Normen
AVG §10 Abs1
BFA-VG 2014 §48
BFA-VG 2014 §48 Abs2
BFA-VG 2014 §48 Abs8
BFA-VG 2014 §52 Abs1
BFA-VG 2014 §52 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwGVG 2014 §31 Abs1
VwGVG 2014 §33
VwGVG 2014 §50
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019190233.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 4. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 13. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn einen Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 14. März 2018 wurde dem Revisionswerber für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die „ARGE Rechtsberatung ‑ Diakonie und Volkshilfe“ als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
4 Mit Schriftsatz vom 16. April 2018 erhob der Revisionswerber, „vertreten durch [Mag. D S], Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung“ Beschwerde gegen den genannten Bescheid des BFA. Unter einem wurde eine mit 27. März 2018 datierte Vollmacht des Revisionswerbers vorgelegt, in welcher dieser u.a. die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung beauftragte und bevollmächtigte, ihn im Rechtsmittelverfahren gegen den Bescheid des BFA vom 13. März 2018 zu vertreten und in diesem Verfahren „Handlungen aller Art zu ergreifen und zurückzuziehen“. Weiter heißt es in dieser Vollmacht, die „Vertretung durch die oben genannten juristischen Personen erfolgt mittels der für diese tätigen Rechtsberater(innen)“.
5 Mit Schreiben vom 15. März 2019 „zieht die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ... hiermit die Beschwerde vom 16.04.2018 gegen den Bescheid des BFA ... namens und Auftrags des [Revisionswerbers] zurück.“ Dieses Schreiben ist mit dem Namen des Revisionswerbers, „vertreten durch Mag. [DS] ARGE Rechtsberatung / Diakonie Flüchtlingsdienst“ gezeichnet.
6 Mit Schreiben vom 20. März 2019 übermittelte der Revisionswerber, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführerin, eine „Stellungnahme zur Vertretungsbefugnis“ im Beschwerdeverfahren. Darin wird ausgeführt, Mag. D S sei durch die Vollmacht des Revisionswerbers vom 27. März 2018 nicht als Vertreterin bevollmächtigt gewesen, weshalb der „Schriftsatz vom 27. März 2018“ (gemeint: vom 15. März 2019) unwirksam sei. Der Revisionswerber habe zwar die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH bevollmächtigt, diese habe aber Mag. D S keine „Substitutionsvollmacht“ erteilt und werde eine solche für das gegenständliche Beschwerdeverfahren auch ausdrücklich ausgeschlossen. Mag. D S verfüge weder über Prokura noch sei sie Geschäftsführerin der genannten juristischen Person, welche zur Vertretung des Revisionswerbers bevollmächtigt worden sei. Der Schriftsatz vom 15. März 2019, mit welchem die Beschwerde zurückgezogen worden sei, entfalte daher keine rechtlichen Wirkungen. Mag. D S habe als falsus procurator gehandelt; ihre Handlung werde ausdrücklich nicht nachträglich genehmigt. Auch die Einbringung der Beschwerde vom 16. März 2018 durch Mag. D S sei ohne aufrechte „Substitutionsvollmacht“ erfolgt, wobei es sich jedoch um einen verbesserungsfähigen Mangel handle, welcher „hiermit behoben“ werde.
7 Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das BVwG das Verfahren nach erfolgter Zurückziehung der Beschwerde ein und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe mit Vollmacht vom 27. März 2018 die Rechtsberatungsorganisation bevollmächtigt, „Handlungen aller Art zu ergreifen und zurückzuziehen“, wozu die Erhebung und Zurückziehung der Beschwerde zähle. Er habe in der Vollmacht zur Kenntnis genommen, dass sich die Rechtsberatungsorganisation durch die für sie tätigen, namentlich nicht genannten Rechtsberater vertreten lasse. Sowohl die Einbringung der Beschwerde als auch deren Zurückziehung seien daher durch die Rechtsvertretung des Revisionswerbers erfolgt, und zwar unabhängig davon, von welchem Rechtsberater der jeweilige Schriftsatz unterzeichnet worden sei. Dem BVwG sei zu keinem Zeitpunkt eine „Substitutionsvollmacht“ vorgelegt worden, welche aber ohnedies unbeachtlich wäre, weil sich aus dem Vorbringen der Rechtsvertretung kein Zweifel an der Tätigkeit von Mag. D S als Rechtsberaterin für die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH ergebe. Die Zurückziehung der Beschwerde sei eindeutig und unmissverständlich. Sie sei mit ihrem Einlangen wirksam geworden und unwiderruflich.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 AVG abgewichen, weil ein nach außen wirksames Vollmachtsverhältnis zu Mag. D S nicht vorgelegen sei (Hinweis auf VwGH 29.1.2008, 2005/05/0252). Diese sei weder vom Revisionswerber selbst noch von der diesen vertretenden juristischen Person (im Wege einer „Substitutionsvollmacht“) bevollmächtigt worden. Es sei auch keine nachträgliche Genehmigung der Zurückziehung der Beschwerde durch die tatsächliche Vertreterin erfolgt. Auch die Voraussetzungen einer sog. „Anscheinsvollmacht“ lägen nicht vor.
13 Gemäß § 48 Abs. 8 BFA‑VG idF vor BGBl. I Nr. 53/2019 hat eine juristische Person, die mit der Besorgung der Rechtsberatung betraut ist, nur solche Rechtsberater zu beschäftigen, die die Voraussetzungen gemäß Abs. 1 bis 3 leg. cit. erfüllen, und deren Anstellung unverzüglich an die, die juristische Person betrauende Stelle zu melden. Gemäß § 52 Abs. 2 letzter Satz BFA‑VG idF vor BGBl. I Nr. 53/2019 haben Rechtsberater die betreffenden Fremden oder Asylwerber auf deren Ersuchen im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 leg. cit. vor dem BVwG, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.
