OGH 13Os65/87

OGH13Os65/8711.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Juni 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bibulowicz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Friedrich D*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und 2 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. März 1987, GZ. 20 f Vr 9430/86-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Weber, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 7 (sieben) Jahre erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen wurde der am 19. Juli 1963 geborene Friedrich D*** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und 2 (erster Fall) StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 17.Juli 1986 in Wien dem Heinrich L*** dadurch, daß er ihm einen Schlag ins Gesicht versetzte, wodurch jener zu Boden stürzte, und daß er dann fünfmal dessen Kopf an den Haaren jeweils etwa 30 cm in die Höhe riß und mit Wucht auf den Boden schlug, wodurch L*** eine Gehirnprellung erlitt, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB.) absichtlich zugefügt, wobei die Tat schwere Dauerfolgen (§ 85 StGB.) in Gestalt eines schweren Leidens mit Berufsunfähigkeit, nämlich ein sich in psychischen Wesensveränderungen, hochgradigen Bewegungseinschränkungen (Nervenlähmungen des rechten Arms, des rechten Beins und der rechten Gesichtshälfte), Sprachstörungen, Gedächtnismangel und Konzentrationsschwäche auswirkendes traumatisches Psychosyndrom nach sich gezogen hat.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher er geltend macht, daß durch das Unterbleiben von "Fragen in Richtung Putativnotwehr bzw. Notwehrüberschreitung ..... aus asthenischen Gründen" (S. 427) Vorschriften über die Fragestellung verletzt worden seien (§ 345 Abs. 1 Z. 6 StPO.).

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung waren indes die von ihm vermißten Fragen durch kein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung (§§ 313, 314 StPO.) indiziert. Die (in der Beschwerde nur unvollständig wiedergegebene) Tatschilderung des Nichtigkeitswerbers in der Hauptverhandlung lautet:

In der Küche wollte er (L***) gegen mich aufreiben und ich

habe ihm mit der Faust eine auf den Mund (gegeben). Er hat sich

gedreht und unter dem Fallen hat er ein Messer vom Tisch

gerissen ..... ich habe ihn aufreiben lassen und gab ihm dann

eine ins Gesicht ..... Wegen der ewigen Provokationen von ihm

..... Ich habe ihm aus Ärger eine gegeben. L*** hat sich

gedreht und ist gefallen und hat das Messer mitgenommen. Dann habe ich ihn nicht mehr aufstehen lassen. Er hat das Messer dann wieder ausgelassen. Als er aufstehen wollte, habe ich ihm einen Tritt in den Hinterteil gegeben und da hat er das Messer verloren. Dann lag er am Bauch und ich bin über ihm gestanden und mit der linken Hand habe ich ihn am Rock und mit der rechten Hand am Haaransatz genommen und habe ihn aufgezogen am Kopf und hinuntergeschlagen, kräftig. Dann habe ich ihn liegen lassen ....." (S. 365, 366) und: "Der ganze Haß, der sich bei mir aufgestaut hat, hat eine Entladung gebraucht ..... Das Ganze ist aus Zorn erfolgt ....." (S. 368).

Daraus ergeben sich keine Hinweise, daß der Täter irrtümlich das Vorliegen einer Notwehrsituation angenommen (§ 8 StGB. in Verbindung mit § 3 Abs. 1 StGB.) und die Grenzen seines vermeintlichen Notwehrrechts lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (§ 3 Abs. 2 StGB. in Verbindung mit § 8 StGB.) überschritten habe. Sonach bestand zu Fragen in dieser Richtung kein Anlaß.

Das Geschwornengericht verhängte über Friedrich D*** nach dem ersten Strafsatz des § 87 Abs. 2 StGB. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das brutale Vorgehen des Täters und dessen einschlägige Vorstrafe (§ 83 Abs. 1 StGB.), als mildernd hingegen das zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis und daß Anlaß für die Tat eine heftige, durchaus noch verständliche Gemütserregung war.

