VwGH Ra 2019/02/0020

VwGHRa 2019/02/002013.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Dr. Köller, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Finanzmarktaufsichtsbehörde, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 2018, Zlen. 1. W210 2178406‑1/46Z und 2. W210 2176622‑1/48Z, betreffend Aussetzung eines Beschwerdeverfahrens betreffend Übertretungen des KMG (mitbeteiligte Parteien: 1. S G und 2. W AG, beide vertreten durch die Weber Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Rathausplatz 4; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38
EURallg
KMG 1991 §4 Abs2 idF 2005/I/078
KMG 1991 §4 Abs3 idF 2005/I/078
MRKZP 07te Art4
StGB §146
StGB §146 impl
StGB §153
StGB §156
StGB §159
StGB §163a
VStG §22 Abs1
VStG §22 Abs1 idF 2013/I/033
VStG §22 Abs2
VStG §22 idF 1991/052
VStG §24
VStG §30
VStG §30 Abs1
VStG §30 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
VwRallg
32003L0071 EU-Prospekt-RL
62016CJ0537 Garlsson Real Estate VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020020.L06

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 I. Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 5. September 2017 wurde der Erstmitbeteiligte als zur Vertretung der W AG nach außen Berufener gemäß § 9 Abs. 1 VStG mit Spruchpunkt 1. wegen der Übertretung des § 4 Abs. 2 Kapitalmarktgesetz (KMG) bestraft, weil in Medien für die W Unternehmensanleihe, welche über die Website des Unternehmens öffentlich angeboten worden sei, geworben worden sei, ohne dass die näher dargestellten Werbeeinschaltungen einen Hinweis enthalten hätten, dass ein Prospekt samt allfälligen ändernden oder ergänzenden Angaben veröffentlicht worden sei und wo die Anleger ihn erhalten könnten sowie mit den Spruchpunkten 2. bis 6. jeweils wegen der Übertretung des § 4 Abs. 3 KMG wegen jeweils irreführender Werbung für eine Unternehmensanleihe der W AG bestraft: Mit näherer Darstellung zu 2. habe die W AG einen unrichtigen Eindruck über die Risiken des Investments in die Anleihe erzeugt und sei der fehlende Hinweis auf die mit einer Anleihe verbundenen Risiken zur Irreführung geeignet; die Darstellung zu 3. sei geeignet gewesen, potentielle Anleger über das Vermögen der Emittentin und den Status ihrer Bauprojektvorhaben und damit die Ertragsaussichten der Projekte und der Anleihe und letztlich über die Sicherheit der Anleihe in die Irre zu führen; die Werbungen zu 4. hätten den Eindruck erweckt, dass es sich bei der W AG um ein Unternehmen zumindest in einem Naheverhältnis zur Stadt W handle. Die zitierten Slogans seien daher in Zusammenschau mit den übrigen angeführten Elementen geeignet, potentielle Anleger über die Eigenschaften der Emittentin und damit über die Sicherheit der Anleihe in die Irre zu führen. Zu 5. seien die näher dargestellten Angaben geeignet, potentielle Anleger über das Vermögen der Emittentin und damit über die Sicherheit der Anleihe in die Irre zu führen; mit den zu 6. näher dargestellten Werbungen habe die W AG einen unrichtigen Eindruck über die Risiken des Investments in die Anleihe erzeugt und sei daher der fehlende Hinweis auf die mit einer Anleihe verbundenen Risiken zur Irreführung geeignet.

Wegen der Übertretungen des § 4 Abs. 2 KMG wurden jeweils gemäß § 16 Z 3 KMG drei Geldstrafen in Höhe von je € 1.000,‑ ‑ sowie eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,‑ ‑ sowie entsprechende Ersatzfreiheitsstrafen verhängt; wegen der insgesamt 26 Übertretungen des § 4 Abs. 3 KMG wurden jeweils gemäß § 16 Z 3 KMG 26 Geldstrafen in der Höhe zwischen € 2.000,‑ ‑ und € 4.000,‑ ‑ sowie entsprechende Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. An Verfahrenskosten wurden € 8.500,‑ ‑ vorgeschrieben. Weiters wurde die Haftung der Zweitmitbeteiligten für die verhängten Geldstrafen sowie die Verfahrenskosten ausgesprochen.

2 Die mitbeteiligten Parteien erhoben Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Nach Durchführung mehrerer mündlicher Verhandlungen setzte das BVwG das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 7. Dezember 2018 gemäß § 30 Abs. 2 VStG aus. Es traf Feststellungen zum Erst‑ und zur Zweitmitbeteiligten ‑ insbesondere zu deren finanzieller Situation und den avisierten Projekten ‑, zur Holding, zur verfahrensrelevanten Emission, dem Basisprospekt vom 11. Mai 2017, zur Einbeziehung dieser Anleihe ab September 2017 in den Dritten Markt der Börse Wien sowie zu den angelasteten Werbeeinschaltungen. Hiezu erläuterte das BVwG seine Beweiswürdigung.

Rechtlich führte das BVwG aus, dass im konkreten Fall im Tatzeitraum auf der Website der Zweitmitbeteiligten ausreichende Informationen über die Bedingungen des Angebots abrufbar gewesen seien, die Anleger in die Lage versetzt hätten, sich für den Erwerb der Veranlagung zu entscheiden. Der Basisprospekt, die „Endgültigen Bedingungen“, der erste Nachtrag zum Prospekt, der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2016 und ein Factsheet seien abrufbar gewesen; eine Veräußerungsabsicht sei evident. Das öffentliche Angebot beziehe sich auf Schuldverschreibungen und damit Wertpapiere im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 4 KMG. Die Einschaltungen und Informationen im Internet, Fernsehen und Radio seien aus näheren Gründen als „Werbung“ im Sinne des § 4 KMG zu qualifizieren. Ein Hinweis auf den Prospekt im Sinne des § 4 Abs. 2 KMG sei weder in der Radiowerbung noch in den Werbeanzeigen im Internet enthalten gewesen. Werbeangaben dürften nicht unrichtig oder irreführend sein, was nach dem Gesamteindruck ihrer Ankündigung zu beurteilen sei. Es reiche bereits die objektive Irreführungseignung, § 4 Abs. 3 KMG stelle auf eine potentielle Irreführung des Anlegerpublikums ab und habe sich an Hand eines durchschnittlichen Kunden zu orientieren.

Es sei aber zu beachten, dass die zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen gemäß § 22 Abs. 1 VStG nur dann strafbar seien, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bilden. Dafür sei entscheidend, ob das den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung erfüllende Verhalten auch ein wesentliches Sachverhaltselement des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung bilden könne. Bei Zweifelsfällen sei gemäß § 30 Abs. 2 VStG auszusetzen. Aus dem übermittelten Akt der Staatsanwaltschaft ergebe sich, dass zahlreiche Anleger eine Anzeige wegen „Verdachts auf Übertretung der §§ 153, 156, 159, 163a sowie 165 StGB“ gerade auch in Bezug auf die Werbemaßnahmen im Zusammenhang mit der Anleihe erstattet hätten und aktuell Ermittlungen auch in diese Richtung von der Staatsanwaltschaft geführt würden. Darin fänden sich Anzeigen wegen irreführender Darstellung der finanziellen Lage der Zweitmitbeteiligten sowie Vorwürfe der Werbung ohne geeigneten Kapitalmarktprospekt im Zusammenhang mit der Anleihe.

