OGH 1Ob245/46

OGH1Ob245/4615.10.1946

SZ 21/6

Normen

ZPO §1 ZPO §224 ZPO §225 ZPO §502 Abs4 ZPO §528 ZPO §529 ZPO §532 ZPO §533 ZPO §534 ZPO §547
ZPO §1 ZPO §224 ZPO §225 ZPO §502 Abs4 ZPO §528 ZPO §529 ZPO §532 ZPO §533 ZPO §534 ZPO §547

 

Spruch:

§§ 224, 533 ZPO. Das Verfahren über die Wiederaufnahmsklage ist keine Ferialsache, auch wenn der Hauptprozeß eine solche ist. Entscheidung vom 15. Oktober 1946, 1 Ob 245/46.

I. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Rechtliche Beurteilung

Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Der Wiederaufnahmskläger, der in einer gegen ihn als Beklagten wegen Feststellung der Vaterschaft anhängig gewesenen Rechtssache unterlegen ist, brachte am 26. August 1946 bei dem nach § 532 ZPO. zuständigen Oberlandesgericht Graz eine Wiederaufnahmsklage ein, in welcher er neue Tatsachen behauptet, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren auch seiner Meinung eine ihm günstigere Entscheidung der Hauptsache herbeigeführt haben würde und zu deren Kenntnis er Ende Juli 1946 gelangt sein will. Das Oberlandesgericht wies die Klage als verspätet zurück, weil die Hauptsache und somit auch der Wiederaufnahmsstreit Ferialsache ist (§ 224, Abs. 1, Z. 6a ZPO.) und zur Zeit der Einbringung der Wiederaufnahmsklage die Frist des § 534, Abs. 1 und Abs. 2, Z. 4 ZPO. abgelaufen war. Gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes erhebt der Wiederaufnahmskläger Rekurs, der begrundet ist.

Die Wiederaufnahmsklage ist eine Klage besonderer Art; sie hat die Beseitigung eines ergangenen Urteiles und die Ersetzung dieses Urteiles durch ein neues für den Kläger günstigeres zum Ziele. Der fünfte Teil der Zivilprozeßordnung (§§ 529 bis 547 ZPO.) enthält über die Nichtigkeitsklage und die Wiederaufnahmsklage besondere Bestimmungen. Soweit sich aus diesen Bestimmungen nicht Abweichungen ergeben, finden die Bestimmungen des ersten bis vierten Teiles der ZPO. (§§ 1 bis 528 ZPO.) auf das Verfahren über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage Anwendung (§ 533 ZPO.). Unter den im § 224 ZPO. aufgezählten Ferialsachen sind die Streitigkeiten über Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen nicht angeführt. Im fünften Teil der Zivilprozeßordnung ist eine Bestimmung, der zufolge Wiederaufnahms- und Nichtigkeitsklagen als Ferialsachen zu behandeln sind, nicht enthalten. Diese Streitigkeiten sind daher nur dann als Ferialsachen anzusehen, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit gemäß § 224, Abs. 2 ZPO. ausdrücklich als solche erklärt wurden. Demgemäß wird der Lauf der zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage offenstehenden einmonatigen Notfrist des § 534 ZPO. um die Dauer der Gerichtsferien verlängert. Diese Rechtansicht wurde vom Obersten Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 28. August 1930, 3 Ob 738/30, SZ. XII/241, und hinsichtlich der Nichtigkeitsklagen in der Entscheidung vom 12. Dezember 1929, 1 Ob 1067/29, SZ. XI/258, ausgesprochen und wird auch vom Schrifttum geteilt (Neumann, Kommentar II, zu § 533 ZPO., Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, I., S. 688, siehe auch Fr. Beantw. zu § 225 ZPO.). Hat die Wiederaufnahmsklage zur Aufhebung des früheren Urteiles geführt, dann ist das Verfahren allerdings nach den für die Hauptsache geltenden Verfahrensbestimmungen fortzusetzen und es wird die Rechtssache, wenn die Hauptsache eine Ferialsache bildete, gleichfalls zur Ferialsache. Dieser Gedanke liegt auch der zur Begründung des angefochtenen Beschlusses herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 4. Jänner 1933, 1 Ob 1173/32, SZ. XV/4, zugrunde; in dem dort behandelten Falle wurde nach Bewilligung der Wiederaufnahme und Aufhebung des in einer Kündigungssache ergangenen Urteiles die Rechtssache durch Anwendung der Bestimmungen des § 502, Abs. 4 ZPO. als Kündigungssache anerkannt (vgl. auch Entscheidung vom 4. Mai 1915, GlUNF. 7423, JB. 225). In der vorliegenden Wiederaufnahmsklage hat der Kläger nach seinen Angaben von den Tatsachen, auf die er sein Begehren stützt, Ende Juni 1946, Kenntnis erlangt; da sich die Frist zur Anbringung der Wiederaufnahmsklage um die Dauer der Gerichtsferien verlängerte, war sie zur Zeit der Erhebung der Klage (26. August 1946) noch nicht abgelaufen. Es war daher dem Rekurs stattzugeben.

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