Normen
ABGB §1293
ABGB §1323
ABGB §1325
ABGB §1329
AHG §1
Menschenrechtskonvention Art5
ABGB §1293
ABGB §1323
ABGB §1325
ABGB §1329
AHG §1
Menschenrechtskonvention Art5
Spruch:
Demjenigen, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft durch einen Träger öffentlicher Gewalt entzogen wurde, stehen gegen den Rechtsträger, dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Art. 5 MRK verletzten, auch durch die Verletzung des Rechtsgutes der Freiheit entstandene immaterielle Schäden mitumfassende, vom Verschulden der Organe unabhängige Schadenersatzansprüche zu
OGH 18. Juni 1975, 1 Ob 226/74 (OLG Wien 7 R 188/74; LGZ Wien 40 b Cg 506/74)
Text
Der Verfassungsgerichtshof erkannte in dem Verfahren zu Zl. B 15/73 am 27. Juni 1973 zu Recht, daß der damalige Beschwerdeführer und nunmehrige Kläger durch seine Verwahrung in der Arrestzelle des Bezirkspolizeikommissariates L in der Zeit von 4.00 bis 11.00 Uhr des 2. Dezember 1972 in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie durch seine Fesselung in dieser Arrestzelle in der Zeit von seiner Einlieferung bis 4.00 Uhr in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden sei.
Da die durch Organe der beklagten Partei der Republik Österreich veranlaßte Einschränkung der persönlichen Freiheit und die ihm seitens dieser Organe widerfahrene unmenschliche und erniedrigende Behandlung gemäß Art. 5 Abs. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Verbindung mit § 8 StGG die beklagte Partei als Rechtsträger zum Schadenersatz verpflichte, begehrt der Kläger mit der vorliegenden Amtshaftungsklage für die erlittene körperliche und seelische Unbill einen Betrag von 6000 S.
Die beklagte Partei hat den erhobenen Anspruch dem Gründe und der Höhe nach bestritten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend von dem Inhalt des wiedergegebenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes führte es in rechtlicher Hinsicht aus, daß nach dem Amtshaftungsgesetz nur Ersatz für Schäden am Vermögen und an der Person begehrt werden könne. Der Eintritt eines Vermögensschadens werde vom Kläger nicht behauptet, ebensowenig eine Körperverletzung. Die Vorschriften der §§ 1329 und 1330 ABGB betreffend den Schadenersatz bei Freiheitsberaubung und Verletzung der Ehre könnten nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AHG keine Anwendung finden; auch nach den Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes sei der Bund nur für die dem Geschädigten entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile haftbar.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung Folge und hob die erstinstanzliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Das Erstgericht habe zunächst übersehen, daß der Kläger Schadenersatz "für eine körperliche und vor allem seelische Unbill" fordere. Bereits im Aufforderungsschreiben des Klägers an die beklagte Partei sei Ersatz für körperliche und seelische Schmerzen begehrt worden. Wenngleich die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof mehrfach aufgestellte Behauptung, die vom Kläger im Verlauf der Amtshandlung an der Stirne aufgetretene Platzwunde sei auf ein rechtswidriges Organverhalten zurückzuführen, nicht mehr ausdrücklich wiederkehre, so wäre jedenfalls eine entsprechende Klarstellung (§ 182 ZPO) herbeizuführen gewesen. Die Klage hätte vor einer Klärung des diesbezüglichen Sachverhaltes nicht mit der Begründung, vom Kläger seien keine Körperschäden behauptet worden, abgewiesen werden dürfen. Das Verfahren erweise sich insoweit als mangelhaft; eine Verfahrensergänzung in der aufgezeigten Richtung sei deshalb nicht zu umgehen.
