OGH 1Ob41/86

OGH1Ob41/8614.1.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred B***, Kraftfahrer, Kaiserslautern, Tirolfstraße 15, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Hubert Tramposch, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 151.284,41 und DM 70.816,69 sowie Feststellung (Streitwert S 5.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. August 1986, GZ 5 R 205/86-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. März 1986, GZ 6 Cg 258/84-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 14.773,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Der am 29.6.1953 geborene Kläger, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, wurde am 30.Jänner 1974, 16,15 Uhr, in Graz in Polizeihaft genommen. Mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 2.Februar 1974, 15 Vr 55/74, wurde über den Kläger gemäß §§ 175 Abs 1 Z 2 und 3, 177 StPO die Verwahrungshaft, mit Beschluß desselben Gerichtes vom 8.Februar 1974 gemäß § 180 Abs 2 Z 1 bis 3 StPO die Untersuchungshaft verhängt. Der Kläger stand im Verdacht, mit einem PKW Haschisch nach Österreich verbracht, aus einem Hotel einen Perserteppich im Wert von ca. S 10.000 gestohlen sowie das Finanzvergehen des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels begangen zu haben. Enthaftungsanträge des Klägers blieben vorerst erfolglos. Das Oberlandesgericht Graz sprach mit Beschluß vom 25.Juli 1974, 7 Ns 230/74, aus, daß die über den Kläger verhängte Untersuchungshaft wegen der besonderen Schwierigkeiten und des besonderen Umfanges der Untersuchung bis zu einem Jahr dauern dürfe. Nach Kundmachung der gegen den Kläger wegen des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SGG, des Vergehens nach den §§ 35 Abs 1 lit b, 38 lit a und b FinStrG und des Vergehens des Diebstahls nach den §§ 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB erhobenen Anklage wurde schließlich mit Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 3.Februar 1975 die Untersuchungshaft über ihn unter Anwendung der gelinderen Mittel des § 180 Abs 5 Z 1, 3, 4 und 5 StPO aufgehoben. Der Kläger wurde am 3. Februar 1975 um 16 Uhr enthaftet. Nachdem der Kläger zur Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz am 13. Mai 1977 nicht erschienen war, wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen ihn gemäß § 57 StPO ausgeschieden, nach dem § 422 StPO abgebrochen und am 12.Februar 1976, nachdem das Landgericht Kaiserslautern die weitere Strafverfolgung übernommen hatte, beendet. Mit Urteil des Landgerichtes Kaiserslautern vom 27.November 1980, 14 Js 6749/76 KLs, wurde der Kläger freigesprochen. Das dem Kläger zur Last gelegte Handeltreiben mit Haschisch könne aus tatsächlichen Gründen nicht festgestellt werden. Hierauf gab die Staatsanwaltschaft Graz am 8.April 1981 die Erklärung ab, daß von weiteren Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger abgesehen werde. Mit Schriftsatz vom 6.4.1982 beantragte der Kläger beim Landesgericht für Strafsachen Graz gemäß § 6 Abs 1 StEG die Feststellung, daß die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a StEG für die vom Kläger in der Zeit vom 30.1.1974, 16,15 Uhr, bis 3.2.1975, 16 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren 9 Vr 55/74 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vorlägen. Mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, wurde ausgesprochen, daß diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Kläger machte mit Schreiben vom 27.1.1982, 17.5.1982 und 10.3.1983 seine auch auf die Bestimmungen des Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK gestützten, den Gegenstand dieser Klage bildenden Ansprüche bei der Finanzprokuratur geltend. Die Finanzprokuratur lehnte mit Schreiben vom 2.5.1983 sämtliche Ersatzansprüche des Klägers ab.

