VwGH Ra 2023/03/0155

VwGHRa 2023/03/01557.9.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der K GmbH in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingeborg Kristen, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 14, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Juni 2023, Zl. VGW‑101/050/6924/2023‑4, betreffend eine Beschwerde nach der Notariatsordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56
AVG §58
B-VG Art133 Abs4
EGVG Art1 Abs2 Z1
NO 1871 §137 Abs2
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023030155.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 9. Jänner 2023 erhob die Revisionswerberin gemäß § 95 Abs. 3 iVm § 134 Abs. 2 Z 5 Notariatsordnung (NO) Beschwerde an die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland (die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), weil ihr eine Notarin nicht wie begehrt eine einfache Abschrift eines näher bezeichneten Notariatsaktes, an dem die Revisionswerberin nicht beteiligt war, herausgegeben habe. Sie beantragte, die belangte Behörde möge mit Bescheid der Beschwerde Folge geben und die begehrte Herausgabe anordnen. Sollte die belangte Behörde der Ansicht sein, dass diese Beschwerde keiner bescheidmäßigen Erledigung zugänglich sei, werde der Antrag gestellt, über diese Ablehnung der bescheidmäßigen Erledigung einen Bescheid zu erlassen.

2 Daraufhin erging am 13. März 2023 folgende ‑ allein an die damalige Rechtsvertretung der Revisionswerberin adressierte ‑ Erledigung der belangten Behörde (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Ihre Eingabe wg. Notarin Mag. A

Sehr geehrter Herr Dr. B!

Die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland hat Ihre Beschwerde geprüft und eine Stellungnahme von Frau Notarin Mag. A eingeholt.

Die Notariatskammer hat die Ablehnungsgründe von Notarin Mag. A geprüft und teilt die Bedenken.

Die Notariatskammer könnte die Notarin disziplinär zur Verantwortung ziehen, wenn sie die Ablehnungsgründe nicht teilt. Sie kann die Notarin jedoch nicht zur Erfüllung des Begehrens zwingen, da die Entscheidung in ihrer Berufsverantwortung liegt (siehe Haiden‑Fill in Zib/Umfahrer (Hrsg), NO‑Kommentar (2022), § 95 Rz 9.

Die Erlassung eines Bescheides an den Beschwerdeführer ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Der Präsident‑Stellvertreter:

[Unterschrift]

(Dr. C)“

3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Bescheidbeschwerde gemäß Art. 132 Abs. 1 Z 1 B‑VG an das Verwaltungsgericht.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde zurück und sprach aus, dass dagegen eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

5 Begründend erwog es zunächst, dass Gegenstand eines Bescheidbeschwerdeverfahrens iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG nur ein Bescheid sein könne. Nach Wiedergabe von Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zum Bescheidbegriff kam es zum Ergebnis, dass dem Schreiben der belangten Behörde vom 13. März 2023 die wesentlichen formalen Merkmale eines Bescheides fehlten und ihm auch kein normativer, sondern ein bloß informativer Inhalt zu entnehmen sei. Der Adressatin des Schreibens seien bloß Hinweise gegeben und die Rechtsauffassung der Behörde nähergebracht worden. Mangels Bescheidqualität des angefochtenen Schreibens sei die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

6 Weiters merkte das Verwaltungsgericht an, dass Adressat des zu überprüfenden Schreibens nicht die Revisionswerberin, sondern deren damalige rechtsfreundliche Vertretung gewesen sei, weswegen auch hinsichtlich der Beschwerdelegimitation tiefgreifende Zweifel bestünden.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ihre Zulässigkeit einerseits damit begründet, dass sich das Verwaltungsgericht zur Verneinung der Bescheidqualität auf Judikatur zu anderen gesetzlichen Bestimmungen und völlig anderen Sachverhalten gestützt habe, jedoch hier eindeutig eine normative Erledigung vorliege, und andererseits damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob Anträge auf Akteneinsicht durch eine Notariatskammer mit Bescheid zu erledigen seien.

