspruchs führen können, der gemäß § 332 Abs 4 StPO gegebenenfalls abzuhelfen gewesen wäre. Mit seinem Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 12 StPO ist der Angeklagte schließlich darauf zu verweisen, daß die in der Rechtsbelehrung über den subjektiven Tatbestand des Verbrechens nach § 76 StGB - wie bereits dargelegt - hinreichend instruierten Geschwornen durch die Bejahung der auf diesen Tatbestand gerichteten Schuldfrage auch den nach dem Gesetz subintelligierten (§ 7 Abs 1 StGB) Tötungsvorsatz als erwiesen angenommen haben, wiewohl dieser in der betreffenden Schuldfrage nicht ausdrücklich erwähnt wird. Von einem Feststellungsmangel im Wahrspruch, demzufolge nicht beurteilt werden könnte, ob der Angeklagte statt des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB etwa (nur) jenes der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) begangen hätte, kann demnach nicht die Rede sein, geschweige denn von einer den Freispruch des Angeklagten nach sich ziehenden Nichtigkeit des Urteils nach § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO wegen "Fehlens einer Schuld".

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Die Staatsanwaltschaft rügt unter dem Gesichtspunkt des § 345 Abs 1 Z 6 StPO die Eventualfrage (Zl. 2) nach Totschlag, welche ihrer Ansicht nach nicht hätte gestellt werden dürfen. Den Antrag des Staatsanwalts auf Unterbleiben dieser (und noch einer) Eventualfrage hatte der Schwurgerichtshof abgewiesen; sofort nach der Verkündung dieser Entscheidung, deren Gründe der Vorschrift des § 238 Abs 2 (§ 302 Abs 1) StPO zuwider aus dem Verhandlungsprotokoll nicht ersichtlich sind, hatte sich der öffentliche Ankläger die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten (S 329/II).

Darüber hinaus macht die Anklagebehörde den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 12 StPO mit der Begründung geltend, die der Entscheidung zugrunde liegende Tat sei rechtsirrig nicht als Mord (§ 75 StGB), sondern als Totschlag (§ 76 StGB) beurteilt worden.

Diesem Beschwerdevorbringen ist zum Teil beizupflichten:

Ob in der Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachen in rechtlicher Beziehung geeignet sind, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat einem (bestimmten) anderen (nicht strengeren) als dem in der Anklageschrift angeführten Strafgesetz zu unterziehen, und sonach eine entsprechende Eventualfrage an die Geschwornen zu stellen ist (§ 314 Abs 1 StPO), ist vom Schwurgerichtshof zu beurteilen. Geht es wie hier als Alternative zur Mordanklage um den mit vergleichweise geringerer Strafe bedrohten (privilegierten) Tatbestand des Totschlags, welcher dadurch charakterisiert ist, daß sich der Täter zur vorsätzlichen Tötung eines anderen in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen läßt, dann hat der Schwurgerichtshof die Rechtsfrage (12 Os 83/85) zu prüfen, ob die vorgebrachten Tatsachen, wenn sie (von den Geschwornen) als erwiesen angenommen werden, den (behaupteten) tiefgreifenden Affekt, in welchem sich der Angeklagte zur Tötung hinreißen ließ, auch allgemein begreiflich erscheinen lassen (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 § 314 ENr. 38; 12 Os 74/84). Wird durch eine darnach nicht indizierte Eventualfrage nach Totschlag den Geschwornen die nach dem Verfahrensergebnis nicht gerechtfertigte Möglichkeit eröffnet, auf dieses mit geringerer Strafe bedrohte Delikt auszuweichen, so liegt der Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO vor, der zum Nachteil des Angeklagten geltend gemacht werden kann (§ 345 Abs 4 StPO), wenn erkennbar ist, daß der Verstoß einen die (Mord-)Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung üben konnte (vgl. ÖJZ-LSK 1978/209 = RZ 1978/54 = EvBl 1979/6).

Im Hinblick darauf, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung (wie schon bei seiner letzten Vernehmung durch den Untersuchungsrichter S 89 a/I) die Tötung überhaupt bestritt, kam als Tatsachenvorbringen (§ 314 Abs 1 StPO) in Richtung eines zur Tötungshandlung führenden Affekts (lediglich) jene in der Hauptverhandlung als Beweismittel vorgeführte (§§ 308 Abs 1, 252 Abs 1 Z 2 und Abs 2 StPO) Verantwortung in Betracht, die er am 1. Juli 1985 im Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien und anschließend vor dem Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien sowie am 3.Juli 1985 beim zuständigen Untersuchungsrichter vorgebracht hatte (SSt. 51/29): Darnach habe er sich in der Wohnung des mit ihm befreundet gewesenen (querschnittgelähmten) Hans Joachim S***, nur mit einer Unterhose bekleidet, in ein Bett gelegt, worauf sich S*** auf die Bettkante gesetzt, ihn am Oberkörper abgegriffen und zum Duschen oder Schaumbaden aufgefordert habe. Er habe dies abgelehnt, sei aber trotz seiner Abwehr von S*** wiederum am

