Normen
BAO §295a;
EStG 1988 §34 Abs1 Z7;
EStG 1988 §34 Abs1;
EStG 1988 §34 Abs3;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2016130026.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber beantragte in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 für seine Tochter, deren Grad der Behinderung 100% beträgt, die Berücksichtigung des pauschalen Freibetrages sowie unregelmäßiger Ausgaben für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung von insgesamt 6.420,69 EUR als außergewöhnliche Belastung. Der Einkommensteuerbescheid erging erklärungsgemäß.
2 In der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid machte der Revisionswerber geltend, es seien weiters Kosten für die rechtsfreundliche Vertretung seiner Tochter in einem Arzthaftungsprozess in Höhe von 16.660 EUR als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juni 2014 berücksichtigte das Finanzamt diese Kosten nicht als außergewöhnliche Belastung.
4 Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht den Einkommensteuerbescheid 2012 ab und verwies zur Bemessungsgrundlage und zur Höhe der Abgabe auf ein angeschlossenes Berechnungsblatt. Es sprach aus, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
6 Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei Vater einer 1986 geborenen Tochter. Im März 1999 sei bei der Tochter ein mechanischer Klappenersatz der Aortenklappe und ein prothetischer Ersatz der Aorta ascendens durchgeführt worden. In weiterer Folge sei sie aufgrund rezidivierender Fieberschübe stationär aufgenommen worden. Es habe der Verdacht einer Infektion an der implantierten Kunstklappe bestanden. Bei der Tochter sei es zu einer septischen Entgleisung der Gerinnung und schließlich zu einer Hirnmassenblutung gekommen. Die Tochter des Revisionswerbers weise seither eine Behinderung von 100% auf.
7 Der Revisionswerber, der auch die Funktion des Sachwalters innehabe, habe Klage gegen die Krankenanstaltengesellschaft eingebracht. Im Jahr 2012 habe der Revisionswerber aufgrund dieses Verfahrens Anwaltskosten in Höhe von 16.660 EUR zu tragen gehabt. Die zumutbare Mehrbelastung (Selbstbehalt) im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1988 des Revisionswerbers habe in diesem Jahr 16.494,34 EUR betragen. Die Tochter habe im Jahr 2012 Pflegegeld in Höhe von 604,30 EUR monatlich bezogen; sie habe Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe gehabt.
8 Die im Zusammenhang mit dem Schadenersatzprozess erwachsenen Kosten könnten nicht als Aufwendungen für Hilfsmittel oder Kosten der Heilbehandlung (im Sinne der Verordnung BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 430/2010) beurteilt werden. Es handle sich auch nicht um Mehraufwendungen iSd § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988.
9 Die geltend gemachten Prozesskosten überstiegen aber - geringfügig - den Selbstbehalt. Prozesskosten könnten nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn die Prozessführung unmittelbar zur Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage der Tochter erforderlich sei. Aufgrund der Behinderung sei die Tochter unbestritten nicht selbsterhaltungsfähig. Es sei davon auszugehen, dass beide Elternteile verpflichtet seien, für den angemessenen Lebensunterhalt und den konkreten Sonderbedarf im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zu sorgen. In Anbetracht dieser Unterhaltspflicht sei es aber auszuschließen, dass die Tochter ohne die Prozessführung in eine existenzbedrohende Notlage geraten wäre. Die Prozessführung und die dadurch verursachten Kosten seien daher nicht unmittelbar zur Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage notwendig; sie erwüchsen daher nicht zwangsläufig. Der Ansicht des Revisionswerbers, die Prozessführung sei deshalb zwangsläufig, weil er andernfalls als Sachwalter mit einer Haftung konfrontiert wäre, sei entgegenzuhalten, dass die Sachwalterschaft aus freien Stücken übernommen worden sei, sodass aus diesem Grund die Zwangsläufigkeit zu verneinen sei.
10 Im Hinblick auf Verluste aus verschiedenen Beteiligungen sei der Einkommensteuerbescheid abzuändern gewesen.
11 Da zur Frage, ob Prozesskosten im Zusammenhang mit der Behinderung eines nahen Angehörigen zur Abwendung einer existenzbedrohenden Notlage zwangsläufig im Sinne des Gesetzes erwachsen seien, keine höchstgerichtliche Judikatur existiere, sei die Revision zuzulassen gewesen.
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der es u. a. auf ein ausgeschlagenes Vergleichsangebot der Krankenanstaltengesellschaft hingewiesen hat.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und begründet.
