Spruch:
Eine Gefahrerhöhung ist in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht nach dem tatsächlichen Zustand des versicherten Fahrzeuges im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern nach dem dem Vertragsabschluß zugrunde gelegten verkehrssicheren Zustand des Fahrzeuges zu beurteilen. In der Kfz.-Haftpflichtversicherung ist das typische Risiko eines verkehrssicheren Zustandes des Kfz. versichert. Auch außerhalb des öffentlichen Verkehrs führt die grob fahrlässige Weiterverwendung eines den Vorschriften des KFG nicht entsprechenden Kfz. zur Leistungsfreiheit des Versicherers
OGH 8. 3. 1984, 7 Ob 41/83 (OLG Linz 5 R 25/83; KG Wels 1 CG 385/82)
Text
Der klagende Kfz.-Haftpflichtversicherer begehrt im Regreßweg den Ersatz der für einen Unfall des mj. Helmut S vom 27. 7. 1979 geleisteten, der Höhe nach außer Streit stehenden Zahlungen und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Aufwendungen, gegen den Erstbeklagten ua. aus dem Titel der Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nach § 25 Abs. 1 VersVG, gegen die Zweitbeklagte wegen Mithaftung im Rahmen einer allgemeinen Gütergemeinschaft.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen wurde der Erstbeklagte vom Strafgericht rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung schuldig erkannt, weil er am 27. 7. 1979 seinen zweijährigen Enkel Helmut S auf dem linken Kotschützer seines Traktors sitzend mitfahren ließ, als er eine Wiese mit dem Mähbalken abmähte, wobei es passieren konnte, daß beim Heben des Mähbalkens der rechte Fuß des Kindes eingeklemmt wurde, und sodann zwei Zehen amputiert werden mußten. Die Kfz.- Haftpflichtversicherung für den Traktor wurde am 11. 10. 1978 abgeschlossen. Sie umfaßt die Deckung der gesetzlichen Haftpflicht aus der Verwendung des versicherten Kfz. in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Als der Erstbeklagte den Traktor gebraucht kaufte, war nur der Lenkersitz vorhanden. Am linken Kotflügel war dort, wo ursprünglich eine Sitzgelegenheit angebracht gewesen war, ein Blech montiert. An dieser Stelle montierte der Erstbeklagte noch vor dem Abschluß des Versicherungsvertrages einen Holzsitz, um seinen Enkel Helmut S mitnehmen zu können. Darauf wies er den Versicherungsvertreter nicht hin; dieser sah sich den Traktor auch nicht an. Im Unfallszeitpunkt war der Enkel der Beklagten auf dem Holzsitz mit dehnbaren Hosenträgern angegurtet, hatte aber soviel Bewegungfreiheit, daß er sich nach der Seite drehen konnte. Als der Erstbeklagte mit der Hydraulik den Mähbalken hob, wurde der rechte Vorfuß des Kindes eingeklemmt, da dieses nicht ruhig sitzengeblieben war und sich zur Seite gedreht hatte.
Nach der Rechtsansicht des Erstrichters könne sich die klagende Partei zwar nicht auf Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. d AKHB in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung berufen, weil die Zugmaschine für zwei Personen zugelassen war. Auch eine Gefahrenerhöhung iS des § 23 VersVG liege nicht vor, weil der Holzsitz an der dafür vorgesehenen Sitzplatzstelle bereits vor dem Abschluß des Versicherungsvertrages angebracht worden sei. Die klagende Partei sei aber nach § 61 VersVG leistungsfrei, weil der Erstbeklagte den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Die Zweitbeklagte hafte auf Grund des Notariatsaktes. Das Feststellungsbegehren sei wegen der nicht auszuschließenden Spätfolgen begrundet.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil iS der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters und trat der rechtlichen Beurteilung zu den beiden ersten Klagsgrunden bei, verneinte aber auch die Anwendbarkeit des § 61 VersVG, weil diese Bestimmung gemäß § 152 VersVG in der Haftpflichtversicherung nicht anwendbar sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und stellte das Ersturteil mit der Einschränkung der Haftung der Zweitbeklagten auf das gütergemeinschaftliche Vermögen wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Beizupflichten ist der Meinung der Vorinstanzen, daß die rechtskräftige Verurteilung des Erstbeklagten, weil er das Kind "auf dem linken Kotschützer" sitzend mitgenommen habe, der ergänzenden Tatsachenfeststellung nicht im Wege stand, daß am linken Kotschützer ein Holzsitz zur Mitnahme des Kindes angebracht war. Tatbestandsmerkmal (SZ 54/150) des Fahrlässigkeitsdeliktes nach § 88 StGB war nämlich schon die Mitnahme des noch nicht fünfjährigen Kindes auf dem Traktor, ohne daß es für die Verurteilung auf das Vorhandensein einer Sitzgelegenheit ankam, von dem übrigens die Revisionswerberin selbst in der Klage ausging.
