VwGH Ra 2017/09/0028

VwGHRa 2017/09/00289.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision des J M in S, vertreten durch Dr. Christian Stocker, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog‑Leopold‑Straße 26, gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Mai 2017, Zl. W146 2141232‑1/4E, W146 2141232‑2/2E, betreffend Berichtigung und Zurückweisung einer Beschwerde in Angelegenheit der Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach dem BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Justiz; weitere Partei: Bundesminister für Justiz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
AVG §59 Abs1
AVG §62 Abs4
VwGG §26 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017090028.L00

 

Spruch:

Die angefochtene Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber steht als Justizwachebeamter in einem öffentlich‑rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2 Die Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen des Bundesministeriums für Justiz erstattete mit Schriftsatz vom 30. Mai 2016 bei der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Justiz (in der Folge: DK) gegen den Revisionswerber eine Disziplinaranzeige, da er im Verdacht stehe, am 10. April 2016 einen näher genannten jugendlichen Insassen im Zuge dessen Verlegung in den Beobachtungshaftraum der Krankenabteilung der Justizanstalt X (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) geschlagen und getreten und dadurch eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 1 Beamten‑Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) begangen zu haben.

3 Mit Bescheid der DK vom 22. Juni 2016 ‑ zugestellt dem Rechtsvertreter des Revisionswerbers am 30. Juni 2016 ‑ wurde wegen des zuvor genannten Vorwurfes im Hinblick auf eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 1 und 2 BDG 1979 gegen den Revisionswerber die Einleitung eines Disziplinarverfahrens verfügt. Darin wurde im Kopf und mehrfach in der Begründung der Vor‑ und Nachname (bzw. einmal das Geburtsdatum) des Revisionswerbers genannt, im Spruch des Bescheides jedoch ein anderslautender Vor‑ und Zuname mit einem anderen Geburtsdatum angeführt.

4 Mit Berichtigungsbescheid der DK vom 7. Juli 2016 ‑ zugestellt dem Rechtsvertreter des Revisionswerbers am 18. Juli 2016 ‑ wurde die Wortfolge im Spruch des Einleitungsbeschlusses betreffend den anderslautenden Vor‑ und Zunamen samt Geburtsdatum durch die Daten des Revisionswerbers ersetzt.

5 Mit Beschwerde vom 18. Juli 2016 (adressiert an das Bundesverwaltungsgericht und gemäß § 6 AVG an die DK weitergeleitet) bekämpfte der Revisionswerber zunächst den Einleitungsbeschluss. Mit (bei der DK am 11. August 2016 eingelangtem) Schriftsatz vom 10. August 2016 erhob der Revisionswerber Beschwerde sowohl gegen den Einleitungs‑ als auch den Berichtigungsbeschluss der DK, wozu er ausführte, die Rechtsmittelfrist sei erst ab Zustellung des Berichtigungsbeschlusses zu berechnen, weil erst mit diesem ausgesprochen worden sei, dass ein Disziplinarverfahren gegen ihn geführt werde, und somit ein Eingriff in seine Rechte erfolgt sei.

6 Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Berichtigungsbescheid als unbegründet ab und die Beschwerde gegen den Einleitungsbeschluss als verspätet zurück. Die Revision gemäß § 133 Abs. 4 B‑VG wurde für nicht zulässig erklärt.

7 Zur Begründung der Entscheidung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass gemäß § 12 VwGVG Schriftsätze ‑ mit Ausnahme von Rechtssachen nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG ‑ bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht bei der belangten Behörde einzubringen seien. Die Rechtsmittelfrist von vier Wochen bezüglich des (am 30. Juni 2016 vom Rechtsvertreter des Revisionswerbers übernommenen) Einleitungsbeschlusses habe somit mit Ablauf des 28. Juli 2016 geendet, die an das Bundesverwaltungsgericht adressierte und von diesem an die belangte Behörde am 2. August 2016 weitergeleitete Beschwerde sei daher verspätet eingebracht worden. Zum Berichtigungsbeschluss setzte es fort, dass es sich bei der unrichtigen Bezeichnung des Revisionswerbers und Nennung des falschen Geburtsjahres um ein Versehen im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG handle. Der Adressat stehe zweifelsfrei fest, was sich zunächst aus der Begründung des Bescheides ergebe; so finde sich im Einleitungsbeschluss neunmal der Name des Revisionswerbers und nur einmal die unrichtige Bezeichnung mit einem falschen Geburtsjahr. Dieser Bescheid sei dem Rechtsvertreter als auch dem Revisionswerber ‑ mit richtigem Namen ‑ zugestellt und auch dagegen Beschwerde erhoben worden. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei bei einer Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG die Rechtsmittelfrist (nur) dann von der Zustellung des Berichtigungsbescheides an zu berechnen, wenn erst in der berichtigten Fassung des Bescheides der Eingriff in die Rechte des Rechtsmittelwerbers zum Ausdruck gekommen sei. Es liege hier ein klarer, eindeutig erkennbarer Schreibfehler vor, zumal sich aus der Begründung und der Zustellung des unberichtigten Bescheides (durch jeweils Nennung des richtigen Namens) ergebe, dass die Disziplinarsache gegen den Revisionswerber beschlossen werde wie auch am Schluss der Entscheidung ausgeführt sei, dass gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde.

