VwGH Ro 2019/13/0027

VwGHRo 2019/13/00275.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts Wien 8/16/17 (jetzt Finanzamt Österreich) in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. April 2019, Zl. RV/7104968/2017, betreffend u.a. Haftung für Kapitalertragsteuer 2009 (mitbeteiligte Partei: L GmbH in W, vertreten durch die Althuber Spornberger & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Julius‑Raab‑Platz 4), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §4 Abs2 lita Z2
BAO §4 Abs2 lita Z3
EStG 1988 §27
EStG 1988 §4 Abs12
EStG 1988 §93
EStG 1988 §93 Abs1
KStG 1988 §8 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019130027.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Abtretungsvertrag vom 9. März 2009 veräußerte die Mitbeteiligte ihre 51%ige Beteiligung an der E GmbH an die R GmbH. Der Kaufpreis von 473.181,80 € sollte laut Zahlungsvereinbarung mit einem Betrag von 20.000 € an die Mitbeteiligte und mit einem Betrag von 453.181,80 € an ihren Alleingesellschafter ausbezahlt werden, welchem die Mitbeteiligte die Forderung zediert hatte.

2 Im Jahresabschluss der Mitbeteiligten für das Jahr 2009 wurden 20.000 € als Veräußerungserlös erfasst, nicht aber jene 453.181,80 €, die an deren Gesellschafter ausbezahlt worden sind.

3 Nachdem der Mitbeteiligten dieser Sachverhalt vorgehalten wurde, teilte deren steuerlicher Vertreter dem Finanzamt mit, die Information über den korrekten Erlös aus der Anteilsveräußerung sei ‑ vermutlich aufgrund mehrerer Wechsel der betreuenden Steuerberater ‑ versehentlich verloren gegangen.

4 Das Finanzamt verfügte die Wiederaufnahme des Verfahrens und erließ einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2009, in dem es neben anderen ‑ im Revisionsverfahren nicht mehr interessierenden ‑ Änderungen eine Erhöhung des Gewinnes um den noch nicht als Betriebseinnahme erfassten Teil des Erlöses aus dem Verkauf der Beteiligung an der E‑GmbH vornahm. Weiters wertete es den Betrag von 453.181,80 € als verdeckte Ausschüttung an den Alleingesellschafter und zog die Mitbeteiligte zur Haftung für die auf diese Ausschüttung entfallende Kapitalertragsteuer (25%) heran. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, der in Rede stehende Veräußerungsvorgang sei im Rechenwerk der Mitbeteiligten mit nur 20.000 € abgebildet worden. Ein Kaufpreisteil von 453.181,80 € sei dem Alleingesellschafter der Mitbeteiligten zugeflossen und stelle bei diesem einen Vorteil aus dem Gesellschaftsverhältnis und damit eine verdeckte Ausschüttung dar. Dem Einwand der mitbeteiligten Partei, wonach die (nachträglich zu Tage getretene) verdeckte Ausschüttung von 453.181,80 € an den Alleingesellschafter als Einlagenrückzahlung zu behandeln sei, weil die Mitbeteiligte keine selbst erwirtschafteten Gewinne aufweise, folgte das Finanzamt nicht.

5 Die Mitbeteiligte erhob Beschwerde und räumte ein, die vom Finanzamt vorgenommene Gewinnerhöhung des Jahres 2009 um den noch nicht als Betriebseinnahme erfassten Teil sei „im Ergebnis“ zutreffend. Die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer sei aber zu Unrecht erfolgt. Es liege keine verdeckte Ausschüttung, sondern eine Einlagenrückzahlung vor, weil ihr Gesellschafter im Jahr 2003 einen Gesellschafterzuschuss von 100.000 € getätigt habe, welcher für eine Einlagenrückzahlung zur Verfügung stehe.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. In Bezug auf die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer 2009 führte das Bundesfinanzgericht aus, unabhängig davon, ob im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter eine verdeckte Ausschüttung oder eine verdeckte Einlagenrückzahlung vorliege, sei der Gewinn der Mitbeteiligten aus dem strittigen Veräußerungsvorgang in jenem Ausmaß zu erhöhen, in dem der Veräußerungserlös nicht erfasst worden sei, somit um 453.181,80 €.