Der Kläger begehrt den Zuspruch der Beträge von S 151.284,41 und DM 70.816,69 je samt Anhang sowie die Feststellung, daß die beklagte Partei dem Kläger wegen dessen zwangsweisen Aufenthaltes in Graz vom 30.1.1974 bis 1.4.1975 für die Nachentrichtung der Beiträge zur Pensionsversicherung gemäß § 506 a ASVG bzw. alle künftigen Schäden hafte, die ihm durch die Nichtentrichtung der Beiträge entstehen werden. Im Leistungsbegehren ist ein Betrag von S 104.050 für die Abgeltung des durch die Haft erlittenen immateriellen Schadens enthalten. Die weiteren Ansprüche beziehen sich auf Verdienstausfall, Rechtsanwaltskosten, Kosten, die im Zusammenhang mit der Beschlagnahme zweier PKWs entstanden sind, Reisekosten für Eltern und Bruder, Ersatz von Unterhaltszahlungen des Vaters, Fotokopierkosten, Inseratenkosten, Porti und Telefon- sowie Bankgebühren. Der Kläger stützte seine Ansprüche auf Ersatz seines immateriellen Schadens auf die Bestimmungen der Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK; die übrigen Ansprüche werden sowohl auf diese Bestimmungen als auch auf § 2 Abs 1 lit a StEG gestützt. Auf sämtliche Ansprüche des Klägers seien die Verfahrensregeln des Amtshaftungsgesetzes anzuwenden. Dieses kenne aber keine Entscheidung des Strafgerichtes über die Anspruchsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit einer Freiheitsentziehung. Die Zivilgerichte hätten daher, ohne an den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, gebunden zu sein, selbständig über die auf die Rechtswidrigkeit der Haft gegründeten Ansprüche des Klägers zu entscheiden. Die Verhaftung und Anhaltung des Klägers sei rechtswidrig gewesen, es habe kein hinreichender Tatverdacht bestanden, im Bericht über die Verhaftung sei kein Haftgrund angegeben worden, der Kläger sei nicht unverzüglich, sondern erst drei Tage nach seiner Verhaftung einem Richter vorgeführt worden (Verletzung des Art.5 Abs 3 Satz 1 MRK), die Vorschriften der §§ 179 Abs 2, 180 Abs 1, 180 Abs 8 Satz 3, 193 Abs 1 und 193 Abs 2 StPO seien verletzt worden. Es hätten überhaupt keine Haftgründe bestanden. Die Beweiserhebungen des zuständigen Untersuchungsrichters seien erst vier Wochen nach dem Beweisanbot des Klägers an die Bundespolizeidirektion Graz und von dieser erst am 23.8.1974 an die Interpol Wiesbaden weitergeleitet worden. Die beklagte Partei wendete ein, soweit der Kläger seine Ansprüche auf das strafrechtliche Entschädigungsgesetz stütze, sei das Zivilgericht gemäß § 6 Abs 7 StEG an die ablehnende Entscheidung des Strafgerichtes gebunden. § 6 Abs 7 StEG wäre aber auch für die Geltendmachung von Ansprüchen nach Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK analog anzuwenden. Haftentschädigungsansprüche seien keine zivilrechtlichen Ansprüche im Sinne des Art.6 Abs 1 MRK. Die Vorschrift des § 6 StEG entspräche den Grundsätzen des Art.6 Abs 1 MRK. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, habe der Rechtslage entsprochen. Die vom Kläger angeführten Schadenspositionen würden generell bestritten. Im übrigen seien alle geltend gemachten Ansprüche verjährt, da der Kläger erst 1982 den Antrag an das Strafgericht gestellt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme ab. Da der Oberste Gerichtshof mit seinem Urteil vom 16.9.1985, 1 Ob 14/85 = JBl 1986, 444, keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs 7 StEG gehegt habe, stehe einer analogen Anwendung dieser Bestimmung auch auf Ansprüche nach Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK nichts entgegen. Durch den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, sei daher auch für das Zivilverfahren bindend ausgesprochen worden, daß auch Ansprüche nach Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK nicht zu Recht bestünden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Anregung