VwGH Ro 2016/21/0005

VwGHRo 2016/21/000514.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des M N in Ä, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. November 2015, W144 2114218- 1/6E, betreffend Versagung eines Visums (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Kairo), den Beschluss gefasst:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL §31 Abs4;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35;
32004L0038 Unionsbürger-RL Kap6;
BFA-VG 2014 §1;
BFA-VG 2014 §12;
EURallg;
FrPolG 2005 §11a Abs4;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §21 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §21 Abs2 Z7;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ägyptischer Staatsangehöriger. Am 2. Juni 2014 heiratete er eine ungarische Staatsangehörige, die in Österreich einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

2 Am 29. April 2015 beantragte der Revisionswerber bei der Österreichischen Botschaft Kairo (im Folgenden nur Botschaft) die Erteilung eines Visums D zum Zweck der "Familienzusammenführung". Nach einer Einvernahme des Antragstellers äußerte die Botschaft den Verdacht auf Vorliegen einer Scheinehe. Mit Bescheid vom 27. Juli 2015 gab sie dann davon ausgehend dem Antrag des Revisionswerbers keine Folge.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) schließlich gemäß § 21 Abs. 2 Z 2 FPG ab. Dabei teilte es - mit näherer Begründung - die Überlegung der Botschaft, bei der Ehe des Revisionswerbers handle es sich "offensichtlich um eine Aufenthaltsehe". Außerdem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, jedoch allein deswegen, weil sich die vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht beantwortete Frage stelle, ob § 12 Abs. 1 BFA-VG auch auf Entscheidungen des BVwG in Visaverfahren anwendbar sei.

4 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 24. März 2015, Ro 2015/21/0003, mwN).

6 Letzteres ist hier der Fall, denn in der vorliegenden Revision wird auf die Gründe, aus denen das BVwG die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, nicht Bezug genommen. (Der Vollständigkeit halber sei allerdings darauf hingewiesen, dass das BFA-VG - und damit insbesondere dessen § 12 - auf Visaverfahren, wie sich aus der Umschreibung seines Anwendungsbereiches in § 1 BFA-VG ergibt, zur Gänze nicht anwendbar ist.) Vielmehr macht der Revisionswerber zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision geltend, es wäre lediglich der formelle Bestand der von ihm geschlossenen Ehe maßgeblich gewesen. Deren tatsächliche "Qualität", auch wenn diese Ehe materiell als Scheinehe qualifiziert werden könnte, sei hingegen von der Botschaft und vom BVwG nicht zu beurteilen gewesen. Dazu beruft er sich auf das hg. Erkenntnis vom 7. April 2011, Zl. 2011/22/0005, von dessen Grundsätzen das BVwG abgewichen sei.

7 Mit dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof aber nur zum Ausdruck gebracht, dass einem Fremden, der mit einem in Österreich lebenden, sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmenden EU-Bürger aufrecht verheiratet ist (unabhängig davon, ob die Ehe als Scheinehe zu qualifizieren wäre), die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zukommt. Insofern trifft es zwar zu, dass das formell aufrechte Bestehen der Ehe maßgeblich ist. Das steht der Wahrnehmung einer Scheinehe aber nicht entgegen, sondern bedeutet nur, dass sich die Konsequenzen dieser Scheinehe nach den für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden Regeln bestimmen. Insbesondere käme etwa die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs. 1 FPG, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des begünstigten Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, in Betracht (vgl. in diesem Sinn etwa das noch zur Vorgängerregelung des nunmehrigen § 67 FPG§ 86 FPG idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - ergangene hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2013, Zl. 2011/23/0647, das auf die aktuelle Rechtslage zwanglos übertragbar ist). Aber auch die Versagung eines Visums ist auf dieser Basis (nach § 21 Abs. 2 Z 7 FPG; dass das BVwG verfehlt den Versagungsgrund nach § 21 Abs. 2 Z 2 FPG herangezogen hat, verletzt den Revisionswerber fallbezogen nicht in Rechten) zulässig (vgl. die, wenngleich noch zu § 21 Abs. 5 Z 4 FPG idF vor dem FNG-Anpassungsgesetz ergangenen, behauptete Scheinehen mit österreichischen Staatsbürgern betreffenden hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0266, und vom 26. März 2015, Ro 2014/22/0026). Daran kann auch auf Grundlage der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG ) kein Zweifel bestehen, sieht doch deren Art. 35 vor, dass die Mitgliedstaaten die Maßnahmen erlassen können, die notwendig sind, um die durch die Richtlinie verliehenen Rechte "im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z.B. durch Eingehung von Scheinehen - zu verweigern". Im Besonderen sei aber noch auf Art. 31 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie verwiesen, wonach es die Mitgliedstaaten "dem Betroffenen", der sich gegen eine zu seinen Lasten getroffene Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit wendet, verbieten können, sich während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens in ihrem Hoheitsgebiet aufzuhalten, ihn jedoch nicht daran hindern dürfen, "sein Verfahren selbst zu

führen, es sei denn, ... der Rechtsbehelf richtet sich gegen die

Verweigerung der Einreise in das Hoheitsgebiet". Daraus ergibt sich klar, dass eine maßgebliche Verletzung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, wie sie allgemein im Kapitel VI der Freizügigkeitsrichtlinie angesprochen wird, - konkret durch Abschluss einer Scheinehe - auch vor Einreise in das Staatsgebiet, namentlich durch Verweigerung eines notwendigen Visums, wahrgenommen werden kann.

8 Das BVwG ist demnach, anders als der Revisionswerber meint, nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Infolge der eindeutigen, dem Standpunkt des Revisionswerbers widersprechenden Rechtslage kann aber auch sonst nicht vom Vorliegen einer klärungsbedürftigen Frage grundsätzlicher Bedeutung ausgegangen werden (vgl. nur den hg. Beschluss vom 10. November 2015, Ra 2015/11/0092, mit Hinweis auf den hg. Beschluss vom 28. Mai 2014, Ro 2014/07/0053). Wenn der Revisionswerber noch § 11a Abs. 2 FPG anspricht ("Beschwerdeverfahren (in Visaangelegenheiten) sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden."), so ist, die Verhandlung betreffend, aus unionsrechtlicher Sicht erneut auf Art. 31 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie zu verweisen. Mit dem weiter angeordneten Neuerungsverbot hat das BVwG im vorliegenden Fall aber gar nicht operiert, weshalb sich die Frage nach dessen Reichweite hier gar nicht stellt.

9 Die Revision eignet sich sohin wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.

10 Ergänzend sei aber noch auf Folgendes hingewiesen: Der Revisionswerber war insbesondere auch im Beschwerdeverfahren durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertreten. Dennoch veranlasste das BVwG die Zustellung seines Erkenntnisses an den Rechtsvertreter (ausschließlich) im Wege des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres über die Botschaft. Dabei hatte es offenbar § 11a Abs. 4 FPG im Auge, wonach die Zustellung der Entscheidungen des BVwG über die Vertretungsbehörde zu erfolgen habe. Die genannte Vorschrift ist allerdings teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie nur solche Fälle erfasst, in denen der Adressat der Entscheidung keinen inländischen Vertreter hat. Dem Gesetz kann nämlich nicht zugesonnen werden, bei Existenz einer inländischen Zustellanschrift bezüglich der Entscheidungszustellung - ohne erkennbaren Mehrwert - einen derartigen Umweg aufzutragen.

Wien, am 14. April 2016

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