7 Was die Frage der Kapitalertragsteuer und damit der verdeckten Ausschüttung anlange, führe das Vorbringen der Mitbeteiligten, sie habe keine hinreichenden Gewinne für eine Ausschüttung erwirtschaftet, nicht zum Erfolg. Das Fehlen einer positiven „Innenfinanzierung“ stehe nämlich der Annahme einer verdeckten Ausschüttung nicht entgegen, schließlich liege es im Wesen einer verdeckten Ausschüttung, dass bis zu ihrer Aufdeckung kein entsprechender Ertrag bei der Körperschaft erfasst worden sei. Während die Annahme einer Einlagenrückzahlung zwingend das Vorhandensein von Einlagen voraussetze, gebe es ein entsprechendes Erfordernis für verdeckte Ausschüttungen gerade nicht.

8 Die Vorteilszuwendung an den Alleingesellschafter im Ausmaß von 453.181,80 € stelle grundsätzlich eine verdeckte Ausschüttung dar, weil die von der Rechtsprechung dafür entwickelten Merkmale (Gesellschafter- oder Nahebeziehung, Bereicherung des Gesellschafters zulasten der Gesellschaft, Bereicherungswille der Gesellschaft) allesamt vorlägen.

9 Unter Berücksichtigung von Umgründungs- und Einlagevorgängen gelangte das Bundesfinanzgericht sodann zur Feststellung, dass der Einlagenstand auf dem Evidenzkonto des Alleingesellschafters (§ 4 Abs. 12 EStG 1988) zum Zeitpunkt der verdeckten Ausschüttung 68.643,73 € betragen habe.

Bezugnehmend auf diesen Einlagenstand führte das Bundesfinanzgericht aus, soweit auf dem Einlagen-Evidenzkonto ein positiver Einlagenstand gegeben sei, stehe es der ausschüttenden Körperschaft frei, eine offene Ausschüttung in eine Einlagenrückzahlung „umzudeuten“. Die Finanzverwaltung gestehe dieses „Wahlrecht“ bei verdeckten Ausschüttungen nur bis zum Bilanzstichtag des jeweiligen Wirtschaftsjahres zu. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts sei diese Sichtweise zu eng. Könne der Nachweis erbracht werden, dass Einlagen zugewendet würden, gehe diese Feststellung als Ausfluss der wirtschaftlichen Betrachtung der Annahme einer verdeckten Ausschüttung vor, die sich bloß auf die Nichteinhaltung von Formvorschriften (Nichtabgabe der KESt‑Erklärung, keine ursprüngliche Abbildung im Einlagen‑Evidenzkonto) stütze.

Im Ausmaß der auf dem Evidenzkonto vorhandenen Einlagen (68.643,73 €) habe die verdeckte Ausschüttung somit im Verhältnis Gesellschafter und Gesellschaft in eine Einlagenrückzahlung „umgedeutet“ werden können. Der um die Einlagenrückzahlung verminderte Betrag von 384.538,07 € stelle eine der Kapitalertragsteuer unterliegende verdeckte Ausschüttung dar.

Sollte die Einlagenrückzahlung im Jahr 2009 beim Gesellschafter die steuerlichen Anschaffungskosten übersteigen, lägen bei diesem insoweit Einkünfte nach § 31 EStG 1988 in der Fassung vor dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010 vor.

10 Die ordentliche Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob eine verdeckte Ausschüttung nachträglich ‑ im Zeitpunkt ihrer Feststellung ‑ in eine Einlagenrückzahlung umqualifiziert werden könne.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, zu der die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

12 Die Revision bekämpft die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts insoweit, „als ein Teil (€ 68.643,73) der vom revisionswerbenden Finanzamt für 2009 festgestellten verdeckten Ausschüttung vom BFG in eine Einlagenrückzahlung umqualifiziert und dadurch die mit dem Haftungs- und Abgabenbescheid vom 30.05.2016 erfolgte Vorschreibung über die Kapitalertragsteuer 2009 entsprechend reduziert wurde“.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 § 4 Abs. 12 EStG 1988 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 797/1996, lautet:

„(12) Die Einlagenrückzahlung von Körperschaften gilt, auch wenn sie im Wege einer Einkommensverwendung erfolgt, als Veräußerung einer Beteiligung und führt beim Anteilsinhaber (Beteiligten) sowohl bei einem Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5) als auch bei einer Einnahmen-Ausgabenrechnung (§ 4 Abs. 3) nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu einer Minderung und Erhöhung von Aktivposten des Betriebsvermögens:

1. Einlagen im Sinne dieser Vorschrift sind das aufgebrachte Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapital und sonstige Einlagen und Zuwendungen, die als Kapitalrücklage auszuweisen sind oder bei Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften auszuweisen waren einschließlich eines Partizipations- und Genußrechtskapitals im Sinne des § 8 Abs. 3 Z 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1988, sowie jene Verbindlichkeiten denen abgabenrechtlich die Eigenschaft eines verdeckten Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapitals zukommt.

2. Nicht zu den Einlagen gehören Beträge, die unter § 32 Z 3 fallen oder die infolge einer Umgründung im Sinne des Umgründungssteuergesetzes die Eigenschaft einer Gewinnrücklage oder eines Bilanzgewinnes verloren haben.

3. Die Körperschaft hat den Stand der Einlagen im Sinne dieser Vorschrift im Wege eines Evidenzkontos zu erfassen und seine Erhöhungen durch weitere Einlagen und Zuwendungen und Verminderungen durch Ausschüttungen oder sonstige Verwendungen laufend fortzuschreiben. Das Evidenzkonto ist in geeigneter Form der jährlichen Steuererklärung anzuschließen.“

15 Gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 in der Fassung BGBl. Nr. 660/1989 zählen folgende Einkünfte, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 4 gehören, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen: „Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien oder Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung.“

16 Gemäß § 15 Abs. 4 EStG 1988 ist § 4 Abs. 12 leg. cit. bei den außerbetrieblichen Einkunftsarten (sohin im Rahmen des § 27 EStG 1988) entsprechend anzuwenden.

17 Gemäß § 93 Abs. 1 EStG 1988 in der Fassung BGBl. Nr. 400/1988 wird die Einkommensteuer bei inländischen Kapitalerträgen (Abs. 2) durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer).

18 Zu den abzugsteuerpflichtigen Kapitalerträgen gehören auch verdeckte Ausschüttungen (vgl. für viele VwGH 28.5.2015, Ro 2014/15/0046).

19 Verdeckte Ausschüttungen sind Vorteile, die eine Gesellschaft ihren Gesellschaftern aus ihrem Vermögen in einer nicht als Gewinnausschüttung erkennbaren Form unter welcher Bezeichnung auch immer gewährt, die sie anderen Personen, die nicht ihre Gesellschafter sind, nicht oder nicht unter den gleichen günstigen Bedingungen zugestehen würde (vgl. VwGH 22.5.2014, 2011/15/0003).

20 Grundsätzlich stand es einer Kapitalgesellschaft nach der hier noch maßgeblichen Rechtslage vor dem Steuerreformgesetz 2015/16 frei zu wählen, ob Zuwendungen an ihre Gesellschafter ertragsteuerlich als verdeckte oder offene Ausschüttungen iSd § 27 EStG 1988 oder als Einlagenrückzahlung iSd § 4 Abs. 12 EStG 1988 zu behandeln sind. Voraussetzung für eine Einlagenrückzahlung war jedoch, dass ausreichend Einlagen vorhanden waren (vgl. Kirchmayr/Rzepa in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20, § 4 Tz 445, 456).

