VwGH Ra 2022/09/0075

VwGHRa 2022/09/00751.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 6. April 2022, Zl. E 279/09/2022.011/002, betreffend Absonderung nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:

Normen

EpidemieG 1950 §2 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §33
EpidemieG 1950 §5 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §6 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 Abs1a idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 Abs2 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 Abs3 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 Abs4 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 Abs5 idF 2021/I/183
EpidemieG 1950 §7 idF 2021/I/183
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090075.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See ‑ der nunmehrigen Amtsrevisionswerberin ‑ vom 23. März 2022 wurde gemäß § 6 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950 die Absonderung der Mitbeteiligten „auf Grund der Erkrankung an COVID‑19 am derzeitigen Aufenthaltsort“ für einen näher bezeichneten Zeitraum unter näher ausgeführten Auflagen samt der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne angeordnet.

2 Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten hob das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss diesen Bescheid auf und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.

3 In der Begründung seiner Entscheidung führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich gemäß § 3 Z 3 AVG die örtliche Zuständigkeit in Verfahren nach § 7 Epidemiegesetz 1950 zunächst nach dem Hauptwohnsitz des Beteiligten richte; das Epidemiegesetz selbst enthalte keine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit nach dieser Bestimmung. Der Hauptwohnsitz der Mitbeteiligen befinde sich im Sprengel einer anderen Bezirkshauptmannschaft. Der im Bescheid der Amtsrevisionswerberin (näher) genannte (Anmerkung des VwGH: in deren Sprengel befindliche) Aufenthaltsort begründe keine örtliche Zuständigkeit dieser Behörde, weshalb aufgrund deren Unzuständigkeit der Bescheid aufzuheben gewesen sei.

4 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht; die Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlich Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

6 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Mit dem Zulässigkeitsvorbringen des Fehlens von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Klärung der örtlichen Zuständigkeitsfrage in Verfahren nach § 7 Epidemiegesetz 1950 erweist sich die Amtsrevision als zulässig; sie ist auch begründet:

8 Nach § 1 AVG richtet sich die örtliche Zuständigkeit der Behörden nach den Vorschriften über ihren Wirkungsbereich und nach den Verwaltungsvorschriften. Soweit diese nichts bestimmen, richtet sich gemäß § 3 Z 3 leg. cit. diese zunächst nach dem Hauptwohnsitz (Sitz) des Beteiligten, und zwar im Zweifelsfall des belangten oder verpflichteten Teiles, dann nach seinem Aufenthalt, dann nach seinem letzten Hauptwohnsitz (Sitz) im Inland, schließlich nach seinem letzten Aufenthalt im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlass zum Einschreiten; kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist die sachlich in Betracht kommende oberste Behörde zuständig.

9 Die §§ 2, 5, 6 und 7 des Epidemiegesetzes 1950 (WV), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 183/2021 (EpiG) lauten (auszugsweise):

„Erstattung einer Anzeige

§ 2. (1) Jede Erkrankung, jeder Sterbefall an einer anzeigepflichtigen Krankheit, .... ist der Bezirksverwaltungsbehörde (Gesundheitsamt), in deren Gebiet sich der Kranke oder Krankheitsverdächtige aufhält oder der Tod eingetreten ist, unter Angabe des Namens, des Alters und der Wohnung und, soweit tunlich, unter Bezeichnung der Krankheit binnen 24 Stunden anzuzeigen.

(2) ...

Erhebungen über das Auftreten einer Krankheit

§ 5. (1) Über jede Anzeige sowie über jeden Verdacht des Auftretens einer anzeigepflichtigen Krankheit haben die zuständigen Behörden durch die ihnen zur Verfügung stehenden Ärzte unverzüglich die zur Feststellung der Krankheit und der Infektionsquelle erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen einzuleiten. Kranke, Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige sind verpflichtet, den zuständigen Behörden die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und sich den notwendigen ärztlichen Untersuchungen sowie der Entnahme von Untersuchungsmaterial zu unterziehen. Zum Zwecke der Feststellung von Krankheitskeimen sind hiebei nach Möglichkeit fachliche Untersuchungsanstalten in Anspruch zu nehmen.

(2) ...

Einleitung von Vorkehrungen bei Auftreten anzeigepflichtiger Krankheiten.