In rechtlicher Hinsicht verwies das Berufungsgericht zunächst auf die in EvBl. 1967/232 abgedruckte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes. Diese Grundsatzentscheidung bringe zum Ausdruck, daß
a) im Gegensatz zu der von Loebenstein - Kaniak (Kommentar zum Amtshaftungsgesetz 67, 135) vertretenen Ansicht Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz wahl-, hilfs- oder ergänzungsweise auch neben jenen nach den - inzwischen durch das Bundesgesetz vom 8. Juli 1969, BGBl. 270/1969, über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz - StEG) abgelösten - Gesetzen vom 18. August 1918, RGBl. 318 (Entschädigung für Untersuchungshaft), bzw. vom 2. August 1932, BGBl. 242 (Entschädigung für ungerechtfertigt verurteilte Personen), geltend gemacht werden können und b) sich die Haftung des Rechtsträgers auch auf Schäden am Vermögen und an der Person erstrecke, die als Folge eines schuldhaften widerrechtlichen Freiheitsentzuges aufgetreten seien. Werde davon ausgegangen, dann sei die Frage zu prüfen, ob Schadenersatz auch für bloß seelischen, nicht auf eine körperliche Beschädigung zurückgehende Unbill verlangt werden könne. Von der Rechtsprechung werde diese Frage zwar verneint, doch seien zwei namhafte Autoren (Strasser, der Immaterielle Schaden im österreichischen Recht, 1964, und Bydlinski,
Der Ersatz des immateriellen Schadens als sachliches und methodisches Problem, JBl. 1965, 173 und 237) in ihren wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem übereinstimmenden Ergebnis gelangt, daß Freiheitsberaubung zum Schadenersatz im Sinne voller Genugtuung durch Geldersatz führen könne. Das Berufungsgericht schließe sich diesen Lehrmeinungen an und und billige dem Kläger auch für die bloße sowohl die Verwahrung im Arrest wie auch die Fesselung umfassende Freiheitsberaubung Schadenersatz in Geld zu. Art. 5 Abs. 5 der Menschenrechtskonvention gewähre demjenigen Schadenersatz, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme und Haft betroffen werde. Da die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Verfassungsrang genieße (BGBl. 59/1964, Art. II Z. 7) und auch § 11 (zu ergänzen: Abs. 1) StEG normiere, daß Ansprüche, die über den Rahmen des Strafgerichtlichen Entschädigungsgesetzes hinausgehen, nur nach dem Amtshaftungsgesetz erfaßbar seien, erscheine es geboten, in verfassungskonformer Auslegung der Bestimmung des § 1 Abs. 1 AHG bei schuldhaftem widerrechtlichem Freiheitsentzug durch Organe des Rechtsträgers Schmerzengeld auch ohne äußere körperliche Verletzung als Ersatz immateriellen Schadens zu gewähren. Der Kläger werde daher zu einer Aufgliederung der Beträge zu verhalten sein, die er einerseits wegen der behaupteten, im fortzusetzenden Verfahren noch zu erörternden körperlichen Verletzung und andererseits wegen der ihm zugefügten seelischen Unbill begehrt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin bekämpft vor allem die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, daß dem Kläger auch für erlittene seelische Unbill ein Anspruch auf Geldersatz zustehe. Seelische Schmerzen dürften, so wird im Rekurs ausgeführt, nach ständiger Rechtsprechung und entgegen der im angefochtenen Aufhebungsbeschluß zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung nur dann in Geld abgegolten werden, wenn sie als Folge einer widerrechtlich zugefügten körperlichen Beschädigung auftreten. Es werde nicht übersehen, daß in der Zeit einer ständig wachsenden Unsicherheit der persönlichen Freiheit (Flugzeugentführungen, Terroranschläge, Kidnapping usw.) die von den Opfern solcher Anschläge erlittenen Ängste, Schmerzen und seelischen Qualen abgegolten werden sollten. Nach der derzeitigen Gesetzeslage wäre auch in diesen krassen Fällen ein Ersatzanspruch der jeweiligen Opfer wegen Freiheitsentzuges im Sinne des § 1329 ABGB nicht gegeben. Nur der Gesetzgeber, nicht aber die Rechtsprechung, könnte hier Abhilfe schaffen. Fehle ein Rechtsanspruch des Geschädigten wegen Freiheitsentzuges schon im Bereiche des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, dann umsomehr im Geltungsbereich des Amtshaftungsgesetzes. Fleisch (Keine Amtshaftung für rechtswidrige schuldhafte Freiheitsentziehungen? ÖJZ 1965, 57 ff. und 93 ff.) vertrete zwar die Auffassung, daß die im § 1 Abs. AHG gewählte Formulierung, "Der Bund, die Länder ... haften ... für den Schaden am Vermögen oder an der Person", auch Ersatzansprüche für seelische Unbill umschließe, da auch eine solche der Person zuzuordnen sei; diese extensive Auslegung der zitierten Vorschrift entspreche jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers.