21 Im Falle von verdeckten Vorteilszuwendungen an Gesellschafter ist, wenn nicht der Nachweis einer Einlagenrückzahlung vorliegt, von einer (verdeckten) Ausschüttung auszugehen (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0037, mwN).

22 Die mitbeteiligte Partei hat mit Abtretungsvertrag vom 9. März 2009 eine Beteiligung veräußert und verfügt, dass der Kaufpreis mit einem Betrag von 453.181,80 € an ihren Gesellschafter ausbezahlt wird. Unstrittig erfüllte die Zuwendung der 453.181,80 € an den Gesellschafter alle Voraussetzungen einer verdeckten Ausschüttung im Sinne des § 27 Abs. 1 Z 1 EStG 1988.

23 In zeitlichem Zusammenhang mit der Vorteilszuwendung an den Gesellschafter wurde kein Wahlrecht ausgeübt, den Vorgang als Einlagenrückgewähr zu behandeln.

24 In der Literatur wird u.a. vertreten, bei einer offenen Ausschüttung sei das Wahlrecht, die Vorteilszuwendung als Einlagenrückgewähr zu behandeln, mit Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldung (vgl. Bendlinger, Verdeckte Ausschüttung als Einlagenrückzahlung? taxlax 2019, 143), spätestens aber mit Ende des betroffenen Wirtschaftsjahres (vgl. Kirchmayer/Rzepa, a.a.O., § 4 Tz 467/1, mwN) verwirkt.

25 Gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 und 3 BAO entsteht der Abgabenanspruch bei der Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer für die zu veranlagende Abgabe in der Regel mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird (Z 2), und für Steuerabzugsbeträge im Zeitpunkt des Zufließens der steuerabzugspflichtigen Einkünfte (Z 3).

26 Das Gesetz sieht die Möglichkeit, eine Ausschüttung nach dem Entstehen der Steuerschuld als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren, nicht vor. Im gegebenen Zusammenhang ist weiters zu beachten, dass verdeckte Gewinnausschüttungen nur in bestimmten Konstellationen dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen (§§ 93 ff EStG 1988). Um nicht zu unsachlichen Differenzierungen zu gelangen, ist daher der in § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO normierte Zeitpunkt als Endzeitpunkt zu werten, bis zu welchem die Kapitalgesellschaft dem Finanzamt gegenüber die Wahl treffen kann, eine Vermögenszuwendung an Gesellschafter statt als (verdeckte) Ausschüttung als Einlagenrückgewähr zu werten.

27 Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Rückgängigmachung einer verdeckten Ausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 2 KStG 1988 nur bis zum Bilanzstichtag des betroffenen Wirtschaftsjahres möglich ist (vgl. für viele VwGH 25.11.2009, 2007/15/0196; 31.5.2011, 2008/15/0153, mwN).

28 Im Revisionsfall lagen (auch) hinsichtlich des streitgegenständlichen Betrages von 68.643,73 € im Jahr 2009 die tatsbestandsmäßigen Voraussetzungen einer verdeckten Ausschüttung im Sinne der §§ 27 und 93 EStG 1988 vor. Es steht auch fest, dass die mitbeteiligte Partei bis zum Ablauf des Jahres 2009 gegenüber dem Finanzamt keine Erklärung dahingehend abgegeben hat, die Vorteilszuwendung als Einlagenrückzahlung zu behandeln. Daher ist es als rechtswidrig zu erkennen, wenn das Bundesfinanzgericht diese Vorteilszuwendung als (nicht der Kapitalertragsteuer unterliegende) Einlagenrückgewähr qualifiziert hat.

29 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 5. Februar 2021

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