3 Das inkriminierte Verhalten des Erstmitbeteiligten liege darin, es als zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten, dass die Emittentin in konkret bezeichneten Werbungen irreführend für ihre Unternehmensanleihe geworben habe, indem dort irreführende Angaben enthalten gewesen seien bzw. notwendige Hinweise unterlassen worden seien. Irreführend seien Angaben dann, wenn sie unrichtige Angaben enthielten oder sonst geeignet seien, einen Marktteilnehmer in Bezug auf den Prospekt zu täuschen. Das BVwG habe Zweifel, ob das angelastete Verhalten nicht auch den Tatbestand des § 163a StGB erfüllen könne. Darüber hinaus bestünden Zweifel, ob die unterlassenen Hinweise und die Angaben als „Täuschungshandlung“ auch das Tatbestandselement des Betrugs erfüllen könnten. Es schade nicht, dass der gerichtliche Tatbestand erst bei Hinzutreten weiterer Sachverhaltselemente verwirklicht würde. Im Falle einer Verurteilung gemäß § 146 ff StGB wären sämtliche im Beschwerdeverfahren angelasteten Vorwürfe enthalten. Angesichts der Tatsache, dass die Zweitmitbeteiligte im Zeitpunkt der Werbungen über kein Immobilienvermögen verfügt habe, es kein bestehendes Naheverhältnis zur Stadt W gebe, und aufgrund des fehlenden Risikohinweises gebe es Anlass zu Zweifeln, ob nicht der Tatbestand der §§ 146 ff StGB erfüllt sein könne. Aus diesem Grund sei das Beschwerdeverfahren auszusetzen gewesen.

4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision der Finanzmarktaufsichtbehörde mit dem Antrag, den Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

5 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Revisionsbeantwortung.

6 II. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 1. Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage einer allfälligen Subsidiarität des Verwaltungsstraftatbestandes der irreführenden Werbung gemäß § 4 Abs. 3 KMG gegenüber gerichtlichen Straftatbeständen, insbesondere gemäß den §§ 146 ff StGB, als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

8 2. Die Rechtslage stellt sich dar wie folgt:

2.1. § 4 KMG, BGBl. Nr. 625/1991, lautete in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung BGBl. I Nr. 78/2005 auszugsweise:

„Werbung

§ 4. (1) Jede Art von Werbung, die sich auf ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder Veranlagungen oder auf eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bezieht, muss die Grundsätze der Abs. 2 bis 5 beachten. Die Abs. 2 bis 4 gelten nur für die Fälle, in denen der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel beantragende Person der Prospektpflicht unterliegt.

(2) In allen Werbeanzeigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Prospekt samt allfälligen ändernden oder ergänzenden Angaben veröffentlicht wurde oder zur Veröffentlichung ansteht und wo die Anleger ihn erhalten können.

(3) Werbeanzeigen müssen als solche klar erkennbar sein. Die darin enthaltenen Angaben dürfen nicht unrichtig oder irreführend sein. Diese Angaben dürfen darüber hinaus nicht im Widerspruch zu den Angaben stehen, die der Prospekt und die allfälligen ändernden oder ergänzenden Angaben enthalten, falls die Genannten bereits veröffentlicht sind, oder zu den Angaben, die im Prospekt enthalten sein müssen, falls dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht wird.

(4) Auf jeden Fall müssen alle mündlich oder schriftlich verbreiteten Informationen über das öffentliche Angebot oder die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt, selbst wenn sie nicht zu Werbezwecken dienen, mit den im Prospekt und in den allfälligen ändernden oder ergänzenden Angaben enthaltenen Angaben übereinstimmen.

...“

2.2. § 16 Z 3 KMG lautete in der Fassung BGBl. I Nr. 150/2015:

„§ 16. Wer im Zusammenhang mit einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder Veranlagungen, das nach diesem Bundesgesetz prospektpflichtig ist, oder im Zusammenhang mit der Zulassung zum geregelten Markt (§ 74 BörseG),

...

3. entgegen der Vorschrift des § 4 wirbt;

...