14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist immer dann, wenn ein Fremder das Ersuchen um Vertretung im Sinn des BFA‑VG an die mit der Besorgung der Rechtsberatung betraute juristische Person richtet oder (wie hier) der juristischen Person schriftlich ausdrücklich Vollmacht erteilt, dem Fremden das Handeln des sodann von der juristischen Person konkret mit der Durchführung seiner Vertretung betrauten Rechtsberaters ‑ wie bei jedem anderen Vertreter ‑ zuzurechnen (vgl. grundlegend VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113; weiters VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0156; 21.9.2017, Ra 2017/22/0128; 9.2.2018, Ra 2018/20/0008; 28.5.2018, Ra 2018/01/0237; 22.2.2019, Ra 2019/01/0054; 22.4.2020, Ra 2020/14/0139; 1.10.2020, Ra 2020/18/0317). Dabei kommt es darauf, dass sich der Fremde die konkrete Person, die letztlich in seinem Namen tätig wird, nicht aussuchen kann, nicht an (vgl. neuerlich VwGH Ra 2017/19/0113).
15 Das Revisionsvorbringen, der Revisionswerber habe lediglich die Rechtsberatungsorganisation, nicht aber die einschreitende Rechtsberaterin Mag. D S selbst bevollmächtigt, geht daher ins Leere.
16 Aber auch mit dem Vorbringen, es finde sich „im Akt kein Hinweis“ darauf, dass Mag. D S von der Rechtsberatungsorganisation (im Wege einer „Substitutionsvollmacht“) mit der Vertretung des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren bevollmächtigt worden sei, zeigt die Revision keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf.
17 Aus § 48 BFA‑VG idF vor BGBl. I Nr. 53/2019 ergibt sich, dass die Durchführung der Rechtsberatung, einschließlich der Vertretung im Verfahren vor dem BVwG, durch die von der juristischen Person gemäß Abs. 8 leg. cit. beschäftigten Rechtsberater erfolgt.
18 Die Revision bestreitet nicht, dass der Revisionswerber die genannte Rechtsberatungsorganisation mit seiner Vertretung im Beschwerdeverfahren schriftlich bevollmächtigt und dabei eingewilligt hat, dass die Vertretung der Rechtsberatungsorganisation „mittels der für sie tätigen Rechtsberater(innen)“ erfolgt. Die Revision räumt auch ein, dass Mag. D S bei dieser Rechtsberatungsorganisation als „Mitarbeiterin“ tätig und sohin iSd. § 48 Abs. 8 BFA‑VG idF vor BGBl. I Nr. 53/2019 als Rechtsberaterin beschäftigt war.
19 Vor diesem Hintergrund legt die Revision nicht dar, dass es für eine wirksame Vertretung des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren durch die einschreitende Mag. D S ‑ zusätzlich zur (schriftlichen) Bevollmächtigung der Rechtsberatungsorganisation durch den Revisionswerber ‑ fallbezogen einer weiteren Bevollmächtigung durch die mit der Rechtsberatung betraute Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, bei der Mag. D S als Rechtsberaterin beschäftigt war, bedurft hätte. Die Revision zeigt somit auch nicht auf, dass das BVwG vom hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, 2005/05/0252, abgewichen wäre, wonach ein Vollmachtsverhältnis erst dann nach außen wirksam wird, wenn es in der in § 10 AVG festgelegten Form ‑ wozu wie im vorliegenden Fall eine schriftliche Vollmacht zählt ‑ zum Ausdruck gebracht wird.
20 Einer nachträglichen Genehmigung der mit Schreiben von Mag. D S vom 15. März 2019 erfolgten Zurückziehung der Beschwerde durch die Rechtsberatungsorganisation bedurfte es für die Rechtswirksamkeit dieser Prozesshandlung daher im Revisionsfall nicht. Die Zurückziehung der Beschwerde durch die Rechtsberaterin Mag. D S war somit dem Revisionswerber als Vertretenem zuzurechnen. Die Revision zeigt auch nicht auf, aus welchen anderen Gründen die Zurückziehung der Beschwerde nicht rechtswirksam erfolgt wäre.
21 Auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer sog. „Anscheinsvollmacht“, worauf sich das BVwG im Übrigen auch nicht berufen hat, kommt es im Revisionsfall daher nicht mehr an.
22 Das BVwG hat daher das bei ihm anhängige Verfahren infolge der rechtswirksam erklärten Zurückziehung der Beschwerde zu Recht eingestellt (vgl. VwGH 29.4.2015, Fr 2014/20/0047).
23 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit schließlich vor, dem Revisionswerber sei am 4. März 2019 eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG ausgefolgt worden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehe der Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts der weiteren Existenz einer Rückkehrentscheidung entgegen, welche ex lege erlösche (Hinweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151). Das BVwG hätte daher selbst unter der Annahme, dass die Beschwerde rechtswirksam zurückgezogen worden sei, die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden fremdenpolizeilichen Aussprüche nach § 52 Abs. 9 und § 55 FPG aufheben müssen.
24 Damit zeigt die Revision schon deshalb keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf, weil das BVwG infolge der (rechtswirksamen) Zurückziehung der gesamten Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13. März 2018 zur Entscheidung über die Beschwerde ‑ in Bezug auf alle Gegenstände des mit Beschwerde bekämpften Bescheides ‑ funktionell unzuständig gewesen wäre.
25 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. Februar 2021
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