OGH 8Ob660/85

OGH8Ob660/8523.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache der mj.Andrea M***, geboren am 31.3.1974, wohnhaft in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 25, infolge Revisionsrekurses des Michael M***, Fernmeldemonteur, 6800 Feldkirch-Gisingen, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 22. November 1985, GZ. 1 a R 465/85-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 31.Oktober 1985, GZ. P 148/83-24, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Andrea M*** ist ein eheliches Kind des Michael und der Maria-Luise M***. Deren Ehe wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20.4.1983 aus dem überwiegenden Verschulden des Vaters geschieden.

Am 11.5.1983 vereinbarten die Eltern, daß die Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB der Mutter allein zustehen. Diese Vereinbarung wurde am gleichen Tag pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Am 21.5.1984 wurde das Besuchsrecht des Vaters in der Weise geregelt, daß er seine Tochter an jedem 2.Samstag im Monat um 12 Uhr abholen kann und am anschließenden Sonntag um 18 Uhr der Mutter wieder zurückzubringen hat. Außerdem wurde ihm eingeräumt, an den übrigen Wochenenden während des angeführten Zeitraumes das Kind zu sich zu holen, wenn die Mutter an diesen Wochenenden arbeiten muß. Am 3.4.1985 stellte der Vater den Antrag, ihm die elterlichen Rechte hinsichtlich seiner Tochter zu übertragen. Er begründete dies im wesentlichen damit, daß nun - im Gegensatz zum Zeitpunkt der Scheidung - seine Haushaltsführung geregelt sei. Seine Tochter habe eine starke Bindung zu ihm und auch zu seiner Lebensgefährtin, die er in der Zwischenzeit geehelicht habe. Er könne sich dem Kind mehr widmen als die Mutter. Außerdem sei Andrea dem Umgang mit ihrer Stiefschwester Sabine, die ein abnormales Verhalten zeige, ausgesetzt.

Maria-Luise M*** sprach sich gegen diesen Antrag aus. Das Kind habe auch zu ihr eine große Zuneigung. Sie habe genügend Zeit, für ihre Tochter zu sorgen. Sabine ziehe auf eigenen Wunsch in Kürze aus der Wohnung aus, sodaß kein negativer Einfluß auf Andrea möglich sei. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch brachte zum Ausdruck, daß die gefühlsmäßige Bindung der Minderjährigen zum Vater und dessen Lebensgefährtin stärker sei als zur Mutter. Der Vater könne ein richtiges Familienleben anbieten, während die Mutter auf ihre Berufstätigkeit angewiesen sei und die mj.Andrea weiterhin in einem Internat untergebracht werden müßte. Sie befürwortete den Antrag des Vaters.

Das Erstgericht gab diesem Antrag statt. Es vertrat die Ansicht, daß es dem Wohl des Kindes mehr diene, wenn es in Pflege und Erziehung des Vaters komme. Dies entspreche offensichtlich auch dem Wunsch des beinahe 12jährigen Mädchens. Der Vater könne sich mehr als die Mutter darum kümmern, außerdem sei das Verhältnis des Kindes zum Vater enger als zur Mutter. Zu berücksichtigen sei auch, daß sich die Stiefschwester im Haushalt der Mutter aufhalte. In der Freizeit sei sie dem Umgang mit der Stiefschwester, die sich "nicht ordentlich verhalte" ausgesetzt. Durch den Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse seien auch in schulischer Hinsicht keine Nachteile zu erwarten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter Folge und wies den Antrag des Vaters, ihm die elterlichen Rechte hinsichtlich seiner Tochter zu übertragen, ab. Sein Beschluß beruht auf folgender Sachverhaltsgrundlage:

Die mj.Andrea befindet sich seit September 1984 als interne Schülerin im Institut St.Josef in Feldkirch, wo sie die Hauptschule besucht. Die Wochenenden verbrachte sie größtenteils beim Vater, da die Mutter vielfach Dienst hatte. Die Minderjährige hat sowohl zu ihrer Mutter als auch zum Vater und dessen Ehegattin ein gutes Verhältnis. Ihr Verhältnis zum Vater ist allerdings herzlicher und gefühlsbetonter als zur Mutter. Beide Elternteile leben in geordneten Verhältnissen. Sowohl beim Vater als auch bei der Mutter steht der Minderjährigen ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Im Haushalt der Kindesmutter befand sich auch ihre uneheliche Tochter Sabine. Im Jahre 1982 wurde über sie die vorläufige Fürsorgeerziehung durch Unterbringung in einem Jugendheim angeordnet. Am 13.9.1982 wurde sie in den Haushalt ihrer Mutter entlassen. Sabine M*** ist in den letzten 2 Jahren wiederholt straffällig in Erscheinung getreten; sie geht keiner Beschäftigung nach. Nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch ist eine weitere Fürsorgeerziehungsmaßnahme nicht mehr erfolgversprechend. Das Bezirksgericht Feldkirch hat die vorläufige Fürsorgeerziehung aufgehoben, wogegen die Mutter Rekurs mit dem Antrag erhob, die (endgültige) Fürsorgeerziehung anzuordnen. Über das Rechtsmittel ist noch nicht entschieden, da eine Stellungnahme der Landesregierung (§ 34 Abs2 JWG) aussteht. Anläßlich einer Aussprache bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch brachte Andrea M*** zum Ausdruck, daß sie beim Vater wohnen wolle. Bei ihrer gerichtlichen Befragung erklärte sie, daß sie nicht sagen könne, bei welchem Elternteil sie bleiben wolle, meinte jedoch, daß es vorläufig bei der derzeitigen Situation verbleiben möge.

Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, daß die einmal getroffene Regelung über die Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann abgeändert werden dürfe, wenn durch Gefährdung des Kindeswohls wichtige Gründe vorliegen, die die Änderung dringend geboten erscheinen lassen. Ein Wechsel der bestehenden Situation wäre nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt, wenn etwa aller Voraussicht nach eine beachtliche Verbesserung der Lage und der Zukunftserwartungen des Kindes gewährleistet wäre. Die Forderung nach Kontinuität entspreche dem Gedanken des Kindeswohls, weil nach der Lebenserfahrung die Stetigkeit und Dauer Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl des Kindes dienende Erziehung sind. Die Mutter habe seit Mai 1983 die wesentliche Pflege- und Erziehungstätigkeit allein ausgeübt, wenngleich nicht übersehen werde, daß der Vater mit seiner Tochter engen Kontakt im Rahmen des Besuchsrechtes hatte. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß das Kind den Großteil der Woche bei der Mutter verbringt und nur - allerdings nicht immer - am Wochenende beim Vater ist. Erfahrungsgemäß stärke ein solches Getrenntsein eine bereits bestehende Zuneigung, die unbestritten vorhanden ist. Zusammenfassend könne zwar gesagt werden, daß die Pflege- und Erziehungsverhältnisse beim Vater etwas günstiger erscheinen, das Wohl des Kindes bei der derzeitigen Regelung jedoch nicht gefährdet sei. Die beantragte Änderung des Sorgerechtes sei daher nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Er wolle die Mutter nicht schlecht machen, könne aber nicht umhin, darauf zu verweisen, daß die Betreuung von Andrea in seiner Familie besser gewährleistet sei, als bei seiner geschiedenen Frau. Dies reicht jedoch zu einer Übertragung der Rechte aus dem Eltern- und Kindschaftsverhältnis nicht aus:

Nach ständiger Rechtsprechung dürfen diese nur dann von einem auf den anderen Elternteil übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs1 ABGB nF vorliegen; es ist also eher noch ein strengerer Maßstab als bisher anzulegen (SZ 51/136; 8 Ob 587/85 ua). Durch die Nichtübernahme einer dem § 142 Abs2 ABGB aF ähnlichen Bestimmung ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zugesprochen werden sollen, nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden soll, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, wenn also besonders wichtige Gründe vorliegen und Änderungen dringend geboten sind (EvBl.1979/185; 8 Ob 655/84 ua). Es ist also ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nur dann vorzunehmen, wenn besondere Umstände dafür sprechen (SZ 53/142; 8 Ob 584/83 ua). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist zwar nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen, dieser Begriff erfordert aber zumindest, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt werden oder daß durch das Gesamtverhalten des Erziehungsberechtigten das Wohl des Kindes gefährdet wird (SZ 53/142 ua).

Von all dem kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die Mutter besorgt nach wie vor ihre elterlichen Pflichten zu dem 12jährigen Mädchen in klagloser Weise. Das Gegenteil vermag der Revisionsrekurs nicht darzulegen. Bloß daraus, daß es dem Mädchen möglicherweise beim Vater und der Stiefmutter etwas besser gehen könnte, als bei der bisher die elterlichen Pflichten allein erfüllenden Mutter, kann noch nicht ein so einschneidender Wechsel in der Betreuung des Mädchens vorgenommen werden, daß es nun gänzlich von der Mutter weg- und zum Vater ziehen müßte. Hier hat es demnach bei den dargelegten Grundsätzen zu verbleiben, wonach die durchaus bewährte Pflege und Erziehung des Mädchens durch die Mutter nicht durch die bloß als etwas günstiger prognostizierte des Vaters ersetzt werden soll. Bei der jedenfalls nicht auszuschließenden Ungewißheit darüber, ob sich die Betreuung des Mädchens im väterlichen Familienkreis im täglichen Leben auch tatsächlich bewähren wird, hat das Rekursgericht zutreffend der bereits erwiesenen ordentlichen Pflege und Erziehung des Mädchens durch die Mutter den Vorzug gegeben.

Dem Revisionsrekurs war demnach der Erfolg zu versagen.

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