European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022130105.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Im Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung vom 4. Juli 2018 betreffend Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer 2010 bis 2015 wurde u.a. festgestellt, die S GmbH (mittlerweile in die Revisionswerberin verschmolzen) habe im Jahr 2010 ihren gesamten Betrieb sowie (internationale) Beteiligungen an den F Konzern veräußert. Aus den Verträgen sei ersichtlich, dass als Gegenleistung für den Betrieb und die Beteiligungen einerseits ein Kaufpreis in Höhe von 12 Mio. € zu zahlen war und anderseits eine Schuldübernahme erfolgt sei. Insgesamt habe der Kaufpreis ca. 15 Mio. € betragen. Das Finanzamt könne der erfolgten Aufteilung dieses Veräußerungserlöses in den steuerfreien Anteil für die Beteiligungsveräußerung (ca. 42 % des Kaufpreises) und den steuerpflichtigen Anteil für den Betrieb (ca. 58 % des Kaufpreises) nicht folgen. Das Finanzamt gehe davon aus, dass diese Aufteilung nicht nach dem wahren Wert, sondern in der Absicht der Steuervermeidung erfolgt sei. Es bestehe insoweit die Berechtigung zur Schätzung. Mangels anderer vorliegender Unterlagen erfolge die Schätzung nach den Buchwerten. Der Anteil des Betriebs am Veräußerungserlös werde daher mit ca. 67 % angenommen, woraus sich näher dargestellte Änderungen für das Jahr 2011 ergäben. Für das Jahr 2014 sei nicht erkennbar, aus welchem Grund ein in diesem Jahr erhaltener Betrag einer steuerfreien Beteiligungsveräußerung zugeordnet worden sei.
2 Mit Bescheiden vom 13. Juli 2018 verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Körperschaftsteuer 2011 und setzte die Körperschaftsteuer für das Jahr 2011 neu fest. Mit Bescheiden vom 16. Juli 2018 verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellung Gruppenträger 2014 und stellte das Einkommen Gruppenträger 2014 neu fest. Mit Bescheid vom 18. Juli 2018 setzte das Finanzamt schließlich die Körperschaftsteuer (Gruppe) für das Jahr 2015 fest. In der Begründung verwies das Finanzamt jeweils auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung.
3 Die Revisionswerberin erhob gegen diese Bescheide Beschwerden.
4 Zum sodann folgenden Verfahrensgeschehen ist auf das Erkenntnis vom 18. Jänner 2021, Ra 2020/13/0065, zu verweisen.
5 Mit Erkenntnis vom 9. August 2022 wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde betreffend Wiederaufnahme Körperschaftsteuer 2011 als unbegründet ab. Die Beschwerde betreffend Wiederaufnahme Feststellungsbescheid Gruppenträger 2014 wurde als gegenstandslos erklärt. Die Bescheide betreffend Körperschaftsteuer 2011 und 2015 sowie Feststellungsbescheid Gruppenträger 2014 wurden abgeändert.
6 In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Veräußerungsgewinne, Veräußerungsverluste und sonstige Wertänderungen aus internationalen Schachtelbeteiligungen iSd § 10 Abs. 2 KStG 1988 blieben nach § 10 Abs. 3 KStG 1988 bei der Ermittlung der Einkünfte außer Ansatz; eine Option zur Steuerpflicht sei nicht ausgeübt worden. Die Veräußerung des inländischen Betriebs sei hingegen steuerpflichtig.
7 Betreffend Körperschaftsteuer 2011 seien von den tatsächlichen Erlösen der Beteiligungsveräußerung in Höhe von ca. 4,6 Mio. € die Buchwerte in Höhe von ca. 1,9 Mio. € abzuziehen. Vom aufgeschobenen Verkaufspreis in Höhe von ca. 2 Mio. € seien 1/3 dem Verkauf des Betriebes und 2/3 (ca. 1,4 Mio. €) dem Beteiligungsverkauf zuzurechnen. Insoweit sei der Körperschaftsteuerbescheid 2011 abzuändern gewesen. Zu „rechnerischen Auswirkungen“ führte das Bundesfinanzgericht insoweit aus, die belangte Behörde habe im wiederaufgenommenen Bescheid einerseits die Annahme berichtigt, dass es sich um Beteiligungserträge gehandelt habe und habe den in Kennzahl 9298 eingetragenen Wert gelöscht. Andererseits habe die Behörde steuerfreie Wertänderungen gemäß § 10 Abs. 3 KStG 1988 in Kennzahl 9203 mit ca. -3 Mio. € festgesetzt. Im Lichte der Feststellungen sei dieser Wert auf ca. -4,1 Mio. € zu korrigieren. In der Begründung wurde dazu weiters auf ein Berechnungsblatt verwiesen, in dem die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit ca. -1 Mio. € ausgewiesen sind.
