VwGH Ra 2017/22/0128

VwGHRa 2017/22/012821.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des R S, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Juni 2017, W191 1433573-3/6E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie Festsetzung einer Ausreisefrist (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs3;
AsylG 2005 §57 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §57;
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2;
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3 idF 2013/II/492;
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3;
AsylGDV 2005 §8 Abs1 Z1 idF 2013/II/492;
AVG §56;
BFA-VG 2014 §52 Abs1;
BFA-VG 2014 §52 Abs2;
BFA-VG 2014 §9 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §52 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
VwGVG 2014 §33;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Oktober 2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Schreiben des BFA vom 2. November 2016 wurde der Revisionswerber aufgefordert, binnen vier Wochen ein gültiges Reisedokument vorzulegen bzw. zu begründen, aus welchen Gründen dem Revisionswerber dessen Beibringung unmöglich oder nicht zumutbar sei. Widrigenfalls werde der Antrag gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen. Diese Aufforderung wurde dem Revisionswerber am 8. November 2016 zugestellt.

3 Gemäß dem Aktenvermerk vom 6. Dezember 2016 sei der Revisionswerber beim BFA vorstellig geworden und habe angegeben, bei der indischen Botschaft gewesen zu sein, jedoch kein Dokument erhalten zu haben. Eine schriftliche Bestätigung hierüber habe er nicht vorlegen können.

4 Am 11. Jänner 2017 erschien der Revisionswerber beim BFA und legte ein Schreiben vor, in dem er darauf hinwies, dass er in Österreich an einem Deutschkurs teilgenommen und im Anschluss daran die A2-Prüfung erfolgreich abgelegt habe sowie als Prospektverteiler arbeite. Zu Indien habe er keinerlei Bindungen mehr und es sei für ihn eine Rückkehr nach Indien unvorstellbar.

5 Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 wies das BFA den Antrag gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.). Weiters erließ es gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von achtzehn Monaten befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.).

6 Begründend führte das BFA aus, dass im Fall einer freiwilligen Rückkehr die indische Botschaft in Wien sehr wohl Reisepässe ausstelle und aus den Angaben des Revisionswerbers in früheren Verfahren hervorgehe, dass er einen Reisepass besessen habe. Es sei daher davon auszugehen, dass die Daten und Personalien in Indien bei der zuständigen Passbehörde bekannt und gespeichert seien. Es sei dem Revisionswerber sowohl möglich als auch zumutbar, sich eventuell benötigte Dokumente für eine neuerliche Passausstellung zu organisieren und zukommen zu lassen. Der Revisionswerber verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Dass der Revisionswerber zu Indien keinerlei Bindungen mehr habe, sei nicht anzunehmen, weil seine Eltern noch immer dort leben würden. Des Weiteren habe er fast sein gesamtes Leben in Indien verbracht. Zu dem Freundeskreis in Österreich sei anzuführen, dass dieser fast zur Gänze aus Personen indischer Abstammung bestünde. Von einer Integration in Österreich könne nicht gesprochen werden. Der Revisionswerber sei seiner Ausreiseverpflichtung über Jahre hinaus nicht nachgekommen. Sein Verhalten widerstreite der öffentlichen Ordnung und dem Vollzug eines geordneten Fremdenwesens und er missachte bewusst die österreichische Rechtsordnung.

7 In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber, vertreten durch den Verein M.Ö., dieser vertreten durch Mag. S., aus, dass der Revisionswerber bei seiner Einvernahme beim BFA ausführlich zu seinen Asylgründen Stellung genommen habe. Der Revisionswerber habe sehr große politische Probleme in Indien. Er möchte in Sicherheit in Österreich leben. Der Beschwerde war eine vom Revisionswerber unterfertigte Vollmacht für den Verein M.Ö. beigelegt.

8 Die Beschwerde wurde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., und III. gemäß §§ 57, 58 sowie 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und §§ 46, 52 Abs. 9, 55 sowie 53 Abs. 1 und 2 FPG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A I.). Hinsichtlich Spruchpunkt IV. wurde der Beschwerde insoweit stattgegeben, als die Dauer des befristeten Einreiseverbotes auf ein Jahr herabgesetzt wurde (Spruchpunkt A II.). Weiters sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Das BVwG stellte begründend fest, der Revisionswerber sei ledig, im Februar 2013 nach Österreich gereist und habe hier einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Seine Familie lebe nach wie vor in Indien. Nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages im Mai 2013 sei der Revisionswerber nicht nach Indien zurückgereist, sondern im Bundesgebiet verblieben. Der Revisionswerber sei mehrmals aufgefordert worden, die für die Ausstellung eines Passersatzdokumentes erforderlichen Dokumente beizubringen. Diesen Aufforderungen sei der Revisionswerber nicht gefolgt und habe auch keine stichhaltigen Gründe vorgebracht, weshalb ihm die Erlangung eines Reisedokumentes unmöglich oder unzumutbar wäre. Er sei somit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Seinem Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete sei zweimal jeweils für ein Jahr - zuletzt bis 5. November 2016 - stattgegeben worden. Der Revisionswerber sei "irregulär" in das Bundesgebiet eingereist und über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren illegalen Aufenthaltes trotz rechtskräftiger Ausweisung nicht wieder ausgereist. Das Verhalten des Revisionswerbers bezüglich der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bzw. Sicherheit dar. Der Revisionswerber sei im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er gehe gemäß seinen Angaben einer Erwerbstätigkeit als Prospektverteiler nach, habe dafür aber keine Belege vorgelegt. Der Revisionswerber habe nach seinen Angaben die Deutsch-Prüfung auf dem Niveau A2 bestanden, aber auch dafür keinen Beleg vorgelegt. Eine Integration des Revisionswerbers in Österreich in besonderem Ausmaß liege nicht vor.