Diese Ausführungen lassen vor allem unberücksichtigt, daß der Kläger den erhobenen Anspruch ausdrücklich auf Art. 5 Abs. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 210/1958, gestützt hat, die zufolge Art. II Z. 7 des Bundesgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. 59, mit den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt wurden, Verfassungsrang besitzt.
Der Oberste Gerichtshof hat zunächst die Frage zu prüfen, ob Art. 5 MRK die Grundlage eines klagbaren Schadenersatzanspruches bilden kann, also innerstaatliches Recht darstellt, des dem jeweils Betroffenen unmittelbar Ansprüche gewährt. Die Literatur zu diesem Problem (siehe Ermacora, Handbuch, 5, Anm. 9; Klecatsky, Die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 über die Staatsverträge, JBl. 1964, 358; Kohl, Die europäische Sozialcharta und die Österreichische Rechtsordnung, JBl. 1965, 81; Pfeifer, Die Parlamentarische Genehmigung von Staatsverträgen in Österreich, ÖZöffR XII, 1962, 59 ff.; Vasak, La Convention Europeenne des Droits de l'Homme, 1964, 228 ff.; Winkler, Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Staatsverträgen, JBl. 1961, 8 ff.; Schäffer, Der Zivilrechtsbegriff der Menschenrechtskonvention, ÖJZ. 1965, 517 ff.) ist überaus umfangreich. Während sonst völkerrechtliche Verträge regelmäßig nur die Vertragspartner, also die Staaten oder sonstigen vertragschließenden Völkerrechtssubjekte, zur Erlassung entsprechender innerstaatlicher Gesetze oder zu sonstigem vertragsgemäßem Verhalten verpflichten, schafft die Konvention in einigen ihrer Bestimmungen bewußt unmittelbar wirksame Ansprüche einzelner Personen. Dies gilt insbesondere für Art. 25 Abs. 1 MRK, der die sogenannte Individualbeschwerde vorsieht, nämlich die Möglichkeit, daß jede natürliche Person wegen Verletzung ihrer in der Konvention anerkannten Rechte die Europäische Kommission für Menschenrechte anrufen kann (Scheuner, Festschrift für Jahrreiss, 1964, 355).