Mit Recht bekämpft die Revisionswerberin aber die Beurteilung der Vorinstanzen, daß dem Erstbeklagten eine Gefahrerhöhung iS der §§ 23 und 25 Abs. 1 VersVG nicht zur Last falle. Wohl sprechen diese Gesetzesbestimmungen von einer Erhöhung der Gefahr nach Abschluß des Versicherungsvertrages. Dennoch liegt in der Kfz.- Haftpflichtversicherung eine Gefahrerhöhung auch dann vor, wenn ein betriebsuntauglicher Zustand des Fahrzeuges schon beim Abschluß des Versicherungsvertrages bestand. Es kommt nämlich nicht auf den vertragswidrigen Zustand des Fahrzeuges an, der unverändert geblieben ist, sondern auf die Weiterbenutzung des Fahrzeuges trotz der vorhandenen Mängel. Gegenstand des Versicherungsvertrages ist nicht der tatsächliche Zustand des Fahrzeuges im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, also nicht ein individuelles Risiko, sondern das typische Risiko der Verwendung des versicherten Kfz. (Art. 1 Abs. 1 AKHB) unter Zugrundelegung eines verkehrssicheren Zustandes, der beim Vertragsabschluß nicht geprüft wird (EvBl. 1963/315 = VersR 1965, 100 ua.; ebenso BGH VersR 1967, 746; VersR 1970, 412; auch die herrschende Lehre, s. Stiefel-Hofmann, AKB[12] § 2 Anm. 105 und Pienitz-Flöter, AKB[4] 80 § 2, 10 b; aM allerdings Prölss-Martin, VVG[22] 181 ua.).
Diese Rechtslage stimmt auch mit dem von den Vorinstanzen nicht berücksichtigten Art. 7 AKHB überein. Danach gelten Umstände, derentwegen das Fahrzeug dem KFG 1967 oder den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht entspricht und derentwegen eine weitere Verwendung des Fahrzeuges die Verkehrssicherheit gefährdet, als Erhöhung der Gefahr iS des Versicherungsvertragsgesetzes 1958, sofern das Fortbestehen dieser Umstände auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Die Gefahrerhöhung liegt demnach in der Inbetriebnahme in einem vorschriftswidrigen Zustand. Die Schaffung eines Dauerzustandes erhöhter Gefahr liegt darin, daß das Fahrzeug trotz dieses Zustandes weiter benützt wird. Wohl gelten die Bestimmungen des KFG 1967 nur für die Verwendung von Kfz., die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden. Da aber Art. 25 Abs. 2 AKHB die Kfz.- Haftpflichtversicherung ganz allgemein auf Schadenereignisse erweitert, die nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintreten, ist auch auf diese Versicherung der Art. 7 AKHB anzuwenden. Eine Erhöhung der Gefahr liegt demnach in der Verwendung eines Kfz., das dem KFG 1967 nicht entspricht, auch auf Straßen ohne öffentlichen Verkehr vor. Diese Beurteilung entspricht der Interessenlage, weil ein Wertungswiderspruch vorläge, wenn das verkehrsuntüchtige Kfz. bei einer Verwendung, die erst zusätzlich unter Versicherungsschutz gestellt wurde, in einem höheren Maß als sonst versichert wäre.
Im vorliegenden Fall bestand der Zustand erhöhter Gefahr, nachdem der Erstbeklagte den behelfsmäßigen und daher dem § 26 Abs. 2 KFG nicht entsprechenden Holzsitz zu dem zugegebenermaßen auch schon vor dem Unfall mehrmals erfüllten Zweck anbrachte, seinen noch nicht fünf Jahre alten Enkel entgegen § 106 Abs. 2 KFG auf dem Traktor mitnehmen zu können, während der ganzen Zeit dieser vorschriftswidrigen Verwendung. Aber selbst eine einmalige Fahrt hätte nach der Herstellung des veränderten Zustandes das Erfordernis der gewissen Dauer der Gefahrerhöhung wegen der generellen Absicht der Weiterverwendung erfüllt (SZ 52/97). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes handelt es sich auch nicht um eine bloß unerhebliche Erhöhung der Gefahr iS des § 29 VersVG. Die Inbetriebnahme eines Kfz., das sich in einem vorschriftswidrigen Zustand befindet, stellt in der Regel eine erhebliche Gefahr dar. Nach Art. 7 AKHB ist die Gefährdung der Verkehrssicherheit infolge eines vorschriftswidrigen Zustandes des Fahrzeuges maßgebend. Die Mitnahme des erst zweijährigen Enkels entgegen der Schutzvorschrift des § 106 Abs. 2 KFG, überdies auf einem bloß behelfsmäßig hergestellten Sitz, bedeutete in diesem Sinne eine erhebliche Erhöhung der Gefahr, der das Kind sonst gar nicht ausgesetzt gewesen wäre (vgl. SZ 52/20).
Die Haftung der Zweitbeklagten ergibt sich nach der zutreffenden Ansicht des Erstrichters aus der Begründung der Gütergemeinschaft zwischen den Ehegatten (Koziol-Welser, Grundriß[6] II 173; SZ 32/157 uva.). Dabei ist es im Hinblick auf die Gemeinschaft der Güter der Ehegatten gleichgültig, ob der erstverpflichtete Ehegatte aus Vertrag oder Delikt haftet (RZ 1957, 40). Auch der vorliegende Ehepakt enthält keine Beschränkung, sondern bestimmt ebenfalls die Haftung für sämtliche Schulden "des anderen Ehegatten". Die Haftung der Zweitbeklagten beschränkt sich allerdings nach dem Gesagten auf das gütergemeinschaftliche Vermögen, sodaß eine Exekution in das sonstige Vermögen ihr gegenüber nicht in Betracht kommt.
Mit dieser Beschränkung war demnach das Ersturteil wieder herzustellen (RZ 1957, 40 ua.). Weitere Rechtsgrunde sind nicht mehr zu prüfen.
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