VwGH Ro 2014/05/0017

VwGHRo 2014/05/00172.8.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des L R in W, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs/Donau, Unterauerstraße 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 19. Dezember 2013, Zl. RU1-BR-1586/002-2013, betreffend Zurückweisung eines Feststellungsantrages in einer baurechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: Gemeinde H), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
BauO Krnt 1969;
BauO NÖ 1976 §103 Abs1;
BauO NÖ 1996 §24 Abs1;
BauO Wr §74 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §56;
BauO Krnt 1969;
BauO NÖ 1976 §103 Abs1;
BauO NÖ 1996 §24 Abs1;
BauO Wr §74 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Bürgermeister) vom 25. Juni 1983 wurde dem Rechtsvorgänger des Revisionswerbers (im Folgenden: Bauwerber) die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines Wohnhauses, einer Scheune und eines Glashauses auf einem näher bezeichneten Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde erteilt.

2 In der Folge stellte der Bauwerber Anträge auf Verlängerung der Frist für die Vollendung des Bauvorhabens gemäß § 103 Abs. 6 NÖ Bauordnung 1976 (im Folgenden: BO 1976).

3 Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 5. Juli 2002 wurde dem Bauwerber aufgrund seines Ansuchens vom 24. Mai 2002 die Frist für die Vollendung des Bauvorhabens gemäß § 24 Abs. 4 (offenbar gemeint: Abs. 5) NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BauO) bis 31. Mai 2004 verlängert. Mit Eingabe vom 27. Mai 2004 beantragte (u.a.) der Bauwerber neuerlich die Verlängerung der Bauvollendungsfrist, und zwar bis Ende Mai 2006.

4 Mit Eingabe vom 20. Dezember 2010 stellte der Revisionswerber als Rechtsnachfolger des Bauwerbers an den Bürgermeister den Antrag, im Hinblick auf den Standpunkt der Baubehörden, dass die mit Bescheid vom 25. Juni 1983 erteilte Baubewilligung erloschen sei, obwohl diese seiner Ansicht nach wie vor Rechtsbestand habe, über den Bestand dieser Baubewilligung in einer rechtskraftfähigen Weise zu entscheiden. Hilfsweise werde die Erlassung eines Feststellungsbescheides beantragt.

5 Am 18. Februar 2011 hielt der Bürgermeister unter Beiziehung eines Bausachverständigen einen Lokalaugenschein zur baubehördlichen Überprüfung der Übereinstimmung der Ausführung des bewilligten Vorhabens mit der baubehördlichen Bewilligung ab. Der Sachverständige nahm einen Befund auf und hielt (u.a.) fest, dass sich auf dem Baugrundstück ein Rohbau mit Dach und Fenstern befinde, wobei der Ausbau der einzelnen Geschosse unterschiedlich weit erfolgt sei, und dass der Fertigstellungsgrad des Wohnhauses ca. 60 % betrage. Mit der Errichtung der bewilligten Scheune und des Glashauses sei noch nicht begonnen worden. Da die zuletzt mit Bescheid vom 5. Juli 2002 verlängerte Frist für die Vollendung des Bauvorhabens am 31. Mai 2004 geendet habe, könne diese nicht mehr verlängert werden.

6 Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 nahm der Revisionswerber zu den Ergebnissen des Lokalaugenscheines Stellung und brachte (u.a.) vor, dass zwar nur das Wohnhaus errichtet worden sei, dieses jedoch nach außen abgeschlossen sei und alle konstruktiven Merkmale verwirklicht worden seien, sodass bezüglich des Wohnhauses von keinem Erlöschen der Baubewilligung gesprochen werden könne. Auch sei die Teilbarkeit der Baubewilligung nicht ausgeschlossen. Das rechtliche Interesse an der Erlassung eines Feststellungsbescheides sei gegeben. Er stelle daher den Antrag, der Bürgermeister möge mit Bescheid zur Kenntnis nehmen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei und sohin die Baubewilligung vom 25. Juni 1983 hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe.

7 Mit Schriftsatz vom 22. September 2011 stellte der Revisionswerber an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Gemeindevorstand) einen Devolutionsantrag und das Begehren, der Gemeindevorstand möge anstelle des Bürgermeisters feststellen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei, sohin die Baubewilligung vom 25. Juni 1983 hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe sowie infolge Baufertigstellung (Bauvollendung) nicht erloschen sei, und es möge die Baufertigstellungsanzeige zur Kenntnis genommen werden.

