VwGH Ro 2014/07/0107

VwGHRo 2014/07/010725.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Revision 1. des DI A A und 2. der H A, beide in R, beide vertreten durch Dr. Heinz Lughofer, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Stelzhamerplatz 7, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 25. Juli 2014, Zl. LVwG-150260/8/VG/WP, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit des Wasserrechts (belangte Behörde:

Gemeinderat der Gemeinde Ried im Traunkreis, Hauptstraße 27, 4551 Ried im Traunkreis), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs5;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §16 Abs5;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Ried im Traunkreis vom 12. August 2013 wurden die revisionswerbenden Parteien verpflichtet, ihr näher bezeichnetes Grundstück an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Gemeinde anzuschließen.

Ihre gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 27. März 2014 als unbegründet ab. Dieser Bescheid wurde den revisionswerbenden Parteien nach einem erfolglosen Zustellversuch am 4. April 2014 im Wege der Hinterlegung am 7. April 2014 (Beginn der Abholfrist) zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2014 erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG). Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde brachten sie vor, sie seien erst am Freitag, den 11. April 2014, spät abends aus ihrem Urlaub zurückgekehrt und hätten das hinterlegte Dokument am darauffolgenden Montag, den 14. April 2014, behoben.

Das LVwG wies die revisionswerbenden Parteien mit Vorhalt vom 9. Juli 2014 darauf hin, dass die Beschwerde offenbar verspätet eingebracht worden sei, und gab ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme.

Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2014 wiesen die revisionswerbenden Parteien unter Urkundenvorlage nochmals darauf hin, dass sie bis 11. April 2014 spät abends auf Urlaub in Spanien gewesen seien. Aufgrund der Öffnungszeiten des Postpartners, bei dem das Dokument hinterlegt worden sei, habe dieses erst am 14. April 2014 behoben werden können.

Mit dem nun in Revision gezogenen Beschluss des LVwG vom 25. Juli 2014 wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gemäß den §§ 36 Abs. 1 iVm 7 Abs. 4 und 31 VwGVG als verspätet zurückgewiesen. Die ordentliche Revision wurde als zulässig erklärt.

Das LVwG stellte den oben wiedergegebenen Sachverhalt fest und gab die Bestimmung des § 17 Zustellgesetz (ZustG) wieder. Im Rahmen seiner rechtlichen Erwägungen legte es dar, aus den aktenkundigen Rückscheinen ergebe sich, dass der Bescheid der belangten Behörde ab 7. April 2014 beim zuständigen Postpartner zur Abholung hinterlegt gewesen sei. Der Bescheid sei damit rechtswirksam zugestellt worden und es habe mit diesem Tag die vierwöchige Beschwerdefrist des § 36 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 VwGVG zu laufen begonnen. Der letzte Tag für die Einbringung der Beschwerde sei daher Montag, der 5. Mai 2014, gewesen. Die am 8. Mai 2014 eingebrachte Beschwerde sei daher offenkundig verspätet erfolgt.

Im Hinblick auf das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien in ihrem Schriftsatz vom 20. Juli 2014 sei nun wesentlich, ob sich gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ergeben habe, dass sie wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen hätten können. In diesem Fall - wovon die revisionswerbenden Parteien offensichtlich ausgingen - gälten hinterlegte Dokumente als nicht zugestellt. Diese Rechtsansicht der revisionswerbenden Parteien stehe allerdings im Widerspruch zu der - nach Ansicht des LVwG auf den hier vorliegenden Fall übertragbaren - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtzeitigkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG.

Nach dieser Rechtsprechung (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2012, 2010/04/0112) liege beispielsweise noch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei einer Rückkehr einen Tag nach dem Beginn der Abholfrist und bei einer Behebung drei Tage nach der Hinterlegung sowie bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung des Rechtsmittels von zehn Tagen vor. Dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sei ein Berufungsverfahren zu Grunde gelegen, bei dem die Rechtsmittelfrist zwei Wochen betragen habe. Demnach liege also eine unzulässige Verkürzung der gesetzlichen Rechtsmittelfrist von zwei Wochen bei Verbleib von zehn Tagen zur Ausführung des Rechtsmittels jedenfalls nicht vor. Übertrage man diese Rechtsprechung auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren (Rechtsmittelfrist: vier Wochen) so läge eine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei Verbleib von 20 Tagen zur Ausführung des Rechtsmittels jedenfalls nicht vor.

Die revisionswerbenden Parteien seien am 11. April 2014 spät abends an die Abgabestelle zurückgekehrt, hätten daher an diesem Tag Kenntnis vom Zustellvorgang erlangt und die hinterlegten Dokumente am 14. April 2014 behoben. Es seien ihnen daher - gerechnet vom Tag der Behebung der behördlichen Sendung - zumindest 20 (volle) Tage, den Tag der Behebung und den letzten Tag der Frist nicht eingerechnet, zur Ausführung des Rechtsmittels verblieben. Im Sinne der dargelegten und nach Ansicht des LVwG auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren übertragbaren ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist vor und es gelte die Zustellung mit dem Tag des Beginns der Abholfrist als bewirkt. Die Beschwerde sei demzufolge nicht rechtzeitig.

Die ordentliche Revision wurde als zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Rechtzeitigkeit im Sinn des § 17 Abs. 3 ZustG und der damit verbundenen zulässigen Verkürzung der Rechtsmittelfrist (Beschwerdefrist) im neuen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz fehle.

In der gegen diesen Beschluss erhobenen ordentlichen Revision machen die revisionswerbenden Parteien Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

Sie vertreten unter Berufung auf näher dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Ansicht, dass eine Zustellung nach § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustG durch Hinterlegung nur dann als ordnungsgemäß angesehen werden könne, wenn der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt habe, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre. Den revisionswerbenden Parteien sei im konkreten Fall keinesfalls der Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung gestanden, der ihnen auch im Fall einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung, auf die diese Rechtsprechung abstelle, üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre.

Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das LVwG hat das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung darin erblickt, dass es noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Rechtzeitigkeit im Sinn des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG vor dem Hintergrund der Versäumung bzw. Wahrung der vierwöchigen Beschwerdefrist des § 7 Abs. 4 VwGVG besteht.

Es kann dahinstehen, ob man die zu § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG bisher ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als bestehende Rechtsprechung auch zur Wahrung der Beschwerdefrist ansehen wollte oder nicht. Dafür spricht, dass es bereits Rechtsprechung zum Begriff der "Rechtzeitigkeit" bei der Hinterlegung von Bescheiden, gegen die innerhalb einer Frist von einem Monat (also einem vergleichbaren Zeitraum) Rechtsmittel erhoben werden konnte, gibt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. Juli 1992, 91/16/0091, oder vom 20. Oktober 2010, 2007/08/0210). Wie zu zeigen sein wird, widerspricht die im angefochtene Beschluss geäußerte Rechtsansicht des LVwG nämlich den maßgeblichen Gesichtspunkten der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung.

Die Revision erweist sich daher jedenfalls als zulässig.

2. Die Bestimmung des § 17 Abs. 1 und 3 ZustG hat folgenden Wortlaut:

"Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, das sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) ...

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, in dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) ..."

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Mai 2007, 2006/07/0101, vom 25. April 2014, 2012/10/0060, und vom 26. Juni 2014, 2013/03/0055).

Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, 2000/02/0027, und den hg. Beschluss vom 28. Februar 2007, 2006/13/0178, mwN).

3. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Kenntnis vom Zustellvorgang, auf die § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG abstellt, ist die im vorliegenden Fall entscheidende Rechtsfrage. Bereits in der Stammfassung des § 17 Abs. 3 ZustG (BGBl. Nr. 200/1982) wurde auf den Aspekt der rechtzeitigen Kenntnisnahme vom Zustellvorgang abgestellt; eine ähnliche Bezugnahme auf die Rechtzeitigkeit der Kenntnisnahme vom Zustellvorgang fand und findet sich in § 16 Abs. 5 ZustG.

3.1. Der Oberste Gerichtshof setzte sich mit dem Begriff der "Rechtzeitigkeit" bereits in seinem Beschluss vom 16. Februar 1984, 7 Ob 511/84

(SZ 57/34 = EvBl 1984/101 = JBl 1985, 115; RIS-Justiz RS 0083923) ausführlich auseinander.

Er legte mit näherer Begründung und unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtslage und die näher dargestellten Meinungen der Wissenschaft dar, dass es sich bei dem Ausdruck "rechtzeitig" in § 17 Abs. 3 ZustG nicht nur um eine inhaltsleere Floskel handle, sondern diesem Ausdruck vielmehr für die Auslegung Bedeutung zukommt. Hiebei sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage zumindest nicht im Sinne einer Verschlechterung der Möglichkeit der Hinterlegung ändern habe wollen. Sinn der Zustellvorschriften (ZPO, AVG) sei es schon bisher gewesen, den Empfänger vor Nachteilen zu bewahren, die durch eine gesetzwidrige Zustellung entstehen hätten können. Die eher schematische Regelung durch die bisherige Rechtslage habe jedoch manchmal dazu geführt, dass über den angestrebten Zweck hinaus auch Verfahrensverzögerungen bewirkt worden seien, die nicht mehr im Interesse des Schutzes einer an der mangelhaften Zustellung nicht schuldigen Partei gelegen seien. Diese nicht gewünschten Nebenwirkungen der bisherigen Zustellregelungen sollten durch die Neufassung beseitigt oder zumindest eingeschränkt werden. Dies zeige schon der Schlusssatz der Bestimmungen der §§ 16 Abs. 5 und 17 Abs. 3 ZustG, denen zufolge eine Sanierung mangelhafter Zustellungen nicht mehr vom tatsächlichen Zukommen der Sendung abhängig sei.

Das Wort "rechtzeitig" müsse daher auch im Sinne dieser Bestrebungen verstanden werden. Der Gesetzgeber wolle dem Empfänger nur jenen Schutz zukommen lassen, der notwendig sei, ihn nicht schlechter zu stellen als Empfänger, denen ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Sohin könne eine Auslegung der Bestimmung des § 17 Abs. 3 ZustG nur dahin erfolgen, dass der Empfänger von der Zustellung dann nicht rechtzeitig Kenntnis erlangt habe, wenn er nicht in der Lage gewesen sei, auf die Sendung zum selben Zeitpunkt zu reagieren, zu dem ein Empfänger üblicherweise reagieren hätte können, dem nach dem Willen des Gesetzgebers durch Hinterlegung zugestellt werden durfte. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt habe, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so müsse die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden.

3.2. Von diesem Verständnis des Begriffs der "Rechtzeitigkeit" im § 17 Abs. 3 ZustG ging der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung auch weiterhin aus (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 16. April 1993, 5 Ob 513/93, vom 18. Dezember 1997, 2 Ob 265/97b, und vom 18. Oktober 2007, 2 Ob 96/07t).

Den Beschlüssen des Obersten Gerichtshofes vom 12. November 2002, 10 ObS 346/02n, und vom 18. Oktober 2007, 2 Ob 96/07t, - um nur einige zu nennen - lagen Rechtsmittelfristen von vier Wochen zu Grunde.

Auch in diesen Entscheidungen wurde die Ansicht vertreten, dass "rechtzeitig" im Sinne dieser Bestimmung dahin zu verstehen sei, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung stehe, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt habe, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so müsse die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden.

3.3. Der Verwaltungsgerichtshof befasste sich in seinem - eine Einspruchsfrist von einem Monat betreffenden - Erkenntnis vom 9. Juli 1992, 91/16/0091, unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und bereits bestehender Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Verständnis des Begriffs der "Rechtzeitigkeit". Er verwarf mit näherer Begründung die Ansicht, es komme bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit auf den Inhalt des zugestellten Schriftstückes und die Dauer der zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist an. Wörtlich heißt es:

"Entscheidend ist die Frage, ob bei einer Zustellung durch Hinterlegung am Freitag, dem 14. Oktober 1988 und einer Ortsabwesenheit bis Mittwoch, dem 19. Oktober 1988 und Behebung am selben Tag, der Begriff ?rechtzeitig? im § 17 Abs. 3 Zustellgesetz (ZustG) so zu verstehen ist, daß im Hinblick auf die Einspruchsfrist gemäß § 145 Finanzstrafgesetz (FinStrG) der Fristbeginn mit 14. Oktober 1988 oder erst mit Rückkehr an die Abgabestelle anzusetzen ist. ...

Die belangte Behörde nimmt den Fristbeginn trotz der festgestellte Ortsabwesenheit mit 14. Oktober 1988 an, weil die Verzögerung bis zur tatsächlichen Behebung im Vergleich zur einmonatigen Einspruchsfrist nur eine minimale Zeitspanne darstelle. Ob jemand 'rechtzeitig' vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe, hänge davon ab, was zuzustellen sei, wenn dem Betroffenen noch eine angemessene Frist offen bleibe.

Diese Auffassung fußt offenbar auf den Ausführungen von Berchtold, Zustellgesetz, 33 (wird näher dargestellt) ....

Auch nach Walter-Mayer, Zustellrecht, 96, sei 'nicht rechtzeitig' mit Bezug auf den Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes zu verstehen; dies bedeute etwa im Falle einer Ladung, daß deren (Ersatz‑)Zustellung als nicht bewirkt gelte, wenn dem Empfänger die Befolgung nicht mehr möglich sei, weil der Termin bereits verstrichen sei.

Bedenken gegen eine derartige Bezugnahme ergeben sich zunächst aus dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 3 bzw. § 16 Abs. 5 ZustG, weil in der erstgenannten Bestimmung mehrfach von der ABHOLFRIST die Rede ist, aber von keinem anderen zeitlich bestimmten Umstand, insbesondere weder von einer anderen Frist noch von einem Termin. Es ist daher die Annahme naheliegend, daß sich 'rechtzeitig' auf die einzige zeitbestimmte Angabe in diesem Absatz bezieht.

Gerade die von der Behörde im vorliegenden Fall gezogene Konsequenz, wonach eine Relation zur Frist im zuzustellenden Schriftstück hergestellt werden soll, zeigt, daß eine damit sanktionierte Fristverkürzung wohl nicht mit dem beabsichtigten Schutz des Betroffenen in Einklang zu bringen ist.

Rechberger zeigt in seiner Glosse zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. Juni 1987, Zl. 3 Ob 22/87, veröffentlicht in MR 1988, 26, richtig auf, daß in Fällen, in denen Entscheidungswirkungen unmittelbar an die Zustellung anknüpfen, die Wendung 'nicht rechtzeitig' überhaupt keinen Sinn ergibt. Auch diese Erwägung spricht also dafür, 'rechtzeitig' ausschließlich im Zusammenhang mit der Abholfrist zu sehen.

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit dieser Frage auch in der zu Evidenzblatt 1984/101 veröffentlichten Entscheidung vom 16. Februar 1984, Zl. 7 Ob 511/84, auseinandergesetzt. Der dort zitierten Auffassung von Berchtold wird die Darstellung von Schwaighofer (zitiert mit Anwaltsblatt 1983, 381), wonach 'angemessen' nur die volle, vom Gesetzgeber für notwendig erachtete Frist sei, als nicht unbegründet gegenübergestellt. Es ginge nicht an, die vom Gesetzgeber festgesetzten Rechtsmittelfristen nach Belieben etwa unter Wertung der objektiven Schwierigkeit solcher Rechtsmittel (hier: die von der Behörde hervorgehobene Leichtigkeit des Einspruches), welche die Erhebung des Rechtsmittels mit sich bringen könnte, zu verkürzen. Der Oberste Gerichtshof kam zum Ergebnis, daß bei einer Hinterlegung am 31. Oktober (gleichzeitig Beginn der Abholfrist) ein Großteil der berufstätigen Bevölkerung die Sendung nicht hätte vor dem 2. November, dem nächsten Werktag, beheben können. Daher stand dem Empfänger trotz Ortsabwesenheit am Hinterlegungstag die gleiche Frist zu, wie dies im Regelfall bei ortsanwesenden Adressaten der Fall gewesen wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte den Fall zu behandeln, daß ein Empfänger am Montag, dem 9. März ortsabwesend war (Beginn der Abholfrist), aber am 10. März zurückgekehrte und das Schreiben behob (Zl. 88/06/0140 vom 13. April 1989). Es wurde von einem Fristbeginn am 9. März ausgegangen, und zur Begründung unter Wiedergabe des Arguments, der ortsabwesende Empfänger hätte die Sendung nicht später beheben können als eine wegen Berufstätigkeit beim Zustellversuch nicht an der Zustelladresse anwesende Person, auf die genannte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. Februar 1984 verwiesen. Im gleichen Sinne wurde schon zuvor zur Zl. 86/07/0212 vom 10. März 1987 die Fristverkürzung um nur einen Tag behandelt.

Dem Beschluß vom 26. November 1991, Zl. 91/14/0218 f, lag der Sachverhalt zugrunde, daß der Empfänger am Beginn der Abholfrist, nämlich am 13. April (Karfreitag) auf Osterurlaub war, und am Dienstag nach Ostern, am 17. April, also am unmittelbar folgenden Werktag, die Sendung behob. Im Sinne der obigen Ausführungen wäre die Mehrheit der berufstätigen Bevölkerung von einer derartigen Fristverkürzung betroffen gewesen. Es wurde also auch in diesem Fall von einem Fristbeginn am Beginn der Abholfrist ausgegangen.

Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß bei einem Beginn der Abholfrist ab Freitag, dem 14. Oktober 1991, ein Großteil der berufstätigen Bevölkerung das Schriftstück erst am Montag, dem 17. Oktober 1991 behoben hätte und somit diese Fristverkürzung als vom Gesetzgeber gewollt in Kauf genommen werden muß. Der Beschwerdeführer war aber bis 19. Oktober 1991 abwesend, sodaß von einer gesetzlich gebilligten, weil einen Großteil der Bevölkerung treffenden, Fristverkürzung keine Rede mehr sein kann. Vielmehr kommt der Gesetzeswortlaut zum Tragen, daß die Zustellung an dem der Rückkehr folgenden Tag wirksam wurde."

3.4. Der Vergleich mit der Mehrheit der berufstätigen Bevölkerung und dem Zeitraum, der auch im Fall einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre, prägte in weiterer Folge die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

"Rechtzeitig" im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist demnach dahingehend zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. dazu unter vielen das hg. Erkenntnis vom 9. November 2004, 2004/05/0078).

Von einer rechtzeitigen Kenntniserlangung von der Zustellung durch den Empfänger könne nur dann die Rede sein, wenn diesem die wahrzunehmende Frist ungekürzt oder zumindest nahezu ungekürzt zur Verfügung stehe (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Mai 2007, 2006/07/0101, vom 26. Mai 1998, 98/07/0032, vom 13. April 1989, 88/06/0140, und vom 10. März 1987, 86/07/0212). Davon könne bei einer Verzögerung der Kenntnis von der Zustellung um mehrere Tage nicht mehr die Rede sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1998, 98/07/0032). Noch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist wurde bei einer Rückkehr einen Tag nach dem Beginn der Abholfrist (vgl. etwa den Beschluss vom 15. Juli 1998, 97/13/0104, 0168, mwN, und auch das Erkenntnis vom 19. April 2001, 99/06/0049) und bei einer Behebung drei Tage nach der Hinterlegung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. September 1999, 99/17/0303) angenommen.

3.5. In anderen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs wurde allerdings argumentativ auch darauf abgestellt, ob der Partei nach den Verhältnissen des Einzelfalles noch ein angemessener Zeitraum für die Einbringung des Rechtsmittels verblieb; dabei wurde bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung des Rechtsmittels von zehn Tagen (bei einer Rechtsmittelfrist von zwei Wochen) noch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist gesehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. April 2001, 99/06/0049, vom 24. Februar 2000, 2000/02/0027, vom 18. März 2004, 2001/03/0284, und vom 28. Februar 2007, 2006/13/0178). Erfolgte die Rückkehr an die Abgabestelle jedoch erst sieben Tage nach dem Beginn der Abholfrist konnte nicht mehr gesagt werden, die Partei habe noch "rechtzeitig" im Sinn des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Mai 2007, 2006/07/0101, und vom 26. Mai 1998, 98/07/0032).

3.6. Ein offenkundiger Widerspruch zwischen diesen beiden Judikaturlinien war bisher nicht feststellbar; in den Fällen, in denen bei bis zu vier Tagen nach Beginn der Abholfrist noch von einer rechtzeitigen Zurkenntnisnahme von der Hinterlegung ausgegangen wurde, lag - soweit überblickbar - ein Wochenende zwischen Hinterlegungszeitpunkt und Abholung, sodass kein signifikanter Unterschied zum Agieren des Teils der berufstätigen Bevölkerung erkennbar erscheint, der am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfährt und bedingt durch die Berufstätigkeit die Sendung einige Tage später behebt.

Bei einer angenommenen Abholung von bis zu vier Tagen nach Beginn der Abholfrist verblieb in der Regel auch eine angemessene Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels; in vielen Erkenntnissen wurden und werden daher auch beide Argumentationslinien des Verwaltungsgerichtshofes gemeinsam wiedergegeben und dann einzelfallbezogen entschieden, ob die Kenntnisnahme von Zustellvorgang noch rechtzeitig im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG erfolgte oder nicht (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2007, 2006/07/0101, und vom 25. April 2014, 2012/10/0060).

4. Das LVwG orientierte sich bei der vorliegenden Entscheidung allerdings allein am Aspekt der Angemessenheit der noch zur Verfügung stehenden Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels. Weil der Verwaltungsgerichtshof bei einer Rechtsmittelfrist von zwei Wochen einen zur Verfügung stehenden Zeitraum von 10 Tagen noch als angemessen erachtet hatte, schloss das LVwG angesichts einer doppelt so langen Beschwerdefrist (vier Wochen), dass ein doppelt so langer, noch zur Verfügung stehender Zeitraum von 20 Tagen ebenfalls einen angemessenen Zeitraum für die Einbringung des Rechtsmittels darstellte. Entscheidend für die Beurteilung des LVwG war daher allein das Verhältnis der Beschwerdefrist zum restlichen, den revisionswerbenden Parteien zur Verfügung stehenden Zeitraum.

Diese Argumentation greift allerdings zu kurz. Im vorliegenden Fall erfolgte am 4. April 2014 ein erfolgloser Zustellversuch; die Verständigung über die Hinterlegung wurde an diesem Tag ins Postfach eingelegt. Der erste Tag, an die die Sendung zur Abholung bereit lag, war der 7. April 2014. Die revisionswerbenden Parteien erlangten erst am Freitag, dem 11. April 2014 spätnachts (somit 5 Tage nach Beginn der Abholfrist), von der Hinterlegung Kenntnis und konnten die Sendung frühestens am Montag, dem 14. April 2014 (somit 8 Tage nach Beginn der Abholfrist), beheben.

Einem ortsanwesenden Berufstätigen, der erst nach Beendigung der Amtsstunden der Post am Tag der Hinterlegung (4. April 2014) in seine Wohnung (die Abgabestelle) zurückkehrte, wäre eine Behebung aber bereits am 7. April 2014 möglich gewesen; selbst bei einer denkbaren, wochenendbedingten Rückkehr eines Berufstätigen erst am Montagabend an die Abgabestelle wäre ihm eine Behebung spätestens am Dienstag, den 8. April 2014, möglich gewesen. Die revisionswerbenden Parteien konnten die Sendung aber erst am Montag, den 14. April 2014, beheben.

Angesichts dessen kann im vorliegenden Fall nicht mehr die Rede davon sein, den revisionswerbenden Parteien sei jener Zeitraum zur Ausführung ihres Rechtsmittels zur Verfügung gestanden, der ihnen auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung durch postamtliche Hinterlegung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Den revisionswerbenden Parteien stand die wahrzunehmende Frist keinesfalls nahezu ungekürzt zur Verfügung. Sie erlangten daher nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis.

Der Bescheid der belangten Behörde galt daher nicht bereits mit dem Tag als zugestellt, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereit gehalten wurde, sondern erst mit jenem Tag, an dem die revisionswerbenden Parteien die hinterlegte Sendung nach ihrer Rückkehr zur Abgabestelle beheben konnten; das war der 14. April 2014.

Die am 8. Mai 2014 eingebrachte Beschwerde war daher rechtzeitig; ihre Zurückweisung wegen Verspätung verletzte Rechte der revisionswerbenden Parteien.

5. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Es erübrigte sich daher ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der revisionswerbenden Parteien.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. Nr. 518/2013, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 8/2014.

Wien, am 25. Juni 2015

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