8 Betreffend Feststellungsbescheid 2014 sei die Zurechnung des „Earn Out“ strittig. Dieser „Earn Out“ habe ca. 1 Mio. € betragen; davon seien ca. 80.000 € dem Betriebsverkauf zuzurechnen, die Differenz entfalle auf den Beteiligungsverkauf. Zu „rechnerischen Auswirkungen“ führte das Bundesfinanzgericht insoweit an, die belangte Behörde habe im wiederaufgenommenen Bescheid einerseits die Annahme, dass es sich um Beteiligungserträge gehandelt habe, berichtigt und habe den in Kennzahl 9298 eingetragenen Wert gelöscht. Anderseits habe die Behörde keine steuerfreien Wertänderungen gemäß § 10 Abs. 3 KStG 1988 in Kennzahl 9203 festgesetzt. Im Lichte der Feststellungen sei dieser Wert mit ca. -900.000 € festzusetzen. Entsprechend ergebe sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte und das Einkommen des Gruppenträgers in Höhe von ca. -80.000 €.
9 Betreffend Körperschaftsteuer Gruppe 2015 richte sich die Beschwerde gegen die Auswirkungen auf den Verlustabzug der Feststellungen der belangten Behörde im Körperschaftsteuerbescheid 2011 und Feststellungsbescheid Gruppenträger 2014. Im Hinblick auf die Änderung dieser Bescheide sei auch der Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2015 entsprechend abzuändern gewesen. Zu „rechnerischen Auswirkungen“ stellte das Bundesfinanzgericht die Entwicklung der Verlustvorträge in den Jahren 2009 bis 2015 dar. Ausgehend vom Gesamtbetrag der Einkünfte Gruppe im Jahr 2015 sei ein Verlustabzug zu berücksichtigen.
10 Nach Ergehen dieses Erkenntnisses wandte sich die belangte Behörde mit E‑Mail vom 11. August 2022 an das Bundesfinanzgericht und teilte mit, es sei versucht worden, die Berechnungen für Körperschaftsteuer 2011 und 2014 sowie die Verlustvorträge nachzuvollziehen; das Finanzamt komme dazu aber zu anderen Ergebnissen. Es werde ersucht, darzulegen, ob das Erkenntnis missverstanden worden sei oder ob ein Denkfehler bei den Berechnungen der belangten Behörde vorliege. Es folgte dazu eine umfangreiche Korrespondenz (per E‑Mail) zwischen dem Bundesfinanzgericht und den Verfahrensparteien.
11 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss berichtigte das Bundesfinanzgericht das Erkenntnis vom 9. August 2022 in seinem Spruch (betreffend Körperschaftsteuer 2011 und Körperschaftsteuer Gruppe 2015) sowie in seiner Begründung. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
12 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, in das Erkenntnis vom 9. August 2022 hätten sich „Rechenfehler eingeschlichen“.
13 Für die Körperschaftsteuer 2011 sei den Feststellungen des Erkenntnisses zu entnehmen, dass die tatsächlichen Erlöse aus der Beteiligungsveräußerung ca. 4,6 Mio. € betragen hätten. Zusätzlich entfielen ca. 1,4 Mio. € des aufgeschobenen Kaufpreises auf die Beteiligungsveräußerung. Der Gesamtbetrag der Einkünfte habe laut Erstbescheid ca. -2,3 Mio. € betragen. In diesen Einkünften sei ein Betrag von ca. 5,3 Mio. € als Veräußerungserlös berücksichtigt gewesen; der gleiche Betrag sei aber in der Abgabenerklärung wieder abgezogen worden. Er sei daher bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen seien aber die Erlöse aus der Veräußerung ausländischer Beteiligungen in Höhe von insgesamt ca. 6 Mio. €; abzuziehen seien die steuerfreien Wertänderungen von ca. 4,1 Mio. €. Der Gesamtbetrag der Einkünfte ergebe sich daher richtig mit ca. -400.000 €.
14 Betreffend Körperschaftsteuer Gruppe 2015 sei zu berücksichtigen, dass die vormalige S GmbH ab der Veranlagung 2013 bis zur Verschmelzung per 31. März 2015 Gruppenträger einer Gruppe mit der E GmbH gewesen sei. In den Jahren 2014 und 2015 seien an die S GmbH jeweils ein Feststellungsbescheid Gruppenträger und ein Körperschaftsteuerbescheid Gruppe ergangen. Die Ergebnisse der E GmbH seien im vorliegenden Beschwerdeverfahren unstrittig gewesen. Da dem Bundesfinanzgericht kein entsprechendes Berechnungsprogramm zur Verfügung stehe, seien für die Berechnung der Verlustvorträge die im vorliegenden Verfahren unstrittigen Ergebnisse der E GmbH fälschlicherweise unberücksichtigt geblieben. Dies betreffe den nicht beschwerdegegenständlichen Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2014. Daraus ergebe sich ein weiterer Verbrauch von Verlustabzügen, sodass im Rahmen der Körperschaftsteuer Gruppe 2015 nur mehr ein Verlustabzug von ca. 120.000 € berücksichtigt werden könne, woraus sich gegenüber dem Erkenntnis eine höhere Bemessungsgrundlage und eine höhere Körperschaftsteuer ergebe.