8 Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 stellte der Revisionswerber schließlich an den Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Gemeinderat) einen Devolutionsantrag und den Antrag, der Gemeinderat möge anstelle des Gemeindevorstandes feststellen, dass der Bau des Wohngebäudes vollendet sei, sohin die Baubewilligung vom 25. Juni 1983 hinsichtlich des Wohnhauses weiterhin Rechtsbestand habe und infolge Baufertigstellung (Bauvollendung) nicht erloschen sei.

9 Mit dem aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates vom 12. April 2013 erlassenen Bescheid vom 15. April 2013 wurde (unter Spruchpunkt I) dem Devolutionsantrag des Revisionswerbers vom 10. Dezember 2012 stattgegeben und (unter Spruchpunkt II) der mit dieser Eingabe gestellte Feststellungsantrag als unzulässig zurückgewiesen.

10 In Bezug auf Spruchpunkt II dieses Bescheides führte der Gemeinderat (u.a.) aus, dass der Bürgermeister als Baubehörde "per 11.04.2013 einen Bescheid betreffend Gebäude" auf der genannten Liegenschaft gegenüber dem Revisionswerber erlassen habe. Ein Feststellungsbescheid sei in der BauO nicht vorgesehen, und die Erlassung eines solchen Bescheides liege nicht im öffentlichen Interesse. Dieser stelle auch kein notwendiges Mittel des Revisionswerbers zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dar und sei als subsidiärer Rechtsbehelf nicht zulässig, weil die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgezeichneten Verwaltungsverfahrens, nämlich im Verwaltungsverfahren aufgrund des genannten Bescheides des Bürgermeisters, entschieden werden könne.

11 Mit diesem an den Revisionswerber gerichteten Bescheid vom 11. April 2013 hatte der Bürgermeister gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 BauO den Abbruch der auf der genannten Liegenschaft befindlichen Bauwerke angeordnet, wobei der Bescheid dem Revisionswerber mittels Telefax am 7. Juni 2013 und im Postweg am 11. Juni 2013 zugestellt wurde.

12 Die vom Revisionswerber gegen den oben genannten Bescheid vom 15. April 2013 erhobene Vorstellung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

13 Dazu führte die Niederösterreichische Landesregierung (im Folgenden: Landesregierung) im Wesentlichen aus, ein Feststellungsbescheid sei ein subsidiärer Rechtsbehelf, der jedenfalls dann unzulässig sei, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens entschieden werden könne. Dies sei hier der Fall, weil die Frage, ob für das gegenständliche Objekt eine Baubewilligung erteilt worden sei und diese noch Gültigkeit habe, im Rahmen eines baupolizeilichen Auftragsverfahrens geklärt werden könne. Die "Berufungsbehörde" habe daher zu Recht "die diesbezüglichen Einwendungen" des Revisionswerbers "abgewiesen".

14 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision. 15 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG in sinngemäßer

Anwendung an die Stelle der Landesregierung getretene Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

16 Der Gemeinderat brachte das Schreiben vom 9. Mai 2014 ein, mit dem er erklärte, dass die Vorgangsweise der Gemeinde rechtens sei und sie weiterhin ihre bisherige Rechtsansicht verträten.

II.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18 Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 4 Abs. 1 und 5 fünfter Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG, BGBl. I Nr. 33/2013, idF BGBl. I Nr. 122/2013 für die Behandlung der vorliegenden Revision die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß gelten.

19 Die Revision bringt (u.a.) vor, dass das Feststellungsinteresse des Revisionswerbers bejaht werden müsse und es durch den Bescheid des Bürgermeisters vom 11. April 2013 nicht weggefallen sei, weil der Revisionswerber keinen Rechtsanspruch auf Durchführung des Verfahrens zur Erlassung eines Abbruchbescheides habe. Würde man den Wegfall des Feststellungsinteresses bejahen, billigte man den Gemeindebehörden eine Verlängerung der Entscheidungsfristen zu, was Art. 132 B-VG, § 73 AVG und Art. 6 EMRK widerspräche, zumal dieses "Ping-Pong" zum Nachteil des Revisionswerbers diesen mit vermeidbaren Kosten belaste. Immerhin seien die Gemeindebehörden seit der Antragstellung vom 17. Dezember 2010 (offenbar gemeint: 20. Dezember 2010) etwa drei Jahre untätig geblieben. Auch aus dieser zeitlichen Komponente leite sich ein begründetes Feststellungsinteresse und damit Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers ab.

