VwGH Ra 2015/15/0060

VwGHRa 2015/15/006029.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision der S GmbH in L, vertreten durch die Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in 8010 Graz, Neutorgasse 47, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. Juni 2015, Zl. RV/2101202/2014, betreffend Forschungsprämie gem. § 108c EStG 1988 für das Jahr 2012, zu Recht erkannt:

Normen

EStG §108c Abs2 Z1;
ForschungsprämienV 2012 Anh1;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die im technisch-betriebswirtschaftlichen Beratungsbereich tätig ist.

2 Gemäß § 108c EStG 1988 beantragte sie Forschungsprämien in Bezug auf im Jahr 2012 angefallene Aufwendungen für drei Projekte ("Einsatz von Methoden zur effizienten und effektiven Modellbildung im Rahmen des Produktentstehungsprozesses", im Folgenden: Projekt A; "Innovations- und Technologiemanagement:

Erarbeitung eines Reifegradmodells und dessen empirische Untersuchung in der österreichischen Stahlindustrie", im Folgenden: Projekt B; sowie ein weiteres nicht revisionsgegenständliches Projekt), welche laut Gutachten der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) die inhaltlichen Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 nicht erfüllten.

3 Das Finanzamt erkannte die Forschungsprämie aufgrund des negativen Gutachtens mit Bescheid gemäß § 201 BAO vom 14. April 2014 nicht zu.

4 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung verzichtete und beantragte, die Beschwerde direkt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

5 In einer der Beschwerde beigelegten Zusammenfassung stellte die Revisionswerberin die beiden streitgegenständlichen Projekte folgendermaßen dar:

6 "Das Forschungsziel (des Projektes A) ist es, das komplexe System der Produktentwicklung in Form eines methoden- und simulationsgestützten Ablaufmodells (Prozessperspektive) abzubilden: d.h. für welche Unternehmen ist es in welcher Situation und mit welchen Technologien entscheidend, welche ganz konkreten Schwerpunkte zu setzen, um eine bessere Entwicklungsleistung zu erzielen. (...) Der Neuigkeitsgrad besteht somit v.a. in der Durchgängigkeit der wesentlichen Wirkungszusammenhänge und damit in einer konsequenten Orientierung an produkttechnischen/technologischen Aspekten über den gesamten Produktentwicklungsprozess hinweg - dies stellt somit ein innovatives Modell eines hochkomplexen, nicht trivialen technoökonomischen Systems dar."

7 "Ziel des (Projektes B) ist es, aus den Erkenntnissen der Forschungsaktivitäten definieren zu können, was die wesentlichen Treiber für eine effektive und effiziente Innovationsleistung sind und wie sich diese in einem generischen Reifegradmodell abbilden lassen. Daraus ist ein Leitfaden/eine Methode zu erarbeiten (‚InnoScan'), welcher in Form eines Analysetools mit Reifegradstufen und Normstrategien zur Umsetzung in Innovationsbereichen angewandt werden soll. Nachdem die Erfolgsfaktoren höchstwahrscheinlich branchenabhängig sind, soll die Methode zunächst schwerpunktmäßig in der Eisen- und Stahlindustrie verifiziert werden. (...) Absolut neu an diesem Forschungsprojekt ist demnach, dass eine Kombination aus Forschungserkenntnissen im Innovationsbereich und aus branchenspezifischem Wissen (Reifegradmodell) in einer schlüssigen Gesamtmethode applizierbar gemacht werden soll. Dabei stehen sowohl das Detektieren von Potenzialen als auch das Bereitstellen von Normstrategien zur Umsetzung als Aufgabe fest."

8 Als angewandte wissenschaftliche Methoden nannte die Revisionswerberin Literaturrecherche über bestehende Modelle und Ansätze, Expertengespräche mit Schlüsselpersonen in innovationsorientierten Unternehmen und "Action Research" (Umsetzung der Erkenntnisse in angewandten Innovationsprojekten und Erkenntnisrückfluss in die Modellebene).

9 Auf Vorhalt des Bundesfinanzgerichts erklärte die Revisionswerberin, die Ergebnisse der Forschungsprojekte seien "in Form von Methoden oder Modellen zur Beratung von Unternehmen" eingesetzt worden. Es habe sich nicht um Auftragsforschung gehandelt. Die Ergebnisse seien in Masterarbeiten und firmeninterne Publikationen eingegangen. Die angewandten wissenschaftlichen Methoden basierten auf einer Kombination aus induktiven und deduktiven Verfahren.