10 Zur Unterlassung der mündlichen Verhandlung führte das BVwG aus, dass dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen sei und die knappen Ausführungen in der Beschwerde nicht geeignet seien, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen. Es liege kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Revisionswerber mündlich zu erörtern gewesen wäre. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine, habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben können.

11 Dagegen wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. den hg. Beschluss 19. Dezember 2016, Ra 2016/02/0249, mwN).

14 Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, der Revisionswerber sei nicht persönlich einvernommen worden und es sei ihm nicht die erforderliche Belehrung gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DV 2005) erteilt worden. Auch der ihm beigegebene Rechtsberater habe keine Anstalten gemacht, ihm die entsprechenden und erforderlichen Belehrungen zukommen zu lassen. Der Revisionswerber hätte seinen Führerschein vorlegen können, wenn man ihn danach gefragt hätte. Hätte das BVwG die beantragte mündliche Verhandlung durchgeführt, hätte der Revisionswerber darüber hinaus darstellen können, dass ihm der aktuelle Wohnort seiner Angehörigen nicht geläufig sei und er auch in keiner Weise sagen könne, ob für ihn überhaupt die Möglichkeit bestehe, bei ihnen Unterkunft zu nehmen. Ebenso hätte er seine Bemühungen darstellen können, von der Botschaft einen Reisepass zu erlangen und erst recht, dass sich sein Freundes- und Bekanntenkreis nicht bloß aus indischen Staatsbürgern rekrutiere. Als rechtlich unbedarfter Rechtsschutzsuchender habe er darauf vertrauen dürfen, dass der ihm von der belangten Behörde beigegebene Rechtsberater auch die Interessen seines Klienten uneingeschränkt wahrnehmen und wahren werde. Weiters sei kein Antrag gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005, sondern gemäß § 57 Abs. 1 leg. cit. gestellt worden, sodass sowohl das BFA als auch das BVwG gehalten gewesen wären, "sich an den Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel zu orientieren und nicht, wie es geschehen (sei), die ganze Palette des § 9 Abs. 2 BFA-VG zu bemühen". Darüber hinaus sei es unzulässig, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen wegen mangelnder Vorlage eines Reisepasses zurückzuweisen.

15 Dem Vorbringen des Revisionswerbers ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung rechtfertigt (vgl. den hg. Beschluss vom 17. Mai 2017, Ra 2017/22/0059; vgl. zu einem Antrag gemäß § 57 AsylG 2005 das hg. Erkenntnis vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0077). In diesen Fällen, in denen der Antrag nach § 57 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, ist die antragszurückweisende Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben (§ 9 Abs. 2 BFA-VG) voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, sodass das BVwG - entgegen dem Revisionsvorbringen - die Voraussetzungen des § 9 BFA-VG zutreffenderweise geprüft hat (vgl. auch dazu das angeführte Erkenntnis Ra 2016/21/0077).

16 Soweit sich der Revisionswerber auf die Möglichkeit, einen Führerschein vorzulegen, bezieht, übersieht er, dass die Zurückweisung seines Antrages deswegen erfolgt ist, weil er kein Reisedokument vorlegen konnte und die Heilung dieses Mangels gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 unstrittig nicht beantragt wurde.

17 Darüber hinaus wird angemerkt, dass aus der wiederholten Ausstellung einer Karte für Geduldete in der Vergangenheit nicht zwingend zu schließen ist, dass die Voraussetzungen für die weitere Duldung im Sinn des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vorliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2017, Ro 2016/21/0019).

18 Zum Vorbringen des Revisionswerbers betreffend die (mangelhafte) Vertretung durch seinen Rechtsberater ist auszuführen, dass dann, wenn ein Fremder der juristischen Person schriftlich ausdrücklich Vollmacht erteilt, dem Fremden das Handeln des sodann von der juristischen Person konkret mit der Durchführung seiner Vertretung betrauten Rechtsberaters wie bei jedem anderen Vertreter zuzurechnen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2017, Ra 2017/19/0113).

19 Weiters wird eine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG mit der behaupteten Unzulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG schon deshalb nicht aufgezeigt, weil der Revisionswerber in seiner Beschwerde die vom BFA getroffenen und entscheidungsrelevanten Feststellungen hinsichtlich der Nichtvorlage eines Reisedokumentes und der Zumutbarkeit der Beschaffung eines solchen sowie der fehlenden Integration des Revisionswerbers in Österreich und der Zumutbarkeit der Rückkehr nach Indien nicht bestritten hat. Damit war der Sachverhalt jedoch im Sinn der hg. Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht nicht als ungeklärt zu betrachten, weshalb das BVwG letztlich von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen durfte (vgl. die hg. Beschlüsse vom 27. Mai 2015, Ra 2015/18/0021, und vom 17. November 2016, Ra 2016/21/0183).

20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 21. September 2017

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