VwGH Ro 2014/15/0046

VwGHRo 2014/15/004628.5.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Dr. Hohenecker, über die Revision des Finanzamtes Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. August 2014, Zl. RV/2100377/2014, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer 2006 bis 2009 (mitbeteiligte Partei: L GmbH in W), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §224;
EStG 1972 §95 Abs2;
EStG 1972 §95;
EStG 1972 §96;
EStG §27 Abs1 Z1 lita;
EStG §93 Abs2 Z1 lita;
EStG §95 Abs2;
EStG §95 Abs3;
EStG §95 Abs4;
EStG §95 Abs5;
EStG §96;
BAO §224;
EStG 1972 §95 Abs2;
EStG 1972 §95;
EStG 1972 §96;
EStG §27 Abs1 Z1 lita;
EStG §93 Abs2 Z1 lita;
EStG §95 Abs2;
EStG §95 Abs3;
EStG §95 Abs4;
EStG §95 Abs5;
EStG §96;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Bei der Mitbeteiligten, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die im Streitzeitraum vom Gesellschafter (10 %) und Geschäftsführer Mag. KS vertreten wurde, fand eine abgabenbehördliche Prüfung statt. Der Prüfer stellte u.a. Mängel der Kassabuchführung fest und beurteilte die aufgrund dieser Feststellung - in allen Jahren - als Sicherheitszuschläge vorgenommenen Bruttoumsatzzurechnungen als verdeckte Ausschüttungen.

Das Finanzamt folgte dem Prüfer und zog die Mitbeteiligte zur Haftung für Kapitalertragsteuer heran, die u.a. auch auf die Sicherheitszuschläge entfiel.

Die Mitbeteiligte berief gegen die Haftungsbescheide und führte in der Berufung aus, das Finanzamt habe die Bescheiderlassung mit einer Haftungspflicht gemäß § 95 Abs. 2 iVm § 95 Abs. 3 EStG 1988 begründet. Dabei habe es übersehen, "dass die Kapitalertragsteuer ausnahmsweise dem Empfänger der Kapitalerträge vorzuschreiben ist, wenn der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat". § 95 Abs. 5 Z 1 EStG 1988 stelle auf rein objektive Momente ab. Der zum Abzug Verpflichtete (Geschäftsführer Mag. KS) habe die Kapitalertragsteuer nicht abgezogen und der Empfänger der Kapitalerträge (wiederum: Mag. KS) habe die Kapitalerträge ungekürzt erhalten. Nach Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, Tz 11 zu § 95, könne bei einer verdeckten Ausschüttung automatisch unterstellt werden, dass es sich um nicht vorschriftsmäßig gekürzte Kapitalerträge handle. Daher liege die Voraussetzung für eine direkte Inanspruchnahme von Mag. KS vor. Dabei handle es sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde, die nach Zweckmäßigkeit und Billigkeit auszuüben sei. Hinsichtlich der Zweckmäßigkeit sei zu berücksichtigen, dass sich die Mitbeteiligte derzeit im Konkurs befinde, während Mag. KS uneingeschränkt über sein Vermögen verfügen könne. Auch Billigkeitsüberlegungen sprächen gegen die Inanspruchnahme der Mitbeteiligten. "Schließlich ist es zur Kapitalertragsteuervorschreibung durch Handlungen eben des begünstigten Steuerschuldners ((Mag. KS)) gekommen, da er die Kapitalerträge selbst nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat. Es wäre daher unbillig, nicht denjenigen mit den Abgaben zu belasten, der letzten Endes Begünstigter der verdeckten Gewinnausschüttungen war."

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab und begründete die abweisende Erledigung wie folgt:

"Die Berufung richtet sich gegen die Haftungsinanspruchnahme der (Mitbeteiligten). In der Berufung wird eingewandt, dass die Kapitalertragsteuer gem. § 95 Abs. 4 EStG direkt beim Empfänger der Kapitalerträge vorzuschreiben gewesen wäre. Es wird in der Berufung eine falsche Ermessensübung gerügt.

Gem. § 95 Abs. 1 haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer der Abzugsverpflichtete. Zum Abzug der Kapitalertragsteuer wäre die GmbH verpflichtet gewesen § 95 Abs. 2 EStG.

Gem. § 95 Abs. 4 EStG kann die Kapitalertragsteuer dem Empfänger der Kapitalerträge ausnahmsweise vor(ge)schrieben werden.