8 Die Revision erweist sich als nicht zulässig:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Insbesondere aus § 137 Abs. 2 NO über die Zuständigkeit für „bescheidförmige Erledigungen“ in Angelegenheiten der Geschäfte der Kammer ergibt sich, dass eine Notariatskammer bei der Besorgung bestimmter Angelegenheiten als Verwaltungsbehörde handelt und dabei zur Erlassung von Bescheiden befähigt ist. Auf ihr behördliches Verfahren ist daher nach Art. I Abs. 2 Z 1 EGVG das AVG anzuwenden.

11 Die näheren Vorschriften, welche Bestandteile ein Bescheid einer Verwaltungsbehörde aufzuweisen hat, finden sich in den §§ 58 ff AVG; darunter ist insbesondere auch das Erfordernis genannt, dass jeder Bescheid als solcher zu bezeichnen ist und eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung ergeben. Mangelt es an der für einen Bescheid vorgesehenen Form, muss deutlich erkennbar sein, dass die Behörde dennoch den ‑ objektiv erkennbaren ‑ Willen hatte, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Erledigung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit vorzunehmen. Lässt der Inhalt einer behördlichen Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (vgl. VwGH 21.12.2012, 2012/17/0473, 27.12.2022, Ra 2020/22/0248, und 27.3.2000, 99/10/0258, je mwN). Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge im Verfahren, Rechtsbelehrungen und dergleichen können nicht als verbindliche Erledigung und damit als Spruch im Sinn des § 58 Abs. 1 AVG gewertet werden (vgl. VwGH 22.7.2020, Ra 2020/03/0049, mwN).

12 Die Qualifikation eines Schreibens der Behörde stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, der regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Anderes gilt nur dann, wenn die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung als geradezu unvertretbare Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof geprägten Rechtsprechung anzusehen wäre (vgl. VwGH 25.2.2022, Ro 2022/01/0003, und 14.9.2021, Ra 2021/06/0115, je mwN).

13 Eine derartige ‑ gemessen am Maßstab der dargestellten Judikatur ‑ unvertretbare Auslegung der fraglichen Erledigung vermag die Revision, die dazu ausschließlich auf den zweiten Absatz des Schreibens Bezug nimmt, nicht darzulegen. Im Hinblick auf den Hinweis der belangten Behörde, dass (ihrer Ansicht nach) kein Bescheid zu erlassen sei, kann zumindest nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass sie die Angelegenheit normativ erledigen wollte.

14 Ausgehend davon, dass die fragliche Erledigung keinen Bescheid darstellt, hängt die Revision von der weiteren zur Begründung ihrer Zulässigkeit erkennbar aufgeworfenen Frage, nämlich ob Beschwerden nach § 95 Abs. 3 iVm § 134 Abs. 2 Z 5 NO von einer Notariatskammer mit Bescheid zu erledigen sind, nicht ab, sodass darauf hier nicht weiter einzugehen ist.

15 Der Revisionswerberin steht es vielmehr offen, den von ihr behaupteten Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung ihrer Beschwerde mit einer Säumnisbeschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 3 B‑VG zu verfolgen.

16 Bei diesem Ergebnis muss nicht weiter erörtert werden, ob die allein an die damalige Rechtsvertretung der Revisionswerberin gerichtete Erledigung der belangten Behörde vom 13. März 2023 die Revisionswerberin selbst überhaupt in ihren Rechten hätte verletzen können.

17 Weiters kann es auf sich beruhen, dass die Revisionswerberin durch den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes angesichts seines zurückweisenden Inhalts nicht in dem von ihr ausdrücklich als Revisionspunkt im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG bezeichneten „aus § 95 Abs. 3 NO resultierenden subjektiven Recht auf Akteneinsicht“ verletzt sein konnte (zum Revisionspunkt im Falle einer Beschwerdezurückweisung vgl. etwa VwGH 13.6.2023, Ro 2020/06/0008, und 7.7.2021, Ra 2020/07/0070 bis 0074, je mwN).

18 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 7. September 2023

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