Die unmittelbare Gewährung von Ansprüchen durch die Konvention ergibt sich für den vom Kläger angerufenen Art. 5 Abs. 5 MRK zunächst aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Norm, in der es heißt, daß jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, "Anspruch auf Schadenersatz" hat. Nach der Fassung dieses Artikels verpflichten sich die Vertragspartner nicht etwa auf dem Umweg über eine innerstaatliche Gesetzgebung, in Fällen eines konventionswidrigen Freiheitsentzuges den davon Betroffenen Schadenersatz zu verschaffen oder einen Ersatzanspruch zu gewähren; die Konvention statuiert vielmehr die Schadenersatzverpflichtung unmittelbar und gewährt nach ihrer Transformierung in das Recht der Einzelstaaten sogleich den Schadenersatzanspruch. Die Fassung des Art. 5 Abs. 5 MRK weicht damit eindeutig von der Formulierung anderer volkerrechtlicher Verträge ab, die sich auf die bloße Verpflichtung der Vertragspartner beschränken, erst durch entsprechende gesetzliche Regelungen den ihrer Jurisdiktion unterworfenen Einzelpersonen bestimmte Ansprüche zu sichern. Auch die Entstehungsgeschichte der Konvention macht die bewußte Abkehr von einer einfachen Empfehlung an die Vertragspartner und ihrer bloßen Verpflichtung zur Erlassung entsprechender innerstaatlicher Bestimmungen in Richtung einer schärferen Form der Sicherung der Einzelperson durch unmittelbare Gewährung oder mit Gesetzeskraft ausgestattete Garantien bestimmter Rechte und Grundfreiheiten deutlich. Eine solche war um so eher möglich, als sich die Konvention auf die sogenannten klassischen Grundrechte und Grundfreiheiten beschränkte, die allen zum europäischen Rechtsraum gehörenden Vertragspartnern vertraut sind. Der Europarat fand bei Schaffung der Konvention bereits die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" vor, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkundet hatte; diese enthält nur Richtlinien, ein "von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal", und die bloße Pflicht der Mitglieder sich zu bemühen, die Verwirklichung dieser Erklärung innerstaatlich zu gewährleisten. Die erste Anregung zur Schaffung der Konvention durch die Konsultativversammlung des Europarates im Jahre 1949 sah in ihrer Empfehlung an den Ministerausschuß ebenso noch eine bloße Verpflichtung der Mitgliederstaaten zur Gewährung bestimmter Rechte und Grundfreiheiten durch Erlassung innerstaatlicher Gesetze vor (Abdruck bei Brügel, Europa-Archiv, 1950, 2801). Die späteren Entwürfe, Anregungen und Fassungen wichen davon bewußt ab. Gerade bei Schaffung des Art. 5 MRK wurde bald und mehrfach in den Entwürfen und Anträgen der Ausdruck "klagbarer Anspruch auf Schadenersatz" verwendet, wenn auch die endgültige Fassung einen Hinweis auf die Klagbarkeit nicht mehr enthält. Das Fehlen eines Klagbarkeitshinweises läßt jedoch nicht darauf schließen, daß der Einzelperson unmittelbare klagbare Ansprüche versagt werden sollten. Bei der endgültigen Formulierung der Konvention wurde nämlich auf die Aufnahme einer bereits vorgeschlagenen Klausel des Inhaltes, daß die innerstaatlichen Gesetze der Vertragspartner der Konvention volle inerstaatliche Wirksamkeit zuerkennen sollten, ausdrücklich (nur) deshalb verzichtet, weil diese Klausel mit der Begründung als entbehrlich bezeichnet wurde, daß etwa entgegenstehendes Recht der Vertragspartner nach der Ratifizierung sogleich abgeändert werde (BGHZ 45, 46 = NJW 1966, 726 ff.; Golsong, Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention, 6 ff.).
Nicht nur die Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg nimmt an, daß Art. 5 Abs. 5 MRK dem Verletzten selbständige Ansprüche gewährt (Mosler, Festschift für Jahrreiss, 289), auch von der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland
(BGHZ 26, 60 = NJW 1957, 148; BGHZ 27, 284 = NJW 1958, 1344; BGHSt
14, 358 = NJW 1960, 1580) und im dortigen Schrifttum (Erdsiek, NJW
1959, 1215; Coupin, Festschrift für Laun, 173, 186; Scheuner, Festschrift für Jahrreiss, 1964, 368 ff.; Brückler, DRiZ 1965, 1253; Schwarz - Kleinknecht, DStPO[23], 758; a. M. Henrichs, NJW 1959, 1529) wurde anerkannt, daß die Konvention unmittelbar geltendes Recht darstellt und in manchen Punkten, zu denen Art. 5 Abs. 5 zählt, selbständige Ansprüche schafft.
Für die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 5 MRK spricht insbesondere auch der Umstand, daß die Republik Österreich als Vertragspartner ungeachtet der Haftungserweiterung gegenüber den im Zeitpunkt der Ratifizierung der Konvention bestehenden innerstaatlichen Vorschriften von der ihr gemäß Art. 64 der Konvention offenstellenden Möglichkeit eines entsprechenden Vorbehaltes keinen Gebrauch gemacht hat. Bezüglich der Bestimmungen des Art. 5 MRK beschränkte sie sich lediglich auf den Vorbehalt, daß durch diese die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof unberührt bleiben müßten.
