Normen
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art4 Abs2 lita;
AsylG 1997 §1 Z6 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §35 Abs5 idF 2013/I/068;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22 idF 2013/I/068;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22;
AsylG 2005 §34 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs1 idF 2013/I/068;
AsylG 2005 §35 Abs5 idF 2013/I/068;
AsylG 2005 §35 idF 2013/I/068;
AsylG 2005 §35;
AVG §56;
BFA-VG 2014 §10 Abs1;
EURallg;
FNG 2014;
FNG-AnpassungsG 2014;
VwRallg;
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers, beide sind Staatsangehörige von Afghanistan.
Spätestens im September 2012 stellten die Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 bei der österreichischen Botschaft in Islamabad (im Folgenden nur: Botschaft), und zwar im Hinblick auf den am 30. September 1994 geborenen M. N., der behauptetermaßen der ältere Sohn der Erstrevisionswerberin sei und dem in Österreich subsidiärer Schutz gewährt worden war. Den diesen Antrag abweisenden Bescheid der Botschaft vom 8. August 2013 hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. März 2014, Zl. 2013/21/0235, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2014 wies die Botschaft den Antrag der Revisionswerber neuerlich ab, weil seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt worden sei, dass eine Gewährung desselben Schutzes wie der Bezugsperson als nicht wahrscheinlich einzustufen sei. Die Angaben zur Angehörigeneigenschaft gemäß § 35 AsylG 2005 widersprächen nämlich "in mehrfacher Hinsicht den von der Bezugsperson im Asylverfahren gemachten Angaben".
Die Revisionswerber erhoben Beschwerde, welche die Botschaft mit Beschwerdevorentscheidung vom 18. Juli 2014 gemäß § 35 AsylG 2005 iVm § 14 Abs. 1 VwGVG abwies. Daraufhin stellten die Revisionswerber einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
Mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis vom 19. Dezember 2014 wies auch das BVwG die Beschwerde gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab. Außerdem sprach es aus, dass gegen dieses Erkenntnis die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Die Revisionswerber erhoben Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 18. September 2015, E 360-361/2015-21, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Das begründete der Verfassungsgerichtshof auszugsweise wie folgt:
"Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind vor dem Hintergrund der im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes nicht (mehr) vorliegenden Eigenschaft der beschwerdeführenden Parteien als Familienangehörige iSd § 35 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I 100/2005, idF BGBl. I 144/2013, zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen."
In ihrer dann eingebrachten Revision brachten die Revisionswerber vor, sich durch das angefochtene Erkenntnis
- in ihrem Recht auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz sowie
- in ihrem Recht auf Gewährung desselben Schutzes gemäß § 35 iVm § 34 AsylG 2005
verletzt zu erachten.
Die Revision ist im Hinblick auf die Änderungen der Rechtslage durch das FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013, wozu noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes existiert, zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Die Revisionswerber haben einen Antrag nach § 35 AsylG 2005 auf Erteilung eines Einreisetitels zwecks Stellung eines Antrages auf Gewährung desselben Schutzes gestellt. Ein derartiger Antrag "kann" - wie es das Gesetz formuliert - nur von Familienangehörigen eines Fremden gestellt werden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Damit wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass lediglich Anträge dieser Familienangehörigen zielführend sind. Dass in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Verhältnisse im Entscheidungszeitpunkt maßgeblich sind, entspricht allgemeinen Grundsätzen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) Rz 413 und Rz 835) und ist etwa bezüglich des Status der Ankerperson schon deshalb unmittelbar einsichtig, weil ein im Verfahren eintretender Verlust von deren Asylberechtigung oder von deren subsidiärer Schutzberechtigung von vornherein den Zweck des Antrags nach § 35 AsylG 2005 - es gibt für einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes dann keine Basis mehr - hinfällig machen würde. Für die Stellung als "Familienangehöriger" kann grundsätzlich nichts Anderes gelten, auch sie muss im Entscheidungszeitpunkt (noch) gegeben sein.
