OGH 1Ob728/55

OGH1Ob728/551.2.1956

SZ 29/9

Normen

Außerstreitgesetz §2
Außerstreitgesetz §16
Entmündigungsordnung §12
Außerstreitgesetz §2
Außerstreitgesetz §16
Entmündigungsordnung §12

 

Spruch:

Für die örtliche Zuständigkeit zur Entmündigung ist nicht der Wohnsitz, sondern der ständige Aufenthalt des zu Entmundigenden maßgebend.

Ein vom unzuständigen Gericht gefällter Entmündigungsbeschluß ist nichtig. Die Entscheidung ist daher vom Obersten Gerichtshof gemäß § 16 AußStrG. aufzuheben und die Entmündigungssache gemäß § 44 JN. von Amts wegen an das zuständige Bezirksgericht zu überweisen.

Entscheidung vom 1. Februar 1956, 1 Ob 728/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Villach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.

Text

Am 18. Februar 1954 stellte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt den am 20. Februar 1954 beim Bezirksgericht Villach eingelangten Antrag auf beschränkte Entmündigung des Autobusunternehmers Alexander A. in V., G.-Gasse Nr. 32, wegen Querulantenwahns, mit der Motivierung, daß schon seinerzeit unter L 2/46 des Bezirksgerichtes Villach über Antrag der Staatsanwaltschaft ein Entmündigungsverfahren gegen den Genannten wegen Querulantenwahns anhängig gewesen sei, das jedoch mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 5. Juni 1948 durch Antragsabweisung erledigt wurde, daß sich aber nunmehr aus verschiedenen Akten offenbar eine Verschlechterung in der querulatorischen Veranlagung des Alexander A. ergebe. Danach habe der Genannte in den letzten Jahren neuerdings zahlreiche, zum Großteil unbegrundete und aussichtslose Gerichtsverfahren anhängig gemacht, Rechtsmittel erhoben und verworrene Eingaben in Amtshaftungssachen eingebracht.

Das Erstgericht hat die beschränkte Entmündigung des Alexander A. wegen Geisteskrankheit (paranoia querulatoria) mit Beschluß vom 23. März 1955 ausgesprochen.

Dem Widerspruch des Entmundigten und des vorläufigen Beistandes gegen diesen Beschluß gab das Widerspruchsgericht keine Folge.

Gegen den Beschluß des Widerspruchsgerichtes erhoben sowohl der Entmundigte wie sein vorläufiger Beistand Hans J. Rekurs. In den Rekursen wird in erster Linie Nichtigkeit geltend gemacht, weil mangels ständigen Aufenthaltes des Alexander A. in V. zur Zeit der Einleitung des Entmündigungsverfahrens und auch später das Bezirksgericht Villach zur Entscheidung über den Entmündigungsantrag nicht zuständig gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen des Alexander A. und seines vorläufigen Beistandes Folge, hob den angefochtenen Beschluß über den Widerspruch und den erstgerichtlichen Beschluß über die Entmündigung als nichtig auf und überwies den Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt auf beschränkte Entmündigung des Alexander A. dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien als dem zuständigen Gericht.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 12 Abs. 1 EntmO. wird die Entmündigung durch Beschluß des Bezirksgerichtes ausgesprochen, in dessen Sprengel die Person, die entmundigt werden soll, zur Zeit der Einleitung des Verfahrens ihren ständigen Aufenthalt hat. Das Entmündigungsverfahren muß sich rasch abwickeln. Dazu ist es notwendig, daß die Frage, welches Gericht zur Entscheidung zuständig ist, eine einfache Lösung findet und keine Schwierigkeiten bietet. Aus diesem Gründe wird einerseits als sachlich zuständiges Gericht das Bezirksgericht bezeichnet, denn das Verfahren vor diesem Gericht wickelt sich, wie es in der Natur der Sache liegt, schneller ab als beim Gerichtshof, und andererseits wird dasjenige Gericht als örtlich zuständig erklärt, in dessen Sprengel die Person, die entmundigt werden soll, ihren ständigen Aufenthalt hat. Damit ist nicht mehr grundsätzlich der Wohnsitz als der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des zu Entmundigenden, sondern der ständige Aufenthaltsort für die Kompetenz maßgebend. Die Rücksichtnahme auf den ständigen Aufenthaltsort findet sich auch in der kaiserlichen Verordnung vom 10. August 1914, RGBl. Nr. 208, in welcher der durch diese neu eingeführte § 109a JN. dem Justizministerium das Recht erteilt, insoweit dies zur Wahrung der Interessen von Minderjährigen oder Pflegebefohlenen dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt, durch Verordnung zu bestimmen, daß zur Bestellung eines Vormundes oder Kurators und zur Besorgung von Geschäften, die der Vormundschafts- oder Kuratelsbehörde obliegen, das Bezirksgericht zuständig ist, in dessen Sprengel der Minderjährige oder Pflegebefohlene seinen ständigen oder mangels eines solchen seinen letzten Aufenthalt hat. Der Wohnsitz wird mit dem ständigen Aufenthalt in der Regel zusammenfallen;, wo aber dies nicht der Fall ist, da ist dem Gerichte des ständigen Aufenthaltes der Vorzug gegeben, um so mehr als diese Kompetenz sich bisweilen leichter feststellen läßt als das Gericht des Wohnsitzes. Insbesondere bietet das Einschreiten des Aufenthaltsgerichtes beim abgeleiteten Wohnsitz (Ehefrau, Minderjährige) erhebliche Vorteile, weil in diesen Fällen tatsächlich das Gericht des Wohnsitzes mit dem Gericht des Aufenthaltes nicht zusammenfällt.