§ 6. (1) Über jeden Fall einer anzeigepflichtigen Krankheit sowie über jeden Verdachtsfall einer solchen Krankheit sind, neben den nach § 5 etwa erforderlichen Erhebungen, ohne Verzug die zur Verhütung der Weiterverbreitung der betreffenden Krankheit notwendigen Vorkehrungen im Sinne der folgenden Bestimmungen für die Dauer der Ansteckungsgefahr zu treffen.

(2) ...

Absonderung Kranker

§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen abgesondert oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.

(3) Zum Zwecke der Absonderung sind, wo es mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse geboten erscheint, geeignete Räume und zulässig erkannte Transportmittel rechtzeitig bereitzustellen, beziehungsweise transportable, mit den nötigen Einrichtungen und Personal ausgestattete Barackenspitäler einzurichten.

(4) Abgesehen von den Fällen der Absonderung eines Kranken im Sinne des Abs. 2 kann die Überführung aus der Wohnung, in der er sich befindet, nur mit behördlicher Genehmigung und unter genauer Beobachtung der hiebei von der Behörde anzuordnenden Vorsichtsmaßregeln erfolgen.

(5) Diese Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn eine Gefährdung öffentlicher Rücksichten hiedurch nicht zu besorgen steht und der Kranke entweder in eine zur Aufnahme solcher Kranker bestimmte Anstalt gebracht werden soll oder die Überführung nach der Sachlage unbedingt geboten erscheint.“

10 Aus diesen Regelungen des Epidemiegesetzes (vgl. dazu insbesondere § 7 Abs. 1a und Abs. 2 leg. cit.) ergibt sich unmissverständlich die Intention des Gesetzes, dass ab Kenntnis einer anzeigepflichtigen Krankheit zur Verhütung deren Weiterverbreitung (wie im vorliegenden Fall von „COVID‑19“) unverzüglich eine Absonderung „in der Wohnung des Kranken“ (wozu in den Absätzen 3 bis 5 dieser Bestimmung weitere Auflagen zur Unterbringung und allfälligen Überführung enthalten sind) von der Behörde zu veranlassen ist, soferne nicht gelindere Maßnahmen möglich sind. Wenngleich es dazu keine explizite örtliche Zuständigkeitsregelung gibt, ist als Konsequenz einerseits aufgrund von § 2 leg. cit., der die Anzeigepflicht bei der Bezirksverwaltungsbehörde normiert, in deren Gebiet sich der Kranke aufhält, und andererseits im Zusammenhang mit der Dringlichkeit der Maßnahme auch zur notwendigen Unterbindung einer weiteren Ansteckungsgefahr dabei auf die Wohnung der betroffenen Person bzw. den Wohnort abzustellen, an der sie zu diesem Zeitpunkt aktuell aufhältig ist.

11 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Sinne auch bereits zu Vergütungsansprüchen nach § 32 EpiG (die u.a. aus Absonderungen nach § 7 leg. cit. resultieren) zum Geltungsbereich des § 33 leg. cit., wonach diese Ansprüche bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, begehrt werden können, ausgesprochen, dass nach der (dazu dargelegten) Entstehungsgeschichte des Epidemiegesetzes jene Formulierung vom Verständnis getragen war, dass „die Zuständigkeit jener Behörde festgelegt wird, in deren örtlichen Wirkungsbereich die betreffende Maßnahme faktisch umgesetzt wird“ (VwGH 22.4.2021, Ra 2021/09/0005 und 0010).

12 Vor diesem Hintergrund bestehen daher keine Bedenken, wenn die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht ihre örtliche Zuständigkeit auf den Aufenthaltsort der Mitbeteiligten gründet; dabei kann dahingestellt bleiben, ob angesichts der gesetzesimmanent vorauszusetzenden akuten Ansteckungsgefahr nicht ohnedies wegen Gefahr im Verzug nach dem Anlass zum Einschreiten auch eine Zuständigkeit dieser Behörde nach dem subsidiär anzuwendenden § 3 Z 3 AVG (vorletzter Fall) vorgelegen hat.

13 Indem das Verwaltungsgericht dies übersah und die örtliche Zuständigkeit der belangten Behörde zu Unrecht verneinte, belastete es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 1. September 2022

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