des Klägers, das Berufungsgericht möge beim Verfassungsgerichtshof beantragen, § 6 Abs 7 StEG wegen Verfassungswidrigkeit (Verstoß gegen Art.6 Abs 1 MRK) aufzuheben, werde wegen der Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 16.9.1985, 1 Ob 14/85 = JBl 1986, 444, nicht nähergetreten. Darüber hinaus trete das Berufungsgericht der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß jedenfalls für die Ansprüche, die auf § 2 Abs 1 lit a StEG gestützt werden, eine Bindung an die Entscheidung des Strafgerichtes gegeben sei, weil § 6 Abs 7 StEG ausdrücklich normiere, daß der rechtskräftige Beschluß des Strafgerichtes für das weitere Verfahren bindend sei. Damit könne man den vom Erstgericht gezogenen Schluß billigen, daß die Verneinung eines Anspruches auf Ersatz von Vermögensschäden, wie ihn § 1 StEG vorsehe, durch das Strafgericht sich auch auf den Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden erstrecke. Es wäre aber auch nach den Vorschriften des Amtshaftungsgesetzes die Abweisung des Klagebegehrens begründet. Die Rechtsprechung habe mit Billigung durch die Literatur die Auffassung vertreten, daß Schadenersatzansprüche nach Art.5 Abs 5 MRK wegen konventionswidriger Entziehung der Freiheit im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen seien. Gleiches müsse auch für Ansprüche nach Art.8 Abs 3 StEG gelten. Der Kläger sei bundesdeutscher Staatsangehöriger. Er mache nun Ansprüche aus einem Verhalten von Organen der Republik Österreich geltend, die zeitlich vor Änderung des § 7 AHG durch das Bundesgesetz vom 1.4.1982, BGBl. Nr.204, lägen; dieses Gesetz finde keine Anwendung auf Schäden, die vor seinem Inkrafttreten entstanden seien. Das schädigende Ereignis habe sich auch vor dem Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland BGBl.1979/120 ereignet. Mit der Bundesrepublik Deutschland sei zuvor Gegenseitigkeit nicht verbürgt gewesen. Damit allein schon sei dem Kläger die Geltendmachung von Ansprüchen, die aus dem Amtshaftungsgesetz abgeleitet werden und nach dem Amtshaftungsgesetz durchgesetzt werden sollen, verwehrt. Selbst wenn man aber davon ausginge, daß dem § 7 AHG durch Art.5 Abs 5 und Art.14 MRK teilweise derogiert sei, wäre damit für den Kläger nichts gewonnen, weil die von ihm behauptete rechtswidrige Freiheitsentziehung am 3.2.1975 beendet gewesen sei; jedenfalls hätten dem Kläger bis Ende 1975 die Anspruchsvoraussetzungen bekannt sein müssen; spätestens Ende 1975 habe die Verjährungsfrist des § 6 AHG zu laufen begonnen. Für den Kläger hätte klar erkennbar sein müssen, daß nur Organe des Bundes rechtsverletzend tätig geworden sein konnten. Damit sei der Anspruch des Klägers, soweit er über das Amtshaftungsgesetz innerstaatlich geltend gemacht werde, zum Zeitpunkt seiner Geltendmachung mit Schriftsätzen an die Finanzprokuratur in den Jahren 1982 und 1983 bereits längst verjährt gewesen. Die Geltendmachung sei sohin verspätet, gleichgültig ob man die Verjährungsbestimmung des § 6 Abs 1 AHG als materiellrechtliche Einschränkung des Haftentschädigungsanspruches oder als bloße verfahrensrechtliche Hindernisse deute. Solche erschienen zulässig, weil die österreichischen Verjährungsbestimmungen jedenfalls allgemeinem rechtsstaatlichem Erwartungsniveau entsprächen. Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Nach Art.8 Abs 3 StGG verpflichtet jede gesetzwidrig verfügte oder verlängerte Verhaftung den Staat zum Schadenersatz an den Verletzten. Nach Art.5 Abs 5 der gemäß Art.II Z 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes BGBl.1964/59 im Verfassungsrang stehenden Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten hat jeder, der entgegen den Bestimmungen des Art.5 Abs 1 bis 4 MRK von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, Anspruch auf Schadenersatz. Diese im Verfassungsrang stehenden Vorschriften gewähren, was bisher zwar nur für Art.5 Abs 5 MRK ausgesprochen wurde (SZ 48/69), ebenso aber für die inhaltsgleiche Vorschrift des Art.8 Abs 3 StGG gilt (Schantl, Das Grundrecht auf Haftentschädigung in Österreich, 23), im innerstaatlichen Bereich selbständige, auch unmittelbar durchsetzbare Ansprüche. Der einfache Gesetzgeber ist aber dennoch zur Erlassung von Ausführungsgesetzen dieser verfassungsrechtlichen Vorschriften befugt und, soweit sie einer Ergänzung bedürfen, auch verpflichtet. Ein solches Ausführungsgesetz ist das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz, BGBl.1969/270 (Binder,

Der Haftentschädigungsanspruch, ZfV 1977, 124, 127, 128; vgl. BGHZ 45, 58, 66, 71, 74). Soweit der Kläger nach § 1 StEG ersetzungsfähigen Schadenersatz begehrt, kann er diesen ausschließlich nur nach den Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes als Durchführungsbestimmung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Ansprüche nach Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK geltend machen. Bestehen solche Ansprüche unter Anwendung der Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes, etwa wegen der Bindungswirkung nach § 6 Abs 7 StEG, nicht zu Recht, ist es dem Kläger verwehrt, unter Außerachtlassung dieser Bindung allein auf die verfassungsrechtlichen Grundvorschriften zurückzugreifen und Ersatz, der nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz abzulehnen wäre, nach der Menschenrechtskonvention oder dem Staatsgrundgesetz zu begehren; würde dem Kläger ein solches Recht eingeräumt werden, wären die Vorschriften des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes insgesamt obsolet.

Soweit der Kläger ausschließlich nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz zu beurteilende vermögensrechtliche Nachteile geltend macht, bestehen seine Ansprüche wegen der dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, gemäß § 6 Abs 7 StEG zukommenden Bindungswirkung nicht. Der erkennende Senat hat schon in seiner die Ansprüche des Klägers nach § 2 Abs 1 lit b StEG betreffenden Entscheidung vom 16.9.1985, 1 Ob 14/85 = JBl 1986, 444 (SZ 58/142) mit eingehender Begründung dargelegt, daß er keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit (behaupteter Verstoß gegen Art.6 Abs 1 MRK) der Bestimmung des § 6 Abs 7 StEG hat. Die Schantl in seiner Besprechung der Entscheidung 1 Ob 14/85 in JBl 1986,446 f folgenden, in der Revision für die Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs 7 StEG geltend gemachten neu vorgetragenen Argumente überzeugen nicht. So trifft es nicht zu, daß im Verfahren nach § 6 StEG keine Waffengleichheit zwischen Geschädigtem und Staatsanwaltschaft bestünde. § 6 Abs 3 StEG bestimmt, daß vor der Beschlußfassung der Angehaltene oder Verurteilte zu hören ist und die für die Feststellung erforderlichen Beweise aufzunehmen sind, soweit sie nicht bereits im Strafverfahren erhoben wurden. Wie bereits in der Entscheidung 1 Ob 14/85 ausgeführt wurde, muß eine verfassungskonforme Auslegung des § 6 StEG dazu führen, daß im Einzelfall dem Anspruchswerber Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wird; das gilt auch für eine Gegenschrift der Staatsanwaltschaft. Eine allfällige Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die Strafgerichte im Einzelfall macht die Bestimmung des § 6 Abs 7 StEG noch nicht verfassungswidrig. Die Bestimmungen des § 6 StEG verstoßen aber auch nicht gegen Art.6 Abs 1 MRK, weil der Beschluß des Strafgerichtes nicht öffentlich verkündet wird. Durch diese Vorschrift werden die Vertragsstaaten nicht verpflichtet, jedes Urteil zu verkünden; bloß wenn es verkündet wird, hat dies öffentlich zu geschehen (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 685). Erfolgte keine Verkündung der Entscheidung, genügt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Zustellung der Entscheidung an die Beteiligten und die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich diese Entscheidung, etwa durch Akteneinsicht, zugänglich zu machen (EuGRZ 1985, 548; EuGRZ 1985,225; Frowein-Peukert aaO 149 FN 9). Im übrigen könnte der Kläger durch das bloße Unterlassen der öffentlichen Verkündung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in seinen Rechten nicht verletzt sein. Soweit in der Revision auf die Möglichkeit des Erfolges einer Wahrungsbeschwerde nach § 33 Abs 2 StPO durch den Generalprokurator beim Obersten Gerichtshof verwiesen wird, wird schon in dieser richtig ausgeführt, daß deren Erledigung auf die Rechtsposition des Klägers keinen Einfluß haben könnte (§ 292 StPO). Da nach § 1 StEG nur die durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile dem Geschädigten zu ersetzen sind, gelten die Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes entgegen der Auffassung der Vorinstanzen für darüber hinausgehende, in anderen Sondergesetzen geregelte Ansprüche nicht. Es kommt daher auch dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 22.12.1982, 11 Os 105,106/82 = EvBl 1983/147, für diese Ansprüche keine Bindungswirkung im Sinne des § 6 Abs 7 StEG zu; dies ergibt sich auch schon aus dem Ausspruch des Obersten Gerichtshofes selbst, mit dem nur festgestellt wurde, daß die Voraussetzungen des Ersatzanspruches nach dem § 2 Abs 1 lit a StEG nicht vorliegen. Es entspricht nun ständiger, von der Lehre gebilligter Rechtsprechung, daß der Ersatzanspruch nach Art.5 Abs 5 MRK und damit auch der im wesentlichen inhaltsgleiche nach Art.8 Abs 3 StGG vom Verschulden unabhängig ist und auch immateriellen Schaden umfaßt (SZ 55/18; JBl 1982, 263; SZ 48/69; Strasser in JBl 1975, 648 ff; Binder aaO 126; Moser in AnwBl.1977, 441; Funk-Gimpel-Hinteregger in EuGRZ 1985,16; Berger in EuGRZ 1983, 283; vgl. Frowein-Peukert, EMRK 103; Schorn, Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 177 f; Guradze, EMRK 86). Soweit über das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz hinausgehende Ansprüche geltend gemacht werden, sind nicht dessen Verfahrensvorschriften, sondern die des Amtshaftungsgesetzes anzuwenden (SZ 55/18; SZ 52/153; SZ 48/69; Binder aaO 130; vgl. § 11 Abs 1 StEG), sodaß schon aus diesem Grund der in der Revision geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO, der darin erblickt wird, daß nicht der Amtshaftungssenat die Entscheidung zu fällen gehabt hätte, nicht vorliegt. Über die Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes hinausgehende Ersatzansprüche des Klägers sind aber, wie die beklagte Partei zutreffend einwendete, verjährt. Ansprüche auf Ersatz immaterieller und sonstiger schuldhaft oder schuldlos herbeigeführter Schäden sind, wie bereits in der Entscheidung 1 Ob 14/85 dargelegt wurde, nicht nur im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern auch im innerstaatlichen Bereich zivilrechtliche Ansprüche, die in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallen (VfSlg 5519/1967; VfSlg 3062/1956). Der Geschädigte und der Rechtsträger stehen sich prozessual mit gleichen Rechten und Pflichten gegenüber (Berger, Die zivilrechtlichen Folgen von Grundrechtsverletzungen in Österreich, EuGRZ 1983, 236 f). Daß der Schadenersatzanspruch auch ohne Verschulden eines Organes besteht, vermag an seiner Natur als gewöhnlicher Schadenersatzanspruch (§ 1338 ABGB) nichts zu ändern (VfSlg 5519/1967). Wäre dies nicht der Fall, wäre auch die Klage zurückzuweisen. Nur für subjektive öffentlich-rechtliche Ansprüche gilt aber der Satz, daß Verjährung überhaupt nicht einzutreten habe, wenn die Gesetzesvorschrift des öffentlchen Rechtes eine Verjährung nicht vorsieht (VfSlg 7617/1975).