15 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen, und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
16 Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
17 Unterhaltsleistungen für ein Kind sind durch die Familienbeihilfe sowie gegebenenfalls den Kinderabsetzbetrag abgegolten (§ 34 Abs. 7 Z 1 EStG 1988). Darüber hinaus sind Unterhaltsleistungen nur insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Ein Selbstbehalt auf Grund eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten ist nicht zu berücksichtigen (§ 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988).
18 Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr, ob es sich bei den Rechtsanwaltskosten um außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988 handelt.
19 Im vorliegenden Fall handelt es sich um Aufwendungen, die der Revisionswerber im Hinblick auf seine (unbestritten unterhaltsberechtigte) Tochter getätigt hat. Die Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind umfasst auch in der Person des Kindes begründeten Sonderbedarf, insbesondere den etwa aus einer Krankheit des Kindes resultierenden individuellen Bedarf. Auch die zur Verfolgung und Durchsetzung dieses Bedarfes erwachsenden notwendigen Kosten begründen einen vom Unterhaltspflichtigen zu deckenden Sonderbedarf (vgl. OGH vom 11. Februar 1997, 4 Ob 2392/96k; vgl. zu notwendigen und zweckmäßigen Rechtsverfolgungskosten auch Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3, § 140 Tz 84). Die Tragung der Prozesskosten zur Durchsetzung des krankheitsbedingten Sonderbedarfes seiner Tochter durch den Revisionswerber beruht daher im vorliegenden Fall auf rechtlichen, nicht bloß sittlichen Gründen.
20 Dieser rechtlichen Verpflichtung hätte sich der Revisionswerber auch nicht dadurch entziehen können, dass er eine Bestellung zum Sachwalter seiner Tochter abgelehnt hätte; der Revisionswerber wäre in diesem Fall im Umfang der Unterhaltspflicht verpflichtet gewesen, die Kosten der Prozessführung des Sachwalters zu tragen. Damit steht aber die freiwillige Übernahme der Sachwalterschaft der Geltendmachung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen.
21 Als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können derartige Unterhaltsleistungen aber iSd § 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988 nur dann, wenn diese Aufwendungen beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden.
22 Es entspricht der vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass Prozesskosten im Allgemeinen nicht zwangsläufig im Sinne des § 34 EStG 1988 erwachsen; eine allgemeine Regel lässt sich allerdings bei aufgezwungener Prozessführung nicht aufstellen (vgl. das Erkenntnis vom 18. September 2013, 2011/13/0029, VwSlg 8846/F, mwN). Zwangsläufigkeit von Prozesskosten wird stets dann verneint, wenn die Prozessführung auf Tatsachen zurückzuführen ist, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden oder die sonst die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat (vgl. das Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, 99/14/0294, mwN; zum Fehlen von Handlungsalternativen vgl. weiters das Erkenntnis vom 25. September 2012, 2008/13/0216).
23 In der Revision wird vorgebracht, die Klagsführung betreffe die Haftung für die der Tochter entstandenen Kosten und die künftigen, lebenslangen Pflege- und Rehabilitationsmaßnahmen inklusive einem Feststellungsbegehren betreffend künftige Schäden. Damit sind jedenfalls auch existentiell wichtige Bereiche des Lebens angesprochen. Eine notwendige und zweckmäßige Prozessführung vorausgesetzt, könnten damit auch Aufwendungen vorliegen, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden (vgl. - wenn auch unter dem Blickwinkel der Begründung einer sittlichen Verpflichtung - das Erkenntnis vom 26. November 1997, 95/13/0146).
24 Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts steht der Unterhaltsanspruch der Tochter gegenüber dem Revisionswerber der Geltendmachung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen. Der Unterhaltsanspruch dient nicht zur Entlastung des (rechtswidrig und schuldhaft handelnden) Schädigers. Ob Aufwendungen, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden (§ 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988), vorliegen, ist unter Ausblendung der Abdeckung dieser Aufwendungen durch den Unterhaltspflichtigen zu beurteilen, würden doch sonst niemals derartige Aufwendungen vorliegen.
25 Werden Prozesskostenersätze zugesprochen (und sind diese durchsetzbar), so sind die Prozesskosten in diesem Umfang im Übrigen von der steuerlichen Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen (vgl. auch hiezu das Erkenntnis vom 24. Juni 2004, 2001/15/0109, VwSlg. 7942/F). Ein derartiger Kostenersatz wäre, soweit dieser nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens ergeht, nach § 295a BAO zu berücksichtigen (vgl. Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2003, BGBl. I Nr. 124/2003, 238 BlgNR
22. GP 14 f; vgl. auch Ritz, BAO5, § 295a Tz 15). 26 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
27 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 26. Juli 2017
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