In dem in der Entmündigungsordnung geregelten Verfahren finden, soweit nicht abweichende Bestimmungen getroffen sind, die Vorschriften über das Verfahren in nicht streitigen Rechtsangelegenheiten (§§ 1 bis 19 AußStrG.) Anwendung. Unter den Verstößen formeller Natur im Außerstreitverfahren nehmen eine besondere Stellung die Nichtigkeitsgrunde ein. Das Außerstreitgesetz spricht zwar von der Nichtigkeit (§ 16), führt aber die Nichtigkeitsgrunde nicht an. Doch begrunden die Mängel, welche die Zivilprozeßordnung zu Nichtigkeitsgrunden erhoben hat, wohl sämtlich auch im Verfahren außer Streitsachen die Nichtigkeit des Verfahrens, soweit sie für dieses in Betracht kommen können (Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, S. 36). Im § 2 AußStrG. wird dem Gerichte zur Pflicht gemacht, die allgemeinen Vorschriften über die Erfordernisse rechtsgültiger Verhandlungen und Verfügungen genau zu beobachten, und im § 16 AußStrG. der Zutritt zum Obersten Gerichtshof mit einer Beschwerde gegen Entscheidungen des Obergerichtes, welche Verfügungen eines Untergerichtes bestätigen, auch wegen einer begangenen Nullität gestattet. Der erstere Hinweis kann als eine Verweisung auf die einschlägigen Vorschriften des Prozeßverfahrens gedeutet werden. Die Bedeutung und Behandlung der Nichtigkeit für die beiden Gebiete der Gerichtsbarkeit kann allerdings nicht die gleiche sein, denn die Verschiedenheit der das Verfahren beherrschenden Grundsätze macht sich hiebei geltend. Die endliche Erledigung einer Rechtsangelegenheit von einem Gerichte, das auch durch ausdrückliche Parteienvereinbarung nicht zuständig gemacht werden kann, ist im Verfahren freiwilliger Gerichtsbarkeit um so eher ein Nichtigkeitsgrund, zumal hier eine Prorogation überhaupt unzulässig ist. Die im Streitverfahren ganz allgemein für zulässig erklärte Prorogation ist dem Verfahren freiwilliger Gerichtsbarkeit völlig fremd. Dies erhärtet die kategorische Weisung des § 2 Z. 1 AußStrG., ferner Wortlaut und Einreihung des § 104 JN. am Schluß des über die Zuständigkeit in Streitsachen handelnden zweiten Teiles der Jurisdiktionsnorm. Da sonach Vereinbarungen der am Verfahren außer Streitsachen Beteiligten über die Gerichtszuständigkeit vom Gesetze ausgeschlossen sind, erklärt sich auch die im Streitverfahren nicht anerkannte Pflicht des Gerichtes, alle für die Zuständigkeit maßgebenden Verhältnisse - auch wenn ein Antrag auf Einleitung des Verfahrens vorliegt - von Amts wegen, insbesondere durch Einvernahme der Beteiligten, zu ermitteln (§ 41 Abs. 3 JN.) und bei Hervorkommen der sachlichen oder örtlichen Unzuständigkeit in welcher Lage des Verfahrens immer die Verhandlung der Sache einzustellen und die Beteiligten an das gesetzlich berufene Gericht zu verweisen (Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, S. 124 f., 208 f. und 216). Wenn also § 12 EntmO. das Gericht des ständigen Aufenthaltes des zu Entmundigenden zur Entscheidung für zuständig erklärt, so hat er damit die ausschließliche Zuständigkeit dieses Gerichtes zur Entmündigung angeordnet.

War also der ständige Aufenthalt des Entmundigten bei Einleitung des gegenständlichen Verfahrens in Wien, dann sind die die Entmündigung des Alexander A. betreffenden Entscheidungen wegen Unzuständigkeit nichtig; diese Nichtigkeit ist vom Obersten Gerichtshof bei vorhandenen zulässigen Rechtsmitteln wahrzunehmen. Für das deutsche Recht heißt es nach einer Anmerkung im Kommentar zur Entmündigungsordnung von Sternberg auf S. 93 in Seufferts Archiv,

55. Band 2, 46/474: "Die Zuständigkeit ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Sobald sich im Laufe desselben herausstellt, daß dem Gerichte die anfänglich als vorhanden angenommene Zuständigkeit mangelt, ist aus diesem Gründe der Antrag auf Entmündigung zurückzuweisen".

Aus der Aktenlage ergibt sich zur Zuständigkeitsfrage folgendes:

Eine nach Einleitung des Entmündigungsverfahrens an Alexander A. ergangene Ladung unter der Kärntner Adresse langte mit Fehlbericht zurück, so daß die für 23. April 1954 anberaumte Entmündigungstagsatzung abberufen und das Ersuchen an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien gerichtet wurde, den in W. befindlichen Alexander A. zu vernehmen und durch einen gerichtsärztlichen Sachverständigen auf seinen geistigen Zustand untersuchen zu lassen. Dem Ersuchen konnte entsprochen werden, da Alexander A. tatsächlich in W. erreichbar war. Schon in einer Eingabe an die Oberstaatsanwaltschaft Graz vom 26. Mai 1954, die an das Erstgericht abgetreten wurde, verwies Alexander A. darauf, daß er seinen Wohnsitz geändert habe. In der Tagsatzung vom 11. September 1954 machte er ausdrücklich auf die Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Villach unter Hinweis darauf, daß er in V. nicht mehr ständig wohne, sein ordentlicher Wohnsitz W. und er bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens in W. gemeldet gewesen sei, aufmerksam. Das Erstgericht ging über die Zuständigkeitsvorschrift des § 12 Abs. 1 EntmO. mit der Bemerkung hinweg, daß zur Zeit der Einleitung des Verfahrens (20. Februar 1954) Alexander A. in V. gemeldet war, die erste Vorladung des zu Entmundigenden allerdings bereits nach W. zugestellt wurde, jedoch Alexander A. zu diesem Zeitpunkt Unzuständigkeit noch nicht einwendete, sich selbst in Anzeigen als Autounternehmer in V., G.-Gasse Nr. 32, ausgab, noch in seiner Anzeige vom 23. Februar 1955 sich als derzeit in W. wohnhaft bezeichnete, weshalb mit Recht angenommen werden könne, daß nach wie vor, auf jeden Fall aber zur Zeit der Einleitung des Verfahrens, V. der ständige Aufenthalt des Alexander A. gewesen sei.

Das Widerspruchsgericht äußert sich zur Frage der Zuständigkeit dahin, daß das Erstgericht in der Begründung seines Beschlusses mit Recht darauf verweise, der ständige Aufenthalt des Alexander A. sei offenbar auch weiterhin V., wo er sein Unternehmen betrieben habe und wo er nach seiner eigenen Erklärung auch weiterhin polizeilich gemeldet sei, da zumindest zur Zeit der Einleitung des Entmündigungsverfahrens nicht V., sondern W. sein bloß vorübergehender Aufenthaltsort gewesen sei. Bezeichnend sei, daß Alexander A. anfänglich keineswegs die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes V. bestritten habe. Die Unzuständigkeitseinwendung des Alexander A. sei daher offenbar nur ein Versuch, auf diesem Wege eine andere, für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen. Da Alexander A. sich ursprünglich in das Verfahren einließ, ohne die Unzuständigkeit einzuwenden, V. aber zumindest zur Zeit der Einleitung des Verfahrens offenkundig sein ständiger Aufenthaltsort gewesen sei, müsse die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes V. zur Durchführung des Entmündigungsverfahrens und zur Entscheidung als gegeben angesehen werden.

Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß die Untergerichte die Frage der Zuständigkeit überhaupt nicht genau geprüft haben, sich vielmehr diesbezüglich, wie die Ausdrücke "offenbar" oder "offenkundig" zeigen, mit bloßen Vermutungen begnügten und sich auf klare Tatsachen bei Annahme der Zuständigkeit nicht stützen konnten. Der Umstand, daß Alexander A. in V. bei Einleitung des Verfahrens polizeilich gemeldet war, daß er dort ein Unternehmen betreibt, möglicherweise auch eine Wohnung hat, besagt zur Frage, wo er bei Einleitung des Entmündigungsverfahrens seinen ständigen Aufenthalt hatte, nichts Erschöpfendes, weil diese Tatsachen noch nicht einen ständigen Aufenthalt des zu Entmundigenden in W. bei Einleitung des Verfahrens ausschließen müssen. Auf die Einwendung der Unzuständigkeit kommt es im Außerstreitverfahren, wie schon erwähnt, überhaupt nicht an. Da die Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist, hat der Oberste Gerichtshof zur Klärung der Frage die Vernehmung unterrichteter Auskunftspersonen einschließlich des Entmundigten selbst veranlaßt. Aus den Aussagen der Zahnärztin Dr. Gabriele R., einer Tochter des Entmundigten, der Hausfrau Ella A., der Gattin des Entmundigten, und den Angaben des Alexander A. selbst geht hervor, daß der Genannte schon geraume Zeit vor Einleitung des gegenständlichen Entmündigungsverfahrens seinen ständigen Aufenthalt in W. hatte und weiterhin hat, wie es nicht nur der Entmundigte, sondern auch der vorläufige Beistand in seinem Rekurs behauptet. Das Bezirksgericht V. war somit zur Entscheidung über den Entmündigungsantrag nicht zuständig; daher war die Nichtigkeit der untergerichtlichen Entscheidungen betreffend die Entmündigung auszusprechen und gleichzeitig gemäß § 44 JN. die Entmündigungssache an das zuständige Bezirksgericht in W. zu überweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte