VwGH Ra 2022/08/0052

VwGHRa 2022/08/005216.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revisionen 1. der M R und 2. der L B, beide in G, beide vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Keesgasse 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2022, Zlen. 1. G312 2241333‑1/8E und 2. G312 2241333‑2/2E, betreffend Feststellung der Versicherungspflicht (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Steiermark), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §4 Abs1 Z1
AVG §37
AVG §38
AVG §45 Abs2
StPO 1975 §190
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080052.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren aus, dass die Zweitrevisionswerberin am 31. Juli 2020 aufgrund ihrer Tätigkeit für die Erstrevisionswerberin gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2, § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG der Teilversicherung in der Unfallversicherung unterlag.

5 Soweit in der Revision zur Darlegung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorgebracht wird, es fehle an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, „ob eine weitere (verwaltungs‑ und/oder verwaltungsstrafrechtliche) Beurteilung des selben Lebenssachverhalts der strafrechtlichen Beurteilung nachfolgend“ den Grundsatz „ne bis in idem“ verletzt und unzulässig sei, sowie zur Frage, ob eine „nachfolgende“ Beurteilung „des selben Lebenssachverhalts“ einer „inhaltlichen Auseinandersetzung mit der bereits erfolgten strafrechtlichen Würdigung“ bedarf, lässt dieses Vorbringen mangels Präzisierung, welche „strafrechtliche Beurteilung“ oder „Würdigung“ gemeint ist, einen Bezug zum Fall vermissen. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 erster Satz zweite Variante B‑VG („weil ... eine solche Rechtsprechung fehlt“) ist das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 28.2.2022 Ro 2022/09/0002; 28.2.2022, Ro 2021/10/0018, mwN). Ein pauschales oder nur ganz allgemein gehaltenes Vorbringen ohne Herstellung eines Fallbezugs und ohne jede fallbezogene Verknüpfung mit der angefochtenen Entscheidung reicht nicht aus, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Das wiedergegebene Vorbringen ist daher schon aus diesem Grund nicht geeignet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

6 Sollte mit dem genannten Vorbringen das (erst bei Durchsicht der vorgelegten Gerichts‑ und Verwaltungsakten ins Blickfeld kommende) Schreiben der Staatsanwaltschaft Graz gemeint sein, mit dem ein gegen die Zweitrevisionswerberin geführtes Ermittlungsverfahren wegen § 146 StGB („Verdacht des Betruges vom 31.07.2020 zum Nachteil des AMS Graz West und Umgebung ‑ kein Schuldbeweis erbringlich“) gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde, übersieht es, dass es sich bei der hier strittigen Feststellung der Versicherungspflicht nicht um die gleiche Sache (und auch nicht um eine Strafe) handelt, weshalb der Revisionsfall von der angesprochenen Rechtsfrage (Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“) nicht abhängen kann. Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den angesprochenen Fragen fehlt. Nach dieser Rechtsprechung gehen von einer Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens keine Bindungswirkungen für ein Verfahren wie das dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegende aus, weil es sich bei der Einstellung um keine rechtskräftige Entscheidung einer Vorfrage für ein allfälliges Verwaltungsverfahren (hier:) über die Versicherungspflicht handelt (vgl. VwGH 27.11.2014, 2012/08/0216 [zur Rechtslage nach § 190 StPO in der nach dem Strafprozessreformgesetz, BGBl. I Nr. 19/2004, geltenden Fassung] unter Hinweis auf VwGH 19.7.2001, 99/20/0418 [zur Rechtslage nach § 90 StPO in der vor dem Strafprozessreformgesetz, BGBl. I Nr. 19/2004, geltenden Fassung]). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es der Verwaltungsbehörde (und folglich auch dem Verwaltungsgericht) nach einer solchen ‑ keine Bindungswirkung entfaltenden ‑ Einstellung des Strafverfahrens nicht verwehrt, über den der Einstellung zu Grunde liegenden Sachverhalt ein selbstständiges Ermittlungsverfahren und eigene Beweiswürdigungserwägungen vorzunehmen (vgl. VwGH 10.4.2008, 2005/01/0777; 13.2.2020, Fe 2019/01/0001; vgl. weiters auch VwGH 19.3.2013, 2012/03/0180).

7 Das weitere Zulässigkeitsvorbringen richtet sich der Sache nach (wenngleich es unter dem Aspekt einer Verletzung der „Begründungspflicht“ bzw. mangelhaften Sachverhaltsfeststellung erstattet wird) ausschließlich gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz nur insofern zugänglich, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht. Eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft ‑ so etwa, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre ‑ erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf. Der ‑ an sich nur zur Rechtskontrolle berufene ‑ Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.7.2018, Ra 2017/08/0045, mwN).

8 Inwiefern die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts unvertretbar gewesen sein soll, legen jene Passagen der Revision, die als gesondertes Zulässigkeitsvorbringen erkennbar sind, nicht konkret dar. Schon aus diesem Grund erweist sich das diesbezügliche Zulässigkeitsvorbringen als ungeeignet, durch Darlegung der Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen.

9 Derartiges geht aber auch aus dem sonstigen Vorbringen der Revision nicht hervor. Dieses entfernt sich teilweise vom Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses (in welchem sich die im Revisionsvorbringen erwähnte, angeblich auf Seite 4 des Erkenntnisses enthaltene, Textpassage nicht findet) oder blendet tragende Elemente der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung aus (wie etwa die Überlegung, dass sich die Zweitrevisionswerberin noch drei Stunden, nachdem die Erstrevisionswerberin bereits nach Hause gegangen war, im Lokal aufgehalten hatte). Auch sonst vermögen ihre unklaren Ausführungen (etwa bezüglich der nicht näher präzisierten „dem Verfahrensergebnis entgegenstehende[n] Beurteilung des rechtserzeugenden Sachverhalts durch die Organe der Strafrechtspflege“) oder die Erwähnung bestimmter Umstände, mit denen sich das Verwaltungsgericht ohnehin bereits nachvollziehbar auseinandergesetzt hat (wie etwa der Aussagen einzelner im Verfahren einvernommener Personen oder der Anwesenheit zweier „ordnungsgemäß angemeldete[r]“ Kellner im Lokal, in dem die Zweitrevisionswerberin betreten wurde) eine als grob fehlerhaft einzustufende Beweiswürdigung nicht aufzuzeigen.

10 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Mai 2022

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