Die Inanspruchnahme mittels Haftungsbescheid hat gem. § 224 BAO zu erfolgen.

Abgabenrechtlich setzt die Haftung einen Bestand einer Schuld (§ 4 BAO) voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner Erstschuldner gegenüber auch bereits geltend gemacht wurde; abgabenrechtliche Haftungen haben daher keine(n) akzessorischen Charakter. Wenn auch dem Erstschuldner gegenüber der Anspruch noch nicht geltend gemacht worden ist, wird doch durch den Haftungsbescheid ein Gesamtschuldverhältnis begründet, welches dem Erstschuldner gegenüber allerdings erst mit Erlassung des Abgabenbescheides wirksam wird (vgl. Ellinger/Iro et.al.

§ 224E, RZ E9).

Die Haftung kann somit auch vor erstmaliger Inanspruchnahme

beim Abgabenschuldner ausgesprochen werden.

In der Berufung wird eingewandt, dass die Vorschreibung beim

Empfänger hätte erfolgen müssen.

Die Direktvorschreibung beim Empfänger liegt im Ermessen der

Abgabenbehörde. Auch wenn eine Direktvorschreibung gem. § 95 Abs. 4 EStG möglich wäre, schließt das eine Haftungsinanspruchnahme gem. § 95 Abs. 1 EStG nicht aus. Ein Haftungsbescheid ist daher nicht deshalb nicht zu erlassen, weil eine Direktvorschreibung möglich wäre. Mit der Haftungsinanspruchnahme wird für die Abgabenbehörde lediglich der Schuldnerkreis erweitert, weil damit ein Gesamtschuldverhältnis entsteht, was prinzipiell für eine Haftungsinanspruchnahme spricht.

Zum fehlenden Ermessen wird eingewandt, dass bei der Zweckmäßigkeitsüberlegung zu berücksichtigen sein wird, dass die GmbH sich im Konkurs befindet.

Gerade dieser Punkt sprich(t) nicht gegen eine Haftungsinanspruchnahme sondern für eine solche. Durch die Vorschreibung der Kest mittels Haftungsbescheid war es der Abgabenbehörde möglich in dem laufenden Insolvenzverfahren diese Forderung anzumelden. Das Unternehmen wurde bereits mit Beschluss vom 16.09.2010 geschlossen. Die Eröffnung des Konkursverfahrens führt zum Untergang des Unternehmens. Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ist mit einer etwaigen (Teil‑)Befriedigung nicht mehr zu rechnen. Der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel, Abgaben einzubringen, gebietet es daher geradezu bei einem offenen Konkursverfahren die letzte Möglichkeit wahr zu nehmen und die Abgaben mittels Haftungsbescheid geltend zu machen. Gerade in diesem Punkt verdrängt der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel Abgaben einzubringen etwaige Einzelinteressen.

(Die Mitbeteiligte) führt weiters aus, dass es unbillig wäre, nicht denjenigen mit der Abgabe zu belasten, der letzten Endes Begünstigter der verdeckten Gewinnausschüttung war, und es durch dessen Handlungen zur Kapitalertragsteuervorschreibung gekommen ist.

In einer gesetzeskonformen Vorschreibung einer Abgabe im Haftungswege an die (Mitbeteiligte) durch die Abgabenbehörde kann keine Unbilligkeit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei unterstellt werden, zumal der (Mitbeteiligten) das Verhalten ihrer Organe, im gegenständlichen Fall das Verhalten des Gesellschaftergeschäftsführers, zuzurechnen ist.

Es steht der (Mitbeteiligten) natürlich frei sich im Zivilrechtsweg als geschädigte zu regressieren, dies ändert jedoch nichts an der abgabenrechtlichen Möglichkeit einer Haftungsinanspruchnahme.

Ob der Empfänger frei über sein Vermögen verfügen kann, bzw. die Frage, ob es überhaupt ein Vermögen des Empfängers der Kapitalerträge gibt, ist für die Frage der Haftungsinanspruchnahme unbeachtlich, weil, sollte auch der Empfänger gem. § 95 Abs. 4 EStG in Anspruch genommen worden sein, ein Gesamtschuldverhältnis entsteht und damit die Bezahlung eines Gesamtschuldners für den anderen Gesamtschuldner schuldbefreiend wirkt. Bei einer Nichtinanspruchnahme des Empfängers der Kapitalerträge steht es dem Haftungspflichtigen im Zivilrechtsweg offen die im Zuge der Haftungsinanspruchnahme bezahlte Kest von diesem zurückzufordern."