Mit ihren Berufungen begehren die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Freiheitsstrafe, der Angeklagte eine Herabsetzung. Der Berufungswerber D*** konzediert dem Erstgericht, daß es die Strafbemessungsgründe im wesentlichen vollständig angeführt habe; angesichts seines aus dem Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. G*** erhellenden abnormen Geisteszustands und seiner sehr vernachlässigten Erziehung erscheine eine fünfjährige Freiheitsstrafe überhöht.

Die Staatsanwaltschaft hinwieder vermeint, von einer durchaus verständlichen Gemütserregung könne keine Rede sein, zumindest aber komme diesem Umstand kein besonderes Gewicht zu. Zum anderen sei das brutale Vorgehen des Täters gewichtiger zu bewerten, weil L*** sich ohne fremde Hilfe nicht mehr fortbewegen könne und einer artikulierten Sprache nicht mehr mächtig sei.

Zu Recht begehrt die Staatsanwaltschaft eine Straferhöhung. Berücksichtigt man, daß dem Angeklagten als weiterer Erschwerungsumstand rascher Rückfall zur Last fällt, wurde er doch erst am 6.Juni 1986 vom Strafbezirksgericht Wien, AZ. 1 U 1574/86, wegen § 83 Abs. 1 StGB., sohin wegen nahezu desselben Tatbestands (vorsätzliche Körperverletzung) abgestraft, und wägt man ferner, daß Heinrich L*** zum Krüppel geschlagen wurde, sich ohne ständige Betreuung nicht mehr von der Stelle bewegen kann und beträchtliche Sprechschwierigkeiten hat (Seite 380 ff.), so erweist sich die vom Erstgericht ausgemessene Strafe als zu gering.

Dazu kommt, daß der Gesetzgeber mit dem neuen Strafgesetzbuch erklärtermaßen lebensnahe Strafdrohungen geschaffen hat, die unter gegebenen Umständen - was wäre sonst ihr Zweck - auszuschöpfen sind. Folgerichtig entspricht es dem oft bekundeten Gesetzesziel, in Fällen schwerster Rechtsbrüche seitens rückfallgeneigter Täter die spezialpräventiv erforderliche (und damit resozialisierungsnotwendige) Sanktion der oberen Hälfte des Strafrahmens zu entnehmen (13 Os 127/81, 13 Os 150/81, 13 Os 184/81, 13 Os 102/82, 13 Os 89/83, 13 Os 106/83, 13 Os 215/83, 13 Os 114/85). Der erste Strafsatz des § 87 Abs. 2 StGB. reicht von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Auf Grund aller zuvor angeführten Überlegungen erschien dem Obersten Gerichtshof ein Freiheitsentzug in der Dauer von sieben Jahren der sich im Verschulden und im ungewöhnlich hohen Unrechtsgehalt des Verbrechens manifestierenden Täterpersönlichkeit des Friedrich D*** adäquat.

Dem Angeklagten, der mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen war, ist zu erwidern, daß die Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine sehr vernachlässigte Erziehung bietet. Diese wäre außerdem wegen längeren Zurückliegens und zwischenzeitiger Abstrafungen nicht mildernd (siehe LSK. 1983/38). Darum lediglich am Rande: Das Verhältnis des Berufungswerbers zu seinen Eltern hat sich erst nach seinem Mopedunfall im Jahr 1981 verschlechtert (Seite 359), zu dieser Zeit war der Erziehungsprozeß aber bereits abgeschlossen. Vorher hatte er einen guten Kontakt zu seinen Eltern (Seite 303).

Der vom psychiatrischen Sachverständigen konstatierten beträchtlichen affektiven Spannung, die durch die körperlich begründbare Persönlichkeitsstörung (posttraumatisch) in ihrer Entwicklung begünstigt wurde, kommt besonderes strafmilderndes Gewicht nicht zu, weil die Konfliktsituationen D*** jeweils durch vorangegangenen Alkoholkonsum ausgelöst wurden und ihm bekannt gewesen ist (siehe § 35 StGB.), daß er im alkoholisierten Zustand zu Aggressionshandlungen neigt (Seiten 313, 347).

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