15 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit wird insbesondere geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht verstoße gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach nur die in § 293 BAO aufgezählten Fehler zu einer Berichtigung berechtigten. Im Übrigen seien im ursprünglichen Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts die Ergebnisse zutreffend ermittelt worden; die nunmehrige Berichtigung werde auf aktenwidrige neue Sachverhaltsfeststellungen gestützt.
16 Das Finanzamt hat sich ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Die Revision ist zulässig und begründet.
19 Gemäß § 293 BAO kann die Abgabenbehörde ‑ hinsichtlich Entscheidungen des Bundesfinanzgerichtes dieses ‑ unterlaufene Schreib‑ und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche oder ausschließlich auf dem Einsatz einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten berichtigen.
20 Die Einrichtung des § 293 BAO dient nicht dazu, Irrtümer der Behörde (oder des Verwaltungsgerichtes) bei der Auslegung des Gesetzes zu berichtigen, sondern nur zur Beseitigung des infolge bestimmter Fehlerquellen gegen den Willen der Behörde entstandenen erkennbaren Auseinanderklaffens von Bescheidabsicht und formeller Erklärung des Bescheidwillens. Fehler, die der Abgabenbehörde (dem Verwaltungsgericht) im Zuge der Willensbildung unterlaufen, sind hingegen nicht berichtigbar im Sinne des § 293 BAO (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/13/0020, mwN). Fakten, die während der Willensbildung in Vergessenheit geraten, können nicht Gegenstand der Willensbildung sein. Sie führen vielmehr, soweit sie für die Entscheidung relevant wären, zu einer unrichtigen oder unvollständigen Willensbildung; eine Berichtigung gemäß § 293 BAO kann in diesem Fall nicht vorgenommen werden (vgl. VwGH 20.6.1990, 89/13/0113; vgl. weiters Stoll, BAO‑Kommentar, § 293, 2818). Derartige Fehler können nur im Wege einer Revision (des Finanzamts) mit allfälliger Klaglosstellung durch das Bundesfinanzgericht (§ 289 BAO) behoben werden.
21 Dass die im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. August 2022 getroffene Entscheidung von dessen Entscheidungsabsicht abgewichen wären, ist nicht erkennbar; insbesondere liegt kein ‑ wie in der Begründung des angefochtenen Beschlusses behauptet ‑ bloßer „Rechenfehler“ vor. Selbst das Bundesfinanzgericht führte im Rahmen der E-Mail‑Korrespondenz nach Ergehen des Erkenntnisses zunächst aus, es sei auf die Verlustvorträge betreffend Körperschaftsteuer Gruppe 2014 „vergessen“ worden; die dargelegte Berechnung des Finanzamts entspreche nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts auch nicht den Feststellungen der Entscheidung (E‑Mail vom 16. August 2022). Auf weiteren Vorhalt des Finanzamts führte das Bundesfinanzgericht sodann aus, in die Berechnung habe sich „jetzt nochmals ein Denkfehler ... eingeschlichen“ (weiteres E‑Mail vom 16. August 2022).
22 Betreffend das Jahr 2011 ist ‑ wie sich insbesondere aus der an das Ergehen des Erkenntnisses vom 9. August 2022 anschließenden Kommunikation ergibt ‑ letztlich strittig, in welcher Höhe im ursprünglich erklärungsgemäß ergangenen Bescheid betreffend Körperschaftsteuer für dieses Jahr Veräußerungserlöse enthalten waren. Eine konkrete Entscheidungsabsicht des Bundesfinanzgerichts zu diesem Thema kann aus dem Akteninhalt nicht abgeleitet werden; strittig war nicht die Höhe der Veräußerungserlöse insgesamt, sondern deren Aufteilung auf die steuerpflichtige Veräußerung des inländischen Betriebes und die steuerfreie Veräußerung von Auslandsbeteiligungen. Es liegt hier (allenfalls) ein Fehler im Rahmen der Willensbildung vor, der aber keiner Berichtigung iSd § 293 BAO unterliegt.
23 Was die Berichtigung für das Jahr 2015 anbelangt, so enthält das Erkenntnis vom 9. August 2022 eine ausdrückliche Darstellung der Entwicklung der Verlustvorträge in den Jahren 2009 bis 2015. Für das Jahr 2014 ist ein negatives Ergebnis und folglich kein Verbrauch, sondern eine Erhöhung der (kumulierten) Verlustvorträge ausgewiesen. Dafür, dass es dem Willen des Bundesfinanzgerichts entsprochen hätte, positive Einkünfte der Gruppe, deren Gruppenträger die S GmbH damals war, zu berücksichtigen, bestehen wiederum keinerlei Anhaltspunkte, obwohl in einer Stellungnahme des Finanzamts vom 17. Mai 2022 im Hinblick auf einen Berechnungsauftrag des Bundesfinanzgerichts für das Jahr 2014 auch Änderungen des Verlustabzugs angesprochen worden waren. Es liegt hier vielmehr ein „Vergessen“ (oder Übersehen), also ein Fehler in der Willensbildung vor.
24 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
25 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 1. März 2023
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