8 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht ‑ von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung hat die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde Abstand genommen ‑ erwogen hat:

9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach Art. 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Revision ist zulässig, wenn darin vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht weiche mit seiner Beurteilung, es liege im Bescheid vom 7. Juli 2016 ein klar erkennbarer Schreibfehler vor (wodurch die Beschwerdefrist durch den Berichtigungsbescheid nicht neuerlich in Gang gesetzt worden sei), von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab:

12 Nach § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde die Berichtigung von u.a. Schreib‑ und Rechenfehlern oder anderen offenbar auf einem Versehen beruhenden Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen vornehmen. Eine derartige Berichtigung hat durch Bescheid zu erfolgen und bewirkt, dass der berichtigte Bescheid rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Erlassung geändert wird. Offenbar auf einem Versehen beruht eine der Berichtigung zugängliche Unrichtigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann, wenn sie für die Partei, bei Mehrparteienverfahren für alle Parteien, klar erkennbar ist und von der Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Bescheiderlassung hätte vermieden werden können. Auch eine unrichtige Namensbezeichnung kann eine solche Unrichtigkeit im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG darstellen, wenn die Identität der Person feststeht. Von einer Berichtigung der Parteibezeichnung kann dabei immer dann gesprochen werden, wenn nur die Bezeichnung des als bisherige Verfahrenspartei aufgetretenen Rechtssubjektes geändert wird, ohne dass dadurch an die Stelle des bisher als Partei betrachteten und behandelten Rechtssubjektes ein anderes treten soll (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1997, 95/21/0348).

13 Unter Zitierung des genannten Erkenntnisses vom 5. November 1997 ergänzte der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 20. Dezember 2002, 2002/05/1195, zur Frage der Zulässigkeit der Berichtigung einer in einer Beschwerde vorgenommenen Bezeichnung des dortigen Beschwerdeführers, dass von einer zulässigen Berichtigung der Parteienbezeichnung das unzulässige Auswechseln der Partei zu unterscheiden ist. Berichtigungsfähig wird idR eine unrichtige Schreibweise oder auch eine unvollständige Parteienbezeichnung sein, wenn an der Identität der einschreitenden Partei keine Zweifel bestehen können. Wird aber eine Parteienbezeichnung dergestalt geändert, dass eine tatsächlich existierende Person, welche die Beschwerde eingebracht hat, gegen eine andere existierende Person getauscht werden soll, so liegt darin im Hinblick auf die oben ausgeführten Gesichtspunkte ein unzulässiges Auswechseln der Partei. Diese Überlegungen sind in gleicher Weise auf die von einer Behörde in einem Bescheid vorgenommenen Parteienbezeichnung anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2007, 2006/09/0104).

14 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass eine Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG nicht zulässig ist, wenn dadurch eine Rechtswidrigkeit (wie etwa ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung eines Bescheides) beseitigt werden soll (u.a. in den Erkenntnissen vom 22. März 2007, 2006/09/0104, und vom 1. Juni 2006, 2005/07/0111).

15 Im vorliegenden Fall liegt im Einleitungsbeschluss der DK vom 22. Juni 2016 ein solcher Widerspruch zwischen Spruch (in dem unter Anführung von Vor‑ und Zunamen sowie Geburtsdatum eine andere Person als der Revisionswerber genannt wird) und Begründung vor. Mit dem Berichtigungsbescheid vom 7. Juli 2016 hat die DK daher den Inhalt des berichtigten Bescheides (durch Austausch des Namens samt Geburtsdatum) verändert und damit ihre Befugnis zur Berichtigung gemäß § 62 Abs. 4 AVG überschritten. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die unrichtige Namenssetzung aus der Begründung des berichtigten Bescheides erschließbar ist, weil die Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG auch dann nicht zulässig ist, wenn dadurch ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung beseitigt werden soll. Der vorliegende Fall unterscheidet sich doch wesentlich von den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Fällen zulässiger Berichtigungen im hg. Beschluss vom 18. März 2004, 2004/05/0033 (klar erkennbarer Schreibfehler bei Anführung einer bloß falschen Katastralgemeinde bei der Bezeichnung eines Grundstückes) und im hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2012, 2011/16/0216 (keine Zweifel über Identität einer Partei bei bloßer Anführung eines falschen Vornamens bei richtigem Nachnamen und richtiger Adresse).

16 Erweist sich aber die Berichtigung nicht als zulässig, so ist der Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des Bescheides der DK vom 22. Juni 2016 nach wie vor gegeben und aus den genannten Gründen rechtswidrig.

17 Demzufolge kam erst in der berichtigten Fassung des Bescheides ein Eingriff in die Rechte des Rechtsmittelwerbers zum Ausdruck, sodass nach der ‑ auch vom Verwaltungsgericht zu seiner anderslautenden Einschätzung herangezogenen ‑ hg. Judikatur (vgl. zum Ganzen etwa den hg. Beschluss vom 24. August 2004, 2004/01/0301, mwN und Hengstschläger/Leeb, AVG, 2. Teilband 2005, § 62 Rz 73 f) die Rechtsmittelfrist (dann) von der Zustellung des Berichtigungsbescheides an zu berechnen ist.

18 Damit kommt der Revision auch Berechtigung zu, soweit sie moniert, dass die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Einleitungsbeschluss wegen verspäteter Einbringung wie auch die Abweisung der Beschwerde gegen den Berichtigungsbescheid ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschwerdeeinwänden verfehlt ist.

19 Die angefochtene Entscheidung erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. August 2017

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