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der FMA mit einer Geldstrafe von bis zu 100 000 Euro zu bestrafen.“

9 § 4 KMG geht auf die Änderung des Kapitalmarktgesetzes mit BGBl. I Nr. 78/2005 zurück. Nach den Materialien zu dieser Novelle (RV 969 BlgNR 22. GP  4) setzte diese Novelle Art. 15 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG („Prospektrichtlinie“), um. Die Verordnung (EU) Nr. 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG , war zum Zeitpunkt der angelasteten Übertretungen noch nicht in Kraft (vgl. Art. 49 Abs. 1 der VO: Inkrafttreten am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt am 30. Juni 2017; die letzte angelastete Werbeschaltung betraf ein Werbevideo im Internetauftritt der W AG bis 17. Juli 2017).

10 Nach Erwägungsgrund 33 der Prospektrichtlinie muss die Werbung, um Lücken in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu vermeiden, die das Vertrauen des Anlegerpublikums unterminieren und folglich dem reibungslosen Funktionieren der Finanzmärkte abträglich wären, harmonisiert werden.

11 2.3. Artikel 15 der Prospektrichtlinie lautete bis zu seiner Aufhebung wie folgt:

„Werbung

(1) Jede Art von Werbung, die sich auf ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder auf eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bezieht, muss die Grundsätze der Absätze 2 bis 5 beachten. Die Absätze 2 bis 4 gelten nur für die Fälle, in denen der Emittent, der Anbieter oder die die Zulassung zum Handel beantragende Person der Prospektpflicht unterliegt.

(2) In allen Werbeanzeigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Prospekt veröffentlicht wurde bzw. zur Veröffentlichung ansteht und wo die Anleger ihn erhalten können.

(3) Werbeanzeigen müssen als solche klar erkennbar sein. Die darin enthaltenen Angaben dürfen nicht unrichtig oder irreführend sein. Diese Angaben dürfen darüber hinaus nicht im Widerspruch zu den Angaben stehen, die der Prospekt enthält, falls dieser bereits veröffentlicht ist, oder zu den Angaben, die im Prospekt enthalten sein müssen, falls dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht wird.

...“

2.4. Artikel 25 der Prospektrichtlinie lautete wie folgt:

„Sanktionen

(1) Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, und unbeschadet ihrer zivilrechtlichen Haftungsvorschriften stellen die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher, dass gegen Personen, die eine Missachtung der zur Durchführung dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen zu verantworten haben, angemessene Verwaltungsmaßnahmen getroffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

(2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die zuständige Behörde alle Maßnahmen und Sanktionen, die wegen eines Verstoßes gegen die nach dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen verhängt wurden, öffentlich bekannt machen kann, sofern dies die Stabilität der Finanzmärkte nicht ernsthaft gefährdet oder den Beteiligten keinen unverhältnismäßigen Schaden zufügt.“

12 2.5. § 22 Abs. 1 VStG lautet:

„Zusammentreffen von strafbaren Handlungen

§ 22. (1) Soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.“

2.6. § 30 VStG lautet:

„Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen

§ 30. (1) Liegen einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last, so sind die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind.

(2) Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

(3) Hat die Behörde vor dieser Entscheidung ein Straferkenntnis erlassen, so darf es vorläufig nicht vollstreckt werden. Ergibt sich später, daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

(4) Die Gerichte und die sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden haben eine entgegen Abs. 3 vollstreckte Verwaltungsstrafe auf die von ihnen wegen derselben Tat verhängte Strafe anzurechnen.“

