OGH 4Ob567/78

OGH4Ob567/7817.10.1978

SZ 51/140

Normen

AußStrG §16 Abs1 und 2
JN §33 Abs1
JN §33 Abs2
JN §44 Abs1
JN §44 Abs2
ZPO §477
AußStrG §16 Abs1 und 2
JN §33 Abs1
JN §33 Abs2
JN §44 Abs1
JN §44 Abs2
ZPO §477

 

Spruch:

Bedeutung der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes im Außerstreitverfahren

Wenngleich der im Außerstreitgesetz nicht näher definierte Begriff der "Nullität" (§ 16 AußStrG) in der Regel den Nichtigkeitsgrunden des § 477 ZPO entsprechen wird, haben doch die Nichtigkeitsgrunde im Verfahren außer Streitsachen nur relative Bedeutung: es muß daher in jedem Einzelfall der effektive Einfluß des gerügten Verfahrensmangels auf die Erledigung der Sache genau abgewogen werden

OGH 17. Oktober 1978, 4 Ob 567/78 (LG Salzburg 33 R 497/78; BG Radstadt P 13/78)

Text

Die am 22. November 1966 von Gerlinde O außer der Ehe geborene minderjährige Andrea O befindet sich in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großeltern. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Montafon vom 22. Dezember 1967 wurde Johann N als Vater des Kindes festgestellt und zu einem monatlichen Unterhalt von 390 S verurteilt. Am 22. Feber 1978 beantragte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau-Jugendamt beim Bezirksgericht Radstadt hinsichtlich des Johann N die Erhöhung des monatlichen Unterhaltsbeitrages ab 1. März 1978 auf jenen Betrag, der seiner gesetzlich anteiligen Unterhaltspflicht gemäß § 140 ABGB entspreche, wobei als Rahmen der Gesamtunterhaltsbedarf des Kindes mit 1900 S monatlich angegeben wurde; ferner beantragte sie, die Mutter Gerlinde O im Rahmen dieses Gesamtunterhaltsbetrages zu einem ihrer gesetzlichen anteiligen Unterhaltspflicht gemäß § 140 ABGB entsprechenden Unterhaltsbetrag zu verhalten. Soweit feststellbar ist, wurde bis dahin bei keinem Gericht eine Pflegschaft über die minderjährige Andrea O eröffnet, insbesondere auch nicht beim Bezirksgericht St. Johann im Pongau.

Das Erstgericht wies den Antrag des Jugendamtes ab. Es vertrat die Rechtsansicht, von der Mutter könne schon deshalb kein Unterhalt begehrt werden, weil die mütterlichen Großeltern die Pflege und Erziehung für ihre Tochter leisteten, eventuell gewünschte Leistungen direkt mit ihrer Tochter vereinbarten und nicht wünschten, daß ein ziffernmäßiger Unterhaltsbeitrag festgesetzt werde. Wenn aber jemand, sei es entgeltlich oder unentgeltlich, für die Mutter die Pflege und Erziehung des Kindes übernehme, dann falle die Verpflichtung dieses Elternteiles zur Zahlung eines Unterhaltes weg. Hinsichtlich des Vaters wäre dagegen eine Unterhaltserhöhung auf 1900 S nach dem Richtsatz nach der Methode Danninger gerechtfertigt. Da jedoch der Aufenthalt des Vaters unbekannt sei und trotz verschiedener Bemühungen des Gerichtes nicht habe ermittelt werden können, könne nicht festgestellt werden, ob der Vater in der Lage sei, einen derartigen Unterhalt zu zahlen. Es sei Sache der Amtsvormundschaft, weiterhin zu versuchen, den Vater auszuforschen, was ja deshalb möglich sein müsse, weil der Vater mehr oder minder regelmäßig Unterhalt, zu dem er urteilsmäßig verpflichtet sei, an die Amtsvormundschaft überweise.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Jugendamtes nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dem Gesetz könne nicht entnommen werden, daß die Betreuung des Kindes durch einen Elternteil nicht auch in der Form geschehen könne, daß die damit verbundenen Leistungen im Einvernehmen mit diesem Elternteil von den Großeltern erbracht würden. Ebenso wie nach dem Bericht des Justizausschusses eine Internatsunterbringung nicht geeignet sei, die Wertung der mütterlichen Betreuung zu beseitigen, könne auch die Tatsache, daß die mütterlichen Großeltern das Kind unentgeltlich in ihrem Haushalt beaufsichtigten, zu keiner anteiligen Unterhaltsverpflichtung der Mutter führen.