Art. 5 Abs. 5 MRK betrifft - wie aus der Verwendung der Begriffe "Haft" und "Festnahme", die nur im Sinne eines hoheitlichen Handelns verstanden werden können, erhellt - durch die öffentliche Hand begangene Eingriffe in die im Art. 5 genannte Grundfreiheit (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und knüpfte den Schadenersatzanspruch der in dieser Grundfreiheit verletzten Person an ein Fehlverhalten der Träger der öffentlichen Gewalt. Die Schadenersatzpflicht aus Art. 5 Abs. 5 MRK gilt also für konventionswidrige Freiheitsverletzungen durch die öffentliche Hand (Golsong, 59 ff.; Guradze, Der Stand der Menschenrechte im Völkerrecht, 185; Jescheck, NJW 1954, 783; Schorn, Kommentar zur Menschenrechtskonvention, 67 ff.; Woesner, NJW 1961, 1381; Brückler, DRiZ 1965, 253).
Dem Art. 5 Abs. 5 MRK ist zwar nicht zu entnehmen, wer für die Erfüllung des darin gewährten Schadenersatzanspruches einzustehen hat. Aus der Regelung des § 1 Abs. 1 AHG ergibt sich jedoch, daß diese Haftung denjenigen Rechtsträger trifft, dessen Organe Art. 5 MRK in Vollziehung der Gesetze verletzen.
Wird davon ausgegangen, daß mit der Übernahme der Konvention in die österreichische Rechtsordnung die Bestimmung des Art. 5 Abs. 5 unmittelbar anzuwendendes Recht geworden ist, so ist zunächst davon auszugehen, daß damit jedenfalls eine Erweiterung der Haftung über den Rahmen des § 1329 ABGB hinaus eingetreten ist; einhellig wird die Auffassung vertreten, daß der Schadenersatzanspruch kein Verschulden voraussetzt (BGHZ 45, 58 = NJW 1966, 1024 und die dort zitierte Literatur). Als weitere Frage stellt sich die nach Art und Umfang der den Rechtsträger treffenden Schadenersatzpflicht. Die Lösung dieser Frage ermöglicht Art. 5 Abs. 1 MRK, der keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß vor allem das immaterielle Recht der Freiheit des Menschen geschützt werden soll. Die Einräumung eines Schadenersatzanspruches auch schon bei konventionswidriger Verletzung des immateriellen Rechtsgutes der Freiheit kann begrifflich nichts anderes bedeuten als die Anerkennung des Ersatzes immateriellen Schadens. Wird erwogen, daß jeder anhaltende Freiheitsentzug eine erhebliche psychische Belastung des Betroffenen bewirkt, dann erscheint eine solche Anerkennung umsomehr gerechtfertigt, als beispielsweise nach der Begriffsabstimmung der Weltgesundheitsorganisation die Gesundheit eines Menschen neben dem körperlichen und wirtschaftlichen auch das seelische und soziale "Wohlbefinden" umfaßt. Die Verletzung des Rechtsgutes der Freiheit ist also einer der Rechtsgrunde, in denen Ersatz immateriellen Schadens anerkannt wird. Art. 5 Abs. 5 MRK stellt also insoweit eine Ausweitung der Normen des vor seinem Inkrafttreten geltenden innerstaatlichen Schadenersatzrechtes dar, dem auch sonst die Gewährung eines Ersatzes für immateriellen Schaden keineswegs fremd ist (vgl. §§ 1325, 1331 mit 335 ABGB, § 83 UrhG, § 154 PatG, § 54 MSchG, §§ 29, 30 PresseG; auch Entwurf zum neuen Mediengesetz).