Die Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, deren Vorlage an den gesamten Berufungssenat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

In einer Vorlageerinnerung brachte die Mitbeteiligte ergänzend zur Berufung noch Folgendes vor:

"Der vormals zu 10% an der Gesellschaft beteiligte Gesellschafter und Geschäftsführer, (Mag. KS), hat durch die im Betriebsprüfungs(b)ericht der Abgabenbehörden ersichtlichen Handlungen der Gesellschaft massiven Schaden zugefügt. Letzten Endes musste über das Vermögen der Gesellschaft auch aus den Gründen der drohenden Abgabennachforderungen, insbesondere solcher aus Kapitalertragsteuer, das Insolvenzverfahren angemeldet werden. Allein aus der 10%igen Beteiligung des (Mag. KS) an der Gesellschaft leitete die belangte Behörde eine verdeckte Gewinnausschüttung ab, weil diese annahm, dass durch Schwarzgeschäfte der Gesellschafter und Geschäftsführer massiv in die eigene Tasche gewirtschaftet hätte. Dementsprechend wurde die Gesellschaft im Haftungswege mit einer Kapitalertragsteuervorschreibungen belastet.

Das bisherige Berufungsbegehren wird nun insofern ergänzt und erweitert, als auch gegen die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung dem Grunde nach Berufung erhoben wird.

Dies aus folgenden Gründen:

Verdeckte Gewinnausschüttungen sind Zuwendungen von Vermögensvorteilen außerhalb einer offenen Gewinnausschüttung, durch eine Körperschaft, an ihre Anteilsinhaber oder gleichzuhaltende Personen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und die Vermögenszuwendung erfolgt mit Wissen und Wollen der Körperschaft. (So: Kirchmayr, in Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung S. 83 und Körperschaftsteuerrichtlinien Randziffer (RZ) 751).

Während die ersten 3 Kriterien (Vorteilszuwendung, durch eine Körperschaft, an Anteilsinhaber) erfüllt sind, fehlt es an den Voraussetzungen zu 4. (durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst) und 5. (mit Wissen und Wollen der Körperschaft) zur Gänze. Ob nämlich Zuwendungen durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, ist anhand eines Fremdvergleichs zu ermittel(n). Es liegt auf der Hand, dass (Mag. KS) die Schwarzgeschäfte auch dann getätigt hätte, wenn er nicht an der Gesellschaft beteiligt gewesen wäre. Sein Bestreben war offensichtlich auf das Erwirtschaften von Umsätzen gerichtet, mit dem Ziel der Gesellschaft zu schaden. Es spielte also überhaupt keine Rolle, ob er Gesellschafter gewesen ist oder nicht. Andererseits zeigt gerade der vorliegende Sachverhalt, dass die von der belangten Behörde angenommene Ausschüttung gar nicht mit Wissen und Wollen der Gesellschaft erbracht worden sein kann. Es fehlt somit eindeutig am subjektiven Tatbestandselement.

Der Verwaltungsgerichtshof (Kirchmayr, aaO, S. 98) und die Verwaltungspraxis (KSTR 2001, RZ 790) fordert eine ausdrücklich auf Vorteilsgewährung gerichtete Willensentscheidung der Körperschaft. Es liegt auf der Hand, dass dann, wenn sich ein Minderheitsgesellschafter der auch Geschäftsführer ist, einen Vorteil zuwendet, dies nicht aufgrund eines Willensentschlusses der Gesellschaft erfolgt sein kann. Bei einem derartigen "Insichgeschäft" - müsste nämlich eine Genehmigung der Generalversammlung der Gesellschaft erfolgt sein (§ 25 Absatz 4 Gmb(H)G). Ein solcher - zustimmender - Beschluss der Generalversammlung wurde jedoch weder im Vorhinein noch nachträglich gefasst. Insofern ist klar, dass der Gesellschaft durch diese unzulässigen Insichgeschäfte Schaden zugefügt wurde. Von einem Wissen und Wollen seitens der Gesellschaft kann daher nicht die Rede sein."

Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Bundesfinanzgericht, brachte der Vertreter der Mitbeteiligten vor, dass der Geschäftsführer Mag. KS nach Hervorkommen der Malversationen "sofort suspendiert" und die Trennung von Mag. KS sodann "einvernehmlich" erfolgt sei. Über Befragen gab der Vertreter der Mitbeteiligten weiters an, "dass es seines Wissens nach von der Gesellschaft keine Betrugs- oder Untreueanzeige und auch keine Schadenersatzklage gegeben hat".