Es genüge aber auch nicht, in einem Unterhaltsbemessungsantrag nur den Rahmen zu nennen, innerhalb dessen die Eltern anteilig zu verpflichten seien. Das auch für das Unterhaltsverfahren gültige Antragsprinzip führe dazu, daß es hinsichtlich jeder Person, von der Unterhalt gewünscht werde, der Angabe eines bestimmten Betrages bedürfe. Mangels einer solchen Angabe habe das Erstgericht den Antrag auch bezüglich des Vaters mit Recht abgewiesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Jungendamtes mit dem Antrag, die Entscheidungen der Untergerichte als nichtig aufzuheben und die Pflegschaftssache gemäß § 44 Abs. 1 JN an das gemäß § 71 JN zuständige Bezirksgericht St. Johann im Pongau zu überweisen oder "festzustellen, daß die Feststellung, ob für einen Elternteil § 140 Abs. 2 ABGB zutreffend ist, nicht von den Beziehungen zwischen dem betreffenden Elternteil und Drittpersonen abhängt, wie es die Unterinstanzen in ihrer Rechtsmeinung zum Ausdruck bringen, sondern nach den gesetzlich eindeutig normierten objektiv zu ermittelnden Tatsachen festzustellen ist und nur daraus Art und Ausmaß der anteiligen Unterhaltspflicht der Eltern ableitbar ist".

Der Oberste Gerichtshof wies den (außerordentlichen) Revisionsrekurs des Jugendamtes als unzulässig zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da es sich im vorliegenden Fall nicht um Fragen der Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes handelt (JB 60 neu = SZ 27/177), ist der Revisionsrekurs nicht bereits nach § 14 Abs. 2 AußStrG unzulässig. Er ist jedoch gemäß § 16 AußStrG unzulässig.

Als Nullität im Sinne dieser Gesetzesstelle macht das Jugendamt geltend, zur Entscheidung über den Antrag sei gemäß § 71 JN (i. d. F. des Art. VII Z. 1 KindG, BGBl. 403/1977) das Bezirksgericht St. Johann im Pongau und nicht das Bezirksgericht Radstadt zuständig gewesen, weil es sich um einen Amtsmundel handle und der Antrag erst nach dem Inkrafttreten des KindG eingebracht worden sei.

Eine Nullität liegt nicht vor:

Wohl wird der im Außerstreitgesetz nicht näher definierte Begriff der Nullität im Regelfall den Nichtigkeitsgrunden des § 477 ZPO entsprechen (SZ 42/69; RZ 1968, 215 u. v. a.), uneingeschränkt ist dies jedoch nicht der Fall. Die Bedeutung der hier in Betracht kommenden Gerichtsfehler muß nämlich für die beiden Gebiete der bürgerlichen Gerichtsbarkeit nicht immer die gleiche sein, da die Verschiedenheit der die beiden Verfahren beherrschenden Grundsätze zu anderen Ergebnissen führen kann (SZ 29/9). Das ergibt sich schon daraus, daß das Verfahren außer Streitsachen weit weniger streng geregelt ist und im Zivilprozeß ein Gegenstück zu § 2 Abs. 3, 7, 10 AußStrG jedenfalls fehlt. Daß die Verletzung der örtlichen Zuständigkeitsvorschriften im außerstreitigen Verfahren einen Nichtigkeitsgrund abgebe, wurde von der Entscheidung SZ 24/339 ausdrücklich verneint; die gegenteilige Ansicht Faschings (I, 281) wurde auch von der Entscheidung 7 Ob 269/65 ausdrücklich abgelehnt (gegenteiliger Ansicht allerdings SZ 29/9; EvBl. 1959/381 u. a.,

zuletzt etwa - jedoch ohne Auseinandersetzung mit SZ 45/31 = EFSlg.

18 930 - 7 Ob 119/73 = EFSlg. 21 201). Auch Ott,

Rechtsfürsorgeverfahren 216 hält nur die sachliche Unzuständigkeit des Gerichtes für so beachtlich, daß ihre Mißachtung eine Nichtigkeit begrunde. Er lehrt darüber hinaus (212 f.), daß auch eine Verletzung des formalen Rechts zugunsten der zweckmäßig gestalteten materiellen Rechtslage unbeachtlich bleiben und die geschaffene ruhige Situation nicht unvorhergesehenen Störungen ausgesetzt werden soll, wenn ungeachtet unterlaufener Verfahrensmängel der angestrebte Rechtsschutz erreicht wurde. Die Nichtigkeitsgrunde im Verfahren außer Streitsachen sind in diesem Sinne daher auch bloß relative, d. h. der effektive Einfluß des gerügten Gerichtsfehlers auf die Erledigung der Sache ist in jedem Einzelfall genau abzuwägen (SZ 45/ 31 = EFSlg 18 930; 1 Ob 510/77). Daran hält der erkennende Senat fest.

Zur konkreten Frage der örtlichen Unzuständigkeit ist aber noch folgendes zu beachten: Gemäß § 32 Abs. 1 JN, welche Bestimmung für alle Verfahrensarten gilt, hat jedes Gericht die zu seinen Wirkungskreis gehörenden Amtshandlungen innerhalb des ihm zugewiesenen Sprengels selbst vorzunehmen. Diese Bestimmung bildet die gesetzliche Grundlage für die Begrenzung der Gerichtstätigkeit auf die örtlichen Sprengel der Gerichte; sie schafft damit erst die Voraussetzung für die örtliche Zuständigkeitsordnung der Jurisdiktionsnorm und für die Rechtshilfe durch die ersuchten Gerichte (Fasching I, 235). Dieser Grundsatz der Einhaltung der örtlichen Zuständigkeit erfährt jedoch in § 33 JN eine Durchbrechung in den Fällen der Gefahr in Verzug und bei Amtshandlungen an der Grenze des Gerichtssprengels. Hier wird ein Überschreiten der örtlichen Zuständigkeit ausdrücklich geduldet, weil bei obwaltender Gefahr die Interessen der Partei nicht unter dem Prinzip leiden sollen, daß der örtliche Sprengel des Gerichtes eingehalten werden muß (RZ 1976, 243). Weder der Grundsatz des § 32 Abs. 1 JN noch die enge Begrenzung der Ausnahmen nach § 33 JN sind dabei durch verfahrensrechtliche Folgen sanktioniert; eine entgegen den Bestimmungen der §§ 32 Abs. 1 und 33 JN vorgenommene Amtshandlung ist daher auch nicht mit Nichtigkeit bedroht (Fasching I, 237). Folgerichtig erfaßt daher auch der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z. 3 ZPO im Zusammenhalt mit § 104 JN keineswegs die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes, und auch § 44 Abs. 3 JN verfügt ausdrücklich, daß das Gericht, welches seine Unzuständigkeit ausgesprochen hat, ohne einen Überweisungsbeschluß zu fassen, bis zur Rechtskraft jenes Beschlusses alle zur Wahrung öffentlicher Interessen oder zur Sicherung der Parteien oder des Zweckes des Verfahrens nötigen Verfügungen treffen kann. Es sind also unter gewissen Voraussetzungen Verfügungen des unzuständigen Gerichtes sogar noch in einem Zeitpunkt zulässig, in dem die Unzuständigkeit, wenn auch noch nicht rechtskräftig, bereits ausgesprochen ist. § 44 Abs. 1 JN sieht auch nur den Ausspruch der Unzuständigkeit und die Überweisung der Rechtssache an das zuständige Gericht vor, sagt aber keineswegs, daß die bis dahin vom unzuständigen Gericht gefaßten Beschlüsse nichtig seien. Wenn daher auch im Verfahren außer Streitsachen im Gegensatz zum streitigen Verfahren eine Gerichtsstandvereinbarung nicht möglich, gemäß § 44 JN die Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen und die Rechtssache an das zuständige Gericht zu überweisen ist, kann im Hinblick auf die dargelegten Grundsätze der Jurisdiktionsnorm und der Zivilprozeßordnung daraus allein noch nicht abgeleitet werden, daß bei bloßer örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes die von diesem gefaßten Beschlüsse nichtig wären. Auch § 2 Abs. 2 Z. 1 AußStrG sagt nur, daß das Gericht auch in nichtstreitigen Rechtsangelegenheiten die Grenzen seiner Gerichtsbarkeit nicht überschreiten und allenfalls die Parteien an das zuständige Gericht verweisen soll. Es kommt daher einzig und allein darauf an, ob ungeachtet der Tatsache, daß ein örtlich unzuständiges Gericht eingeschritten ist, der angestrebte Rechtsschutz erreicht wurde bzw. rechtlich geschützte Interessen nicht beeinträchtigt wurden.

