Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021100014.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Juli 2021 trug das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg der Revisionswerberin ‑ im Beschwerdeverfahren ‑ gemäß § 39 Abs. 1 Z 11 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz auf, binnen bestimmter Frist die Kennzeichnung des Produktes „A. Johannisbeersaft gespritzt“ durch den Begriff „Dimethyldicarbonat“ zu ergänzen und die Durchführung dieser Maßnahme auf näher bestimmte Weise mitzuteilen, wobei das Verwaltungsgericht die Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zuließ.
2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung ‑ soweit für die vorliegende Revisionsentscheidung von Interesse ‑ gestützt auf ein Sachverständigengutachten zugrunde, bei der Herstellung des gegenständlichen Getränkes sei ‑ was eine amtliche Lebensmittelkontrolle am 12. Jänner 2017 ergeben habe ‑ Dimethyldicarbonat (DMDC; E 242) verwendet worden; dieser Zusatzstoff scheine jedoch in der Kennzeichnung auf der Verpackung des Getränkes nicht auf.
3 Der explizit für die Keimreduktion zugelassene Zusatzstoff DMDC werde ‑ so auch im vorliegenden Fall ‑ für die Kaltentkeimung von Getränken verwendet. Durch seine Zugabe zu Getränken komme es zu einer Abtötung und Hemmung des Wachstums von Mikroorganismen: DMDC dringe in die Zellen von Hefen und von Bakterien ein und alkyliere Enzyme, was zum Absterben der Mikroorganismen führe. DMDC bewirke somit eine Keimreduktion im Produkt, welche zu einer bedeutend längeren Haltbarkeit als bei vergleichbaren unbehandelten Produkten führe.
4 Der für die Keimreduktion zugelassene Zusatzstoff DMDC werde innerhalb weniger Stunden nach der Zugabe in seine Reaktionsprodukte umgewandelt und bleibe in Form von Nebenprodukten im Getränk erhalten. Die bedeutendsten Reaktionsprodukte seien Methanol und Kohlenstoffdioxid.
5 Die technologische Auswirkung von DMDC, nämlich die längere Haltbarkeit des Produktes und die Reduktion der Gefahr eines mikrobiellen Verderbs, sei ‑ trotz der Umwandlung in die Nebenprodukte von DMDC innerhalb weniger Stunden nach der Anwendung ‑ auch noch beim Endprodukt feststellbar.
6 In rechtlicher Hinsicht liegt dem angefochtenen Erkenntnis (im Kern) die Auffassung zugrunde, bei DMDC handle es sich um einen Lebensmittelzusatzstoff iSd Art. 3 Abs. 2 lit. a Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 (ZusatzstoffVO), welcher als Zutat (im Sinn des Art. 2 Abs. 2 lit. f) nach Art. 9 Abs. 1 lit. b iVm Art. 18 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV) verpflichtend im Verzeichnis der Zutaten anzuführen sei.
7 Entgegen der von der Revisionswerberin vertretenen Meinung verwarf das Verwaltungsgericht eine Ausnahme von DMDC (von den verpflichtend anzuführenden Zutaten) als „Verarbeitungshilfsstoff“ iSd Art. 3 Abs. 2 lit. b ZusatzstoffVO, dies (u.a.) deshalb, weil ‑ wie das durchgeführte Beweisverfahren ergeben habe ‑ eine technologische Auswirkung des Zusatzes von DMDC noch im Endprodukt (in Form einer Veränderung des Charakters des Endproduktes) feststellbar sei; aus diesem Grund sei die Ausnahmebestimmung des Art. 20 lit. b LMIV nicht anwendbar.
8 Anders als die Revisionswerberin vermeine, sei das Urteil des EuGH vom 28. September 1994, C‑144/93 , Pfanni, auf den vorliegenden Fall ‑ mangels vergleichbaren Sachverhaltes ‑ nicht anwendbar, weil es einen (über einen Bestandteil einer Zutat ins Endprodukt gelangten) Zusatzstoff, der im Endergebnis gerade keine technologische Wirkung mehr ausgeübt habe, betroffen habe.