Daß nicht irgendein Organ, sondern der "Staat" zu haften hat, ergibt sich bereits aus Art.8 Abs 3 StGG. Zur Ergänzung der im übrigen materiell- und verfahrensrechtlich unvollständigen verfassungsrechtlichen Schadenersatzbestimmungen bedarf es aber, soweit keine konkreten Regelungen erlassen wurden, eines Rückgriffes auf das übrige nationale Recht (vgl Binder aaO 128). Welcher Rechtsträger zu haften hat und in welchem Verfahren der Anspruch geltend zu machen ist, ergibt sich nur aus einer sinngemäßen Anwendung des Art.23 Abs 1 B-VG und des aufgrund des Art.23 Abs 4 B-VG erlassenen Amtshaftungsgesetzes, das allein auch die Haftung für Gesetzesverletzungen in Vollziehung der Gesetze allgemein regelt. Die sinngemäße Anwendung des Amtshaftungsgesetzes hat nur dort ihre Grenze, wo bereits die verfassungsrechtlichen Vorschriften den Schadenersatzanspruch anders regeln; Haftung tritt also auch ohne Verschulden eines Organes ein; den Schadenersatzanspruch hat aber auch "jeder", der entgegen den Bestimmungen des Art.5 Abs 1 bis 4 MRK von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, so daß die Beschränkungen des § 7 AHG alter Fassung, die auch für den Anspruch des Klägers Bedeutung haben müßten, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht gelten (Binder aaO 134). Kein Anhaltspunkt besteht aber dafür, daß Art.5 Abs 5 MRK die dort vorgesehenen Schadenersatzansprüche entgegen den für zivilrechtliche Ansprüche allgemein geltenden Grundsätzen (VfSlg 7617/1975) nicht verjähren lassen wollte. Der Ansicht Schantls aaO 53, daß die materiellrechtlichen Vorschriften des Amtshaftungsgesetzes ganz allgemein überhaupt nicht sinngemäß heranzuziehen wären, ist jedenfalls aus den schon dargestellten Gründen über die Notwendigkeit einer gewissen Einbindung der sehr allgemein gehaltenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht zu folgen. Für den Kläger wäre im übrigen nichts gewonnen, wollte man mit Vrba-Zechner, Komm. zum Amtshaftungsrecht 36, und Zechner in ZfV 1985, 592 die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes ablehnen, weil dann nach der bereits dargestellten Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes immer noch die allgemeinen Regeln des "gewöhnlichen" Schadenersatzrechtes zu gelten hätten. Sowohl diesem als auch dem Amtshaftungsrecht ist aber gemeinsam, daß Ansprüche nach drei Jahren verjähren. Auch für Schadenersatzansprüche nach Art.8 Abs 3 StGG und Art.5 Abs 5 MRK sind die durchaus einem rechtsstaatlichen Erwartungsniveau entsprechenden, insoweit mit § 1489 ABGB übereinstimmenden Verjährungsvorschriften des § 6 Abs 1 AHG anzuwenden (vgl. Binder aaO 137; BGHZ 45, 64, 70, 74 ff.). Die Anhaltung des Klägers war am 3.2.1975 beendet. Die Geltendmachung der nicht auf das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz gestützten Ersatzansprüche erfolgte erstmals mit Aufforderungsschreiben vom 27.1.1982. Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungszeit des § 6 Abs 1 AHG bereits längst abgelaufen.

Die Abweisung des Klagebegehrens erfolgte daher zu Recht. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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