2.1. Bis zum FNG-Anpassungsgesetz gab es für das Verfahren nach § 35 AsylG keine spezifische Umschreibung des Begriffs "Familienangehöriger". Im Rahmen der in § 2 AsylG 2005 festgeschriebenen Begriffsbestimmungen wurde allerdings in Abs. 1 Z 22 festgelegt, dass als "Familienangehöriger" zu verstehen sei,
"wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe der Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat."
Während also nach dieser Definition hinsichtlich der Eigenschaft als "Familienangehöriger" bei minderjährigen Kindern ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen war und insofern eine Perpetuierung angeordnet wurde, sodass dem Eintritt der Volljährigkeit bis zum Entscheidungszeitpunkt keine Bedeutung mehr zukam, war das bezüglich des Elternteils eines minderjährigen Kindes (in Bezug auf die Minderjährigkeit des Kindes) nicht vorgesehen. Auch hinsichtlich der Ehegatteneigenschaft wurde nicht der Antragszeitpunkt für wesentlich erklärt. Daraus war allgemein in Bezug auf § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu schließen, dass mit dem Erreichen der Volljährigkeit eines bei Verfahrensbeginn zunächst noch Minderjährigen seine Eltern nicht mehr als "Familienangehörige" zu betrachten waren, ebenso wie eine zwischenzeitige Beendigung der Ehe einem "ursprünglichen" Ehegatten die Eigenschaft als "Familienangehöriger" nahm.
2.2. Ein im Rahmen von Begriffsbestimmungen festgelegtes Verständnis eines Terminus zwingt indes nicht in jedem Fall dazu, diesen innerhalb eines Gesetzes stets im Sinn der Legaldefinition auszulegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2010/21/0494, VwSlg. 18.269). In sinngemäßer Übertragung der im hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0429, angestellten Überlegungen, wonach es im (bis zum Inkrafttreten der AsylG-Novelle 2003 vorgesehenen) Asylerstreckungsverfahren von Kindern auf die Minderjährigkeit im Antragszeitpunkt (und nicht im Entscheidungszeitpunkt) ankommen müsse - was dann im Übrigen auch in der mit der AsylG-Novelle 2003 in § 1 Z 6 des seinerzeitigen Asylgesetzes 1997 erstmals geschaffenen und im hier vorliegenden Zusammenhang im Wesentlichen in § 2 Abs. 1 Z 22 des nunmehrigen Asylgesetzes 2005 übernommenen Definition des Familienangehörigen Niederschlag gefunden hat -, ließe sich daher die Ansicht vertreten, es müsse im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 auch in Bezug auf Eltern als Antragsteller die Minderjährigkeit ihres Kindes im Antragszeitpunkt ausreichen.
3. Eine solche Sichtweise ist am Boden der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Rechtslage nach dem FNG-Anpassungsgesetz nicht mehr möglich. Mit dem genannten Gesetz wurde dem § 35 AslyG 2005 nämlich ein fünfter Absatz angefügt, der wie folgt lautet:
"(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat."
