VwGH Ro 2023/07/0024

VwGHRo 2023/07/002430.8.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der S S in F, vertreten durch Dr. Erich Moser und Dr. Martin Moser, Rechtsanwälte in 8850 Murau, Schwarzenbergsiedlung 114, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 3. Mai 2022, Zl. LVwG 23.11‑1522/2022‑17, betreffend Absonderung nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Murtal), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
EpidemieG 1950 §7 Abs1a idF 2021/I/183
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023070024.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Murtal (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) vom 1. Februar 2022 wurde gemäß §§ 1, 5, 6, 7, 7a und 17 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), näher genannter Verordnungen und § 57 Abs. 1 AVG die Absonderung der Revisionswerberin mit Wirkung ab 29. Jänner 2022 bis einschließlich 7. Februar 2022 als bestätigter COVID‑19‑Erkrankungsfall angeordnet und ihr aufgetragen, dass sie den Aufenthaltsort (Wohnadresse) oder, im Fall der Verlegung in eine Krankenanstalt, diese nicht verlassen dürfe und Kontakte zu anderen Personen zu vermeiden habe. Diesem Bescheid war ein positiver SARS‑CoV‑2‑PCR‑Test der Revisionswerberin vorausgegangen.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin mit Eingabe vom 3. Februar 2022 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht).

3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Februar 2022 wurde die Absonderung der Revisionswerberin mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Begründend wurde dazu ausgeführt, weil der Krankheitsverlauf insgesamt als leicht eingestuft werden könne, bestehe nach den Erhebungen der zuständigen Sanitätsbehörde keine Ansteckungsgefahr mehr.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wurde der Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 1. Februar 2022 insoweit Folge gegeben, als die Absonderung der Revisionswerberin vom 29. Jänner bis 31. Jänner 2022 rechtswidrig, jedoch die Absonderung im Zeitraum vom 1. Februar bis 5. Februar 2022 rechtmäßig gewesen sei.

5 Mit dem in derselben Entscheidung erlassenen Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Antrag der Revisionswerberin, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, als der Passus

„Sie dürfen daher den Aufenthaltsort (Wohnadresse) oder, im Fall der Verlegung in eine Krankenanstalt, diese nicht verlassen und haben Kontakte zu anderen Personen zu vermeiden.“

abgeändert werde auf

„Sie haben Kontakte zu anderen Personen zu vermeiden.“,

als unzulässig zurückgewiesen.

6 Auch einen Antrag der Revisionswerberin betreffend die Refundierung der geleisteten Pauschalgebühr wies das Verwaltungsgericht als unzulässig zurück.

7 Bezüglich seines Erkenntnisses ließ das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision zu, weil „im gegenständlichen Verfahren die Rechtsfrage zu lösen war, ob und inwieweit bei der Überprüfung der Absonderung bei einer festgestellten COVID‑19‑Erkrankung gelindere Mittel zu prüfen sind und eine solche Rechtsprechung fehlt.“ Hinsichtlich seines Beschlusses erklärte das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision als unzulässig.

8 Soweit für die gegenständliche Entscheidung von Bedeutung, begründete das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis näher, weshalb nach seiner Beurteilung die bescheidmäßige Absonderung der Revisionswerberin an ihrem Wohnort nicht als rechtswidrig angesehen werden könne.

9 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 29. November 2022, E 1698/2022‑8, die Behandlung der von der Revisionswerberin gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

10 Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich nun die ordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts blieb unangefochten.

11 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragt.

12 Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision, jeweils unter Aufwandersatz.

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

16 Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa VwGH 27.7.2017, Ro 2015/07/0020; 20.4.2023, Ro 2021/10/0014, mwN).

17 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wird in der Revision auf die Zulässigkeitsbegründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen, wobei die Formulierung verwendet wird, es sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, „insbesondere da es einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung mangelt, ob eine Absonderung im Sinne einer Anhaltung im Falle einer Covid‑19‑Infektion tatsächlich erforderlich ist, oder ob nicht mit verkehrsbeschränkenden Maßgabe“ (gemeint wohl: Maßnahmen) „das Auslangen gefunden werden kann“.

18 § 7 EpiG, BGBl. Nr. 186/1950 in der Fassung BGBl. I Nr. 183/2021, lautet auszugsweise:

Absonderung Kranker.

§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen abgesondert oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.

...“

19 § 7 Abs. 1a EpiG sieht somit ausdrücklich eine Prüfung vor, ob durch gelindere Maßnahmen eine nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen bestehende ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen beseitigt werden kann.

20 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt aber nicht vor, wenn die Rechtslage ‑ wie hier ‑ nach dem klaren Wortlaut der anzuwendenden Bestimmungen eindeutig ist (vgl. etwa VwGH 19.4.2023, Ra 2022/07/0058, mwN).

21 Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass sich aus den Regelungen des EpiG ‑ insbesondere § 7 Abs. 1a und Abs. 2 leg. cit. ‑ unmissverständlich die Intention des Gesetzes ergibt, dass ab Kenntnis einer anzeigepflichtigen Krankheit zur Verhütung deren Weiterverbreitung (wie im vorliegenden Fall von „COVID‑19“) unverzüglich eine Absonderung „in der Wohnung des Kranken“ (wozu in den Absätzen 3 bis 5 dieser Bestimmung weitere Auflagen zur Unterbringung und allfälligen Überführung enthalten sind) von der Behörde zu veranlassen ist, soferne nicht gelindere Maßnahmen möglich sind (vgl. VwGH 1.9.2022, Ra 2022/09/0075).

22 Damit ist die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gestellte Frage, ob im Falle einer Absonderung nach § 7 EpiG verkehrsbeschränkende ‑ und damit gelindere ‑ Maßnahmen zu prüfen seien, beantwortet.

23 Im Übrigen hat sich das Verwaltungsgericht ‑ wobei es anmerkte, dass bei den von ihm angeführten Fallzahlen (hohen Infektionszahlen) eine „fallweise“ Einzelüberprüfung und die Anordnung individueller einzelner Verkehrsbeschränkungen als nicht vollziehbar und damit auch nicht zur Eindämmung des Corona-Virus geeignet angenommen werden könne ‑ im angefochtenen Erkenntnis mit der Frage der allfälligen Rechtswidrigkeit der Absonderung der Revisionswerberin an ihrem Wohnort auseinandergesetzt und sich auch mit der Möglichkeit der Vorschreibung gelinderer Mittel befasst.

24 Das Verwaltungsgericht hat dabei auf die Art der Krankheit und den aktuellen Stand der Forschung (bisher unbekannter, hoch infektiöser Erreger; offene Fragen in der medizinischen Wissenschaft hinsichtlich sämtlicher Übertragungswege), den im maßgebenden Zeitraum sprunghaften Anstieg der täglichen Infektionszahlen und das Vorherrschen einer noch ansteckenderen Virusvariante ebenso besonderes Augenmerk gelegt wie auf den damaligen, einen ct‑Wert unter 30 ausweisenden PCR‑Test der (dreifach geimpften) Revisionswerberin. Es hat sich ferner mit der Schutzwirkung zugelassener Impfstoffe und der Zulassung antiviraler Medikamente nur für bestimmte Risikopatienten auseinandergesetzt. Schließlich hat das Verwaltungsgericht hervorgehoben, dass die Behörde mit der Absonderung am Wohnort der Revisionswerberin gegenüber einer Absonderung in einer Krankenanstalt das gelindere Mittel gewählt habe.

25 Auf diese verwaltungsgerichtliche Argumentation geht die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht ein.

26 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

27 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. August 2023

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