VwGH Ra 2020/15/0066

VwGHRa 2020/15/006627.9.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie den Hofrat Mag. Novak und die Hofrätin Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Freistadt Rohrbach Urfahr, nunmehr Finanzamt Österreich, in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 2. April 2020, RV/5101062/2018, betreffend Einkommenssteuer 2015 (mitbeteiligte Partei: M L in A), den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §167 Abs2
EStG 1988 §34 Abs1
EStG 1988 §34 Abs1 Z2
EStG 1988 §34 Abs3
VwGG §41

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150066.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2015 unter anderem Aufwendungen für die Heilbehandlung einer psychischen Erkrankung (Erschöpfungssyndrom bzw. Belastungsstörung) und den stationären Aufenthalt in einer Privatklinik als „außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt“ geltend.

2 Das Finanzamt erkannte diese Aufwendungen bei der Veranlagung zur Einkommenssteuer 2015 nicht als außergewöhnliche Belastung an.

3 Einer dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gab das Bundesfinanzgericht (BFG) mit dem angefochtenen Erkenntnis teilweise Folge und erkannte den um den Selbstbehalt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 verminderten Betrag als außergewöhnliche Belastung an. Es stellte fest, die mitbeteiligte Partei habe sich aufgrund einer psychischen Erkrankung von 26. August 2014 bis 4. Oktober 2015 durchgehend im Krankenstand befunden. Im Oktober 2014 habe der behandelnde Arzt einen Antrag auf stationäre Heilbehandlung eingereicht. Mit Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom 27. November 2014 sei ihr ein Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik Gars am Kamp für die Dauer von 43 Tagen bewilligt worden. Aufgrund der Wartezeit bis zum Beginn der bewilligten Heilbehandlung im Juli 2015 in Gars am Kamp habe der behandelnde Arzt der mitbeteiligten Partei Anfang Dezember 2014 eine Einweisung in das A Klinikum Bad Aussee zur stationären Aufnahme und Therapie ausgestellt. Da auch hier ein Beginn der Heilbehandlung frühestens Ende März 2015 möglich gewesen wäre, habe sich die mitbeteiligte Partei von 5. Januar 2015 bis 7. Februar 2015 im Rahmen eines stationären Aufenthalts einer Heilbehandlung im A Privatklinikum Bad Aussee, einem Fachkrankenhaus für Psychosomatik und Psychotherapie, unterzogen. Aus der Bestätigung des behandelnden Arztes vom 25. April 2017 folgerte das BFG, dass dieser stationäre Aufenthalt im Privatklinikum medizinisch erforderlich und ein Zuwarten auf einen öffentlichen Platz „in einer psychischen Rehabilitation“ aus medizinischer Sicht „nicht tragbar“ gewesen sei.

4 In rechtlicher Hinsicht begründete das BFG, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Aufwendungen, die einer Steuerpflichtigen für die eigene medizinische Betreuung in einer Privatklinik erwüchsen, auch dann zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 seien, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, sofern diese höheren Aufwendungen aus triftigen medizinischen Gründen getätigt würden. Solche Gründe ergäben sich im gegenständlichen Fall aus der aus medizinischer Sicht nicht tragbaren Wartezeit auf einen öffentlichen Rehabilitationsplatz. Der stationäre Aufenthalt im Privatklinikum sei nicht auf bloße Wünsche oder Vorstellungen der mitbeteiligten Partei über eine bestimmte medizinische Behandlung zurückzuführen, sondern medizinisch notwendig gewesen. Ihr stünden daher die um den nach Maßgabe des § 34 Abs. 4 EStG 1988 berechneten Selbstbehalt gekürzten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu.

5 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig, weil kein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.

6 Die dagegen erhobene Amtsrevision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 § 34 Abs. 3 EStG 1988 macht den Anspruch auf Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung davon abhängig, dass die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwächst; dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige sich der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Dabei ist die Zwangsläufigkeit des Aufwands stets nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen (vgl. VwGH 20.11.2019, Ro 2018/15/0024, Rn. 24; VwGH 5.2.2021, Ra 2019/13/0027, Rn. 11). Solche tatsächlichen Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere in der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein (VwGH 11.2.2016, 2013/13/0064, mwN).

11 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es liege keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob das öffentliche Gesundheitssystem mit standardmäßig längeren Wartezeiten auf medizinisch indizierte Behandlungen als unzumutbar eingestuft werden könne und folglich schnellere Behandlungsmöglichkeiten in privaten Krankenanstalten auf eigene Kosten zu einer steuerlich anzuerkennenden außergewöhnlichen Belastung führen, übersieht sie die nach der erwähnten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliche Einzelfallbeurteilung. Der bloße Hinweis auf die fallbezogen vorliegende Wartedauer für einen Platz in einem öffentlichen Krankenhaus wird diesem Erfordernis ohne nähere Befassung mit der Krankheit der mitbeteiligten Partei nicht gerecht.

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, es würden konkrete Feststellungen dazu fehlen, ob und gegebenenfalls welche triftigen medizinischen Gründe im Sinne von feststehenden oder sich konkret abzeichnenden ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen vorgelegen hätten (Hinweis auf VwGH 13.5.1986, 85/14/0181), sodass die Zwangsläufigkeit der Krankheitskosten nicht geprüft werden könne.

13 Triftige medizinische Gründe lassen auch höhere Aufwendungen der Steuerpflichtigen als die von Sozialversicherungsträgern finanzierten zwangsläufig erscheinen (VwGH 10.5.2021, Ra 2021/15/0031; VwGH 4.3.1986, 85/14/0149). Ob solche triftigen Gründe vorliegen oder nicht, ist eine Frage der Beweiswürdigung, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht berufen ist. Diese ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind (vgl. etwa VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0054, und neuerlich VwGH 10.5.2021, Ra 2021/15/0031). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung lediglich dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. VwGH 19.12.2018, Ra 2017/15/0072).

14 Vor dem Hintergrund der vom Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall aus der Bestätigung des behandelnden Arztes getroffenen und unter Rn. 3 wiedergegebenen Feststellungen, insbesondere des Umstands, dass ein Zuwarten auf einen öffentlichen Platz in einer psychischen Rehabilitation aus medizinischer Sicht „nicht tragbar“ war, bedurfte es keiner weiteren Feststellungen zum Bestehen oder Erleiden von „ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen“ der mitbeteiligten Partei während der Wartezeit auf einen Platz in einem öffentlichen Krankenhaus.

15 Letztlich erblickt die belangte Behörde eine Aktenwidrigkeit des Bundesfinanzgerichts darin, dass sich aus der ärztlichen Bestätigung vom 25. April 2017 keine triftigen medizinischen Gründe ableiten ließen. Damit verkennt sie allerdings, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Aktenwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn sich die Behörde oder das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch setzt, wenn also der Akteninhalt in der Entscheidung unrichtig wiedergegeben wurde, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die ‑ als Ergebnis der Beweiswürdigung ‑ mit Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. z.B. VwGH 25.2.2016, Ra 2016/16/0006; VwGH 4.12.2019, Ra 2019/16/0194, jeweils mwN).

16 Dass die Beweiswürdigung des BFG in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Weise unvertretbar vorgenommen worden wäre, zeigt die außerordentliche Revision des Finanzamts nicht auf.

17 Rechtsfragen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, werden in der Revision nicht aufgeworfen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. September 2021

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