VwGH Ra 2016/21/0299

VwGHRa 2016/21/029917.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des T S, in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2016, L515 1231025-2/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §31 Abs1a Z3 idF 2009/I/122
FrPolG 2005 §46
FrPolG 2005 §46a idF 2009/I/122
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §55
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §24

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210299.M00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die damit verbundenen Absprüche nach § 52 Abs. 9 FPG und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der aus Georgien stammende Revisionswerber wurde am 6. Juni 2002 im Bundesgebiet aufgegriffen. Noch am selben Tag erließ die Bezirkshauptmannschaft Gmünd gegen ihn wegen Mittellosigkeit gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 7 Fremdengesetz 1997 ein bis zum 6. Juni 2007 gültiges Aufenthaltsverbot.

2 Der gleichfalls noch am 6. Juni 2002 gestellte Asylantrag wurde letztlich mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Mai 2003 rechtskräftig abgewiesen; außerdem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Georgien zulässig sei. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. November 2003, Zl. 2003/20/0452, ab.

3 Der Revisionswerber verblieb in Österreich, war aber ab August 2005 nicht mehr gemeldet. Am 1. September 2009 wurde er aus Anlass einer fremdenpolizeilichen Wohnungskontrolle festgenommen. Bei seiner nachfolgenden Einvernahme gab er u.a. an, bei seinem "legal hier mit Studentenvisum" lebenden Sohn zu wohnen; er wolle in Österreich verbleiben, habe über einen Vertreter in Georgien seinen Austritt aus dem "Staatsverband" erklärt und sei daher staatenlos.

4 Seitens der georgischen Botschaft wurde in der Folge bestätigt, dass der Revisionswerber laut Verordnung des georgischen Präsidenten vom 4. August 2006 "aus der georgischen Staatsangehörigkeit entlassen" wurde. Seitens der (damaligen) Bundespolizeidirektion Wien wurde dem Revisionswerber daraufhin mit 2. Februar 2011 eine bis 2. Februar 2016 gültige Karte für Geduldete ausgestellt.

5 Am 6. Oktober 2014 stellte der - nunmehr seit September 2009 mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldete - Revisionswerber sodann einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005. Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab. Unter einem erließ es gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei und setzte die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 26. August 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Das BVwG bezog sich auf das Abkommen zwischen der Europäischen Union und Georgien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt (ABl. Nr. L 52 vom 25.02.2011 S. 47 ff), auf dessen Basis Georgien "für sich die Verpflichtung existent" erachte, den Revisionswerber von der Republik Österreich zu übernehmen. Seine Abschiebung nach Georgien sei auch nach Maßgabe des § 50 FPG zulässig. Damit lägen insgesamt die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 1 oder 3 FPG "nicht bzw. nicht mehr" vor, sodass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht in Betracht komme. Mit der demnach vorzunehmenden Abweisung des Antrags des Revisionswerbers - so das BVwG weiter - sei gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß dem achten Hauptstück des FPG zu verbinden. Die in diesem Zusammenhang gebotene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG stehe der Erlassung dieser Rückkehrentscheidung nicht entgegen, weil das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiege; Anhaltspunkte, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre, seien nicht hervorgekommen.

 

8 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG einerseits den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 ab. Andererseits bestätigte es die gegen den Revisionswerber erlassene Rückkehrentscheidung (samt den damit im Zusammenhang stehenden Aussprüchen nach § 52 Abs. 9 FPG und § 55 FPG).

11 Die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 wird in den Zulassungsausführungen der gegenständlichen Revision nicht näher angesprochen. Allgemein wird zwar geltend gemacht, dass das BVwG in Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Beschwerdeverhandlung abgesehen habe. Inwieweit sich das konkret (auch) auf den Abspruch nach § 57 AsylG 2005 bezieht und welche insoweit relevanten Klarstellungen die Abhaltung einer Beschwerdeverhandlung hätte erbringen können, wird allerdings nicht näher dargetan. In Bezug auf die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 zeigt die Revision somit keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Insoweit war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung (samt Nebenaussprüchen) erweist sich die Revision aber - wie in ihrer Zulässigkeitsbegründung zutreffend aufgezeigt wird - deshalb als zulässig und berechtigt, weil das BVwG bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

13 Gemäß dessen - auch schon zu § 9 BFA-VG ergangener - Judikatur ist nämlich bei einem mehr als 10 Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inhaltsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. April 2016, Ra 2016/21/0029-0032, und vom 4. August 2016, Ra 2015/21/0249-0253).

14 Dass sich der über 14 Jahre in Österreich aufhältige Revisionswerber hier im eben erwähnten Sinn überhaupt nicht integriert habe, kann schon auf Basis der vom BVwG getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden. Dieses ging nämlich davon aus, dass der Revisionswerber Deutsch auf dem Niveau B 1 spreche, dass er (durch selbständige Tätigkeit) zum Teil für seinen Lebensunterhalt aufkomme und dass er im Rahmen seines inländischen Aufenthaltes "eine gewisse soziale Vernetzung im Bundesgebiet" aufgebaut habe. Von einem völligen Fehlen jeglicher Integration kann daher nicht ausgegangen werden.

15 Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG somit am Maßstab der dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den privaten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Verbleib in Österreich den Vorrang geben müssen. Dass der Revisionswerber - wie vom BVwG weiter festgestellt - einmal bei "Schwarzarbeit" (im März 2003) betreten wurde und sich (im Zeitraum August 2005 bis September 2009) über melderechtliche Verpflichtungen hinwegsetzte, vermag daran ebensowenig etwas zu ändern wie sein fremdenrechtliches Fehlverhalten. Es ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass dem Revisionswerber bereits im Februar 2011 eine Karte für Geduldete (entgegen § 46a Abs. 3 FPG in der damals noch maßgeblichen Stammfassung dieser Bestimmung nicht nur für ein Jahr, sondern für fünf Jahre) ausgestellt wurde, was den Aufenthalt des Revisionswerbers zwar nicht rechtmäßig machte (vgl. § 31 Abs. 1a Z 3 FPG), jedoch den Eindruck vermitteln musste, er werde längerfristig in Österreich verbleiben können.

16 Im Übrigen ist abschließend noch anzumerken, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden vor einer Bestätigung der Rückkehrentscheidung des BFA angebracht gewesen wäre, die in der Beschwerde ausdrücklich beantragte Verhandlung zur Gewinnung eines unmittelbaren Eindrucks vom Revisionswerber durchzuführen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289, in dem festgehalten wurde, dass von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden könne, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn das Verwaltungsgericht sich von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft).

17 Nach dem Gesagten ist das angefochtene Erkenntnis, soweit es die vom BFA erlassene Rückkehrentscheidung bestätigt, mit (vorrangiger) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Es war daher in diesem Umfang (samt den auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung aufbauenden Absprüchen nach § 52 Abs. 9 und § 55 FPG) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwG aufzuheben.

18 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf dessen § 50, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. November 2016

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