10 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde hinsichtlich der wissenschaftlichen Methodik im Rahmen der Projekte ausgeführt, die Revisionswerberin sammle Wissen und entwickle daraus durch systematische Verarbeitung neue Produkte, Methoden und Verfahren. Es komme zu Wechselbeziehungen mit der Praxis, die wiederum Einfluss auf das vorhandene Wissen hätten. Dabei werde mit "Mockups" in die Praxis gegangen, um sofort das nötige Feedback zu erhalten (Action Research). Die wissenschaftliche Tätigkeit der Revisionswerberin sei auch dadurch dokumentiert, dass sie Doktorarbeiten betreue und Bücher veröffentliche.

11 Zum Projekt A gab der Geschäftsführer der Revisionswerberin an, Ziel sei es, nicht nur technische Simulationen durchzuführen, sondern auch Entwicklungsprozesse zu simulieren. Dabei sollten Sprachbarrieren, kulturelle Missverständnisse und andere allgemeine Probleme der menschlichen Zusammenarbeit in die Planung der Produktentwicklung einbezogen werden. Zur Anwendung dieser Forschungsergebnisse könnte eine Software entwickelt werden. In der Vergangenheit habe die Revisionswerberin tatsächlich solche Programme erstellt.

12 Zum Projekt B erklärte er, es gebe derzeit keinen vollständigen Ansatz, wie der Reifegrad hinsichtlich Innovation bewertet werden könne. Die Ergebnisse dieses Projekts könnten ebenfalls im Rahmen eines zu entwickelnden IT-Tools verwertet werden.

13 Der Vertreter des Finanzamtes legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme der Forschungsförderungsgesellschaft (im Folgenden: FFG) vor, die vom sachverständigen Zeugen W, einem Bereichsleiter der FFG, erläutert wurde: Die gegenständlichen Projekte der Revisionswerberin erfüllten nicht die inhaltlichen Voraussetzungen zur Geltendmachung einer Forschungsprämie. Sie wiesen in keinerlei Hinsicht auf den Gewinn wissenschaftlicher oder technologischer Erkenntnisse hin. Es werde von bestehendem Wissen ausgegangen und der Wissensstand nicht erweitert. Die beschriebenen Hypothesen seien bereits durch gesichertes Wissen gestützt und wiesen darauf hin, dass keine wissenschaftliche und technologische Unsicherheit gelöst werden solle. Das Vorliegen einer Wissenslücke, die einem Fachkundigen "quasi ins Auge springe", sei jedoch Voraussetzung dafür, dass eine Tätigkeit Forschung iSd § 108c EStG 1988 sei.

14 Zum Projekt A führte er aus, dass die Evaluierung von Modellen sowie deren Wirkungszusammenhängen und die damit verbundenen Herausforderungen keine in diesem Sinne relevanten Unsicherheiten seien, da diese Fragestellung bereits hinreichend beantwortet worden sei. Innovationsmodelle für verschiedene Stadien der Produktentwicklung seien bereits erforscht und entsprächen dem Stand des Wissens. Dies gelte explizit auch für die Ideengenerierungsphase und Produktionsphase, für die es bereits umfangreiche Literatur gebe. Da unbestritten sei, dass die Integration von Simulation und Methoden zur Modellbildung einen positiven Einfluss auf den Produktionsprozess und die Durchlaufzeit hätten und die Produkte damit besser an die Kundenbedürfnisse angepasst werden könnten, stelle dies keine "Hypothese" im technisch-wissenschaftlichen Sinn dar.

15 Beim Projekt B handle es sich ebenfalls um keine prämienbegünstigte Forschungstätigkeit. In der Fachliteratur zum Innovationsmanagement seien bereits ähnliche Modelle zur Bestimmung des Reifegrads zu finden. Es sei auch unbestritten, dass sich ein höherer Reifegrad und ein erfolgreiches Innovationsmanagement im Unternehmen positiv auf die Dauer der Marktreifeerreichung auswirken, sodass auch diese Fragestellungen bereits hinreichend beantwortet seien.

16 Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde ab. Weiters erklärte es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.

17 Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, entsprechend der Definition von "Forschung und experimenteller Entwicklung" in der Forschungsprämienverordnung und dem Frascati Manual der OECD, auf das in der genannten Verordnung verwiesen werde, müsse die Erweiterung des Wissensstandes bzw. das Gewinnen neuer Erkenntnisse im Vordergrund der prämienbegünstigten Tätigkeit stehen. Dabei sei die schöpferische Tätigkeit, die neues Wissen hervorbringe bzw. hervorbringen könne (Forschung und Entwicklung) von der Anwendung bereits erworbenen Wissens (selbst unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden) zu trennen. Kriterium für diese Abgrenzung sei das Vorliegen einer wissenschaftlichen und/oder technischen Unsicherheit. Es genüge nicht, "Neues" hervorzubringen. Es müsse vielmehr eine für jeden Fachkundigen offensichtlich erkennbare Wissenslücke geschlossen werden.

18 Umgelegt auf den gegenständlichen Fall bedeute dies, dass die Tätigkeit der Revisionswerberin nur dann als begünstigte Forschung betrachtet werden könne, wenn sie ausschließlich auf die Gewinnung neuen Wissens gerichtet sei und sich nicht in der Verbesserung oder Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten erschöpfe. Im Revisionsfall seien zwar innovative Lösungen gefunden, damit jedoch keine wissenschaftliche Unsicherheit iSd Frascati Manuals gelöst worden.

19 Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege eine wissenschaftliche Tätigkeit nur dann vor, wenn sie ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Forschung (dem Erringen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse) oder der wissenschaftlichen Lehre diene, nicht schon, wenn sie auf Erkenntnissen einer Wissenschaft aufbaue, diese verwerte und sich wissenschaftlicher Methoden bediene. "Angewandte Wissenschaft" werde zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht würden. Voraussetzung sei, dass die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht deren Verwertung den Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit darstelle. Es sei für die Wissenschaft charakteristisch, dass sie sich die Vermehrung des menschlichen Wissens im Interesse der Allgemeinheit zum Ziel setze.

20 Die Tätigkeit der Revisionswerberin baue allein auf Erkenntnissen einer Wissenschaft auf und verwerte diese, indem sie sich wissenschaftlicher Methoden bediene. Aus diesem Blickwinkel sei ihre Tätigkeit ebenfalls nicht als "Forschung" zu beurteilen.

21 Das Bundesfinanzgericht folge dem Gutachten der FFG, die weder in Bezug auf das Ziel und den Inhalt, noch im Hinblick auf die Methode und Vorgangsweise, noch hinsichtlich ihrer "Neuheit" in den Projekten der Revisionswerberin "eigenbetriebliche Forschung und experimentelle Entwicklung" iSd § 108c EStG 1988 erkannt habe. Das Ziel der Projekte bestehe nicht in der Klärung bzw. Beseitigung einer wissenschaftlichen oder technischen Unsicherheit durch eigenbetriebliche Forschung und Entwicklung.

22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der sich die Revisionswerberin gegen die Nichtzuerkennung der Forschungsprämie für die revisionsgegenständlichen Projekte wendet.

23 Das Bundesfinanzgericht legte die Verwaltungsakten vor. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

25 Hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision führt die Revisionswerberin aus, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Maßgeblichkeit des Frascati Manuals für die Auslegung der Forschungsprämienverordnung fehle. Insbesondere fehle Rechtsprechung zur Frage, ob das Vorliegen einer nur im Frascati Manual, nicht aber in der Forschungsprämienverordnung genannten "wissenschaftlichen Unsicherheit" Voraussetzung für die Zuerkennung der Forschungsprämie sei.

26 Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet. 27 § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 in der anzuwendenden Fassung

BGBl. I Nr. 111/2010 lautet:

"Prämienbegünstigt sind:

1. Eigenbetriebliche Forschung und experimentelle

Entwicklung, die systematisch und unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden durchgeführt wird. Zielsetzung muss sein, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten. Die Forschung muss in einem inländischen Betrieb oder einer inländischen Betriebsstätte erfolgen. Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, die Kriterien zur Festlegung der prämienbegünstigten Forschungsaufwendungen (-ausgaben) mittels Verordnung festzulegen."

28 Die Verordnung der Bundesministerin für Finanzen über die Kriterien zur Festlegung förderbarer Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen (-ausgaben), zur Forschungsbestätigung sowie über die Erstellung von Gutachten durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (Forschungsprämienverordnung), BGBl. II Nr. 515/2012, anzuwenden auf Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2011 beginnen, lautet auszugsweise:

"Anhang I

Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen

A. Allgemeine Begriffsbestimmungen

1. Forschung und experimentelle Entwicklung im Sinne des

§ 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 ist eine schöpferische Tätigkeit, die auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten. Forschung und experimentelle Entwicklung in diesem Sinne umfasst Grundlagenforschung (Z 2) und/oder angewandte Forschung (Z 3) und/oder experimentelle Entwicklung (Z 4). Sie umfasst sowohl den naturwissenschaftlich-technischen als auch den sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich.

2. Grundlagenforschung umfasst originäre Untersuchungen mit

dem Ziel, den Stand des Wissens ohne Ausrichtung auf ein

spezifisches praktisches Ziel zu vermehren.

3. Angewandte Forschung umfasst originäre Untersuchungen

mit dem Ziel, den Stand des Wissens zu vermehren, jedoch mit

Ausrichtung auf ein spezifisches praktisches Ziel.

4. Experimentelle Entwicklung umfasst den systematischen

Einsatz von Wissen mit dem Ziel, neue oder wesentlich verbesserte

Materialien, Vorrichtungen, Produkte, Verfahren, Methoden oder

Systeme hervorzubringen.

5. Forschungsprojekte sind auf ein definiertes

wissenschaftliches oder spezifisch praktisches Ziel gerichtete inhaltlich und zeitlich abgrenzbare Arbeiten im Bereich der Forschung und experimentellen Entwicklung unter Einsatz von personellen und sachlichen Ressourcen.

6. Ein Forschungsschwerpunkt ist eine Zusammenfassung von

Forschungsprojekten oder laufenden Arbeiten im Bereich der Forschung und experimentellen Entwicklung, die inhaltlich einem übergeordneten Thema zugeordnet werden können.

Als Grundsatz gilt, dass Forschung und experimentelle Entwicklung (Z 1) aus Tätigkeiten besteht, deren primäres Ziel die weitere technische Verbesserung des Produktes oder des Verfahrens ist. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung der experimentellen Entwicklung von Produktionstätigkeiten. Sind hingegen das Produkt oder das Verfahren im Wesentlichen festgelegt und ist das primäre Ziel der weiteren Arbeiten die Marktentwicklung oder soll durch diese Arbeiten das Produktionssystem zum reibungslosen Funktionieren gebracht werden, können diese Tätigkeiten nicht mehr der Forschung und experimentellen Entwicklung (Z 1) zugerechnet werden. Grundlage dieser Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen ist das Frascati Manual (2002) der OECD in der jeweils gültigen Fassung, das ergänzend zu diesen Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen herangezogen wird."

29 Mit der Frage der Maßgeblichkeit des Frascati Manuals hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. September 2015, Ro 2014/15/0018, (im Zusammenhang mit dem Forschungsfreibetrag) auseinandergesetzt und ausgeführt, dass bereits nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Konjukturbelebungsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 68/2002 (977 BlgNR 21. GP , 12 f.) der Begriff der Forschung und Entwicklung über die bisherige - am Erfindungsbegriff orientierte - Abgrenzung hinausgehen sollte. Die Forschungsförderung sollte auf international gebräuchliche Standards ausgerichtet werden. Hierzu wurde die OECD-Definition im Frascati Manual genannt. Es entspricht also offenkundig der Absicht des Gesetzgebers, dieses Frascati Manual zur Auslegung des Begriffes Forschung und Entwicklung (ergänzend) heranzuziehen.

30 In der Forschungsprämienverordnung, BGBl. II Nr. 515/2012, ist die diesbezügliche Maßgeblichkeit des Frascati Manuals nunmehr ausdrücklich normiert. In Anhang I A ist geregelt, dass das Frascati Manual (2002) der OECD in der jeweils gültigen Fassung Grundlage der Begriffsbestimmungen und Abgrenzungen der Verordnung ist und ergänzend zu diesen heranzuziehen ist.

31 In Tz. 84 des Frascati Manuals ("The Measurement of Scientific and Technological Activities - Proposed Standard Practice for Surveys on Research and Experimental Development") in der für den gegenständlichen Fall heranzuziehenden Fassung aus dem Jahr 2002 ist als grundlegendes Kriterium für die Abgrenzung von Forschung und Entwicklung von verwandten Tätigkeiten das Vorhandensein eines nennenswerten Elementes der Neuheit sowie die Lösung einer wissenschaftlichen oder technologischen Unsicherheit angeführt:

"The basic criterion for distinguishing R&D from related activities is the presence in R&D of an appreciable element of novelty and the resolution of scientific and/or technological uncertainty, i.e. when the solution to a problem is not readily apparent to someone familiar with the basic stock of common knowledge and techniques for the area concerned."