Gleichzeitig wurde (u.a.) § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 novelliert und der erste Absatz des § 35 AsylG 2005 dahingehend ergänzt, dass (nur) "Familienangehörige gemäß Abs. 5" den maßgeblichen Antrag stellen "können", weshalb insgesamt an der Relevanz der nunmehr in § 35 Abs. 5 AsylG 2005 enthaltenen Definition des "Familienangehörigen" im gegebenen Zusammenhang kein Zweifel bestehen kann. Dass damit ein Verständnis im zuvor dargestellten Sinn (auch bei antragstellenden Eltern sei bezüglich des Kriteriums der Minderjährigkeit ihres in Österreich Asyl oder subsidiären Schutz erhalten habenden Kindes auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen) nicht mehr in Betracht kommt, lässt sich überdies den ErläutRV zu den erwähnten Änderungen bzw. Ergänzungen des § 35 AsylG 2005 durch das FNG-Anpassungsgesetz (2144 BlgNR 24. GP 17f) entnehmen. Dort heißt es auszugsweise:
"Demnach sind für diese Einreiseverfahren nicht die Bestimmungen der Statusrichtlinie anwendbar, sondern weiterhin jene der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. Nr. L 251 vom 03.10.2003 S. 12, denen zu Folge die Familienzusammenführung auf jeden Fall für die Mitglieder der Kernfamilie, d.h. den Ehegatten und die minderjährigen Kinder gelten soll. Eine darüber hinausgehende Zusammenführung mit weiteren Verwandten ist nicht vorgesehen. Da § 35 somit eine unterschiedliche Definition des Familienangehörigen zugrunde liegt als dem Familienverfahren im Inland, ist eine eigene Begriffsdefinition nur für die Zwecke des § 35 erforderlich."
Einerseits sieht die angesprochene RL 2003/86/EG den Nachzug von Aszendenten (insbesondere der Eltern) in ihrem Art. 4 Abs. 2 lit. a nur optional vor. Andererseits lassen die zitierten ErläutRV aber eine restriktive Tendenz, was den zu erfassenden Personenkreis anlangt, der nicht über das von der RL 2003/86/EG geforderte Maß hinausgehen soll, erkennen. Das steht einer erweiternden Auslegung - sofern man sie überhaupt für möglich erachten würde - dergestalt, dass es im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 auch bei antragstellenden Eltern eines minderjährigen Kindes für die Eigenschaft als "Familienangehöriger" hinsichtlich der Minderjährigkeit auf den Antragszeitpunkt ankomme, entgegen.
4. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei jener Person, die in Österreich subsidiären Schutz erhalten hat und an die der gegenständliche Antrag nach § 35 AsylG 2005 anknüpft, behauptetermaßen um den Sohn der Erstrevisionswerberin. Er war wohl im Zeitpunkt der Antragstellung (noch) minderjährig, hat aber bereits kurz danach, unstrittig vor Erlassung des hier bekämpften Erkenntnisses, die Volljährigkeit erlangt (jedenfalls nach dem in diesem Kontext allein maßgeblichen innerstaatlichen Recht (vgl. dazu in Bezug auf die bis zum 31. Dezember 2013 geltende Rechtslage Fessl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, Seite 390f, zum seinerzeitigen § 16 Abs. 1 AsylG 2005; daran soll sich ausweislich der ErläutRV zum FNG, 1803 BlgNR 24. GP 12, auch auf Basis des nunmehr geltenden § 10 Abs. 1 BFA-VG nichts geändert haben)). Gemäß dem Vorgesagten war die Erstrevisionswerberin daher bei der Erlassung des bekämpften Erkenntnisses, das mangels besonderer Übergangsbestimmungen - anders als der vom Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang zu beurteilende Bescheid der Botschaft vom 8. August 2013 - am Boden der aktuellen, seit 1. Jänner 2014 geltenden Rechtslage zu ergehen hatte, nicht mehr "Familienangehörige". Das trifft auch auf ihren jüngeren Sohn, den Zweitrevisionswerber, zu. Der von den Revisionswerbern gestellte Antrag nach § 35 AsylG 2005 bzw. die gegen den abweisenden Bescheid der Botschaft erhobene Beschwerde konnte daher schon aus diesem Grund nicht erfolgreich sein, was letztlich auch im eingangs auszugsweise zitierten Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2015 zum Ausdruck kommt. Vor dem Hintergrund jenes Ablehnungsbeschlusses bestehen gegen dieses Ergebnis und gegen die dargestellte aktuelle Rechtslage offenkundig auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
5. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Revisionswerber durch das bekämpfte Erkenntnis nicht in den in ihrer Revision geltend gemachten Rechten verletzt wurden. Das lässt schon der Inhalt dieser Revision erkennen, weshalb diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war.
Wien, am 28. Jänner 2016
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