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der als Beschwerde zu erledigenden Berufung Folge, erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig und führte aus, dass eine die Gesellschaft schädigende Handlung eines Minderheitsgesellschafters auch dann, wenn dieser in Ausnützung seiner Eigenschaft als Organ (Geschäftsführer) der Gesellschaft handle, für sich allein noch nicht die Annahme einer verdeckten Ausschüttung rechtfertige. Habe sich der vertretungsbefugte Gesellschafter einen ungerechtfertigten Vorteil in Ausnützung seiner Eigenschaft als Organ (Geschäftsführer) der Gesellschaft verschafft, läge eine verdeckte Ausschüttung nur im Verzicht auf die Geltendmachung oder Durchsetzung der aus der genannten deliktischen Handlung resultierenden Schadenersatzansprüche. Ein solcher Verzicht läge - wenn überhaupt - erst 2010 vor, weil die Mitbeteiligte bis zum Tätigwerden des Finanzamtes keine Kenntnis von den Vermögensvorteilen gehabt habe, die sich Mag. KS eigenmächtig verschafft habe.

Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vom Finanzamt erhobene Revision.

Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zulässig und begründet.

Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien oder Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung zählen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 27 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung). Solche Einkünfte unterliegen, wenn der Schuldner der Kapitalerträge Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat (inländische Kapitalerträge), der Kapitalertragsteuer (§ 93 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung).

Zu den Bezügen nach § 27 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung gehören auch verdeckte Ausschüttungen (vgl. etwa Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 27 Tz 11.1, § 93 Tz 29).

Mehrgewinne einer Kapitalgesellschaft, die in ihrem Betriebsvermögen keinen Niederschlag gefunden haben, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig als den Gesellschaftern verdeckt zugeflossene Ausschüttungen anzusehen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2005, 2002/13/0230 und 2001/13/0261, vom 18. September 2003, 99/15/0262, 0263, vom 17. Dezember 2002, 97/14/0026, vom 19. Juli 2000, 97/13/0241 und 0242, vom 22. März 2000, 97/13/0173, vom 24. März 1998, 97/14/0118, vom 28. Jänner 1998, 95/13/0069, vom 6. April 1995, 93/15/0060, vom 27. April 1994, 92/13/0011, 94/13/0094, und vom 10. Dezember 1985, 85/14/0080, mwN; vgl. auch Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 27 Tz 11.4. "Schwarzgeschäfte" und "Sicherheitszuschlag"). Dies gilt auch dann, wenn die Geschäftsführung der Gesellschaft von einem Minderheitsgesellschafter ausgeübt wird und die Abgabenbehörde zur Überzeugung gelangt, dass die Mehrgewinne als verdeckte Ausschüttung an den Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer anzusehen sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2005, 2001/13/0261, und vom 10. Dezember 1985, 85/14/0080, die solche Konstellationen betrafen).

Das Finanzamt hat die Mitbeteiligte im Hinblick auf dem Gesellschafter und Geschäftsführer aus dem Vermögen der Gesellschaft zugewendete Vorteile, die u.a. aus im Wege von Sicherheitszuschlägen festgestellten Mehrgewinnen resultierten, zur Haftung für Kapitalertragsteuer 2006 bis 2009 herangezogen. Abweichend dazu ging das Bundesfinanzgericht in seiner die Kapitalertragsteuerhaftung behebenden Entscheidung im Hinblick auf diese Mehrgewinne davon aus, dass nicht schon die Zuwendung der Vorteile aus den Mehrgewinnen an den Gesellschafter und Geschäftsführer Mag. KS, sondern erst der Verzicht auf eine Rückforderung als verdeckte Ausschüttung zu werten sei, und hat damit die Rechtslage verkannt, weil das Verhalten des Geschäftsführers der Mitbeteiligten grundsätzlich zuzurechnen war.

Es bleibt daher zu prüfen, ob das Finanzamt die mitbeteiligte GmbH nach § 95 Abs. 2 und 3 EStG 1988 zur Haftung für die aus den verdeckten Ausschüttungen resultierende Kapitalertragsteuer heranziehen durfte oder nicht:

§ 93 Abs. 1 EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung normiert:

"§ 93. (1) Bei inländischen Kapitalerträgen (Abs. 2) (...) wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer)."