Oberkörper abgegriffen worden, weshalb er ihm homosexuelle Neigung vorgeworfen, ihn geohrfeigt, vom Bett heruntergestoßen und schließlich mit einer (neben dem Bett gestandenen) teilweise geleerten Mineralwasserflasche, die dabei zersplitterte, auf den Kopf geschlagen und verletzt habe. Nach einiger Zeit habe sich S*** abermals genähert, worauf er aufgestanden sei, ein auf einem Tisch liegendes Messer ergriffen und S*** damit bedroht habe. Auf dessen sinngemäßen Vorhalt, er solle "nicht kindisch sein" ("sich nicht wie ein Kind benehmen"), habe er durchgedreht und S*** mehrere Messerstiche in den Hals versetzt. Sodann habe er sich angekleidet, in der Handtasche des S*** sowie in mehreren Laden erfolglos nach Geld gesucht

und schließlich die Wohnung verlassen (Bd. I S 61 bis 66 = S 139

bis 144; S 67 bis 70 = S 165 bis 168; S 85 bis 89).

Nach dieser Sachverhaltsdarstellung des Angeklagten mangelt es an der allgemeinen Begreiflichkeit des behaupteten tiefgreifenden Affekts. Bei der Prüfung dieser Voraussetzung des Totschlags nach § 76 StGB ist nämlich - unter Berücksichtigung aller Tatumstände und der psychologischen Zusammenhänge - von einem objektiven Standpunkt auszugehen: Um "allgemein begreiflich" zu sein, muß der für den spontanen Tatentschluß kausale Affekt des Täters derart entstanden sein, daß auch ein rechtstreuer Mensch von derselben geistigen und körperlichen Beschaffenheit sich vorstellen könnte, er geriete in der gegebenen Situation gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung. Demnach unterliegt zwar nicht die in diesem Ausnahmezustand gesetzte vorsätzliche Tötung eines Menschen, wohl aber die konkrete Gemütsbewegung des Täters in ihrer gesamten, auch zum Zurückdrängen verstandesmäßiger Erwägungen und zur Überwindung starker sittlicher Hemmungen geeigneten Dimension, also einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit, in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß rechtsethischer Bewertung und muß allgemein verständlich sein (ÖJZ-LSK 1977/379; EvBl 1982/167; JBl 1986, 261 ua). Über die beschriebenen, sei es auch beharrlichen, homosexuellen Annäherungsversuche einer befreundeten Person in der gegebenen Situation und über die Reaktion des anderen auf die folgenden, den singulären Konflikt unangemessen eskalierenden ernsten Mißhandlungen (bloß) mit dem nach den Umständen noch keineswegs als schwerwiegende Beleidigung oder Verhöhnung zu wertenden Vorhalt, doch nicht kindisch zu sein (sich kindisch zu benehmen), in eine so heftige Erregung zu geraten, daß man in einem die Überwindung selbst stärkster sittlicher Hemmungen ermöglichenden Ausmaß "durchdreht", entzieht sich der allgemeinen Begreiflichkeit nach den dargelegten Kriterien (vgl. 10 Os 74/83; Moos im WrK § 76 Rz. 44, 48). Läßt sich die Überreaktion - wie unter den hier vorgebrachten Umständen - nur aus einer psychischen abnormen Persönlichkeitsstruktur des Täters erklären (vgl. in dieser Richtung das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Heinrich G***, S 543/I und S 317 f/II), so ist sie eben nicht allgemein begreiflich im Sinne des § 76 StGB (Moos aaO Rz. 38; Kienapfel BT I 2 § 76 RN 30 und 31 jeweils mit Judikaturnachweisen).

Die von der Staatsanwaltschaft gerügte Eventualfragestellung nach dem Verbrechen des Totschlags war aus diesem Grund verfehlt (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO) sowie geeignet, die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch zu beirren und einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung üben (§ 345 Abs 4 StPO). Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft schon aus diesem Grunde Folge zu geben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 344, 285 c StPO). Auf die Ausführungen der Beschwerde zum Grund der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO war - zumal auch der Wahrspruch in tatsachenmäßiger Hinsicht auf eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung iS des § 76 StGB deutet - nicht mehr einzugehen.

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