Im vorliegenden Fall wurde nun der Antrag von der Revisionsrekurswerberin selbst beim Bezirksgericht Radstadt eingebracht. Da bei keinem anderen Gericht ein Pflegschaftsverfahren anhängig war, bestand weder die Gefahr der Doppelgeleisigkeit (vgl. dazu EvBl. 1959/ 381), noch ist erkennbar, daß hiedurch die Interessen des Pflegebefohlenen oder eines anderen am Verfahren Beteiligten verletzt worden seien. Der Pflegebefohlene war im gesamten Verfahren von der Amtsvormundschaft vertreten. Die Eltern des Kindes wurden durch die Beschlüsse der Untergerichte nicht beschwert, weil die Anträge des Jugendamtes abgewiesen wurden, und auch die mütterlichen Großeltern wurden im Verfahren erster Instanz gehört, so daß auch deren Interessen gewahrt blieben. Im vorliegenden Fall kann daher in der Entscheidung erster Instanz durch ein örtlich unzuständiges Gericht keine Nullität im Sinne des § 16 AußStrG erblickt werden. Ob und welche Bedeutung dem Umstand beigemessen werden könnte, daß auch bei einem Einschreiten des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau in erster Instanz das Landesgericht Salzburg Rekursgericht gewesen wäre, braucht unter diesen Umständen nicht erörtert zu werden.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt das Jugendamt darin, daß das Rekursgericht seinen Antrag mit der Begründung abgewiesen hat, es habe nicht angegeben, welcher Betrag von jedem Elternteil gefordert werde, sondern nur einen Gesamtbetrag genannt. Darüber hinaus sei auch die Annahme offenbar gesetzwidrig, die Mutter leiste durch die einvernehmliche Unterbringung des Kindes bei den Großeltern gemäß § 140 Abs. 2 ABGB ihren Beitrag zum Unterhalt des Kindes.

Was den zunächst genannten Abweisungsgrund bezüglich beider Elternteile anlangt, so handelt es sich bei der Frage, welchen Inhalt ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung haben muß, um eine verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Entscheidung. Die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften kann aber nicht wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, deren Gegenstand nur materiellrechtliche Unrichtigkeiten sein können, sondern nur wegen Nichtigkeit bekämpft werden (SZ 43/228; SZ 47/105 u. v. a.). Daß aber die Ansicht der Untergerichte zu einer Rechtsverweigerung geführt hätte, kann schon deshalb nicht gesagt werden, weil das Jugendamt seinen Antrag unter Anführung des von jedem Elternteil verlangten Unterhaltes jederzeit - und unter Bedachtnahme auf die neue Zuständigkeitsordnung - wieder einbringen kann.

Im Hinblick darauf, daß dieser auf beide Elternteile zutreffende Abweisungsgrund des Rekursgerichtes nicht bekämpfbar ist, braucht die Frage, ob die Ansicht des Rekursgerichtes, die Mutter leiste im vorliegenden Fall durch die einvernehmliche Unterbringung des Kindes bei den Großeltern ihren Beitrag zum Unterhalt im Sinne des § 140 Abs. 2 ABGB, offenbar gesetzwidrig ist, nicht geprüft zu werden. Die vom Jugendamt im Revisionsrekurs begehrte Feststellung über die Auslegung des § 140 Abs. 2 ABGB kann jedoch im Rahmen der Entscheidung über einen Revisionsrekurs nicht erfolgen, da hier nur zu prüfen ist, ob die Entscheidung der Unterinstanzen gemäß § 16 AußStrG mit Erfolg angefochten werden kann.

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