VwGH Ra 2017/18/0103

VwGHRa 2017/18/010320.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Jänner 2017, Zl. W220 2109213‑1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (Mitbeteiligter: Z T), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017180103.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 8. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, seine Familie habe Probleme mit den Taliban gehabt, weil diese gewollt hätten, dass sein Bruder seine Tätigkeit bei der Nationalarmee aufgebe und in den Jihad ziehe. Aufgrund dieser Probleme habe seine Familie nach Pakistan fliehen müssen. Nach drei oder vier Jahren seien sie jedoch wieder zurückgekehrt, weil der in Afghanistan verbliebene Bruder gemeint habe, die Lage habe sich verbessert. Daraufhin hätten die Taliban jedoch seinen Vater ermordet und ihn selbst gefangen genommen. Sie hätten ihn nach Pakistan bringen wollen, um ihn dort „zu unterrichten“. Ihm sei es jedoch gelungen, aus dem Haus, in dem er gefangen gewesen sei, in das nächste Dorf zu fliehen und seinen Bruder zu kontaktieren. Dieser habe jemanden vorbeigeschickt, um dem Mitbeteiligten die Flucht aus Afghanistan zu ermöglichen. Sein Bruder habe anschließend ebenfalls fliehen wollen, sei jedoch von den Taliban erwischt und ermordet worden.

2 Mit Bescheid vom 15. Mai 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Gewährung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15. Mai 2016.

3 Das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten erachtete das Bundesasylamt als nicht glaubhaft. Dass es dem Mitbeteiligten gelungen sei, vor den Taliban zu fliehen und seinem Bruder seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben, obwohl er keine Ortskenntnis hinsichtlich des Ortes seiner Gefangenschaft besessen habe, sei eher nicht möglich. Wenn die Taliban wirklich seinen Bruder und Vater umgebracht hätten, sei nicht nachvollziehbar, warum sie nicht auch den Mitbeteiligten umgebracht hätten. Es sei unschlüssig und unglaubwürdig, dass seine Familie, obwohl sie bereits vor ihrem Umzug nach Pakistan Probleme mit den Taliban gehabt habe, wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sei.

4 Gegen die Nichtgewährung von Asyl wendete sich die Beschwerde des Mitbeteiligten vom 15. Juni 2016, mit welcher vor allem eine unzureichende Begründung des Bescheids und eine mangelhafte Beweiswürdigung moniert wurde.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 30. Jänner 2017 hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Begründend führte das BVwG aus, die Beweiswürdigung des BFA erscheine schon von der Quantität her nicht geeignet, um die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens zu begründen. Die wenigen beweiswürdigenden Sätze seien weder nachvollziehbar noch schlüssig. Das BFA habe es verabsäumt, sich mit den vorgebrachten Fluchtgründen inhaltlich auseinanderzusetzen und das Vorbringen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung zu unterziehen. Die auf diese Weise pauschal als nicht glaubhaft erfolgte Beurteilung der geltend gemachten Fluchtmotive sei daher als nahezu willkürlich zu qualifizieren und somit habe es das BFA unterlassen, die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes durchzuführen. Das BFA müsse den Mitbeteiligten im fortgesetzten Verfahren neuerlich einvernehmen und sich mit seinem individuellen Vorbringen unter Berücksichtigung von aktuellen Länderberichten auseinandersetzen. Die damit gewonnenen Ergebnisse seien wiederum mit dem Mitbeteiligten zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung unter Vornahme einer schlüssigen Beweiswürdigung zugrunde zu legen. Eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das BVwG sei ‑ angesichts des mit dem Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwands ‑ nicht im Interesse der Raschheit gelegen. Zudem ergebe sich eine erhebliche Kostenersparnis, weil das BFA durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen könne.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der das revisionswerbende BFA vorbringt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Insbesondere rechtfertige eine allfällige mangelhafte Beweiswürdigung eine Zurückverweisung ebenso wenig wie eine sich ‑ aufgrund der Dauer des Beschwerdeverfahrens ergebende ‑ mangelnde Aktualität der Länderberichte. Darüber hinaus habe das BFA den Mitbeteiligten einvernommen und den gewonnenen persönlichen Eindruck seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Das BVwG könne die Beweiswürdigung des BFA zwar durch seine eigene ersetzen, eine Ermittlungslücke, welche die Zurückverweisung rechtfertige, werde dadurch aber nicht aufgezeigt.

8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.

11 § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lauten:

„(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“

12 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt seit seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu § 28 VwGVG die Auffassung, dass in dieser Bestimmung ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert ist, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.

13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH vom 6. Juli 2016, Ra 2015/01/0123, und vom 14. Dezember 2016, Ro 2016/19/0005, je mwN).

14 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH vom 27. Jänner 2016, Ra 2015/08/0178).

15 Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens führte das BFA am 8. Oktober 2013 eine Erstbefragung und am 1. April 2015 eine Einvernahme des Mitbeteiligten durch. Weiters holte das BFA ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung ein und ermittelte die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderberichte (die zitierten Quellen stammen überwiegend aus dem Jahr 2014). Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass das BFA im Sinne der genannten Judikatur jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hätte oder nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt habe. Dies vermögen auch die Ausführungen des BVwG nicht aufzuzeigen.

16 Soweit sich das BVwG im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des BFA wendet und hierzu ausführt, das BFA müsse den Mitbeteiligten neuerlich einvernehmen, sich mit dessen Vorbringen inhaltlich auseinandersetzen und die gewonnenen Ermittlungsergebnisse einer schlüssigen Beweiswürdigung unterziehen, ist festzuhalten, dass gerade die Beweiswürdigung in Bezug auf strittige Sachverhaltselemente zu den zentralen Aufgaben der Verwaltungsgerichte selbst gehört, können sie doch auf Grund ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in besonderer Weise zur Wahrheitsfindung beitragen. Eine Zurückverweisung aufgrund einer nicht fehlerfreien Beweiswürdigung kommt schon daher nicht in Betracht (vgl. VwGH vom 14. April 2016, Ra 2015/08/0026, mwN).

17 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027, und vom 26. April 2016, Ro 2015/03/0038).

18 Vor diesem Hintergrund vermag die Argumentation, eine Beweisaufnahme durch das BVwG sei ‑ angesichts des mit dem Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen Aufwands ‑ nicht im Interesse der Raschheit und Kostenersparnis gelegen bzw. das BFA könne die notwendigen Ermittlungen durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich effizienter nachholen, nicht zu überzeugen.

19 Schließlich rechtfertigt es auch keine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG, wenn aufgrund der Dauer des Beschwerdeverfahrens eine Aktualisierung der Länderberichte notwendig ist (vgl. VwGH vom 14. Dezember 2016, Ro 2016/19/0005).

20 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 20. Juni 2017

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