OGH 4Ob71/81

OGH4Ob71/8114.7.1981

SZ 54/105

Normen

ZPO §136 Abs2
ZPO §477 Abs1 Z4
ZPO §496 Abs1 Z2
ZPO §529 Abs1 Z2
ZPO §136 Abs2
ZPO §477 Abs1 Z4
ZPO §496 Abs1 Z2
ZPO §529 Abs1 Z2

 

Spruch:

Die Fällung eines Versäumungsurteiles gegen eine Partei, deren ordnungsgemäße Ladung ausgewiesen ist, ohne daß vorher ein von dieser Partei gestellter Erstreckungsantrag erledigt wurde, begrundet keine Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO

Auch Verletzungen des rechtlichen Gehörs nach § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO rechtfertigen eine Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO; dieses Klagerecht wird auch durch die Unterlassung eines Rechtsmittels gegen die nunmehr angefochtene Entscheidung nicht verwirkt

OGH 14. Juli 1981, 4 Ob 71/81 (LGZ Graz 2 Cg 13/81; ArbG Voitsberg Cr 39/80)

Text

Im Verfahren Cr 19/80 des Arbeitsgerichtes Voitsberg hatte die Beklagte (damals Klägerin; im folgenden nur noch: Beklagte) den Kläger (damals Beklagter; im folgenden nur noch: Kläger) auf Zahlung von 53 632 S samt Anhang in Anspruch genommen. In der über diese Klage angeordneten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 26. April 1979 war ein Teilanerkenntnisurteil über 3056.68 S ergangen; im übrigen hatte der Kläger das Klagevorbringen bestritten, die Abweisung des restlichen Zahlungsbegehrens verlangt und den Antrag gestellt, der Beklagten die Vorlage verschiedener Urkunden aufzutragen. Nachdem das Prozeßgericht diesem Antrag entsprochen hatte, vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens. Mit Schriftsatz vom 21. April 1980 - bei Gericht eingelangt am 22. April 1980 - beantragte die Beklagte die Fortsetzung des Verfahrens, wobei sie ihr Zahlungsbegehren näher aufschlüsselte und weitere Beweise anbot. Daraufhin ordnete das Erstgericht eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 22. Mai 1980, 10.30 Uhr, an. Da der Kläger zu dieser Tagsatzung trotz ausgewiesener Ladung nicht erschien, beantragte der Vertreter der Beklagten die Fällung eines Versäumungsurteils gemäß § 399 ZPO. Das Erstgericht vernahm daraufhin eine von der Beklagten geführte Zeugin; sodann wurde die Verhandlung geschlossen und vom Vorsitzenden des arbeitsgerichtlichen Senats das Urteil im Sinne des restlichen Klagebegehrens - Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von 50 575.32 S samt Anhang - verkundet. Dieses Urteil ist dem (unvertretenen) Kläger am 26. Juni 1980 durch Hinterlegung beim Postamt H zugestellt worden und in Rechtskraft erwachsen.

Mit der vorliegenden, am 12. September 1980 beim Erstgericht überreichten Nichtigkeitsklage begehrt der Kläger gemäß § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO die Feststellung, daß das rechtskräftige und vollstreckbare Urteil des Arbeitsgerichtes Voitsberg vom 22. Mai 1980 und das ihm vorangehende Verfahren ab der Streitverhandlung vom 22. Mai 1980 nichtig seien; gleichzeitig begehrt er die Aufhebung dieses Verfahrensabschnittes. Der Kläger habe im Vorprozeß am 21. Mai 1980 dem Gericht mitgeteilt, daß er zu der für den 22. Mai 1980 anberaumten Tagsatzung aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen könne, und um Verlegung des Verhandlungstermins ersucht. Obgleich dieses Schreiben, welchem ein ärztliches Zeugnis beigeschlossen war, am 22. Mai 1980 beim Erstgericht eingelangt sei und sich daher schon zu Beginn der Verhandlungstagsatzung dort befunden haben müsse, sei die Verhandlung in Abwesenheit des Klägers durchgeführt, das Verfahren geschlossen und gegen den Kläger ein Versäumungsurteil gefällt worden. Dem Kläger sei auf diese Weise die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch einen ungesetzlichen Vorgang entzogen worden.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Da der Kläger zur Tagsatzung vom 22. Mai 1980 ordnungsgemäß geladen worden war, könne von einer Nichtigkeit nach § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO nicht gesprochen werden. Im übrigen sei die Klage erst nach Ablauf der einmonatigen Frist des § 534 Abs. 2 Z. 2 ZPO, welche mit dem Tag der "Urteilsausfertigung" beginne, eingebracht worden. Der Kläger hätte einen Rechtsanwalt bevollmächtigen oder eine andere eigenberechtigte Person mit seiner Vertretung betrauen können; es wäre ihm überdies freigeständen, das Urteil mit Berufung anzufechten, allenfalls auch einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.

Aus dem Vorakt Cr 19/80 des Arbeitsgerichtes Voitsberg ergibt sich, daß der Kläger dem Erstgericht mit Schreiben vom 21. Mai 1980 folgendes mitgeteilt hatte:

"Betr.: Verhandlung am 22. Mai 1980 L-G. Ich kann zu der für morgen anberaumten Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen.

Ich ersuche Sie, für diese Verhandlung einen neuen Termin festzusetzen. Ein ärztliches Zeugnis liegt bei."

Das hier erwähnte, gleichfalls mit 21. Mai 1980 datierte Zeugnis des Distriktsarztes Dr. Herwig P aus H hatte folgenden Wortlaut:

"Herr G ........ steht dzt. in meiner Behandlung und ist dzt. arbeits- bzw. gehunfähig."

Diese Vertagungsbitte des Klägers war am 22. Mai 1980 in den vereinigten Einlaufstellen des Bezirksgerichtes und des Arbeitsgerichtes Voitsberg eingelangt; sie wurde aber dem Vorsitzenden des arbeitsgerichtlichen Senates erst nach Durchführung der Verhandlungstagsatzung vom 22. Mai 1980 vorgelegt.

Das Erstgericht wies die Nichtigkeitsklage ab. Da der Kläger der zur Fortsetzung der mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung trotz ausgewiesener Ladung ferngeblieben sei, habe auf Antrag der Beklagten ohne Berücksichtigung schriftlicher Aufsätze der ausgebliebenen Partei (§ 397 Abs. 1 ZPO) ein Versäumungsurteil gemäß § 399 ZPO gefällt werden müssen. Der Nichtigkeitsgrund des § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO liege deshalb nicht vor.

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei die Nichtigkeitsklage zwar rechtzeitig eingebracht und - da die Rechtsprechung eine Klage nach § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO auch aus dem Grund des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO zulasse - auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt worden; sie sei aber dennoch zu Recht abgewiesen worden, weil der Vorsitzende des erstgerichtlichen Senates von der Vertagungsbitte des Klägers erst nach der Fällung des (unechten) Versäumungsurteiles erfahren habe, so daß diesem Urteil kein "ungesetzlicher Vorgang" zugrunde liege. Im übrigen hätte selbst dann, wenn das Erstgericht rechtzeitig davon Kenntnis erlangt hätte, die Urteilsfällung ohne vorherigen Entscheidung über den Vertagungsantrag keine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO, sondern nur einen Verfahrensmangel bewirkt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 538 Abs. 1 ZPO mit Recht bejaht. Gemäß § 534 Abs. 1 ZPO ist die Nichtigkeitsklage binnen der Notfrist eines Monats zu erheben; diese Frist beginnt gemäß Abs. 2 Z. 2 dieser Gesetzesstelle im Fall des § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO mit dem Tag der Zustellung der angefochtenen Entscheidung, frühestens aber mit deren Rechtskraft. Das mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage bekämpfte Urteil des Arbeitsgerichtes Voitsberg im Vorprozeß ist dem Kläger am 26. Juni 1980 durch Hinterlegung zugestellt worden und mangels Anfechtung am 10. Juli 1980 rechtskräftig geworden. Die ab 11. Juli 1980 zu berechnende einmonatige Klagefrist des § 534 Abs. 2 Z. 2 ZPO hätte infolgedessen am 11. August 1980 geendet; als verfahrensrechtliche Präklusivfrist wurde sie aber gemäß § 225 Abs. 1 ZPO um die ganze Dauer der am 15. Juli 1980 beginnenden Gerichtsferien verlängert (SZ 21/6; SZ 23/217 = JBl. 1950, 530; ebenso Fasching II, 1026 § 225 ZPO Anm. 1, IV 528 § 534 ZPO Anm. 1), so daß die am 12. September 1980 beim Erstgericht überreichte Nichtigkeitsklage rechtzeitig erhoben worden ist. Sie wird darüber hinaus - da nach ständiger Rechtsprechung (JBl. 1956, 412; EvBl. 1969/397 u. a., zuletzt etwa 7 Ob 538/77; früher gegenteilig EvBl. 1949/172; dazu Fasching IV, 130 f. § 477 ZPO Anm. 25, 491 § 529 ZPO Anm. 10; einschränkend allerdings Schima in JBl. 1956, 413) auch Verletzungen des rechtlichen Gehörs im Sinne den § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO eine Klage nach § 529 Abs. 1 Z. 2 ZPO rechtfertigen können und das Klagerecht nach dieser Gesetzesstelle auch durch die Unterlassung eines Rechtsmittels gegen die nunmehr angefochtene Entscheidung nicht verwirkt wird (§ 529 Abs. 3 ZPO; in diesem Sinne SZ 3/53; SZ 40/134; GlUNF 741 l; RZ 1934, 35; ebenso Fasching IV, 493 § 529 ZPO Anm. 13) - auf einen "gesetzlichen Anfechtungsgrund" (§ 538 Abs. 1 ZPO) gestützt.