9 Die Zulassung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof begründete das Verwaltungsgericht mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage, „weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Fall zur Beurteilung der Voraussetzungen bzw der Abgrenzungskriterien hinsichtlich des Vorliegens eines Zusatzstoffes (hier: Dimethyldicarbonat) als Konservierungsstoff oder aber als Verarbeitungshilfsstoff fehlt“.
10 1.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
11 Die belangte Behörde wendet sich in einem Schreiben vom 13. Oktober 2021 gegen die Revision, ohne Aufwandersatz anzusprechen.
12 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein Beschluss nach § 34 Abs. 1 VwGG ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
15 3. Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt (nur) dann vor, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. etwa VwGH 15.3.2016, Ro 2015/01/0014 = VwSlg. 19.324 A, mwN).
16 Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 zweite Variante B‑VG („weil ... eine solche Rechtsprechung fehlt“) ist das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 8.10.2014, Ro 2014/10/0106).
17 Mit den oben (Rz 9) wiedergegebenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zu fehlender Rechtsprechung wird allerdings die vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage nicht konkret dargelegt und damit den Begründungserfordernissen nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG nicht Genüge getan (vgl. dazu VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033 = VwSlg. 18.928 A).
18 4. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa VwGH 24.6.2015, Ro 2014/10/0103, mwN).
19 4.1. Die vorliegende ordentliche Revision enthält einen Abschnitt „2.4. Zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“, in dem die Revisionswerberin zunächst (lediglich) die Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichtes unterstützt und die Bedeutung der „Lösung dieser Rechtsfrage“ für die „gesamte Lebensmittelindustrie“ hervorhebt; mit dem Hinweis auf „in diesem Fall relevante Fragen der Abgrenzung zwischen einem kennzeichnungspflichtigen Zusatzstoff und einem nicht kennzeichnungspflichtigen Verarbeitungshilfsstoff“ gelingt auch der Revisionswerberin keine Konkretisierung einer vom Verwaltungsgerichthof zu lösenden grundsätzlichen Rechtsfrage.
20 Darüber hinaus wendet sich die Revisionswerberin gegen das vom Verwaltungsgericht vertretene Verständnis des erwähnten EuGH‑Urteils C‑144/93 , dies mit dem Argument, „in beiden Fällen“ gehe es um die Kennzeichnungspflicht eines Stoffes, „der im Endprodukt keine technologische Wirkung mehr ausübte“. An anderen Stellen behauptet die Revisionswerberin wiederum, im Endprodukt bestehe keine technologische Wirkung des gegenständlichen Stoffes (DMDC) mehr, und zieht die Existenz der vom Verwaltungsgericht festgestellten Rückstände in Zweifel. Mit diesen Behauptungen entfernt sich die Revisionswerberin allerdings von dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt (vgl. oben Rz 4 und 5), sodass sie damit schon aus diesem Grund keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigen kann (vgl. etwa VwGH 6.2.2023, Ra 2021/10/0053, mwN).
21 Soweit sich die Revisionswerberin (im Ergebnis) gegen die Verneinung des Ausnahmetatbestandes des Art. 20 lit. b LMIV durch das Verwaltungsgericht wendet, stellen ihre (knappen) Ausführungen der Sache nach lediglich Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) dar (vgl. dazu etwa VwGH 13.1.2021, Ra 2020/06/0190, 0191, mwN; zu dem in diesem Zusammenhang vorgenommenen Verweis auf die Revisionsgründe vgl. etwa VwGH 7.9.2020, Ra 2020/01/0244, mwN).
22 4.2. Für den Verwaltungsgerichtshof besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit (und gegebenenfalls die Verpflichtung), eine Revision zuzulassen, um dem EuGH eine entscheidungsrelevante unionsrechtliche Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, indem er (vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte) Zweifel über die Auslegung von Unionsrecht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung qualifiziert (vgl. etwa VwGH 29.7.2021, Ra 2020/12/0002, mwN).
23 Nach dem unter Punkt 4.1. Gesagten mangelt allerdings dem Zulässigkeitsvorbringen der Revisionswerberin, welche wiederholt die Einleitung eines Vorabentscheidungverfahrens anregt, die in diesem Zusammenhang zu fordernde Konkretisierung (vgl. etwa VwGH 1.7.2015, Ro 2014/12/0055, oder 27.2.2023, Ra 2023/10/0012).
24 5. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. April 2023
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