32 Die Revisionswerberin bringt vor, dass mit dem Abstellen auf das Vorliegen einer wissenschaftlichen oder technologischen Unsicherheit bzw. "Wissenslücke" im Frascati Manual hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Forschung und Entwicklung und verwandter Tätigkeiten die Zuerkennung der Forschungsprämie von einer weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werde, die in der Forschungsprämienverordnung so nicht vorgesehen sei.

33 Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Die Forschungsprämienverordnung nennt zwar das Erfordernis der "Schließung einer Wissenslücke" nicht. Sie definiert Forschung und experimentelle Entwicklung aber als schöpferische Tätigkeit, die auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu erweitern sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten. Essentiell ist somit, dass die Tätigkeit etwas "Neues" hervorbringt und den bisherigen Wissenstand in dem erforschten Fachgebiet erweitert. Nichts anderes als diesen Neuheitsaspekt spricht auch die Wortfolge "the resolution of scientific and/or technological uncertainty, i.e. when the solution to a problem is not readily apparent to someone familiar with the basic stock of common knowledge and techniques for the area concerned" in Tz. 84 des Frascati Manuals an.

34 Zweifellos setzt jede Forschungstätigkeit, durch die neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden sollen, eine zu beantwortende Fragestellung ("scientific and/or technological uncertainty") voraus. Aus Tz. 84 des Frascati Manuals geht jedoch nicht hervor, dass eine "für jeden Fachkundigen offensichtlich erkennbare Wissenslücke" vorliegen müsse. Es darf bloß die Lösung, mit der eine bisher bestehende Wissenslücke geschlossen werden soll, für einen Fachmann nicht offensichtlich sein ("the solution to a problem is not readily apparent to someone familiar with the basic stock of common knowledge and techniques for the area concerned"). Die durch die Forschungstätigkeit erarbeitete oder zumindest angestrebte Lösung muss insofern über den bisherigen Wissensstand hinausgehen, als dass sie sich nicht als für einen Fachmann offensichtliche Lösung der zur erforschenden Fragestellung anbietet.

35 Durch das Abgrenzungskriterium der Lösung einer wissenschaftlichen Unsicherheit wird keine über die Vorgaben des § 108c EStG 1988 und der Forschungsprämienverordnung hinausgehende zusätzliche Voraussetzung für die Zuerkennung der Forschungsprämie geschaffen. Es wird lediglich das Erfordernis der "Neuheit" der Forschungstätigkeit dahingehend konkretisiert, dass die Dokumentation im Rahmen des bisherigen Wissensstandes offensichtlicher Lösungen keine Forschung iSd § 108c EStG 1988 ist.

36 Das Bundesfinanzgericht hat für die streitgegenständlichen Projekte keine Forschungsprämie zuerkannt, weil die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang keine wissenschaftliche Unsicherheit iSd Frascati Definition gelöst habe. Die in den Gutachten der FFG beschriebenen Tätigkeiten wiesen nicht auf den Gewinn wissenschaftlicher oder technologischer Erkenntnisse hin. Es werde von bestehendem Wissen ausgegangen, der Stand des Wissens aber nicht erweitert. Die beschriebenen Hypothesen ließen nicht erkennen, dass damit eine wissenschaftliche oder technologische Unsicherheit gelöst werden sollte. Weder in Ziel und Inhalt, noch in Methode und Vorgangsweise, noch im Vorliegen einer Neuheit habe das Gutachten der FGG eine Forschungstätigkeit iSd Gesetzes erkennen können. Das Fehlen einer "für jeden Fachkundigen offensichtlichen Wissenslücke" war somit keineswegs der tragende Grund, die Forschungsprämie im Revisionsfall nicht zuzuerkennen.

37 Soweit sich die Revisionswerberin dagegen wendet, dass das Bundesfinanzgericht ihre Projekte dem Gutachten der FGG folgend nicht als auf den Gewinn neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gerichtet beurteilt hat, zeigt sie nicht nachvollziehbar auf, welche konkrete wissenschaftliche oder technologische Unsicherheit mit den Projekten gelöst werden sollte.

38 Da die Forschungsprämie bereits aufgrund des fehlenden Neuheitsgrads der beiden streitgegenständlichen Projekte versagt werden durfte, kann dahingestellt bleiben, welche Anforderungen die Forschungsprämienverordnung hinsichtlich der verwendeten wissenschaftlichen Methoden stellt und ob diese im gegenständlichen Fall erfüllt wurden.

39 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

40 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. März 2017

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