In der Sache selbst erweist sich die Abweisung der Nichtigkeitsklage durch die Vorinstanzen als berechtigt. Der vom Kläger hier geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO setzt voraus, daß einer Partei "die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung, entzogen wurde". Ein solches "ungesetzliches Vorgehen" des Arbeitsgerichtes Voitsberg im Vorprozeß könnte aber hier selbst dann nicht angenommen werden, wenn die Vertagungsbitte des Klägers dem Vorsitzenden des arbeitsgerichtlichen Senates noch vor Beginn der Verhandlungstagsatzung am 22. Mai 1980 oder doch wenigstens vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung bekanntgeworden wäre. Aus § 136 Abs. 2 ZPO ist zwar abzuleiten, daß vor der Beschlußfassung über einen solchen Erstreckungsantrag nicht rechtswirksam in die Verhandlung über die Sache selbst eingegangen werden darf; die Fällung eines Versäumungsurteils ohne vorherige Erledigung des Erstreckungsantrages begrundet dann, wenn die ordnungsgemäße Ladung der Partei ausgewiesen ist und demgemäß ein gesetzlicher Versäumnistatbestand vorliegt, keine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO, sondern nur einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 496 Abs. 1 Z. 2 ZPO (in diesem Sinne schon ZBl. 1929/114; ebenso Fasching II, 702 § 136 ZPO Anm. 3, IV, 125 § 477 ZPO Anm. 19). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich schon daraus, daß gemäß § 136 Abs. 2 ZPO bei Ablehnung des Erstreckungsantrages die Verhandlung "ohne weitere Unterbrechung aufzunehmen oder fortzusetzen" ist, einem allfälligen Rechtsmittel gegen diesen Verwerfungsbeschluß demnach grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt (so auch Fasching II, 701 f. § 136 ZPO Anm. 2). Darf aber der Antragsteller demzufolge so lange nicht mit der Abberaumung des Verhandlungstermins rechnen, als seine Vertagungsbitte nicht positiv beschieden worden ist, dann wird ihm durch die Nichterledigung eines Erstreckungsantrages das Recht, "vor Gericht zu verhandeln" (§ 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO), ebensowenig genommen wie durch die ausdrückliche Ablehnung eines - vielleicht berechtigten - Erstreckungsbegehrens (so schon 5 Ob 162/75); er muß vielmehr bis zur Entscheidung über den Erstreckungsantrag davon ausgehen, daß die Tagsatzung zum vorgesehenen Termin durchgeführt wird, und hat im Fall seiner Verhinderung am persönlichen Erscheinen nur die Möglichkeit, gemäß § 26 Abs. 1, § 29 Abs. 1 ZPO einen Rechtsanwalt oder sonst eine eigenberechtigte Person mit seiner Vertretung zu betrauen. Auch der Kläger - welcher darüber anläßlich der Zusteilung der Klage durch das ZP-Formular Nr. 34 ausdrücklich belehrt worden war - hätte hier von diesem Recht Gebrauch machen müssen, dies um so mehr, als er seine Vertagungsbitte erst am 21. Mai 1980 und damit so kurz vor der für den folgenden Tag anberaumten Verhandlungstagsatzung eingebracht hatte, daß eine (positive) Erledigung noch vor dieser Tagsatzung kaum erwartet werden konnte.

Auch die Revisionsausführungen des Klägers können diese Auffassung nicht widerlegen. Ob die verspätete Vorlage des Erstreckungsantrages an den Vorsitzenden des arbeitsgerichtlichen Senates auf einem Fehler eines Gerichtsbediensteten beruht, ist nach dem oben Gesagten ohne entscheidungswesentliche Bedeutung. Soweit der Kläger aber meint, daß der Antrag der Beklagten auf Fällung eines Versäumungsurteils schon deshalb zurückzuweisen gewesen wäre, weil seine krankheitsbedingte Verhinderung durch das der Vertagungsbitte beigelegte ärztliche Zeugnis im Sinne des § 402 Abs. 1 Z. 2 ZPO "bei Gericht offenkundig" gewesen sei, ist er darauf zu verweisen, daß diese Bestimmung lediglich Naturereignisse oder andere offenkundige (§ 269 ZPO), die Allgemeinheit betreffende Ereignisse im Auge hat; rein subjektive, nur die Person des Säumigen oder dessen engsten Lebenskreis berührende Hinderungsgrunde wie etwa eine plötzliche Erkrankung können hingegen die Verweigerung eines Versäumungsurteils nicht rechtfertigen (SZ 21/21; ebenso auch schon OLG Wien in EvBl. 1947/70; im gleichen Sinne Fasching II, 640 § 402 ZPO Anm. 4).

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