§ 95 EStG 1988 in der für die Streitjahre maßgebenden - seit Einführung des EStG 1988 insoweit unveränderten - Fassung lautet auszugsweise:

"Höhe und Einbehaltung der Kapitalertragsteuer § 95 ...

(2) Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer ist durch Abzug einzubehalten. Der zum Abzug Verpflichtete (Abs. 3) haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

...

(5) Dem Empfänger der Kapitalerträge ist die

Kapitalertragsteuer ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn

1. der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge

nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat oder

2. der Empfänger weiß, daß der Schuldner die

einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.

..."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum EStG 1988, 621 BlgNR 17. GP , wird - obwohl sich die Vorgängerbestimmung des § 95 Abs. 2 EStG 1972 sprachlich von § 95 Abs. 2 und Abs. 5 (nunmehr Abs. 4) EStG 1988 unterscheidet - festgehalten, dass die den zum Abzug Verpflichteten auferlegte Haftung "nach Art und Umfang" jener entspricht, "die schon nach dem EStG 1972 für den Schuldner der Kapitalerträge bestand".

§ 93 Abs. 1 EStG 1972 normierte:

"Bei folgenden inländischen Kapitalerträgen wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben:

1. Gewinnanteilen (Dividenden), Zinsen und sonstigen Bezügen aus Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (...)"

Im Geltungsbereich des EStG 1972 war es nach Lehre und Rechtsprechung unbestritten, dass es im Auswahlermessen der Abgabenbehörde lag, ob dem Abzugsverpflichteten oder dem Steuerschuldner (Empfänger der Ausschüttung) die Kapitalertragsteuer vorgeschrieben wird (vgl. Achatz, ÖStZ 1989, 252, 255). Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum EStG 1988 geht klar die Absicht des Gesetzgebers hervor, die Rechtslage in Bezug auf die Erhebung der Kapitalertragsteuer grundsätzlich nicht zu verändern.

Sowohl für das EStG 1972 wie auch für das EStG 1988 gilt, dass die Kapitalertragsteuer grundsätzlich vom Schuldner der Kapitalerträge abzuführen ist. Nur ausnahmsweise wird der Empfänger der Kapitalerträge in Anspruch genommen (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 95 Tz 2). Sind die Voraussetzungen des § 95 Abs. 5 EStG 1988 erfüllt, liegt es im Ermessen der Abgabenbehörde, ob die Haftung beim Schuldner der Kapitalerträge geltend gemacht wird oder der Steuerschuldner unmittelbar in Anspruch genommen wird (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 95 Tz 11). Dabei wird es vor allem dann zu einer Vorschreibung an den Steuerschuldner kommen, wenn es der abzugspflichtigen Gesellschaft trotz sorgfältiger Prüfung nicht erkennbar war, dass eine steuerpflichtige Ausschüttung vorliegt (vgl. Achatz, a. a.O., 256 f, siehe zu Beispielen für weitere Umstände, auf die bei der Ermessensübung Bedacht genommen werden kann, Blasina in SWK 11/2015, 529).

§ 95 Abs. 5 (nunmehr Abs. 4) EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung regelt die Fälle der direkten Inanspruchnahme des Steuerschuldners (Empfänger der Kapitalerträge) für die Kapitalertragsteuer.

Bei Vorliegen einer verdeckten Ausschüttung sind die Voraussetzungen des § 95 Abs. 5 EStG 1988 gegeben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. März 2012, 2008/15/0170, und vom 31. Mai 2011, 2008/15/0153). Solcherart liegt es im Ermessen, ob die Haftung gegenüber der gewinnausschüttenden Körperschaft geltend gemacht wird oder eine Vorschreibung an den Empfänger der Kapitalerträge erfolgt (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 95 Tz 11; Kirchmayr in Doralt et al, EStG16, § 95 Tz 66; Jakom/Marschner, EStG 2015, § 95 Tz 41; Ritz, BAO5, § 20 Tz 4). Abgabenrechtliche Haftungen setzen nach ständiger Rechtsprechung den Bestand einer Abgabenschuld voraus, nicht aber, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber bereits geltend gemacht wurde (vgl. Ritz, BAO5, § 224 Tz 2, mwN). Es stößt daher grundsätzlich auf keine Bedenken, die ausschüttende GmbH zur Haftung für die Kapitalertragsteuer aus verdeckten Ausschüttungen heranzuziehen.

Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 28. Mai 2015

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