Als gewichtiges Indiz für die Richtigkeit der Annahme, daß die Anerkennung eines Schadenersatzes für immateriellen Schaden Inhalt der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist und damit Inhalt der österreichischen Rechtsordnung wurde, können die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. Juni 1972 und 7. April 1974, betreffend die Fälle Ringeisen und Neumeister, gewertet werden, in denen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wurde, daß im Falle einer gegen Art. 5 MRK verstoßenden Vorgangsweise Geldersatz auch für immateriellen Schaden gebührt. Dem sei hinzugefügt, daß beim 2. Internationalen Kolloquium über die Europäische Menschenrechtskonvention, das im Jahre 1965 in Wien stattgefunden hat, sogar von der Verpflichtung der nationalen Organe gesprochen worden ist, bei der Auslegung der Konvention deren Organen zu folgen. Verdroß erklärte beispielsweise, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein staatliches Urteil zwar nicht aufheben könne, wenn dieses mit seiner Auffassung nicht übereinstimme, daß aber eine Entscheidung dieses Gerichtshofes pro futuro wirke, da der völkerrechtliche Grundsatz der "bona fides" die vertragschließenden Staaten verpflichte, die Einhaltung der Konvention mit dem Inhalt, der ihr durch ihre Organe gegeben werde, sicherzustellen (Khol, Zur Diskussion um die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte, JBl. 1966, 137). Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, daß im Rahmen der österreichischen Rechtslehre Armin Ehrenzweig, Klang, Krasnopolski, Leonhard, Neumann - Ettenreich, Pfaff, Stubenrauch, Wolff, Randa, Strohal und Unger de lege lata oder de lege ferenda für die Anerkennung eines Genugtuungsanspruches im Falle rechtswidriger Freiheitsentziehung eingetreten sind (vgl. Strasser, 56). Zuletzt haben Strasser (insbesondere 52), Fleisch (57 und 93), Bydlinski (173 ff. und 237 ff.) und Pallin (Persönlichkeitsschutz und Massenmedien, JBl. 1972, 393) dieselbe Forderung erhoben.
Das Argument, daß es an der "Schätzbarkeit" des durch eine Freiheitsentziehung und eine damit verbundene erniedrigende Behandlung entstandenen immateriellen Schadens fehle, schlägt schon deshalb nicht durch, weil dann folgerichtig jeder Anspruch auf Ersatz eines derartigen Schadens abgelehnt werden müßte (vgl. Judikat 184 alt). Aus den im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch und in mehreren Sondergesetzen geregelten Fällen, in denen ein Ersatz immateriellen Schadens vorgesehen ist, ergibt sich, daß die österreichische Rechtsordnung das fehlende unmittelbare Verhältnis zwischen Geld und immateriellen Gütern als lösbar ansieht (Bydlinski, 249).
Was die Grundsätze anlangt, die bei der Ermittlung des Ausmaßes des eine Genugtuungsfunktion besitzenden Ersatzanspruches zu beachten sind, sei bemerkt, daß naturgemäß Dauer und Intensität des erlittenen Ungemaches einen bestimmenden Faktor bilden. Die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit, die Schwankungsbreite seiner Psyche werden gleichfalls zu berücksichtigen sein. Ein besonders schwerer Unrechtsgehalt der schädigenden Handlung kann den seelischen Schaden zweifellos vertiefen. Bei der Ausmessung der Genugtuungsleistung (Geldersatz) wird jedenfalls zu beachten sein, daß diese dem in seinem Recht auf Freiheit Verletzten nicht nur einen Ausgleich für die beeinträchtigte Lebensfreude bringen, sondern ihm auch das Gefühl der Verletzung nehmen und damit das gestörte Gleichgewicht in seiner Persönlichkeit wiederherstellen soll (vgl. Strasser, 21 f.; Bydlinski, 254). Unter diesen Gesichtspunkten wird im fortgesetzten Verfahren das Begehren des Klägers, soweit dieses auf Ersatz (auch) immateriellen Schadens abgestellt ist, zu beurteilen sein.
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