13 3. Gemäß Art. 4 des 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

14 3.1. Zur Beurteilung der Frage, ob dieselbe strafbare Handlung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), in seiner grundlegenden Entscheidung vom 10. Februar 2009, Nr. 14939/03 (Zolotukhin), sowie dieser folgend in seinen weiteren Entscheidungen vom 16. Juni 2009, Nr. 13079/03 (Ruotsalainen), vom 25. Juni 2009, Nr. 55759/07 (Maresti), und vom 14. Jänner 2010, Nr. 2376/03 (Tsonev), die Ansicht vertreten, dass allein auf die Fakten abzustellen sei und die rechtliche Qualifikation derselben außer Betracht zu bleiben habe sowie dass eine neuerliche Strafverfolgung dann unzulässig sei, wenn sie sich auf denselben oder zumindest im Wesentlichen denselben Sachverhalt beziehe. In der angeführten Entscheidung im Fall Tsonev hat er ‑ mit gewisser Einbeziehung der Tatbestände der angewendeten Strafbestimmungen ‑ darauf abgestellt, ob dieselben Fakten das zentrale Element der Anschuldigungen und der beiden angewendeten Strafbestimmungen gebildet haben, und betont, dass die strafrechtliche Anklage die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit umfasste und umgekehrt die Verwaltungsstraftat keine Elemente enthielt, die nicht bereits in der gerichtlich strafbaren Handlung gegeben waren, wegen welcher der Beschwerdeführer verurteilt worden war (vgl. dazu VwGH 24.2.2011, 2007/09/0361).

15 3.2. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seinem Erkenntnis vom 2. Juli 2009, B 559/08, unter Auseinandersetzung mit der bisher ergangenen eigenen Judikatur sowie mit jener des EGMR die Ansicht, wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens sei die Verfolgung nach zwei verschiedenen Straftatbeständen zulässig, wenn und insoweit sich diese in ihren „wesentlichen Elementen“ unterschieden; Art. 4 des 7. ZPEMRK schließe die Anwendung verschiedener Strafbestimmungen, die zueinander nicht im Verhältnis der Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion stehen, nicht aus. Unzulässig ist nach der ‑ im zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausführlich dargestellten ‑ Rechtsprechung die neuerliche Strafverfolgung nach einem rechtskräftigen Freispruch oder einer rechtskräftigen Verurteilung nur dann, wenn eines der beiden Delikte den Unrechtsgehalt des anderen umfasst, sodass kein weiteres Strafbedürfnis besteht (vgl. auch VwGH 27.4.2016, 2013/05/0099, sowie erneut 24.2.2011, 2007/09/0361).

16 3.3. Der Oberste Gerichtshof (vgl. dazu näher: OGH 18.10.2011, 12 Os 95/11d) vertritt die Auffassung, dass ‑ ungeachtet der in der Beschwerdesache Zolotukhin eingeleiteten begrifflichen Neuausrichtung ‑ auch der EGMR in seiner aktuellen Rechtsprechung im Ergebnis nicht bloß auf einen prozessualen (also rein tatsächlichen) Tatbegriff abstellt, sondern die jeweils in Rede stehenden Tatbestände (strafbaren Handlungen) insofern in die Betrachtung einbezieht, als er die Prüfung einer Übereinstimmung der Sachverhalte danach vornimmt, ob diese jeweils das wesentliche Element der (in beiden Verfahren tatsächlich vorgenommenen) Subsumtion bilden (Zolotukhin, Z 95 ff; Tsonev, Nr. 2376/03, Z 52).

17 Bezugspunkt der Prüfung ist nach dem Obersten Gerichtshof demnach nicht der historische Lebenssachverhalt allein, sondern das „sachverhaltsmäßig festgestellte Subsumtionsmaterial“ („facts of the two offences“).

18 4. § 22 Abs. 1 VStG sieht vor, dass eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar ist, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt § 22 Abs. 1 VStG ausschließlich auf die „Tat“ ab. Dass die Verwaltungsstrafnorm gegebenenfalls eine andere Schutzrichtung aufweist als die gerichtliche Strafnorm, ändert an der Subsidiarität nichts. § 22 Abs. 1 VStG stellt nur darauf ab, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet; auf die tatsächliche Einleitung (oder gar den Abschluss) eines Strafverfahrens kommt es daher nicht an. Auch die Frage, ob der Beschuldigte die Tat verschuldet hat oder ein Entschuldigungsgrund in Betracht zu ziehen ist, ist für die Subsidiarität der Verwaltungsstrafdrohung nicht entscheidend (VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095; 26.4.2019, Ra 2018/02/0344).