20 Ferner sei die Frage, ob eine Frist gemäß § 24 Abs. 1 BauO abgelaufen sei, im Verfahren zur Erlassung eines Abbruchbescheides bloß als Vorfrage zu beurteilen, womit das Verfahren nach § 35 Abs. 2 Z 3 BauO gegenüber dem Feststellungsverfahren subsidiär sei, weil die Lösung der strittigen Frage über das Erlöschen der Baubewilligung vorausgesetzt werde. Der Baubewilligungsbescheid vom 25. Juni 1983 habe hinsichtlich des Wohngebäudes weiterhin Rechtsbestand und sei nicht erloschen. Die Bewilligung sei zum Zeitpunkt ihrer Erlassung nicht in Widerspruch zu einem gültigen Flächenwidmungsplan gestanden, und der Bauwerber habe dieses Wohngebäude nicht als unerlaubten Bau im Grünland errichtet, sodass das (wenn auch nicht fertiggestellte) Wohngebäude im Sinne des § 24 BauO bzw. des § 13 (offenbar gemeint: § 103) BO 1976 bauvollendet worden sei. Es fehle an einer nachvollziehbaren Begründung, dass der über den Rohbau hinaus bauvollendete, aber noch nicht fertiggestellte Wohnbau konsenslos sei. Dass das Wohnhaus noch nicht fertiggestellt und nicht benützbar sei, habe auf den Bestand der Baubewilligung keinen Einfluss.

21 Dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg. 22 Gesetzlich ist ein Feststellungsbescheid über die Frage

des Erlöschens einer Baubewilligung nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach ständiger hg. Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. Oktober 2013, Zl. 2010/07/0171, mwN) ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides, wenn er im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist, dann zulässig, wenn dessen Erlassung im öffentlichen Interesse oder insofern im Interesse der Partei liegt, als dies für die Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt. Ein rechtliches Interesse einer Partei an einer bescheidmäßigen Feststellung ist also dann gegeben, wenn der Feststellungsbescheid für die Partei ein geeignetes Mittel zur Beseitigung aktueller oder zukünftiger Rechtsgefährdung ist. Der Feststellung muss somit in concreto die Eignung zukommen, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch die Gefährdung eines subjektiven Rechtes des Antragstellers zu beseitigen.

23 Generell handelt es sich jedoch bei einem Feststellungsbescheid um einen subsidiären Rechtsbehelf, der unzulässig ist, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen vorgesehenen gesetzlichen Verwaltungsverfahrens entschieden werden kann (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 26. Juni 2012, Zl. 2010/07/0177, mwN).

24 In der (u.a.) zu § 74 Abs. 1 Bauordnung für Wien - diese Bestimmung weist einen ähnlichen Regelungsinhalt wie § 103 Abs. 1 BO 1976 (bzw. § 24 Abs. 1 BauO) auf - ergangenen hg. Judikatur (vgl. etwa den Beschluss vom 31. März 2005, Zl. 2002/05/1354, und das Erkenntnis vom 23. November 2009, Zl. 2008/05/0259, mwN) wurde (unter Bezugnahme auf das zur Kärntner Bauordnung, LGBl. Nr. 48/1969, ergangene Erkenntnis vom 16. Juni 1992, Zl. 88/05/0181) ausgeführt, dass im Falle eines Streites darüber, ob Baumaßnahmen gesetzt wurden, die als Ausnutzung der Baubewilligung anzusehen sind, ein Feststellungsinteresse des Bauwerbers gegeben sei und dieser nicht darauf verwiesen werden könne, dass er (erst) im Falle einer von der Behörde verfügten Baueinstellung, weil die Behörde die Bauführung wegen Ablaufes der Baubeginnsfrist als konsenslos ansieht, seinen Standpunkt in diesem Verfahren dartun könne, weil dies mit einem beträchtlichen wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand für den Bauwerber verbunden wäre.

25 In Anbetracht der in rechtlicher Hinsicht gleich gelagerten Konstellation ist diese Judikatur auf den vorliegenden Revisionsfall übertragbar. Entgegen der von der Landesregierung vertretenen Ansicht ist dem Revisionswerber daher ein rechtliches Interesse an der Feststellung zuzubilligen, ob die im Jahr 1983 erteilte Baubewilligung noch aufrecht bzw. noch nicht erloschen ist.

26 Die im angefochtenen Bescheid bestätigte Argumentation des Gemeinderates, dass die hier strittige Frage des Bestandes der Baubewilligung im Rahmen des oben genannten baupolizeilichen Auftragsverfahrens, nämlich "aufgrund des Bescheides des Bürgermeisters" (gemeint: der oben genannte Bescheid vom 11. April 2013), geklärt werden könne, führt bereits deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil der Bescheid vom 11. April 2013 in dem für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gemeinderates über den Bescheid vom 15. April 2013 gegenüber dem Revisionswerber noch nicht erlassen war.

27 Da somit dem Revisionswerber, wie dargelegt, ein Feststellungsinteresse im oben genannten Sinn zuzubilligen war und die Landesregierung daher die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

28 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014 iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 2. August 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte