VwGH Ra 2018/19/0556

VwGHRa 2018/19/055626.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des G E K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. August 2018, Zl. W199 2156581-1/10E, betreffend Gewährung von Asyl (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190556.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 6. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er habe seinen Herkunftsstaat verlassen, um der Einziehung zum Wehrdienst durch das Regime beziehungsweise einer Zwangsrekrutierung durch Milizen zu entgehen. Im Falle seiner Rückkehr erwarte ihn die Todesstrafe.

2 Mit Bescheid vom 24. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Gewährung von Asyl ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Begründend stellte das BFA fest, dass der Revisionswerber den Wehrdienst nicht abgeleistet habe und ihm ein Aufschub bis April 2012 gewährt worden sei. Eine im Fluchtzeitpunkt aktuelle, individuelle, gegen ihn gerichtete Gefahr, zum Wehrdienst eingezogen zu werden, von den syrischen Behörden gesucht zu werden oder von der Freien Syrischen Armee rekrutiert zu werden, habe hingegen nicht festgestellt werden können.

4 Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss dahin, dass der Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im Anfechtungsumfang behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückverwiesen wurde. Die Revision gegen diesen Beschluss erklärte es für unzulässig.

5 Begründend führte das BVwG aus, das BFA sei mit näherer Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber bei seiner Ausreise aus Syrien von den syrischen Behörden nicht verfolgt worden und nicht von der Einziehung zum Wehrdienst bedroht gewesen sei. Es habe hingegen verabsäumt, Feststellungen zu treffen, die eine Prognose zuließen, ob dem Revisionswerber bei einer Einreise die Einziehung zum Wehrdienst drohe, wie dies nach den von ihm getroffenen Länderfeststellungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne.

 

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision im Wesentlichen vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 ?bs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 15.11.2018, Ra 2018/19/0268, mwN).

10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123; 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, jeweils mwN).

11 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0103, mwN).

12 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).

13 Im vorliegenden Fall ergeben sich keine besonders gravierenden Ermittlungslücken, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Vornahme erforderlicher Ermittlungen rechtfertigen könnten. Die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. das Erfordernis einer ergänzenden Einvernahme im Rahmen dieser Verhandlung können - ebenso wie auch die Notwendigkeit der Ergänzung der Länderfeststellungen - für sich eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0117, mwN). Soweit das BVwG daher Feststellungen vermisst, die eine Prognose zuließen, ob dem Revisionswerber bei einer Einreise die Einziehung zum Wehrdienst drohe, wäre es verpflichtet gewesen, den Revisionswerber selbst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu dessen individueller Gefährdung einzuvernehmen und ergänzend aktuelle Länderberichte einzuholen.

14 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

15 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. März 2019

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