19 Erschöpft sich daher die Tathandlung, die von der Verwaltungsstrafbehörde unter dem Blickwinkel der irreführenden Werbung in den Blick genommen wird, in einem Verhalten, das den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, so ist die Verwaltungsübertretung gemäß § 22 Abs. 1 VStG nicht strafbar.

20 Ob die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ist dabei von der Verwaltungsstrafbehörde ‑ im Falle einer Beschwerde vom Verwaltungsgericht ‑ als Vorfrage zu beurteilen (erneut VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095).

21 Es liegt daher keine Konkurrenz von Strafbestimmungen vor, sondern nur eine Bestimmung, nach der bestraft werden kann. Die Wirkung der „Scheinkonkurrenz“ ist, dass keine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende Verwaltungsübertretung vorliegt, sondern ‑ sofern die Prämisse des BVwG zutreffend ist ‑ nur eine vom Strafgericht zu ahndende strafbare Handlung, sodass nur deren Straftatbestand durch die Handlung des Mitbeteiligten erfüllt wurde: Im Falle der Scheinkonkurrenz, also wenn der gesamte Unrechtsgehalt eines Deliktes von jenem eines anderen, ebenfalls verwirklichten in jeder Beziehung mitumfasst ist, ist es nämlich unzulässig, dem Täter ein und denselben Unwert mehrmals zuzurechnen (vgl. Raschauer/Wessely, VStG2, § 22 Rz 28), sie führt zu einem Zurücktreten eines Tatbestandes hinter einen anderen, wenn sich aus konkreten Umständen des Tatgeschehens dessen Vorrang ergibt (vgl. näher VwGH 2.9.2019, Ra 2018/02/0123).

22 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) kann jedoch eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen strafrechtlicher Natur gerechtfertigt sein, wenn zur Erreichung etwa des Ziels der Wahrung der Integrität der Finanzmärkte der Union und des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Finanzinstrumente mit diesen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen komplementäre Zwecke verfolgt werden, die gegebenenfalls verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen (EuGH 20.3.2018, C‑537/16, Garlsson Real Estate SA, Rn. 46).

23 5. Für das Verhältnis zwischen § 4 Abs. 2 bzw. Abs. 3 KMG und den vom BVwG heranangezogenen gerichtlichen Tatbeständen bedeutet dies Folgendes:

24 Dem Erstmitbeteiligten wurden mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Partei Übertretungen des § 4 Abs. 2 KMG (fehlender Hinweis auf den Prospekt in der Werbung) sowie des § 4 Abs. 3 KMG (irreführende Werbungen) angelastet. Das BVwG hat Zweifel, ob diese Übertretungen aufgrund der Erfüllung eines gerichtlichen Straftatbestandes ‑ das BVwG beschäftigt sich dabei insbesondere näher mit den §§ 146 ff StGB ‑ verwaltungsstrafrechtlich verfolgbar sind. Das zu beurteilende tatsächliche Verhalten (wesentliche Elemente der strafbaren Handlungen) sei dabei das Schalten von irreführenden Werbeanzeigen im Fernsehen bzw. Internet.

25 Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass nach den Ausführungen des BVwG selbst derzeit gerade kein gerichtliches Strafverfahren wegen Übertretung der §§ 146 ff StGB (Betrug) anhängig ist: Die WKStA führt ein Ermittlungsverfahren wegen „Verdachts auf Übertretung der §§ 153, 156, 159, 163a sowie 165 StGB“. Das BVwG hat nach der Aktenlage auch kein solches Verfahren anhängig gemacht.

26 Der Verwaltungsgerichthof hat bereits ausgesprochen, dass eine Behörde auf Grund einer Auskunft eines Gerichtes davon ausgehen kann, dass die Voraussetzung einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung nicht erfüllt ist (vgl. VwGH 16.9.2009, 2007/05/0304, 0305). Aufgrund der Auskunft der WKStA bestanden daher aus diesem Grund keine Zweifel, die eine Aussetzung gemäß § 30 Abs. 2 VStG hätten rechtfertigen können.

27 Im Übrigen verkennt das BVwG vor dem Hintergrund der von ihm getroffenen Feststellungen, dass sich der Tatbestand der Übertretungen des § 4 Abs. 2 und 3 KMG (fehlender Prospekthinweis sowie irreführende Werbung) von jenem der Übertretung nach § 146 StGB (Betrug) in wesentlichen Elementen unterscheiden (vgl. VwGH 9.9.2014, Ra 2014/09/0010). Das BVwG führt in seinen Erwägungen nicht aus, inwieweit eine bloße Werbeschaltung eine unmittelbare Vermögensverschiebung bewirken könnte und diesbezüglich eine konkrete Gefährdungshandlung gegenüber fremdem Vermögen vorliegen soll (vgl. hiezu Karollus, Zum Versuchsbeginn beim Betrug, JBl 1989, 627 ff (635)). Sofern andere Tathandlungen vorliegen, die eine Subsumtion unter § 146 ff StGB ermöglichen, liegt in der Folge nicht derselbe Sachverhalt vor.

28 Inwiefern der fehlende Prospekthinweis (§ 4 Abs. 2 KMG) überhaupt eine gerichtliche Strafbarkeit gemäß § 146 ff StGB begründen kann, ist nicht ersichtlich. Die Ausführungen des BVwG beschäftigen sich diesbezüglich mit einem fehlenden Risikohinweis; solches war jedoch nicht Gegenstand des Straferkenntnisses.

29 Im Übrigen wird die fehlende Strafbarkeit der irreführenden Werbung als Betrug im Sinne des StGB auch aus der Tatsache bestätigt, dass der Gesetzgeber zur Umsetzung der Prospektrichtlinie eigens einen diesbezüglichen Straftatbestand im KMG geschaffen hat. Dies wäre bei einer Strafbarkeit irreführender Werbung als Betrug nicht notwendig gewesen. Das Unionsrecht gebietet jedoch in diesem Zusammenhang die Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen.

30 Dem angefochtenen Beschluss ist weiters auch nicht zu entnehmen, inwiefern die von der WKStA geführten Ermittlungen zu den §§ 153 StGB (Untreue), 156 (betrügerische Krida), 159 (grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen), 163a (unvertretbare Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände), denkmöglich denselben Sachverhalt wie die hier angelasteten irreführenden Werbungen bzw. die Unterlassung des Hinweises auf einen Prospekt in jeweils an Dritte gerichteten Werbungen betreffen könnten. Solches ist für den Verwaltungsgerichtshof angesichts der völlig anders gelagerten Straftatbestände im StGB nicht ersichtlich. Soweit das BVwG § 163a StGB zitiert, ist darauf hinzuweisen, dass dort eine unvertretbare Darstellung „in einem Jahres‑ oder Konzernabschluss, einem Lage‑ oder Konzernlagebericht oder einem anderen an die Öffentlichkeit, an die Gesellschafter oder die Mitglieder, an ein aufsichtsberechtigtes Organ oder dessen Vorsitzenden gerichteten Bericht“ unter gerichtliche Strafe gestellt wird; inwiefern eine bloße Werbeschaltung einem Jahresabschluss oder „einem anderen an die Öffentlichkeit gerichteten Bericht“ diesem Straftatbestand zu subsumieren sein könnte, ist angesichts dessen, dass Straftatbestimmungen nicht extensiv auszulegen sind, nicht ersichtlich (vgl. zur Auslegung: VwGH 21.4.1997, 96/17/0488, mwN).

31 Da mangels Scheinkonkurrenz § 22 Abs. 1 VStG iVm. § 30 Abs. 1 VStG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, erweist sich die dennoch erfolgte Aussetzung des Verwaltungsstrafverfahrens als rechtwidrig.

32 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 13. Dezember 2019

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